(Eigentlich nichts Neues) über die Liebe

Unsere Sehnsucht nach Geliebtwerden: Ich glaube, das einzige Mittel, das uns dagegen hilft, der Liebe anderer nachzurennen, ist radikale Selbstliebe. Nur damit werden wir vermutlich den ’Egoismus des Geliebtwerdenwollens’ abstreifen können.

Manchmal wird ja über Achtsamkeit als eine gut getarnte Möglichkeit das Nur-um-sich-selbst-Kreisens gestänkert. Das sei nichts als gut getarnter Egoismus. Das sehe ich ganz und gar nicht so. Gerade für Menschen, die von klein auf nicht gelernt haben, auf die eigenen Bedürfnisse zu achten – und sich selbst und die eigenen Grenzen stattdessen ständig übergehen, weil ihnen niemand beigebracht hat, sich selbst wertzuschätzen, Bedürfnisse haben zu dürfen und ernst zu nehmen –, ist der Weg der Achtsamkeit(smediation) ein Segen.

Darüber stänkern tun übrigens eh meist nur jene Leute, die sowieso ein gesundes Selbstvertrauen mit auf den Weg bekommen haben und von daher keine Ahnung haben.

Sich selbst als wertvollen, liebenswerten Menschen zu betrachten, sich Gutes zu gönnen, mit sich selbst liebevoll umzugehen und – ganz wichtig! – Selbstmitgefühl zu haben, das zu Mitgefühl für andere ermächtigt, ist das krasse Gegenteil zur egozentrischen Lebenshaltung wirklicher Egoist*innen.

Der neunte Tag und endlich ein kleiner, vorsichtiger Optimismus

Vor neun Tagen hatten wir die ersten Symptome. Von Anfang an habe ich privat darüber Tagebuch geschrieben.

Ich frage mich zwischendurch immer mal, ob es sinnvoll – im Sinnne einer Art öffentlichen Archivierung/Chronik – und möglicherweise sogar hilfreich für andere sein könnte, wenn ich (gelegentlich) mein privat verfasstes Corona-Tagebuch hier veröffentliche. Ich denke da noch darüber nach. Immerhin ist es ja noch nicht ausgestanden.

Die ersten Symptome waren beim Liebsten stärker als bei mir,. Er hatte ja auch einen Tag Vorsprung. Ich habe drei Tage lang ‘nur’ ein leicht benommenes, mit Schluckweh einhergehendes Unwohlsein mit Müdigkeit und matschigem Kopf, erst ab Tag 3, abends, kippt es. In dieser Zeit ist es Irgendlink, den das Virus regelrecht und buchstäblich für etwa sechzig Stunden in die Knie, respektive in die Horizontale zwingt.

Als er langsam wieder auftaucht, fängt es bei mir an, aber so richtig. Das Schluckweh glüht bis in die Ohren und die Temperatur klettert für über drei Tage – achtzig Stunden – stabil über 38 Grad. Einzig wenn ich ein Ibu futtere, sinkt sie für einige Stunden.

An Tag 2 annulliere ich traurig meinen 2. Booster-Termin. Schade. Knapp verpasst. Ich hätte ja lieber einen Impfarm als Covid gehabt.

Der PCR-Test vom – Tag 2 – ist noch negativ und auch die Selbsttests bleiben bis Tag 3 negativ, weshalb wir uns in der Wohnung mit Maske begegnen, außerdem haben wir getrennte Schlafzimmer, viel Lüften. Viel dösen, viel Hörbuchhören (ich), ab und zu ein bisschen Lesen, Social Media, Filme gucken.

