Ein Lieblingskinderbuch taucht am Erinnerungshorizont auf …

So langsam schleicht sich das Virus, das vor fünf Jahren die Welt veränderte, wieder aus meinem Körper – und mit ihm verlässt mich das Fieber. Diesmal hat es mich deutlich weniger heftig in die Knie gezwungen als vor zwei Jahren. Diesmal habe ich ihm mehr Widerstand leisten können, die Impfungen halfen. Gleichzeitige Zahnschmerzen, die behandelt werden müssen – verschoben auf nach dem Kranksein. Dennoch bin ich nicht so leichtsinnig, diese Krankheit auf die leichte Schulter zu nehmen. Nur weil ich Glück hatte, haben andere nicht automatisch auch Glück.

Draußen liegt seit vorgestern Abend Schnee. Er schmilzt – oder sinkt zumindest in sich zusammen, wie es Schnee zu tun pflegt. Ich werde nachher, das erste Mal seit Montag, das Haus verlassen. Morgen sind Abstimmungen. Ich will meine Wahlunterlagen in den Briefkasten des Gemeindehauses werfen. Bürgerinnenpflicht. Wider die Hoffnungslosigkeit. Hinter das erste JA, das ich geschrieben habe, um den jungen Menschen meines Kantons  schon ab 16 Jahren zu einer Stimme zu verhelfen, habe ich versehentlich und impulsiv ein Ausrufezeichen gesetzt. Keine Ahnung, ob die Stimme damit noch gültig ist. Ich hoffe es. (Von mir aus dürfte sie doppelt gezählt werden.)

Die Stimmen gegen das Stimmrecht ab 16 tönten so: »Bis jetzt ging es ja auch immer!«

Ja, genau. Fragt sich bloß, wie?! Sagte ich schon, dass ich je länger je politikverdrossener bin?

Gestern, ausgelöst durch einen Chat mit einer Freundin, die schreibend über ihre Kinder nachdachte, fiel ich mitten in eine Erinnerung. Wie hatte dieses Buch doch gleich noch geheißen, dass ich in der dritten, vierten und fünften Klasse wieder und wieder gelesen habe? Es war eins dieser wunderbaren Bücher, die ein fantasiebegabtes Kind, wie ich es eins war, einfach lieben musste. Das ging gar nicht anders, denn Fräulein Pudel-Dudel wusste immer Rat. Solche Erwachsenen hätte ich mir damals gewünscht.

Ein leinengebundenes, orangefarbenes Buch, dessen Buchrücken und Vorderseite sichtbar sind. Auf dem Buchrücken ist der Autorinname »Betty MacDonald« und der Buchtitel »Fräulein Pudel-Dudels Wunderkuren« lesbar. Auf der Vorderseite rechts unten ist eine stilisierte Person mit wuscheligem Haarschopf neben einem Vogelbauer, in dem ein Papagei sitzt, zu sehen. Die Figurern und die Beschriftung sind in dunkelgrüner Farbe in den Leineneinband eingeprägt.
Ein leinengebundenes, orangefarbenes Buch, dessen Buchrücken und Vorderseite sichtbar sind. Auf dem Buchrücken ist der Autorinname »Betty MacDonald« und der Buchtitel »Fräulein Pudel-Dudels Wunderkuren« lesbar. Auf der Vorderseite rechts unten ist eine stilisierte Person mit wuscheligem Haarschopf neben einem Vogelbauer, in dem ein Papagei sitzt, zu sehen. Die Figurern und die Beschriftung sind in dunkelgrüner Farbe in den Leineneinband eingeprägt.

Immer, wenn Kinder und ihre Eltern (na ja, es waren meistens die Mütter) nicht mehr weitergewusst hatten, gingen sie zu ihr. Fräulein Pudel-Dudel, eine kauzige, ältere Frau mit einem riesengroßen Herz, die eine Art Mix aus Selbsterfahrung, Antiautorität und viel Vertrauen in die Lösung der familiären Probleme legte, hatte für alle ein offenes Ohr. Sie traute den Kindern zu, aus gemachten Erfahrungen ihre eigenen Schlüsse zu ziehen und ermöglichte es, den Eltern, neue Zugänge zu ihren Kindern zu finden. Und umgekehrt.

So jedenfalls las ich die Geschichten damals, hungrig wie ich nach funktionierenden, liebevollen Familiensystemen war. So sollte es sein, fand ich, so sollten Mütter mit ihren Kindern umgehen. Egal, ob die Kinder nicht aufräumten, ihre Aufgaben nicht machten oder nicht essen wollten … Fräulein Pudel-Dudel hatte eine gute Idee, wie allen geholfen werden konnte. Na ja, wahrscheinlich idealisiere ich. Egal.

Es war übrigens exakt die abgebildete Ausgabe – gestern auf Buchbot* gefunden (Ausgabe Exlibris, Zürich**) –, die ich hatte. In meiner Erinnerung habe ich das Buch jahrelang mit mir herumgeschleppt. Und gestern habe ich es also im Netz wiedergefunden, allerdings in keinem mir bekannten Antiquariat zu kaufen. Ich habe eine Suchanfrage gestartet, denn ja, zugegeben, ich würde das Buch zu gern aus heutiger Sicht noch einmal lesen. Betty MacDonald, die Autor und selbst Mutter, hatte ein bewegtes Leben, wie ich gestern gelesen habe. Ich glaube, das Buch könnte mir auch heute noch gefallen.

Vielleicht-vielleicht wäre die Welt ein klein bisschen besser, wenn wir alle ein bisschen pudel-dudeliger wären.


*Hier mehr Infos:

**Wie dankbar ich meinen Eltern noch immer für das Bücherregal im oberen Flur bin, das sie mit im Monatsabo eintreffenden Büchern füllten, die vermutlich nur ich las. Billigausgaben. Warum sie das Abo nicht abbestellten? Ich weiß es nicht. Ach, fällt mir ein, auch das Reader’s Digest-Magazin habe ich Monat für Monat verschlungen.

