Eigentlich anders

Content warning »Sterbebegleitung, Sterben, Tod, Abschiednehmen«
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Eigentlich wollte ich dieser Tag hier einen liebevollen, begeisterten, einladenden Text über das geplante Live-Kunst-Reiseprojekt des liebsten Irgendlink schreiben. Einen Text über seine Pläne, via Helsinki ein weiteres Mal ans Nordkap zu radeln. Einen Text über die Umsetzung eines Traumes, der seit Mitte Pandemiezeit immer konkreter wurde und dieses Jahr in die Wirklichkeit geholt werden sollte.

Uneigentlich ist alles ganz anders. Gestern Nachmittag fand ein Gespräch statt, von dem wir uns erhofft hatten, dass danach unser lieber Freund S. endlich und seinem Wunsch, seiner mündlichen Patientenverfügung, entsprechend, von seinen unheilbaren Schmerzen befreit wird.

Diese existentielle Fragen liegen uns schwer auf Mägen und Herzen. Es geht um Würde und Autonomie bis zuletzt, und es geht um Fragen zu Lebenmüssen und Sterbendürfen. Um Entscheidungen, die wir für einen lieben Menschen treffen müssen, der sich nicht mehr zu Wort melden kann. Ich bin ja ’nur’als Mitmensch und langjährige Freundin im Boot, der Liebste jedoch als Beistand. Schwere Entscheidungen. Wir machen es uns keineswegs leicht.

Mein Herz ist schwer. So viele Erinnerungen an unseren lieben Freund S. tauchen auf, während ich an seinem Bett stehe. Die letzten Besuche im Pflegeheim. Mein letzter vor dem aktuellen Klinikaufenthalt war jener, bei welchem wir ihm das von Freunden finanzierten E-Mobil geliefert hatten. Das er aber, weil er von seiner zweiten Covid-Erkrankung noch so geschwächt war, noch gar nicht hatte probefahren können.

Leider hat das gestrige Gespräch nicht das erhoffte Ergebnis bewirkt, nämlich das Freund S. von seinen Leiden erlöst werden darf. Nochmals neun Tage Abwarterei. Heute oder jedenfalls bald bekommt S. einen Luftröhrenschnitt, dann soll das Morphin ausgeschlichen werden und alsdann soll S. bitteschön höchstpersönlich sagen, dass er nicht mehr weiterleben will. Obwohl wir eine Tonaufnahme von eben dieser Aussage haben. Und diese auch in verschriftlichter Form vorliegt. Und der Liebste immerhin S.s juristischer Beistand ist. Dass S. vor einem Monat jener einen OP zugestimmt habe, die ihn von seiner zunehmenden Lähmung erlösen sollte, sei doch Zeichen dafür, dass S. weiterleben wolle. Dass die OP eher nicht erfolgreich war, wird ignoriert.

Es ist ein Trauerspiel. Wir geben nicht auf.

Des Liebsten Reise ist jedenfalls gecancelt. Aber vielleicht ist ja aufgeschoben nicht aufgehoben. Bestimmt würde sich S. sogar freuen, wenn Irgendlink nochmals vom Nordkap in die Ferne gucken könnte. Ganz bestimmt sogar.

Veränderbar, aber wir müssen es wollen

Unsere Körper gehorchen natürlichen Gesetzmäßigkeiten, körpereigenen Strukturen. So und so funktioniert ein Körper, so und so hat er sich seit Anbeginn der Zeit entwickelt.

Würde die Menschheit – die gesamte menschliche Gesellschaft – wie so ein Körper funktionieren, wie sähe da wohl die natürliche Struktur und Gesetzmäßigkeit aus? Gibt es eine allen Säugentieren übergeordnete Struktur? Wohl kaum, ich glaube, wir müssen da näher hinzoomen und jede Spezies gesondert betrachten.

Wie viele tausend Jahre tun wir Menschen nun bereits so, als wären Patriarchat und Frauenunterdrückung naturgemäße Strukturen und Gesetzmäßigkeiten? Selbst heute, mit all den Erkenntnissen, die wir inzwischen haben, leben wir gemäß verinnerlichten monotheistischen und patriarchalen Weltbildern, die so gar nichts mit der wahren Natur des Menschseins gemein haben. Vielmehr ist es doch die weibliche, die matriarchale Struktur, die der Natur entspricht: Nähren, hegen, wachsen, gemeinsam leben fördern.

Dennoch leben wir alle so, als wären diese patriarchalen Strukturen unabänderlich. Wir verhalten uns diesen verinnerlichten Regeln gemäß, haben sogar (oft) sehr gründlich aufgehört, darüber nachzudenken, wie sich Grundsätzliches verändern ließe, zu tief ist das Gewohnte in all unserm Tun verankert. Zeit und Kraft fehlen, zu sehr sind wir mit dem Erhalt des Status Quo, den wir so gar nicht unbedingt richtig finden, beschäftigt. Mangels Alternativen (aber da bin ich eben gar nicht so sicher. Es gäbe sie, aber wir kennen sie noch nicht).