Ich weiß innerlich spätestens ab Tag 4, dass ich positiv bin, aber den nächsten Schnelltest mache ich doch erst am Tag 6, weil ich kaum mehr Tests habe und damit ich an Tag 7, einem Samstag, nochmals zum Testen (für Statistik und Sicherheit) in die Apotheke gehen könnte. Was ich dann auch tue. Und der Liebste auch. Wir fahren nämlich, da es ihm zum Glück inzwischen deutlich besser geht, an die deutsche Grenze, wo er seine Tests (Schnell- und PCR-) gemacht bekommt und ich die online bestellten neuen Tests im Paketshop abholen kann. Beide sind wir positiv, auch noch am siebten Tag seit Symptombeginn. So ist das nämlich.

Seit Tag 7 ist mein Fieber auf dem Rückzug. Nur noch ab und zu guckt es noch raus. Was bleibt, sind Halsweh, Husten, Schnupfen und Schlappheit. Und dieses matschiges Gefühl im Kopf. Konzentrationsprobleme. Mitten im Satz nicht mehr wissen, was ich sagen wollte. Und immer wieder Erschöpftsein nach kleinen Tätigkeiten.

Letzte Nacht der Umzug zurück ins Schlafzimmer. (Ciao Sofa, war schön mit dir!)

Heute ist das Schluckweh endlich nur noch ein kleiner Nachhall, der Schnupfen schleicht sich ebenfalls langsam davon, noch brennen die überreizten Schleimhäute. Zum Glück ist der Husten ziemlich zur Ruhe gekommen.  Alles dauert bei mir länger als sonst.

Als Privileg empfinde ich, dass wir diese Krankheit, hier bei mir, Seite an Seite durchstehen konnten, uns gegenseitig unterstützen, mit Zugang zu Badewanne und Co., und mit zwei Rückzugsräumen. Dazu liebe Freund*innen im echten und im virtuellen Leben, die Mut machen und liebe Nachrichten schicken, die nachfragen und Hilfe anbieten. Das macht uns sehr dankbar.

Vermutlich hatten wir einen sogenannt leichten Verlauf, obwohl ich mich nicht erinnern kann, je vorher mal soo krank gewesen zu sein. Hoffentlich sind wir bald wieder ganz genesen. Und noch hoffentlicher bleibt nichts von alledem zurück.

Aber was wäre wohl gewesen, wenn wir die Ur-Variante (oder Delta) dieses Shaiz-Virus – dazu noch ungeimpft –, bekommen hätten? So ‘leicht’ – äh, leicht war es nicht wirklich – wären wir vermutlich nicht davon gekommen.

Und ausgestanden ist es ja, wie gesagt, noch immer nicht. Aber da ist wieder vorsichtiger Optimismus irgendwo.

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Bitte tragt euch und euren Mitmenschen Sorge, lasst euch impfen und/oder boostern und tragt Masken. Für jene, deren Immunsystem nicht so stabil ist, aber eigentlich für alle.

»Jede noch so kleine Fläche wird mit einem Solarpanel bestückt«

Wie so ein Schutzgitter aus ganz feinem Draht fühlt es sich an, was ich da um mich herum gesponnen habe vor den Ferien. Ich nenne es nicht digitales Entgiften – weder auf Deutsch noch auf Englisch – denn es ist ja nicht alles Gift. Es war einfach alles zu viel. Im nicht-virtuellen Leben ebenso wie im virtuellen, im persönlichen ebenso wie im öffentlichen. Zu viele Informationen, zu viele Katastrophen, zu viele Eindrücke und Reize, und darum herum auch zu viel Hitze.

Es war eine leise und eher halbbewusst getroffene Entscheidung, mich während der Ferien von jeglichen Nachrichtenfluten fernzuhalten und mich einfach mal nur auf das für mich Wesentliche zu fokussieren.

Da war die Wanderung. Der nächste Schritt, immer nur der nächste Schritt. Im Kleinen ebenso wie im Größeren: Wie sieht der nächste Streckenabschnitt aus? Muss ich meine Wasserflasche ganz füllen oder kann ich mich von Brunnen zu Brunnen satttrinken? Wo picknicken wir? Wo bauen wir das Zelt auf? Wo pinkle ich, wo kaufen wir ein, wo lassen sich unsere Solarpanels hinlegen oder aufhängen, damit wir unsere Handys laden können? Solche Dinge.