20 Jahre Webloggerei, ein Rückwärtssalto und ein großes Sorry

Zur Feier des Jahres sind seit heute mein Uraltblog und mein aktuelles Blog vereint. Ich habe die Daten meines ersten im Juni 09 begonnenen WordPressblogs in dieses Blog hier integriert.

Nicht integriert habe ich mein ururaltes, nicht mehr im Netz hängendes Internettagebuch, das ich von 2004-2008 am einen und von 2008-2009 an einem weiteren Ort geführt hatte. (Die Daten gibt es noch, aber ich weiß nicht, ob ich mir so viel Arbeit machen will, die fürs Blog kompatibel zu machen.)

Summa summarum blogge ich also inzwischen zwanzig Jahre. Am Freitag, den 23. April 04 habe ich – damit angefangen und nie damit aufgehört.

Ich glaube, da darf ich mir schon mal ein wenig auf die Schultern klopfen?


PS: Nicht auf die Schultern klopfe ich mir dafür, dass ich vorhin mit den alten Blogartikeln meinen Mastodon-Kanal – @sofasophia@sofasophia.blogda.ch –, der eigentlich ja nur meine neuen Blogartikel spiegeln soll, vollgespamt habe. Die alten Texte, die ich ja eigentlich hier nur archivieren wollte, wurden dort ebenfalls gespiegelt, so als hätte ich heute hunderte neue Blogartikel geschrieben.

Liebe Mastodon-Abonnent*innen, verzeiht bitte. Das war so nicht gedacht.

10 Jahre Kultur mit Silvia Bervingas und Matthias Wolf

Da war vor zehn Jahren dieser erste, sehr originelle Tatort aus Saarbrücken, der erste mit Devid Striesow, Sie erinnern sich? Eine der wenigen Tatort-Folgen übrigens, die ich je in meinem Blog (hier) besprochen habe. ’Melinda’ hieß sie und es ging um Drogenschmuggel. Soweit nichts Neues, doch es war auch nicht die Geschichte an sich, die es mir angetan hatte, es waren die drei Hauptfiguren: Melinda natürlich, dann Devid Striesow aka Jens Stellbrink und Silvia Bervingas aka Margot Müller.

Dass ich ’Margot Müller’, im echten Leben Silvia Bervingas, kurz darauf persönlich kennenlernen würde, wusste ich damals noch nicht. Es war nach einer Tucholski-Performance – ’Schräglagen’ – in der Galerie Prisma, als wir draußen, bei einer Zigarette, ins Gespräch miteinander kamen, Silvia, der liebste Irgendlink und ich. In dieser Kombination haben wir seither schon viele Stunden verbracht, am Feuer sitzend oder auf dem Sofa und einander aus unseren Leben erzählend.

»„Schräglagen“ hieß der Abend, 25 Besucher waren in die damals noch existierende Zweibrücker Prisma-Galerie gekommen. Bervingas las und spielte ausdrucksstark, Wolf erzeugte Hintergrundgeräusche, spielte dann aber auch stimmungsvolle Soli. In der Pause plauderten die Künstler ganz ungezwungen mit dem Publikum.«
Zitat/Quelle: Rheinpfalz

Einen großen Teil ihrer Lesungen und Performances habe ich in den letzten zehn Jahren mitverfolgt, gehört und gesehen. Vielen kostbaren Texten und wohltuenden Klängen habe ich seither gelauscht. Zum Beispiel der ungehaltenen Rede Katharina von Boras, Martin Luthers Ehefrau, die ich hier besprochen habe.

»In der Folge erarbeiteten die beiden bis heute zehn abendfüllende Programme. Texte von Kurt Tucholsky, Erich Kästner, Christian Morgenstern, die ungehaltene Rede der Katharina von Bora an ihren Martin Luther, bissige Kurzgeschichten der Amerikanerin Dorothy Parker, literarisches Kabarett der 1920er und 1930er Jahre, Liebesbriefe von Frauen an Adolf Hitler. Die Programme sind geprägt durch die sorgfältige Textauswahl, die eindrucksvolle Stimme von Bervingas und die Musik für Kontrabass von Wolf, die meist jazzig angehaucht ist. Die Programme kamen gut an, sie wurden nicht nur in Zweibrücken, sondern auch an anderen Orten aufgeführt.«
Zitat/Quelle: Rheinpfalz

Gestern Abend nun spielten, performten, sangen und lasen die beiden ihre Lieblingsstücke der letzten zehn Jahre. Die Rheinpfalz kündigte die Vorstellung so lustvoll an, dass der Veranstaltungsraum, die Zweibrücker Himmelsbergkapelle, gestern Abend schier überquoll. Über hundert Menschen – manche gar stehend, weil es keine Sitzplätze mehr gab –, tauchten gemeinsam in eine heitere, bissige, politisch motivierte, musikalisch bezaubernde Atmosphäre ein und lauschten, lachten und seufzten mit den Protagonist*innen der ganz unterschiedlichen Stücke.

Witzig, charmant und gekonnt boten Silvia Bervingas und Matthias Wolf ein über zweistündiges Programm, das berührt, begeistert und inspiriert.

Erinnerungen

Es war etwa vier Jahre nach dem Tod meines Sohnes. Ich hatte wieder eine Arbeitsstelle gefunden, war Teil eines sehr engagierten Teams geworden, das einer Wohngruppe mit Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung einen anregenden und auf ihre persönlichen Bedürfnisse ausgerichteten Lebensraum ermöglichte. Wir begleiteten unsere Leute durch den Alltag. Wecken, Duschen, Frühstücken, in die Ateliers begleiten. Und auch am Nachmittag, wenn sie von der Arbeit zurück in die Wohngruppe kamen, waren wir für sie da. Spielen, Abendessen kochen, Lieblingsfilme gucken, Zähneputzen, Schlaflieder singen …

Mit der Nachtbetreuung wechselten wir uns ab. Kaum jemand mochte diese Nächte, die oft sehr unruhig waren. Eine Bewohnerin mussten wir jeweils nachts wecken und aufs Klo begleiten, damit sie nicht ins Bett pinkelte, während ein  Bewohner nachts selbst auf Klo tappte. Doch zuweilen fand er den Rückweg in sein Zimmer nicht und landete bei einer der Bewohnerinnen, was diese eher nicht so toll fand. Kurz: An Tiefschlaf war nicht zu denken und die Tür des Betreuer*innenzimmers musste immer einen Spalt aufbleiben, damit wir nichts verpassten.