Ich sehe diese patriarchalen Strukturen, diese Weltbilder, wann immer ich Nachrichten und Bücher lese, Filme gucke. Sie funktionieren ganz automatisch. Die Darstellung von Männer und Frauen – in der Berichterstattung ebenso wie in der Fiktion – vorhersehbar: Die Frau, oft hilfsbedürftig und in der Opferrolle, von physischer, struktureller und/oder sexueller Gewalt bedroht – in den Nachrichten und Krimis ebenso wie in Gesellschaftsromanen. Der Mann, oft stark und nicht selten gewaltbereit. Ausnahmen gibt es zum Glück immer mehr, in der Realität ebenso wie in der Fiktion, doch meistens wissen alle Mitspielenden, wo ihr Platz ist.

Ich sehne mich nach neuen Geschichten. Ich habe zuweilen sogar Lust, selbst eine neue Geschichte zu schreiben. Sie müsste, ahne ich, irgendwo in der (hoffentlich nahen) Zukunft angesiedelt sein, da auf matriarchalen Strukturen basierendes Alltagsleben noch Theorie und Utopie ist. Vielleicht  gibt es ja bald ein neues Untergenre von Fantasy? Hoffentlich.

Mit solchen Gedanken beschäftigte ich mich gestern Abend, nachdem ich mir einen weiteren Teil der vierteiligen Miniserie ’Unorthodox’ auf Netflix angeschaut hatte. Ich ertrage es, zugegeben, nur sehr schlecht, Esther und den anderen jungen Frauen beim Leben in ihrer ultraorthodoxen jüdischen Gemeinschaft in New York zuzuschauen. Am schwersten auszuhalten ist für mich, wie manche Frauen ’das traditionellen Wissen’ an die jüngeren Frauen weitergeben. Wissen à la ’Wie macht man einen Mann glücklich?’ Dabei bleibt die natürliche weibliche Lust auf der Strecke – denn sie ist sündig. Eine Frau ist in erster Linie Gebärmaschine. Wenn ich von dieser einen Gemeinschaft den Blick weite und all die unzähligen Gesellschaften rund um den Erdball betrachte, in denen Frauen keine oder kaum Rechte auf eigene Bedürfnisse und Entfaltung haben (Iran, Afghanistan, Asien, Afrika), wird mir das Herz schwer. Für mich persönlich am schlimmsten empfinde ich es dort, wo die Regeln (angeblich) aus monotheistischen Quellen stammen – von männlich gelesenen Göttern diktiert. Genitalverstümmelungen und andere Verbrechen am weiblichen Körper. (Wie können Menschen an Götter glauben, die solche Dinge von den Menschen verlangen?)

Ob ich noch Hoffnung für die Menschheit habe? Ein bisschen. Wenn wir das Betriebssystem von patriarchal auf matriarchal zu drehen vermögen, könnte es funktionieren. Vielleicht.

Zumutbare Rücksicht

Wir sind zwar wieder negativ, der Liebste und ich, aber beide noch nicht wirklich wieder hergestellt. Wir husten noch immer und auch die Nasen sind noch nicht frei. Und beide sind wir nach selbst kleinsten Anstrengungen k. o. und brauchen viele Pausen. Offenbar hat die Des-Liebsten-Mama Covid besser weggesteckt als wir zwei – der ImpfungseiDank, sagt sie. Sie hatte wohl eine Art Erkältung, während wir beide je mehrere Tage mit Fieber flachgelegen sind. So gesehen stimmt die viel zitierte und meiner Meinung nach höchst fragwürdige und zudem ableistische Theorie, dass Covid ja ‘nur die Alten und Behinderten’ schlimm treffe, schon mal gar nicht.

Ich konnte die Argumente von Menschen, die Covid-Schutzmaßnahmen ablehnen, von Anfang an nicht nachvollziehen. Und jetzt, nach überlebter Covid-Erkrankung, noch weniger denn je. Das wünsche ich nun wirklich niemandem. Und wir hatten ja verglichen mit anderen noch immer ziemliches Glück und sind auf dem Weg der Besserung.

Der Mensch unterscheidet sich vom Tier unter anderem durch seinen Verstand und durch seine Vernunft und obwohl ich grundsätzlich an Evolution glaube, habe ich doch mit der sozial-darwinistischen Haltung – ‘the survival of the fittest’ (‘etwas Schwund ist immer’, ‘Kollateralschaden’) – schon immer meine Mühe. Wir sind den Menschenrechten verpflichtet, wir sind ethikfähige, vernunftbegabte Wesen, wir dürfen darum solche Haltungen nicht auf uns Menschen anwenden und das Wohl der Schwächsten für die Maßnahmen-Faulheit der großen Mehrheit opfern.

Ich fühle natürlich mit allen Betreuenden und Pflegenden mit, da es für sie besonders mühsam ist, sich bei der Betreuung von Covid-Patient*innen entsprechend zu schützen, aber für alle anderen hält sich mein Mitgefühl dafür, dass sie Rücksicht auf andere nehmen sollen, in Grenzen. Meistens sind es nämlich jene Leute, die das Glück hatten, entweder selbst noch kein oder wenn dann kein schlimmes Covid gehabt zu haben und/oder niemanden zu kennen, der entweder schlimm oder gar tödlich an Covid erkrankt ist, kurz gesagt: Privilegierte! Und genau diese Menschen wollen dann die weniger Privilegierten nicht mit-schützen. Und ja: natürlich hatte sozusagen die Mehrheit Glück. Beim Hochrechnen der eigenen Erfahrungen auf das große Ganze vergessen viele Menschen die nicht privilegierte Minderheit, die nicht so viel Glück hatte.

