Tage, die es nicht gab | Fernsehserie #Filmbesprechung

Keine leichte Kost, das wusste ich schon nach dem Trailer und den ersten paar Minuten.

Im Mittelpunkt des Geschehens stehen vier Frauen. Christiane, Schriftstellerin und Mutter eines verstorbenen Jungen, kann seit dem Todestag ihres Sohnes nicht mehr schreiben. Ihre drei Freundinnen helfen ihr, nicht ganz in der Trauer zu ertrinken. Eine der Freundinnen ist die Staatsanwältin Mirjam, die damals, vor drei Jahren, den Tod des Schulleiters zwei Tage nach dem Suizid des Jungen untersucht hat. Die dritte im Bunde ist Doris, Geschäftsführerin eines Fuhrunternehmens, die versucht sich von ihrer sehr dominanten Mutter zu emanzipieren. Dass sie zuweilen ihre vierzehnjährige, sehr wortgewandte Tochter Sarah fast ebenso gängelt, fällt ihr erst nach und nach auf. Die vierte Freundin, Inès, ist mit ihrer Familie erst vor kurzem zurück in die Heimat gekommen, da der fast 18-jährige Sohn Olivier in Paris, wo sie davor lebten, auf die schiefe Bahn geraten ist.

Nur gerade mal zwei Tage nach dem Suizid des sensiblen zwölfjährigen Jungen stürzte damals Paulitz, Schulleiter des Bonzeninternats Sophianum, der maßgeblich zur schlimmen seelischen Verfassung des Jungen beigetragen hat, von der Staumauer unweit des Ortes. Der Fall war zu den Akten gelegt worden, da kein Fremdverschulden hatte bewiesen werden können. Drei Jahre später sollen die schon etwas ältere Inspektorin Grünberger und der junge Polizist Leodolter den Fall nochmals untersuchen.

Alle vier Freundinnen sind ziemlich reich, alle sind sie damals im Sophianum ausgebildet worden und alle haben sich damals geschworen, ihre Kinder niemals in diese Schule zu schicken. Und alle haben es trotzdem getan.

Mich beeindruckt, wie sorgfältig ausgearbeitet und ausgezeichnet besetzt jede einzelne Figur dieser Serie ist, bis hinein in die kleinen Nebenrollen. Ja, auch die Schulsekretärin mit ihren wenigen Auftritte hat ein klares Profil.

Während bei der Staatsanwältin Mirjam psychische Gewalt des Partners und Vaters gegenüber ihr und den Kindern im Fokus steht, ist es bei der Autorin Christiane die übermächtige, alles blockierende Trauer und Wut über den Verlust des Sohnes Balthasar. Bei Inès ist es die Beziehung zu ihrem Sohn, die ihr Leben je länger je unerträglicher macht. Da ist so viel destruktive Energie auf beiden Seiten, was sie mit ihrem Hang, alles zu organisieren und in Listen zu packen, zu kontrollieren versucht. Doris, die Fuhrunternehmerin, hat zwar eine sehr liebevolle Ehe und auch mit ihrer Tochter läuft es ziemlich gut, aber sie leidet unter der Dominanz der Mutter und arbeitet sich an alten Mustern ab. Jede der vier Frauen entwickelt sich im Lauf der acht Folgen der Mini-Serie auf ihre Weise weiter und muss in sich gehen, sich hinterfragen.

Parallel dazu untersuchen Inspektorin Grünberger und Polizist Leodolter erneut den damals ohne Ergebnis abgeschlossenen Todesfall des Schulleiters. Sie stoßen dabei auf einige weitere Suizide von Schülerinnen des Internats und auf Zusammenhänge, die erst bei sehr genauem Hinschauen sichtbar werden.

Es sind nicht allein die vielen einzelnen Geschichten, die diese Serie sehenswert machen, es sind auch die vielen kleinen, liebenswerten Details. Zum Beispiel die Inspektorin und ihre Kuchen. Oder wie sie und der Polizist sich immer gegenseitig mitten in der Nacht mit neuen Erkenntnissen in den Hotelzimmern wecken. Oder wie sich die Freundinnen immer wieder treffen und sich gegenseitig bestärken. Überhaupt: Die Dialoge und ihre Figuren wirken auf mich mehrheitlich lebendig und echt.

Mein ganz besonderer Liebling dieser Serie ist Sarah, herrlich von Niobe Eckert gespielt, die mit ihrem selbstbewussten Auftreten zwar immer ein wenig nervt, doch – da letztlich sehr empathisch – häufig zu Deeskalation beitragen und schließlich auch Lösungen herbeiführen kann, an die niemand denkt.

Am meisten mitgelitten habe ich mit Mirjams Kindern, besonders mit den Zwillingen, doch mehr kann ich, ohne zu spoilern, nicht verraten.

Jede Figur ist ausgesprochen bunt und vielschichtig, nicht einfach nur gut und sympatisch, sondern alle sind voller Abgründe. Einzig Mirjams Mann Joachim und Schulleiter Paulitz sind (mir) gänzlich unsympathisch.
»Wir bilden hier keine Opfer aus!«, sagt Paulitz zum Lehrer, der sich für den gepeinigten Jungen einsetzt, bevor sich dieser in den Tod stürzt.
»Nein, aber Täter!«, bestätigt der Lehrer.

Ganz am Ende der Serie, bei der Überführung der Täterin gibt es eine Unstimmigkeit, über die ich gestolpert bin, über die ich allerdings nicht ohne zu spoilern schreiben kann. Also bitte  *hier* (siehe unten) nicht weiterlesen, wenn du die Serie noch gucken willst.

Erfreulich war das irgendwie tröstliche Ende der Serie, mit dem ich so nicht gerechnet habe.

Was für mich diese Serie so sehenswert gemacht hat? Alle tragenden Rollen werden von Frauen gespielt. Frauen die zwar in schwierigen Situationen stecken, sich aber gegenseitig helfen und sich unterstützen. Frauen, die aus ihren bisherigen Rollen und Mustern ausbrechen und die mutig über ihre Grenzen gehen. Sie sind alle nur auf den ersten Blick starke Frauen, oder das, was man gemeinhin als Karriere- oder Powerfrauen beschreibt. Vor allem aber sind sie sensible, verletzte Frauen, die beschließen, sich nicht mehr alles gefallen zu lassen. Auch wenn sie sich gegenseitig nicht immer toll finden und auch mal streiten und sich nicht verstehen, so stehen sie doch zueinander. Bei aller erlebten Tragik und all dem Schweren ist es doch ermutigend, wie sie sich immer wieder zusammenraufen und trösten.

So geht Freundschaft!

Wiki: hier
ARD: hier


Zum Schluss stelle ich mir die Frage, wie sich eine solche, jedenfalls eine so ähnliche Geschichte wohl in einem mittelständischen Milieu ohne den ganzen Reichtum der Zollberg-Society oder sogar in einer armen Umgebung abgespielt haben könnte – also was die Freundschaft und die Probleme der Freundinnen betrifft.


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*SPOILERWARNUNG:

Wie kann es sein, dass die DNA am Körper des Toten damals nicht mit der Täterin in Verbindung gebracht werden konnte?

Wieso braucht das neue Buch von Christiane kein Lektorat und wird schon innert Tagen gedruckt und rezensiert?

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