Alle hatten wir unsere Bezugsperson, für die wir innerhalb der Gruppe ein bisschen mehr als alle anderen verantwortlich waren. Das betraf neben Familienkontakten auch Gesundheitliches, Ärztinbesuche, Kleiderkauf uns so weiter. Meine Bezugsperson war Rosa, die in Wirklichkeit anders hieß. Rosa war eine kleine Frau um die sechzig mit Downsyndrom und schrägem Humor. Wenn sie lachte, blieb kein Auge trocken.

Sie war nicht mehr so gut zu Fuß, doch alle nahmen auf ihr Schneckentempo Rücksicht, wenn wir an Sonntagen Ausflüge machten. Überhaupt: Rosa war sehr beliebt. Als sie nach und nach immer vergesslicher, immer dementer wurde, fragten die anderen Bewohner*innen, auch jene aus anderen Wohngruppen, oft nach ihr und besuchten sie. Schließlich wurde es Zeit für den Rollstuhl und damit für uns als Betreuende höchste Zeit für einen Kurs in Kinästhetik. Wie schaffe ich es, einen Menschen mit wenig Muskeltonus ohne mir den Rücken kaputt zu machen, vom Bett in den Rollstuhl zu setzen und wieder zurück? Ein hausinterner Kurs, der uns allen viel mehr als nur technische Anleitungen bot.

Rosa baute nach und nach ab, sie redete weniger, lachte weniger und erzählte, wenn sie es denn tat, oft von ihrer Mutter, die auf sie warte. Mama, ich komme!, sagte sie dann oft und dann lachte sie über das ganze Gesicht.

Eines Tages, ich hatte frei, musste sie ins Krankenhaus, wo ich sie dann am nächsten Tag besuchte. Dort sagte Rosa mir, sie wolle nach Hause. Unklar war, ob dieses Zuhause unser Heim war, wo sie den größten Teil ihres Lebens verbracht hatte oder ihr Kindheitszuhause mit Mutter und Restfamilie – oder meinte sie sogar der Himmel, wo ihre Mutter auf sie wartete?

Ich besprach Rosas Anliegen mit meiner Chefin und schließlich auch mit dem Team. Waren wir in der Lage, Rosa palliativ zu begleiten – technisch ebenso wie emotional? Inzwischen war Rosa nämlich bettlägerig geworden, hatte einen Blasenkatheder und brauchte eine Dekubitusmatratze, um Liegeschäden entgegenzuwirken. Außerdem nahm sie nur noch flüssige Nahrung zu sich, alles andere verweigerte sie. Kurz: Es ging um ihre letzten Wochen. Waren wir als Team dazu bereit, als nicht ausgebildete Betreuer*innen solche intensive Körperpflege zu leisten? Ganzkörperwaschungen, Kathederwechseln, Umlagern, Füttern.

Chefin und Team waren sich einig: Ja, wir wollen das! Und so holten wir Rosa nach Hause. Da niemand von uns Erfahrung in dieser Art von Pflege hatte, brauchten wir Starthilfe. Ich meine mich zu erinnern, dass uns am Anfang eine Pflegefachfrau anleitete. Sie zeigte uns auch den Umgang mit Morphintropfen, die Rosa beim Loslassen helfen sollten – und ihre Schmerzen linderten. Irgendwann trauten wir uns diese Pflegearbeit selbst zu. Ich war hauptverantwortlich. Ich gestehe, dass ich mir im Voraus nie hätte vorstellen können, so eine körperlich nahe Betreuungs- und Pflegearbeit verrichten zu können. Und dabei keine Ekel zu empfinden. Im Gegenteil. Ich mochte diese ruhige Viertelstunde am Morgen und am Abend, die ich ausschließlich mit Rosa verbringen durfte.

Wieder lag also eins meiner ‚Kinder‘ im Sterben. Diesmal jedoch durfte ich es begleiten. Diesmal durfte ich langsam Abschied nehmen. Anders als bei meinem kleinen Sohn, der viel zu jung und viel zu krass aus dem Leben geschieden war, hatte ich hier Zeit, mich auf den nahenden Verlust einzustellen.

Es war ein Sonntagnachmittag und ich hatte frei, als mich meine Chefin anrief. Rosa sei gestorben. Sofort setzte ich mich aufs Rad und fuhr ins Heim. Meine Chefin hatte die ganze Nacht und den ganzen Tag bei Rosa verbracht. Ihr die Hand gehalten. Ihr die trockenen Lippen benetzt. Und als sie schließlich starb, das Fenster geöffnet, um ihre Seele freizulassen.

Wir weinten zusammen und ich nahm von Rosa Abschied. Auch die anderen Bewohner*innen und die anwesenden Teamleute betraten zum Abschiednehmen das Zimmer, wo Rosa leise lächelnd in ihrem Bett lag, so als würde sie schlafen.

Später kam die Bestatterin. Wir schauten uns an und sofort erinnerten wir uns. Es war die Bestatterin, die damals meinen Sohn beigesetzt hatte. Ich weiß nicht, wie viele Bestattungsunternehmen Bern damals hatte, aber es waren schon damals sehr viele. Was für ein krasser Zufall, dass meine Chefin genau diese Bestatterin ausgewählt hatte!

Die überaus sozialkompetente, freundliche Bestatterin und ich hatten damals einige Male telefoniert, uns dabei auch über Persönliches ausgetauscht und sie hatte mir nach der Beerdigung meines Sohnes versichert, noch nicht an einer schöneren dabei gewesen zu sein. Und nun standen wir uns also wieder persönlich gegenüber, denn wieder war eins meiner ‚Kinder‘ gestorben. Ein sehr berührendes Wiedersehen war das!