Mich stört, dass Rücksichtnahme je länger je mehr als etwas der breiten Masse Unzumutbares gehandhabt wird. Die, die keine Rücksicht nehmen wollen, verlangen, dass auf sie und ihr Nicht-Rücksichtnehmen-Wollen Rücksicht genommen wird. Wie paradox ist das denn?

Es lässt sich nämlich, wie wir inzwischen alle wissen (könnten), vorab nicht sagen, wen es wie schlimm trifft. Und bei wem nach Covid noch etwas übrig bleibt, PostCovid, LongCovid. Ich wünsche das niemandem.

Natürlich sind wir alle pandemiemüde und die vielen Menschen, die die Maßnahmen abschaffen wollen, sind mehr und darum lauter, aber rechtfertigt das wirklich, dass darum jene, die Rücksichtnahme bräuchten, einfach ignoriert werden und noch mehr in die Isolation gedrängt werden?

Nicht alles, was gerade weltweit im Argen liegt, hat mit der Pandemie zu tun. Die Pandemie ist meiner Meinung nach ‘nur’ eins der vielen Symptome, an welchem die Menschheit als globaler Körper erkrankt ist, denn letztlich hängt, da bin ich ziemlich sicher, alles zusammen. Der Überbegriff ist ‘soziale Ungerechtigkeit’, daran hängen Klima- und Energiekatastrophe, der Ukrainekrieg, die iranische Menschenrechtsrevolution, wieder aufkommender Faschismus (Regierungen in Italien, Schweden, etc.) und was alles noch im Argen liegt.

Es ist die menschliche Gier nach immer mehr, dieses Ich-zuerst!, immer auf Kosten der Ärmsten (die Menschen und Tiere, die Natur im globalen Süden leiden am meisten an der Klimaekatastrophe, obwohl genau diese am wenigsten dazu beigetragen haben, dass es soweit gekommen ist … das ist bei fast allen Themen so.).

Wir können nicht viel an den großen Stellschrauben machen, aber wir können immerhin im Kleinen versuchen, mitfühlend und solidarisch zu sein.

»Jede noch so kleine Fläche wird mit einem Solarpanel bestückt«

Wie so ein Schutzgitter aus ganz feinem Draht fühlt es sich an, was ich da um mich herum gesponnen habe vor den Ferien. Ich nenne es nicht digitales Entgiften – weder auf Deutsch noch auf Englisch – denn es ist ja nicht alles Gift. Es war einfach alles zu viel. Im nicht-virtuellen Leben ebenso wie im virtuellen, im persönlichen ebenso wie im öffentlichen. Zu viele Informationen, zu viele Katastrophen, zu viele Eindrücke und Reize, und darum herum auch zu viel Hitze.

Es war eine leise und eher halbbewusst getroffene Entscheidung, mich während der Ferien von jeglichen Nachrichtenfluten fernzuhalten und mich einfach mal nur auf das für mich Wesentliche zu fokussieren.

Da war die Wanderung. Der nächste Schritt, immer nur der nächste Schritt. Im Kleinen ebenso wie im Größeren: Wie sieht der nächste Streckenabschnitt aus? Muss ich meine Wasserflasche ganz füllen oder kann ich mich von Brunnen zu Brunnen satttrinken? Wo picknicken wir? Wo bauen wir das Zelt auf? Wo pinkle ich, wo kaufen wir ein, wo lassen sich unsere Solarpanels hinlegen oder aufhängen, damit wir unsere Handys laden können? Solche Dinge.

Das Nachrichtenfasten ist mir ziemlich gut gelungen, ich habe nicht einmal die Nachrichtennewsletter geöffnet. Außerdem gab es ja auch vor und nach der Rückkehr ins heimische Nest genug schwierige Nachrichten im persönlichen Umfeld, die mich, die uns beschäftigt haben.

Je näher nun mein Alltag mit Terminen und Arbeit wieder rückt, desto dünner wird mein Schutzgitter aus feinem Draht, das ich mir vor den Ferien gesponnen habe. Es erinnert mich an das Blasenpflaster, das ich mir in Naters gekauft und an die Ferse geklebt hatte. Eine dünne, durchsichtige Kunststoffhaut war das und es hieß dabei ausdrücklich, dass es nicht vor seiner Zeit abgelöst werden solle, denn es löse sich von allein ab. Tatsächlich. Die vorherigen Blasenpflaster, schon älteren Datums, hatten sich jeweils nach einem Tag mit Wasserkontakt und Wanderschuhstrapazen abends wieder gelöst und ein neues Pflaster erfordert, um die Blase zu schützen, die sich hartnäckig an meinem linken Fersenknöchel hielt.

Das neue Pflaster aber hielt fast eine Woche und als ich es schließlich dann doch entfernte, hatte sich darunter bereits neue Haut gebildet.

Unter meinem dünnen Schutzgitter, in das ich mich Anfang Ferien gesponnen habe, ist womöglich auch eine Art neue Haut entstanden, die mir hilft, dem Alltag wieder gelassener zu begegnen als davor, da meine eh schon dünne Haut noch dünner geworden war.