Das Nachrichtenfasten ist mir ziemlich gut gelungen, ich habe nicht einmal die Nachrichtennewsletter geöffnet. Außerdem gab es ja auch vor und nach der Rückkehr ins heimische Nest genug schwierige Nachrichten im persönlichen Umfeld, die mich, die uns beschäftigt haben.

Je näher nun mein Alltag mit Terminen und Arbeit wieder rückt, desto dünner wird mein Schutzgitter aus feinem Draht, das ich mir vor den Ferien gesponnen habe. Es erinnert mich an das Blasenpflaster, das ich mir in Naters gekauft und an die Ferse geklebt hatte. Eine dünne, durchsichtige Kunststoffhaut war das und es hieß dabei ausdrücklich, dass es nicht vor seiner Zeit abgelöst werden solle, denn es löse sich von allein ab. Tatsächlich. Die vorherigen Blasenpflaster, schon älteren Datums, hatten sich jeweils nach einem Tag mit Wasserkontakt und Wanderschuhstrapazen abends wieder gelöst und ein neues Pflaster erfordert, um die Blase zu schützen, die sich hartnäckig an meinem linken Fersenknöchel hielt.

Das neue Pflaster aber hielt fast eine Woche und als ich es schließlich dann doch entfernte, hatte sich darunter bereits neue Haut gebildet.

Unter meinem dünnen Schutzgitter, in das ich mich Anfang Ferien gesponnen habe, ist womöglich auch eine Art neue Haut entstanden, die mir hilft, dem Alltag wieder gelassener zu begegnen als davor, da meine eh schon dünne Haut noch dünner geworden war.

Gestern Morgen öffnete ich das erste Mal seit Ferienbeginn den samstäglichen Republik-Wochenend-Newsletter, überflog ihn und öffnete einen Artikel. In »Das Ziel Nummer zwei« erzählt Simon Shuster, wie es Olena Selenska nach dem Beginn des Krieges in der Ukraine ergangen ist und wie sie sich heute schon auf die Traumafolgen der Menschen nach dem Krieg stark macht, indem sie unter anderem Weiter- und Ausbildungen für Therapeut*innen aufgleist, die den vom Krieg traumatisierten Menschen helfen werden. Da ist so viel verzweifelte Hoffnung in diesem Ansinnen. Das Ende des Krieges wird kommen. Hoffentlich bald.

Und ic? Ich habe, beschämenderweise, auch diese Katastrophe, diesen Krieg bereits in meinen Alltag integriert, irgendwo neben all den anderen Katastrophen, weil da kein Platz mehr für noch mehr Krise ist.

Der erwähnte Text hat mich jedenfalls zutiefst berührt und ist mir unter die neue, ein bisschen nachgewachsene Haut gefahren.

Mir geht es aktuell, und sogar schon eine ziemliche Weile, ziemlich gut. In mir drin, mit mir und in meiner kleinen Blase, habe ich meistens Boden unter den Füßen – trotz der schwierigen Dinge im nahen Umfeld, die mich mitbetreffen. Dennoch, nein, habe ich wenig Hoffnung, dass die Welt sich irgendwie noch zum Guten verändern könnte, grundsätzlich, langfristig. Gucke ich auf das Kleine, sehe ich viel Schönes, Gutes, Ermutigendes, Heilsames, aber der Blick auf das Große und Ganze zeigt ziemlich viel ScheiXXe.

Es fühlt sich an, sage ich zum Liebsten, als hätte ich fast zwei Wochen unter einer Decke gelebt, mich feige vor der Realität versteckt.

Wie kann ich (wie können wir) mit der Nachrichtenflut umgehen, ohne uns entweder vor Mitgefühl selbst zu zerfleischen und kaputt zu machen oder aber zu abgestumpften, nicht mehr mitfühlenden Menschen zu entwickeln? Wie könnte der Mittelweg aussehen?