Ich sehe den Sarg vor mir und Rosa, wie sie hineingelegt wird. Nochmals nehme ich Abschied von ihr und ich weiß Rosa in guten Händen. Später ist fast das ganze Heim dabei, als wir sie beerdigen.

Alle, die wollen, dürfen sich in diesen Tagen etwas aus Rosas Zimmer auslesen. Die Schürze, die sie einst im Kunstatelier bedruckt hat, trage ich noch heute mit Dankbarkeit für diese kleine Frau mit dem großen Humor und der ansteckendsten Lache, die ich je gehört habe.

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Mit diesen geballten Erinnerungen bin ich heute Morgen aufgewacht. Keine Ahnung, was sie geweckt und ausgelöst hat. Es sind Erinnerungen, die mich jetzt, beim Aufschreiben, sehr berühren. Ein Kreis hatte sich geschlossen. Ein bisschen mehr Frieden war mir zugewachsen.

Jahrestag

Heute vor dreizehn Jahren habe ich mein erstes WordPress-Blog gestartet, das Vorvorgänger-Blog dieses Blogs hier. Die ersten paar Texte hatte ich dem Weblog, das ich davor – seit 2004 – geführt hatte, entnommen, auf dass in diesem neuen Blog nicht so viel Leere sei. Denn, ja, so ein leeres Blog hat durchaus etwas Forderndes, etwas Furchteinflößendes.

Ich erinnere mich noch genau an die Gefühle dieses Neuanfangs damals, als ich das neue Blogland zu bewohnen und zu betexten begann. Und mit welcher Leidenschaft ich die ersten Texte geschrieben habe. Lustvoll. Ohne zu überlegen, ob das, was ich schrieb, gefiel. Ich hatte ja eh kaum Follower.

Ausschlagend für den Umzug war gewesen, dass ich durchs Novemberschreiben und die Schreibsszene Schweiz ein paar Blogs zu lesen begonnen hatte. Dank dieser ersten Blogs hatte ich dank deren Blogrolls weitere Blogs entdeckt und auch diese zu lesen begonnen. Eins davon gefiel mir besonders gut. Es gehörte einem deutschen Künstler, mit dem ich irgendwie und irgendwann in jenem Frühling eine Art Brieffreundschaft begonnen hatte. (Die Fortsetzung davon ist Geschichte.)

Wieso also nicht auch selbst vom alten, handgestrickten Weblog in ein neues, leichter zu bedienendes WordPress-Blog umziehen, denn neugierig auf die Software war ich schon lange.

Ich habe es nie bereut. Obwohl das Schreiben nicht mehr diese früher erlebte Leichtigkeit hat. Dennoch: Was in diesen dreizehn Jahren Bloggerei alles entstanden ist, macht mich unendlich dankbar. Aus Gedanken und Texten sind unzählige Kooperationen gewachsen, Projekte, winzige, kleine und große. Aus Kommentarsträngen sind Beziehungen geworden, kürzer- und längerfristige. Und Freundschaften sind gewachsen, die nun schon viele Jahre andauern.

Ja, das Blog ist ein wilder Garten. Eine Metapher, die ausgerechnet heute auch der liebe Herr Irgendlink in seinem Blog erwähnt.

Was sich alles verändert hat hinter den Kulissen, ist ja auch nicht nichts. Dass ich im Laufe der Jahre sogar WordPress-Kurse geben und WordPress-Seiten für Kundinnen und Kunden erstellen würde, hätte ich damals, trotz all der technischen Affinität, die ich damals schon hatte, auch nicht gedacht.

Und wie sich die Welt verändert hat. Und Social Media. Was sage ich da? Die ganzen Möglichkeiten des Sich-Vernetzens und der Kommunikation haben sich verändert. Grenzenlos. Größer. Weiter.

Vielleicht darum zieht es mich zurück zu den Anfängen. Zurück zum einfachen, zum ambitonslosen Drauflos-Schreiben.

Ich überlege sogar, ob ich die Kommetare – wie früher – wieder öffnen soll. Obwohl ich mich gut daran erinnere, warum ich sie zugemacht habe. Akribisch hatte ich das Bearbeiten von Kommentaren früher gepflegt, zeitaufwändig war das gewesen. Dennoch: es ist einen Versuch wert.

Happy Blogbirthday und auf einen neuen Anfang!

Es hat schon ziemlich früh angefangen

Ich war vielleicht elf oder zwölf Jahre alt, als mich die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit in Sachen Weihnachtszeit einholte. Und nachhaltig erschütterte. Nicht nur interfamiliär sondern auch konsumtechnisch setzte damals mein heftiger Ekel vor dem ganzen Weihnachtsbrimborium ein: Haben und Sein. Wunsch und Wirklichkeit. Unerfüllte Wünsche. Nicht gehörte, nicht ernstgenommene Wünsche. Globales und Persönliches.  Die scharfe Schere zwischen denen, die viel haben und denen, die wenig haben. Der Druck, mitzumachen, um dazuzugehören. Schenken, um zu bekommen. Heuchelei.

Ich spielte solange mit, wie ich es aushielt. Sobald ich selbst bestimmen konnte, verschwand Weihnacht mehr und mehr aus meinem Jahreslauf, verschwand schließlich irgendwann ganz.

Ich litt und leide an der Unmöglichkeit, Weihnacht als etwas Sinnvolles betrachten zu können. Wobei, eigentlich leide ich selbst gar nicht so sehr an diesem meinem Unvermögen, eher tut es meine Mitwelt, während ich an deren Unvermögen leide, mich zu verstehen. Und damit wären wir beim eigentlichen Thema, dem Druck, den ’gutgemeinte’ gesellschaftlich-konditionierte Ideale in anders denkenden Menschen aufbauen kann.