Gestern Morgen öffnete ich das erste Mal seit Ferienbeginn den samstäglichen Republik-Wochenend-Newsletter, überflog ihn und öffnete einen Artikel. In »Das Ziel Nummer zwei« erzählt Simon Shuster, wie es Olena Selenska nach dem Beginn des Krieges in der Ukraine ergangen ist und wie sie sich heute schon auf die Traumafolgen der Menschen nach dem Krieg stark macht, indem sie unter anderem Weiter- und Ausbildungen für Therapeut*innen aufgleist, die den vom Krieg traumatisierten Menschen helfen werden. Da ist so viel verzweifelte Hoffnung in diesem Ansinnen. Das Ende des Krieges wird kommen. Hoffentlich bald.

Und ic? Ich habe, beschämenderweise, auch diese Katastrophe, diesen Krieg bereits in meinen Alltag integriert, irgendwo neben all den anderen Katastrophen, weil da kein Platz mehr für noch mehr Krise ist.

Der erwähnte Text hat mich jedenfalls zutiefst berührt und ist mir unter die neue, ein bisschen nachgewachsene Haut gefahren.

Mir geht es aktuell, und sogar schon eine ziemliche Weile, ziemlich gut. In mir drin, mit mir und in meiner kleinen Blase, habe ich meistens Boden unter den Füßen – trotz der schwierigen Dinge im nahen Umfeld, die mich mitbetreffen. Dennoch, nein, habe ich wenig Hoffnung, dass die Welt sich irgendwie noch zum Guten verändern könnte, grundsätzlich, langfristig. Gucke ich auf das Kleine, sehe ich viel Schönes, Gutes, Ermutigendes, Heilsames, aber der Blick auf das Große und Ganze zeigt ziemlich viel ScheiXXe.

Es fühlt sich an, sage ich zum Liebsten, als hätte ich fast zwei Wochen unter einer Decke gelebt, mich feige vor der Realität versteckt.

Wie kann ich (wie können wir) mit der Nachrichtenflut umgehen, ohne uns entweder vor Mitgefühl selbst zu zerfleischen und kaputt zu machen oder aber zu abgestumpften, nicht mehr mitfühlenden Menschen zu entwickeln? Wie könnte der Mittelweg aussehen?

Funktionieren Mittelwege überhaupt noch angesichts all der Katastrophen; müsste ich nicht viel konkreter denken, leben, handeln? Und wenn ja, wie? An welchem kleinen Ort wäre mein Handeln möglich, für mich, und sinnvoll, hilfreich?

Die Wasserfässer in Irgendlinks Garten sind noch recht gut gefüllt. Das im Winter und Frühling vom Dach gesammelte Regenwasser hat gute Ernten ermöglicht. Was aber, wenn es einfach nicht mehr regnet (oder schneit) und die Quelle hier oben auf dem Einsames-Gehöft-Berg versiegt, wie schon manche Flüsse?

Wir haben eigentlich nur eine Chance zu überleben: Es muss den Forschenden bald gelingen, das Meerwasser trinkbar zu machen. Außerdem braucht es auf allen Hausdächern, über allen Parkplätzen, auf jedem Stück Brachland und wo immer es möglich ist, Solaranlagen, die für Energie sorgen. Und Windräder an allen möglichen Stellen. Und Bäume. Überall. Teerplätze müssen aufgebrochen und an jeder freien Stelle Bäume gepflanzt werden.

»Jede noch so kleine Fläche wird mit einem Solarpanel bestückt«, sage ich.
»Jede Glatze!«, sagt der Liebste.
»Genau Glatzen! Und Hüte. Und Schirme. Jacken. Kleider. Und überall Powerbanken, die die Energie unmittelbar speichern. Das sollte doch möglich sein.«

Neulich schrieb ich auf Mastodon:

»Die Schweizer Flüsse haben noch gut Wasser.
versus
Die Schweizer Gletscher schmelzen so unaufhaltsam und endgültig wie die Polkappen.
Fertig mit Ewiges Eis.«
(Quelle)

und

»Es hat ganz schön abgekühlt da draußen. Die ganze Nacht war Durchzug. Auch die Wohnung ist nun wieder kühl. Es riecht nach Regen.
Dankbarkeit.

Dennoch denke ich oft: „Wir leben in der Galgenfrist!“ und „Lieber Ende mit Schrecken oder Schrecken ohne Ende?“«
(Quelle)

Dennoch habe ich noch Träume:

»Ich habe heute Nacht von schweizweit (oder auch andere Länder) flächendeckenden |en Sonntagen geträumt. Also ganzjährig, immer & überall. Nur noch ÖV lief.
War echt schön!«
(Quelle)

Vielleicht sind es doch die kleinen Dinge, mit denen wir es doch noch schaffen werden? Gemeinsam. Vielleicht.

Warum ich nichts über den Krieg schreibe

Seit Tagen überlege ich, wie ich hier weiterbloggen soll. Und ob überhaupt. Jetzt. Hier. In dieser verrückten Zeit.

Ich lese da und dort. Aktuell am liebsten,  wie so oft, bei Herrn Buddenbohm. Seine Wortmeldungen und Linksammlungen bündeln so ziemlich, was auch ich gelesen, gedacht, gefühlt habe.

Von ihm habe ich denn auch den Link zu einem Artikel, der mir sehr aus der Seele spricht. Von einem, der sich, wie ich gefragt hat, was er denn über all das schreiben soll, was gerade in Europa geschieht. Wo wir doch letztlich keine Ahnung haben.

Ich zitiere also Herrn Jawls aka Christian Fischer:

»Ich weiß nicht, wie wahr das ist, was ich als Kind über „die Russen“ lernte, ich weiß nicht, welchen Berichten ich glauben konnte in den vergangenen 20 Jahren und welchen nicht, wann es in all den Jahren um Politik ging und wann um Menschen und wann um „ökonomische Interessen“ – was ja nur ein besser klingendes Wort für Geld oder Gier ist.
Und vor allem weiß ich nicht, wem ich jetzt in diesem Moment glauben kann. Krieg ist – aber das wissen Sie natürlich – neben allem, was man sich darunter vorstellt, vor allem der Kampf um die Herrschaft über die Narrative.

Und ich habe keine Ahnung. Und ich möchte nicht Teil einer Desinformation sein.

Darf ich Sie um etwas bitten? Halten Sie es genau so. Das Web ist nur dann ein guter Platz, wenn wir es dazu machen.«

Quelle: hmbl.blog/28-2-2028-nun-sag-doch-etwas

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Derweil denken der Liebste und ich über eine weitere Flus-Fernwanderung durch die Schweiz nach. Ohne zu wissen, was im Sommer sein wird. Keine Ahnung, wie die Welt dann tickt.

Das eine schier unvereinbar mit dem anderen.

Zwei Realitäten.

Viele Realitäten.

Alles gleichzeitig.

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Ukrainische Flagge mit dem Satz Stand with Ukraine in weißer Schrift, im gelben Feld eine Fotografie eines Plakats mit dem gleichen Satz

Von diesem Bild gibt es hier ein Puzzle
bitte gern in Form einer kleinen konzentrierten Friedensmeditation zu lösen.

Es hat schon ziemlich früh angefangen

Ich war vielleicht elf oder zwölf Jahre alt, als mich die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit in Sachen Weihnachtszeit einholte. Und nachhaltig erschütterte. Nicht nur interfamiliär sondern auch konsumtechnisch setzte damals mein heftiger Ekel vor dem ganzen Weihnachtsbrimborium ein: Haben und Sein. Wunsch und Wirklichkeit. Unerfüllte Wünsche. Nicht gehörte, nicht ernstgenommene Wünsche. Globales und Persönliches.  Die scharfe Schere zwischen denen, die viel haben und denen, die wenig haben. Der Druck, mitzumachen, um dazuzugehören. Schenken, um zu bekommen. Heuchelei.

Ich spielte solange mit, wie ich es aushielt. Sobald ich selbst bestimmen konnte, verschwand Weihnacht mehr und mehr aus meinem Jahreslauf, verschwand schließlich irgendwann ganz.

Ich litt und leide an der Unmöglichkeit, Weihnacht als etwas Sinnvolles betrachten zu können. Wobei, eigentlich leide ich selbst gar nicht so sehr an diesem meinem Unvermögen, eher tut es meine Mitwelt, während ich an deren Unvermögen leide, mich zu verstehen. Und damit wären wir beim eigentlichen Thema, dem Druck, den ’gutgemeinte’ gesellschaftlich-konditionierte Ideale in anders denkenden Menschen aufbauen kann.

Das allseits etablierte und weitestgehend gesellschaftlich und persönlich verinnerlichte Ideal zum Beispiel, dass niemand an Festtage allein sein sollte, setzte mich ganz besonders in meinen schlimmsten Alleinsein-Zeiten nach meinem Worst Case mehr unter Druck als das Alleinsein an sich. Allein zu sein finde ich an sich ziemlich toll, ich verbringe gern Zeit mit mir allein. Nicht nur, aber auch.

Dass dieser von mir gemochte Zustand des Allein-mit-mir-Seins auf einmal Ende Jahr, wenn sich alle Welt am Glitzerkrambaum versammelt, als etwas Schlimmes betrachtet wird, machte mir sehr zu schaffen, denn damit wird mir sozusagen das Recht abgesprochen, frei über meine Zeit zu verfügen.

Klar, es ist natürlich löblich, sich um andere kümmern, an andere zu denken,  aber – und hier wird es grenzwertig –, für andere zu entscheiden, dass sie nicht allein sein sollen, ist übergriffig. Von sich und den persönlichen Idealen auf den Rest der Menschheit zu schließen, ist problematisch.

Ideale können zuweilen ganz schön zynisch sein, wenn wir sie vom persönlichen in einen gesellschaftlichen Kontext bringen.

Es ist ja nur gut gemeint? Tja, gut und gut gemeint sind zweierlei. Ach und noch was: Das mit Idealen, die man bitte nicht verallgemeinern solle, lässt sich übrigens auch auf religiöse oder andersweitige Erkenntnisse übertragen. Bitte, Danke!

Zurück zum Weihnachtsding: Es ist übrigens, obwohl ich nicht an Göttliches glaube, noch nicht mal das religiöse Ursprungselement des Festes, mit dem ich allerdings nichts anfangen kann, es ist vielmehr dieses maßlos überfrachtete, mit sozialen und materiellen Erwartungen vollgepackte Ding, das in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten aus dem geglaubten Geburtstag einer göttlichen Erlösungsidee geworden ist, das mich anekelt. Ja, Ekel trifft es ziemlich gut.