Das allseits etablierte und weitestgehend gesellschaftlich und persönlich verinnerlichte Ideal zum Beispiel, dass niemand an Festtage allein sein sollte, setzte mich ganz besonders in meinen schlimmsten Alleinsein-Zeiten nach meinem Worst Case mehr unter Druck als das Alleinsein an sich. Allein zu sein finde ich an sich ziemlich toll, ich verbringe gern Zeit mit mir allein. Nicht nur, aber auch.

Dass dieser von mir gemochte Zustand des Allein-mit-mir-Seins auf einmal Ende Jahr, wenn sich alle Welt am Glitzerkrambaum versammelt, als etwas Schlimmes betrachtet wird, machte mir sehr zu schaffen, denn damit wird mir sozusagen das Recht abgesprochen, frei über meine Zeit zu verfügen.

Klar, es ist natürlich löblich, sich um andere kümmern, an andere zu denken,  aber – und hier wird es grenzwertig –, für andere zu entscheiden, dass sie nicht allein sein sollen, ist übergriffig. Von sich und den persönlichen Idealen auf den Rest der Menschheit zu schließen, ist problematisch.

Ideale können zuweilen ganz schön zynisch sein, wenn wir sie vom persönlichen in einen gesellschaftlichen Kontext bringen.

Es ist ja nur gut gemeint? Tja, gut und gut gemeint sind zweierlei. Ach und noch was: Das mit Idealen, die man bitte nicht verallgemeinern solle, lässt sich übrigens auch auf religiöse oder andersweitige Erkenntnisse übertragen. Bitte, Danke!

Zurück zum Weihnachtsding: Es ist übrigens, obwohl ich nicht an Göttliches glaube, noch nicht mal das religiöse Ursprungselement des Festes, mit dem ich allerdings nichts anfangen kann, es ist vielmehr dieses maßlos überfrachtete, mit sozialen und materiellen Erwartungen vollgepackte Ding, das in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten aus dem geglaubten Geburtstag einer göttlichen Erlösungsidee geworden ist, das mich anekelt. Ja, Ekel trifft es ziemlich gut.

Und ich meine wirklich nicht das, wonach wir uns alle insgeheim sehnen: Familie, Frieden, Geborgenheit. Kindheitsträume und -erinnerungen. Nein, nein, das alles nehme ich niemandem weg. Genießt es, so ihr es könnt.

Zur Weihnachtsmuffelin bin ich unter anderem deshalb geworden, weil ich die Unmöglichkeit durchschaut habe, dass nicht plötzlich innerhalb weniger Tage im Jahr gelingen kann, was im ganzen Jahr davor nicht gelungen ist. Diese Heuchelei, dieses Hochhalten von Fassaden, der ganze kitschige Klinkerkram … ja, Ekel trifft es in der Tat sehr gut.

Dennoch sei es all jenen herzlich gegönnt, sich in diesen Tagen das, was ihnen gut tut, zu tun. Und Kinderherzen mit Liebe und Geborgenheit zu füttern ist eh immer wohltuend.

Frieden, Liebe und Geborgenheit kann es nie zu viel geben. Und davon wünsche ich dir und dir und euch allen mehr als genug.

Die Wahrheit über die Wahrheit liegt überall herum

Zwar bin ich dieses Jahr weder gereist noch verreist, doch zum Glück gibt es Bücher und Filme. Dieser Tage nun bin ich lesend – Tagebücher-und Blogs-sei-Dank – auf der eigenen Zeitachse zu früheren Reiseorten, die wir zwischen den Jahren erforscht haben, gereist.

Eben hatte ich im Uraltblog nach Erinnerungen an meine allerersten gemeinsam mit dem Liebsten erlebten Ferien gesucht. Gemeinsam waren wir nach Südfrankreich gereist, in die pyrenäischen Berge. Im winzigen Dorf Boule-d’Amont hatten wir eine winzige Gîte gemietet. Ende 2009/Anfang 2010 war das gewesen, unser erster gemeinsamer Jahreswechsel.

Bilder in Herz und Kopf habe ich zuhauf, doch wollte ich mir nun auch die Bilder aus Pixeln angucken. Damals hatte ich noch mit einer winzigen digitalen Kamera geknipst und mit einem Handy ohne Smart dafür mit Tasten telefoniert und Koordinaten für Geocaches wurden in ein portables Ding namens GPS-Gerät eingegeben. Tatsächlich gibt es auf meinem Rechner keine Bilddatenspuren dieser Ferienzeit. Und keinen einzigen Eintrag dazu in meinem alten Blog. Erst wieder einen kleinen Danach-Artikel kann ich finden. Selbst der Liebste hat nur einen Spaziergang verbloggt. (Und ein paar Tage später hat er über das Jahr 2020 nachgedacht.)

Im Vordergrund der Schatten zweier Menschen auf gelbgrüner Winterwiese. Im Hintergrund Bäume und wolkiger Himmel mit Sonne. Der Schatten besteht aus drei Beinen, zwei Armen, zwei Köpfen und einer breiten Mitte.
Wir zwei

Immerhin bin ich bei meiner Suche über diese Geschichte hier gestolpert, die auch heute noch passt.

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Wie die Wahrheit auf die Welt kam

Sie saßen da und schüttelten immer wieder den Kopf. Unglaublich, was sie da sahen. Was sie da sehen mussten! Ab und zu rempelten sie sich an oder runzelten die Stirnen. Sie wollten es einfach nicht verstehen. Obwohl … Natürlich konnten sie es verstehen. Gut sogar. Sie waren schließlich auch mal so gewesen. Dennoch war es krass, wie seltsam sich die Menschen da unten verhielten. Behaupteten doch tatsächlich, sie wüssten es besser. Besser als andere. Sie wüssten die Wahrheit. Sie wüssten, was wirklich zählt und was wirklich wirklich ist.

Wir müssen endlich etwas unternehmen!, sagte einer der alten weisen Engel schließlich, während er sich einmal mehr die wenigen ihm noch verbliebenen Haare raufte. Aus Angst, diese auch noch zu verlieren, musste eine Lösung gefunden werden. Wir müssen einschreiten!, sagte er ein weiteres Mal.