Und ich meine wirklich nicht das, wonach wir uns alle insgeheim sehnen: Familie, Frieden, Geborgenheit. Kindheitsträume und -erinnerungen. Nein, nein, das alles nehme ich niemandem weg. Genießt es, so ihr es könnt.

Zur Weihnachtsmuffelin bin ich unter anderem deshalb geworden, weil ich die Unmöglichkeit durchschaut habe, dass nicht plötzlich innerhalb weniger Tage im Jahr gelingen kann, was im ganzen Jahr davor nicht gelungen ist. Diese Heuchelei, dieses Hochhalten von Fassaden, der ganze kitschige Klinkerkram … ja, Ekel trifft es in der Tat sehr gut.

Dennoch sei es all jenen herzlich gegönnt, sich in diesen Tagen das, was ihnen gut tut, zu tun. Und Kinderherzen mit Liebe und Geborgenheit zu füttern ist eh immer wohltuend.

Frieden, Liebe und Geborgenheit kann es nie zu viel geben. Und davon wünsche ich dir und dir und euch allen mehr als genug.

Nachdenkinspiration über Ressourcen und Strukturen

Ich bedanke mich herzlich bei H. C. Rosenblatt für die nachfolgenden Gedanken zu ihrem Umgang mit Kraft- und Zeitvorräten. Da ist ganz viel Wiedererkennen bei mir.

»Für viele traumatisierten Menschen ist Vorhersehbarkeit die einzige Sicherheit über die sie sich beruhigen und Kraft sammeln können, sich dem Leben zu stellen«, antworten sie auf meinen Kommentar. Genauso ist es – jedenfalls bei mir.

»Jahres-, Monats-, Wochen- und Tagespläne sind mir noch nie ein Korsett gewesen, nie ein Angriff auf meine persönliche Freiheit – viel eher sind sie der Grund dafür überhaupt in die Situation zu kommen, mich frei entscheiden zu können. Denn ich kann weder entspannen, noch ruhen, noch Kraft tanken, wenn ich nicht weiß, was in den folgenden Stunden und Tagen noch auf mich zukommt und wie ich was wann wie genau kompensieren kann und darf.

Im günstigsten Fall mag ich die Art der Störungen des üblichen Ablaufs einfach nicht oder bin nur irritiert. Dann finde ich Stabilität und Ruhe in Stimming oder meinen Projekten. Problematisch wird es, wenn ich mit den Ressourcen schon so weit runter bin, dass ich weder von Stimming noch von irgendetwas anderem profitiere. Am schlimmsten ist es, wenn der Ablauf über so lange Zeit gestört oder beeinflusst wird, dass ich überhaupt keinen üblichen Ablauf mehr ausmachen kann.

[…]

Viele Menschen denken und planen nicht so weit im Voraus wie wir, weil sie es nicht müssen. Ihr Jetzt ist ein anderes als meins – ist nicht so leicht zu zerstören von morgen, bald oder nachher. Und viele Menschen schieben einfach gern auf, weil sie die Kraft für alles auf einmal aus einem viel tieferen, größeren Fass schöpfen als ich. Um in dem Bild zu bleiben, habe ich genau eine Tasse, aus der ich schöpfen kann und ich bin maximal geizig mit jedem noch so kleinen Tropfen, weil ich es muss. Nicht, weil es so schlimm ist, erschöpft zu sein, sondern weil „eine volle Tasse“ zu haben für mich a) nicht bedeutet, nicht erschöpft zu sein und b) weil auch das Management dieses Budgets, die Erfassung, die Planung, die Kommunikation des Budgets bereits daraus geschöpft wird.

Ich habe nie einen fixen Stand von 100 % und daraus kann ich dann hippy happy Leben gestalten – ich muss bereits 40 % weggeben, um in der Lage zu sein, mein hippy happy Leben erfassen, mich selbst darin fühlen und verstehen zu können. Und das ist, was die meisten Menschen – auch „meine Menschen“ – manchmal einfach vergessen: Die meisten Menschen müssen aus ihrem größeren Kraftfass vielleicht 10 oder 15 % dafür weggeben und das oft nicht einmal bewusst. Und am Ende eines Tages haben sie immer noch 20 bis 30 %, um zu verarbeiten, was sie erlebt haben.«

Quelle: H. C. Rosenblatt, https://einblogvonvielen.org

Bitte lest gern bei ihnen den ganzen Artikel.

Falsche Rücksichten

Manchmal wünsche ich mir die Naivität zurück, die ich noch vor wenigen Jahren hatte: Den ziemlich festen Glauben daran, dass wir als Gesellschaft das Steuer nochmals herumreißen können. Die Illusion, dass wir alle es im Grunde gut miteinander meinen und unser Bestes geben, um die Welt einen lebenswerten Ort sein zu lassen oder sie wieder zu machen.

Die letzten zwei Jahren haben meine Naivität und meine Illusionen nachhaltig zerstört.

Die aktuelle Lage ist desolat. In vielerlei Hinsicht. Klimakatastrophe und Pandemie. Das Virus breitet sich wieder fast ungezügelt aus. Es bräuchte dringend Maßnahmen. Für alle. Leider auch für jene, die geimpft sind. Doch unsere Regierungen sind stagniert, resigniert vermutlich, und lassen uns im Stich.

Ich habe ehrlich gesagt Angst davor, dass wir da nie wieder rauskommen, weil es immer wieder Menschen gibt, die sich dagegen sperren, solidarisch zu sein. Spaltung!, rufen sie. Und genau jene Menschen, die über Spaltung jammern, tragen meiner Meinung nach am meisten zur Spaltung bei. (Ob diese meine Meinung objektiv wahr ist, lässt sich wohl nicht feststellen.) Am meisten auf die Nerven geht mir die Diskussionen auf den einseitigen Anspruch auf Schonung jener, die sich impfen lassen könnten, es aber nicht tun.

Sollen wir also lieber weiterhin Rücksicht auf
a.) die wenigen Lauten und Gesunden, welche die Impfung (angeblich) ’nicht brauchen’ und darum unerwünschterweise an der Durchseuchung der Gesellschaft arbeiten,
nehmen, oder sollen wir uns wieder, wie am Anfang auf
b.) jene konzentrieren, die des Schutzes wirklich bedürfen, weil die Impfstoffe bei ihnen unzureichend wirken, weil sie krank, alt oder zu jung für eine Impfung sind, oder aus anderen Gründen besonders verletzlich.

Nein, es sind nicht die die Schwächsten der Gesellschaft, die sich heldenhaft nicht impfen lassen wollen (Betonung auf wollen), denn sie haben eine Wahl und bekunden mit ihrer Weigerung ihren freien Willen.

Die Schwächsten sind die, die keine Wahl haben. Kinder, Alte, Menschen in Pflegeheimen …

Ich freue mich für alle, die geimpft oder ungeimpft ihre Covid-Infektion gut überstanden haben. Gratuliere! Ihr seid privilegierte Menschen. Doch leider haben nicht alle so viel Glück. Es gibt nämlich keine Garantie für einen milden Verlauf und es ist nicht euer Verdienst, wenn eure Erkrankung glimpflich verlaufen ist, es ist schlicht ein Privileg.

Denn Gesundheit – machen wir es uns mal wieder bewusst –, Gesundheit ist ein Privileg, ein Geschenk, vielleicht Veranlagung und Erbe, vielleicht Zufall, aber Gesundheit ist sicherlich kein Verdienst. (Obwohl es natürlich helfen kann, wenn wir gut zu uns zu schauen in der Lage sind.) Trotzdem zählt vor dem Virus Vorgesundheit nicht wirklich und nicht immer. Manch vorher superfitter gesunder Mensch hatte einen schlimmen Verlauf. Oder zwar einen milden, leidet aber noch viele Monate später unter LongCovid – ohne Garantie, ob sich der Körper je wieder von diesem Infekt erholen wird.

Denn Krankheit ist etwas, das allen passieren kann. Auch jenen, die sich Sorge tragen. Krankheit ist keine Strafe. Kein Selbstverschulden.

Vor zwei Jahren, also noch vor der Pandemie, hat der Journalist Christian Kreil für Der Standard einen sehr spannenden Artikel über den Graben zwischen der sogenannten Schulmedizin und der Alternativen Medizin geschrieben. Und über die Impffrage. ( https://www.derstandard.de)

So viel ist klar: Ich werde den Begriff Schulmedizin nicht mehr verwenden, da ich jetzt seine heikle Herkunftsgeschichte kenne.

Ich zitiere:

»Impfgegner aus alternativen, grünen und veganen Milieus reagieren in der Regel verschnupft bis empört, wenn sie auf diese Geistesverwandtschaft angesprochen werden. Allerdings gedeiht die Attitüde der Seuchenfreunde nicht im ideologischen Vakuum. Die sprichwörtliche Anti-Vax-Mom der Gegenwart, die ihr Kind mit keinem “Giftcocktail” von “Big Pharma” “vollspritzen lassen” will, die stand schon 1933 Modell – in einem Sonderdruck des Nazi-Hetzblatts “Stürmer”. Die Anti-Vax-Mom der Nazis ist blond und hält ein deutsches Baby am Arm. Der “naturferne und verirrte Mediziner” hat eine Spritze in der Hand und eine Hakennase. Der Stürmer legt der Frau die Worte in den Mund: “So ist mir sonderbar zumut – Gift und Jud tut selten gut.”

[…]

Der Rechte wünscht sich die Auslese der Lebensunwerten durch die Natur, was uns nicht umbringt macht uns stärker. Das vulgär-darwinistische Denken hat überdauert. Wer heute in “impfkritischen” Foren Diskussionen verfolgt, wird das entlang zweier Phänomene beobachten: Zynismus gegenüber Kranken und Verklärung von Krankheit.

Die Natur sortiert Schwache aus – das gefällt Impfgegnern

Maserntote von heute sind nicht etwa Opfer der Impfmüdigkeit. Sie hätten – Impfungen hin oder her – ohnehin eine zu “schwache Konstitution.” Mit anderen Worten: Die Natur putzt aus, die Schwachen bleiben zurück. Die Krankheiten der eigenen Kinder werden als Stahlbad eines natürlichen Erwachsenwerdens verklärt, mitunter mit bizarren Vergleichen. Die von der Anthroposophie begeisterte Schauspielerin Sara Koenen vergleicht die Masern ihrer Kinder in einem Aufsatz mit einer Bergtour. “Wir feiern die gesunde Wiederkehr von der großen Masern-Bergtour.” Während der Masern musste eines ihrer Kinder mit Fieberschüben jenseits der 40 Grad übrigens im Krankenhaus versorgt werden. Trotzdem schwärmt Koenen rückblickend: “Mit Ehrfurcht erfüllt mich der Berg. Manche sind umgekehrt. Manche haben es nicht geschafft.” Das sind die Schwachen, und das ist damals wie heute offenbar gar nicht so schlecht.«

Quelle: Standard.at

Warum überhaupt?