Was willst du tun?, fragte ein jüngerer Engel, den das Getümmel auf der Erde bisweilen amüsierte. Diese Sucht der Menschen, sich ins beste Licht zu rücken! Dieses Getue, wer besser, klüger, größer, interessanter sei. Wer was besser wisse und besser könne. Darüber konnte doch eigentlich nur gelacht werden.

Ich habe eine Idee!, sagte eine jener weisen Engelinnen, die immer schon den Wunsch gehabt hatte, den Menschen zu ein bisschen mehr Durchblick zu verhelfen. Wir offenbaren ihnen die ganze Wahrheit!

Die anderen Engel und Engelinnen waren näher gerückt und nickten zustimmend. Dass sie den Menschen irgendwie helfen wollten, war bald allen klar, doch galt es, die beste Form zu finden. Die Wahrheit konnte ja alle möglichen Gestalten annehmen. Sie konnte dem einen gasförmig, der anderen als Flüssigkeit erscheinen, mal sichtbar, mal transparent, mal nur mit geschlossenen Augen fühlbar, mal auf der Haut, mal auf der Zunge und oft genug nur im Herz drin wahrnehmbar.

Endlich einigte sich die Engelschar darauf, dass sie der Wahrheit, die sich inzwischen in ihre Runde gesetzt hatte, ein möglichst prunkvolles Aussehen verleihen wollte. Eine große leuchtende Kugel würde ihrem Inhalt am besten gerecht werden, fand die Wahrheit selber. Eine Kugel, die jenen bunten Kugeln an den Decken mancher Musik- und Tanzlokale ähnelte. Grösser noch als jene dort und grösser auch als alles, was die Menschen je gesehen hatten, würde sie – an einem zuvor bestimmten Ort und für alle zugänglich – ihre Attribute der Erkenntnis an alle nach ihr Hungernden austeilen. Sie würde glitzern und glänzen, mehr als alles, was Menschenaugen je gesehen hatten. Wer die Wahrheit sähe, würde endlich alles und für alle Zeit klar sehen.

Doch ein Problem haben wir noch!, sagte schließlich der alte Engel, der die ganze Wahrheitslawine losgetreten hatte. Wie wollen wir die Wahrheit auf die Erde bringen? Daran sind vor uns ja schon viele andere gescheitert!

Alle nickten angeregt, zustimmend oder schauten nachdenklich vor sich hin.

Ichichich!, sagte der kleinste aller Engel, von allen Springimhimmelrum genannt, und hüpfte mit hochgehaltenem Finger auf und ab. Ich werde den Menschen die Wahrheit bringen!

Die einen nickten freundlich, während andere ihre englischen Stirnen runzelten. Schließlich wurden Vor- und Nachteile diskutiert und irgendwann waren sie sich einig: Springimhimmelrum durfte die Wahrheit auf die Erde bringen, wenn er es denn schaffen sollte, die große Kugel vor der gesamten Engelschar hochzuheben. Dass diese nicht auf die leichte Schulter zu nehmen ist, kann sich ja jeder denken.

Mutig trat Springimhimmelrum vor und lud sich unter Aufbietung seiner ganzen mentalen Kräfte die Kugel auf seine kurzen Flügel. Sein Gesicht leuchtete, als er es geschafft hatte. Großer Applaus belohnte seine Mühen.

Doch als er sich mit seinen kurzen Beinchen auf der Wolke, die ihn trug, vor den anderen verneigen wollte, geschah es: Die große Kugel rollte davon. Zu Anfang noch ganz langsam dann immer schneller hopste sie von Wolke zu Wolke. Als sie die Atmosphäre der Erde erreicht hatte, blieb ihr nichts übrig, als sich den Gesetzen der Schwerkraft und deren Wahrheit zu beugen, die sie ja immerhin auch in sich trug, da sie ja die GANZE Wahrheit war. Immer schneller fiel sie Richtung Erde und zerschellte schließlich mit einem lauten Knall auf einem Felsen. Sie war so groß, dass sich ihre einzelnen, winzigen Teilchen über die ganze Erde verteilten.

Wer immer nun auf der Erde eines dieser klitzekleinen Teilchen findet, sieht, fühlt, erkennt, durchschaut oder isst, ahnt ein klein bisschen davon, was Wahrheit sein könnte.

© by Sofasophia (2009)
Quelle: sofasophien.wordpress.com

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Ich wünsche allen Leser:innen alles Gute bei der Wahrheitfindung, im neuen Jahr und überhaupt. Herzlich bedanke ich mich bei allen für die Lesetreue.

Im Rückspiegel | Bern-Andorra-Bern im Mai 2010

Es war einmal … vor langer, langer Zeit. Na ja, zehn Jahre? Ist das nun lang oder war das eben erst?

Es war jedenfalls unser allererstes gemeinsames Blogprojekt, das Irgendlink und ich zusammen auf die Welt gebracht hatten. Er radelnderweise, ich bloggenderweise.

Irgendlink auf Fotopirsch im Schilf vor einem Boot im See
Irgendlink auf Fotopirsch

Dazu muss man wissen, dass vor zehn Jahren die Smartphonologie noch in den vielzitierten Kinderschuhen steckte. Ob es androide Smartphones schon gab, weiß ich nicht mehr so genau, nur dass sich Irgendlink ein nigelnagelneues iPhone 3S zusammengespart hatte. Und zwar nicht einfach für einfach so. In seinem visionsbegabten Gehirn hatte sich, nachdem er wenige Wochen zuvor das ebenso nigelnagelneue iPhone 3S seines guten Freundes Journalist F. angefasst hatte, eine Idee zu manifestieren begonnen:

Sollte es, angetan mit einem solch gps-fähigen, vielseitig begabten Gerät nicht eigentlich möglich sein, hinaus in die Welt zu radeln, Bilder mit bildstandortgetreuen Koordinaten zu machen, diese und vielleicht so gar den einen oder anderen Text via Blog in die Welt hinauszuschicken und dabei sein Radelreiseabenteuer zeitnah abzubilden?