»[Ich habe] die Verantwortung dafür, daß Etwas festgehalten wird,« schreibt Emil*. Es geht um Gedachtes, Erkanntes, Erlebtes. Es geht um das Bedürfnis, schriftlich und verarbeitend festzuhalten, was war, was in uns ist, quasi Chronist:in der eigenen Geschichte zu sein.

Zuerst nicke ich, doch schon gleich steigt eins meiner typischen Ja-aber in mir auf. Da sind die Fragen nach dem Für-Wen und dem Wozu, die mich anspringen.

Ich persönlich mache mir da nichts mehr vor: Mein Geschreibsel hat letztlich nur für mich Bedeutung und auch das nur für die Jetzt-Zeit. Oder vielleicht für später einmal, für einen reflektierenden Rückblick. Aber vermutlich ist das genug, jedenfalls was die Verantwortung für das Festhalten von Dingen wie Gedachtes, Erkanntes und Erlebtes betrifft.

Und irgendwann wir die Zeit des Loslassens kommen und vermutlich können wir erst dann loslassen, wenn wir einmal etwas gehalten und gehabt haben, das sich festzuhalten lohnte. Für eine Weile. Vielleicht gelangen wir nur über das Festhalten zum Loslassen, welches ja angeblich so lohnend ist und so befreiend. Ist es nicht sogar der Weg der Natur? Wie die Bäume, die ihre Früchte und ihr Laub wachsenlassen, festhalten und irgendwann fallen lassen, um neuen Platz zu schaffen. Immer und immer wieder von Neuem.

Vielleicht wären wir ohne solche Gedanken, ohne solche Reflektieren selbst für uns ganz und gar bedeutungslos und wäre das wirklich so schlimm, für uns ohne Bedeutung zu sein, sozusagen frei von Deutungen, befreit und losgelassen vom Drang etwas darstellen zu müssen?

Doch wer bin ich noch ohne all das Gedachte, Erkannte, Erlebte, Interpretierte, Gedeutete und Reflektierte? Bin ich überhaupt noch und warum auch nicht?

Machen meine Fähigkeiten und Kenntnisse denn wirklich mein Sein aus? Dass ich etwas zu erzählen habe – mir oder anderen –, dass ich mich an Vergangenes erinnern kann, dass ich auf etwas vielleicht Kommendes hoffen kann, dass ich …

[Spoiler: Nein, natürlich nicht! Es braucht nur meine Erlaubnis.]

Wir stellen unglaublich viele Bedingungen fürs Sein an uns. So viele Hindernisse haben wir uns aufgebaut, bevor wir uns endlich das Sein um des Seins willen erlauben können!

Bedingungsloses Seindürfen – wie so eine Katze – das wär schön.

(Miss you, Miss Mietze.)


*Danke, Emil!

Achtung, Spoilergefahr!

»Spoiler-Phobie. Die kurze Geschichte eines neuen Phänomens | Geschichten der Gegenwart | Nur wenige Dinge sind so verpönt wie das Spoilern eines Films oder einer Serie. Dabei ist der Spoiler ein junges Phänomen.«
So übertitelt Simon Spiegel einen spannenden Artikel, in welchem er unser Verhalten bei Filmen und Serien (und unser Leseverhalten) untersucht.

Während ich den Artikel lese, wird mir schnell klar, dass ich anders ticke, denn ich lasse gern spoilern. Nicht immer, aber jedenfalls definitiv nicht nicht. Ganz oft recherchiere ich bei Büchern oder Filmen, die ich gerade lese oder gucke parallel dazu die Geschichte und ihre Hintergründe. Nicht selten erfahre ich so absichtlich den Ausgang der Geschichte. Mich stört es nicht, wenn ich bei Krimis schon im Voraus weiß, ob X oder Y stirbt, überlebt und wer der Mörder oder die Schurkin ist. Dieses Wissen stört mich nicht, manchmal hilft mir das sogar, die zuweilen schier unerträgliche Spannung auszuhalten.

Ja, klar, ich mag Spannung, aber noch mehr mag ich gut erzählte Geschichten. Also die Geschichten an sich. Ich lausche. Ich bin lesend und Filme schauend unterwegs mit der Geschichtenerzähler:in, mit den Figuren. Und obwohl ich weiß, wie die Geschichte endet, bin ich während des Lesens oder Schauens dabei. Es kommt mir letztlich mehr auf die Geschichte, auf die Erzählung, auf den Weg an sich an als auf das Finale.

Am liebsten würde ich ja auch bei meinem Leben vorausgucken können – den Schluss lesen –, und vom Ende aus meinen aus heutiger Sicht zukünftigen Weg betrachten, und den unseres Planeten mit all den vielen Lebenwesen darauf. Werde ich, werden wir als Gesellschaft die Kurve noch schaffen– oder eher doch nicht? Wie es wohl weitergeht, mein Leben?