Ich sag nur: iPhones und ihr Kontaktgift! Hast du je eins berührt, sehnst du dich danach, das immer wieder tun zu dürfen. So jedenfalls ging seine Mär, die er sich und uns anderen erzählte, um seinen Kauf zu rechtfertigen. Als das Gerät schließlich seins war, fing die Suche nach einer fähigen App an, einer, die die Bloggerei von unterwegs ermöglichte. Leider war im Frühling 2010 noch keine auf dem Markt, die Irgendlinks Ansprüchen halbwegs genügte, die WordPress-App gab es zwar schon, doch sie lief recht unzuverlässig und jedes Update war riskant und oft eher eine Verschlimmbesserung. Es ließ sich damals schon per Mail bloggen, was als Zwischenlösung sogar nicht mal so schlecht funktionierte. Weil beides nicht immer sehr zuverlässig war, baldowerten wir schließlich die Sache mit der Homebase – vormals (Blog-)Basis Alpha 1 – aus: Der radelnde Irgendlink würde mir im Laufe des Tages, wann immer er einen Hotspot, ein freies Netz oder auch nur ein gutgenuges Netz fände, einige Bilder des Tages schicken, und ich würde daheim, an meinem Rechner, täglich aus SMS und kleinen Mails  kleine Artikel spinnen. So würde die Welt das draußen schließlich seinem Abenteuer Zweibrücken-Andorra zeitnah folgen können.

  • Hier gehts los (Tag 0).
  • Ab hier (Tag 1) einfach immer zum nächsten Artikel der Andorrareise von 2010 weiterklicken. (Achtung: Parallel dazu läuft am Anfang noch der Rückblick auf den Reisebericht vom Jahr 2000*)

Dass es vor zehn Jahren noch kein freies europaweites Handynetz gab, muss natürlich hier unbedingt erwähnt werden. Jede SMS und jede Mail verursachte Kosten. Roaming war damals übrigens noch richtig teuer. Online-Anrufen übers Handy zwar möglich, aber übers Handynetz unerschwinglich, und oft genug wegen Lahmnetz unrealistisch. Kurz gesagt, waren meine damaligen Festnetztelefonrechnungen exorbitant hoch, zumal es in unseren Gesprächen nicht nur um die persönlichen Befindlichkeiten ging; ich musste ja den Reisenden schließlich auch zum Tag interviewen, um den Leserinnen und Lesern etwas zu erzählen zu haben.

Wie schon bei der initialen Reise Zweibrücken-Andorra im Jahre 20 vor Corona wollte Herr Irgendlink auch vor zehn Jahren eigentlich am liebsten gleich weiter nach Gibraltar radeln, kurz vor Andorra befand er jedoch, dass es mit Andorra gut sei und er sich gerne dort irgendwo abholen lassen würde. Unser schon von Anfang an mitgedachter ’Plan B’ kam nun also zum Tragen.

Kurzfristig reichte ich zehn Tage Ferien ein, – Auffahrt und Pfingsten lagen perfekt –, und fuhr innerhalb zwei Tagen über Nicht-Mautstrassen nach Borredà, wo Irgendlink mich an einer zuvor definierten Kreuzung erwartete. (Ich glaube, da kam mir mein GPS-Gerät, das ich mir einige Monate zuvor zwecks Geocaching angeschafft hatte, zugute, denn ich selbst hatte damals ja noch kein iPhone. Das Kontaktgift hatte allerdings seine Wirkung bereits entfaltet.)

Was für ein wunderbares Wiedersehen! Sein mit all den vielen wilden Zeltübernachtungen eingesparte Reisegeld hat Irgendlink in zwei Hotelnächte mit mir investiert.

Sein Reiserad passt geradeso in mein rotes Sternchen und von da an fahren wir gemeinsam auf vier Rädern weiter.

Das hinten offene Auto, Sternchen genannt, neben dem Zelt auf einer Zeltplatzwiese unter Bäumen
Auto und Zelt auf einer Zeltplatzwiese

Meine Reise und unsere gemeinsamen Tage habe ich damals – nachträglich von zuhause aus – in meinem Ur-Blog festgehalten:

Ich verlinke das hier mit Irgendlinks heutigem Blogartikel seines aktuellem Reiseprojekts, seiner dritten Reise von Zweibrücken nach Andorra, diesmal coronabedingt fiktiv, vom Schreibtischsessel aus. Neu radelt er diesmal sogar weiter von Andorra aus Richtung Atlantik.


*Für Reiseinteressierte: Ebenfalls im Irgendlink-Blog findet sich die von Irgendlink selbst fürs Blog aus analogen Vorlagen aufbereitete Zweibrücken-Andorra-Reise aus dem Jahre 20 vor Corona (= 2000): Teil 1 ist hier, von da aus weitergucken.)

Spielen #2 | Die vergessene Pointe

Betriebsblindheit nennt sich das wohl, wenn wir das Wichtigste zu erwähnen vergessen. Weil es so selbstverständlich für uns ist, das wir es schlicht und einfach als gegeben voraussetzen.

Erst vorhin, als ich mit einem Von-außen-Blick nochmals meinen gestrigen Blogartikel mit den Spielregeln unseres Würfelspiels Erben durchlas, erkannte ich mein Versäumnis. Asche auf mein Haupt. Bitte verzeiht.

Erben heißt nämlich Erben, weil du dabei die Punktzahl deiner Vorwürflerin, deines Vorwürflers erben kannst.

Und das geht so:
Erwürfelt die Person vor dir nämlich eine bestimmtes Punkteguthaben und beschließt mit Würfeln aufzuhören und ihr Guthaben aufzuschreiben, kannst du als nächste Person ihre leeren Würfel erben und, wenn du Glück hast, mit dem richtigen Wurf ihr Guthaben erben.

Zum Beispiel liegen von ihrem  letzten Wurf einige 1en und 5en auf dem Tisch, die anderen übrigen Würfel sind leer, das heißt sie zählen nicht.

Du kannst nun diese leeren Würfel nehmen und dein Glück versuchen: Gelingt es dir eine oder mehrere 1 oder 5 zu würfeln, erbst du das Guthaben und kannst genau dort weiterzumachen, wo die Person vor dir aufgehört hat. Fliegender Wechsel sozusagen. Oder eben: Erben.

Und auch hier gilt die 6er-Regel. Die 6 gilt als Auffüll- oder Pufferwürfel.

Auf diese Weise könnt ihr euch reihum weiter im Kreis beerben – daher auch der Name des Spiels:

Wichtig: Jede*r kann jederzeit aufhören und entscheiden mit allen Würfeln wieder bei Null anzufangen. Oft entscheidet das Schicksal und jemand würfelt einen leeren Wurf und alles fängt wieder von vorne an.

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Ich mag das ja: Manchmal kann man mit allen fünf Würfeln einen leeren Wurf würfeln, und manchmal kann man mit einem einzigen Würfel eine 1, eine 5 oder eine 6 würfeln und das erwürfelte Guthaben der*s Vorspieler*in eben erben.

Manchmal hast du eben einfach Glück und manchmal ich.


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Spielen #1

Zwischen den Jahren haben der Liebste und ich ab und zu gewürfelt. Ein Würfelspiel, das ich vor vielen Jahren gelernt, aber längst vergessen geglaubt hatte. Doch es war noch da, irgendwo in meinen Herzkammern, und ich habe es wieder zum Leben erweckt.

Erben heißt es. So jedenfalls habe ich das Ganze damals – vor nahezu dreißig Jahren – überliefert bekommen. Zwar ist Erben ein Glücksspiel, aber es müssen doch immer wieder Entscheidungen getroffen werden: Will ich mit einem oder zwei mir gebliebenen Würfeln die hohe Punktzahl, die Irgendlink erwürfelt hat, versuchen zu erben, oder fange ich mit allen fünf Würfeln wieder bei Null an?

Zugegeben, ich spiele nicht mehr so viel wie früher. Schade eigentlich, denn Spielen ist wichtig. In einer Welt, in der unsere Lebenszeit genau verplant ist, wo kaum mehr Freiraum für eigenes ist, wo alles verdichtet und reglementiert ist, in einer Welt des Konsumierens warum nicht einfach wieder einmal spielen? Nur um des Spielens willen.

Für unser Würfelspiel Erben braucht es zwei oder mehr Spielfreudige und gerade mal fünf Würfel, einen Block und einen Stift.

Würfelspiel mit Block und Stift, Bild posterisiert
Würfelspiel mit Block und Stift

Hier sind die Spielregeln:

(Diese Regeln bekam ich mündlich überliefert. „Erben“ ist eine Variation des Würfelspiels „Zehntausend“)

Erben ist ein Spiel für 2 und mehr Spieler*innen. Es braucht für dieses Spiel fünf Würfel, einen Stift und einen Block. Wer zuerst 15’000 Punkte erreicht, hat gewonnen.

  • Es wird reihum gewürfelt. Lediglich die Zahlen 1 und 5 erzielen Punkte, wenn sie einzeln gewürfelt vorkommen. Alle anderen Zahlen zählen nur ab Dreierpasch. (Siehe unten)

  • Die 1 ergibt 100 Punkte, die 5 ergibt 50 Punkte. (Päsche ab Dreierpasch siehe unten)

  • Nach jedem Wurf addierst du alle zählenden Würfel, lässt diese auf dem Tisch liegen und würfelst mit den übrigen Würfeln weiter.

  • Die Zahl 6 ist ein Pufferwürfel. Würfelst du zum Beispiel 1, 1, 5, 5 und 6 berechtigt dich die 6, dass du alle Würfel wieder aufnehmen kannst. Desgleichen bei 2x 6, wenn die anderen gewürfelten Zahlen ’etwas zählen’. (z. B. 2, 2, 2 und 6, 6). Kurz: Die 6 berechtigt dich dazu, wieder mit allen Würfeln weiterzuwürfeln, wenn alle andern Würfel gezählt werden können.

  • Solange du mindestens eine 1 oder eine 5 würfelst, kannst du immer weitermachen und deine Punkte laufend addieren. Du kannst deine Runde aber auch jederzeit beenden und die erwürfelten Punkte aufschreiben.

  • Sobald du aber einen Wurf ohne 1 oder 5 machst, sind alle in dieser Runde erzielten Punkte verloren und der oder die Nächste ist dran.

  • Wer zuerst 15’000 oder mehr Punkte hat, hat gewonnen.

Straßen

Würfelt jemand eine 1, 2, 3, 4 und 5 ODER eine 2, 3, 4, 5 und 6 hat er 700 Punkte erwürfelt und darf mit allen Würfeln weiterwürfeln, wahlweise aber natürlich auch aufschreiben und seine fünf Würfel weitervererben.

Feldwege (ganz neu in unsere bestehenden Regeln eingefügt)

Würfelt jemand eine 2, 3 und 4 kann er sie wahlweise als Feldweg zählen ODER aber die Würfelpunktzahlen anders verwerten. Ein Feldweg zählt 200 Punkte

Punktetabelle von Päschen

  • 2, 2, 2: 200 Punkte
  • 3, 3, 3: 300 Punkte
  • 4, 4, 4: 400 Punkte
  • 5, 5, 5: 500 Punkte
  • 6, 6, 6: 600 Punkte
  • 1, 1, 1: 1000 Punkte
  • 2, 2, 2, 2: 2000 Punkte
  • 3, 3, 3, 3: 3000 Punkte
  • 4, 4, 4, 4: 4000 Punkte
  • 5, 5, 5, 5: 5000 Punkte
  • 6, 6, 6, 6: 6000 Punkte
  • Pasch aus allen fünf Würfeln: Automatischer Sieg

Zur noch fehlenden Pointe und warum das Spiel Erben heißt, geht es ⇒ hier lang!

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Wann hast du das letzte Mal gespielt?


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