Funktionieren Mittelwege überhaupt noch angesichts all der Katastrophen; müsste ich nicht viel konkreter denken, leben, handeln? Und wenn ja, wie? An welchem kleinen Ort wäre mein Handeln möglich, für mich, und sinnvoll, hilfreich?

Die Wasserfässer in Irgendlinks Garten sind noch recht gut gefüllt. Das im Winter und Frühling vom Dach gesammelte Regenwasser hat gute Ernten ermöglicht. Was aber, wenn es einfach nicht mehr regnet (oder schneit) und die Quelle hier oben auf dem Einsames-Gehöft-Berg versiegt, wie schon manche Flüsse?

Wir haben eigentlich nur eine Chance zu überleben: Es muss den Forschenden bald gelingen, das Meerwasser trinkbar zu machen. Außerdem braucht es auf allen Hausdächern, über allen Parkplätzen, auf jedem Stück Brachland und wo immer es möglich ist, Solaranlagen, die für Energie sorgen. Und Windräder an allen möglichen Stellen. Und Bäume. Überall. Teerplätze müssen aufgebrochen und an jeder freien Stelle Bäume gepflanzt werden.

»Jede noch so kleine Fläche wird mit einem Solarpanel bestückt«, sage ich.
»Jede Glatze!«, sagt der Liebste.
»Genau Glatzen! Und Hüte. Und Schirme. Jacken. Kleider. Und überall Powerbanken, die die Energie unmittelbar speichern. Das sollte doch möglich sein.«

Neulich schrieb ich auf Mastodon:

»Die Schweizer Flüsse haben noch gut Wasser.
versus
Die Schweizer Gletscher schmelzen so unaufhaltsam und endgültig wie die Polkappen.
Fertig mit Ewiges Eis.«
(Quelle)

und

»Es hat ganz schön abgekühlt da draußen. Die ganze Nacht war Durchzug. Auch die Wohnung ist nun wieder kühl. Es riecht nach Regen.
Dankbarkeit.

Dennoch denke ich oft: „Wir leben in der Galgenfrist!“ und „Lieber Ende mit Schrecken oder Schrecken ohne Ende?“«
(Quelle)

Dennoch habe ich noch Träume:

»Ich habe heute Nacht von schweizweit (oder auch andere Länder) flächendeckenden |en Sonntagen geträumt. Also ganzjährig, immer & überall. Nur noch ÖV lief.
War echt schön!«
(Quelle)

Vielleicht sind es doch die kleinen Dinge, mit denen wir es doch noch schaffen werden? Gemeinsam. Vielleicht.

Nachdenkinspiration über Ressourcen und Strukturen

Ich bedanke mich herzlich bei H. C. Rosenblatt für die nachfolgenden Gedanken zu ihrem Umgang mit Kraft- und Zeitvorräten. Da ist ganz viel Wiedererkennen bei mir.

»Für viele traumatisierten Menschen ist Vorhersehbarkeit die einzige Sicherheit über die sie sich beruhigen und Kraft sammeln können, sich dem Leben zu stellen«, antworten sie auf meinen Kommentar. Genauso ist es – jedenfalls bei mir.

»Jahres-, Monats-, Wochen- und Tagespläne sind mir noch nie ein Korsett gewesen, nie ein Angriff auf meine persönliche Freiheit – viel eher sind sie der Grund dafür überhaupt in die Situation zu kommen, mich frei entscheiden zu können. Denn ich kann weder entspannen, noch ruhen, noch Kraft tanken, wenn ich nicht weiß, was in den folgenden Stunden und Tagen noch auf mich zukommt und wie ich was wann wie genau kompensieren kann und darf.

Im günstigsten Fall mag ich die Art der Störungen des üblichen Ablaufs einfach nicht oder bin nur irritiert. Dann finde ich Stabilität und Ruhe in Stimming oder meinen Projekten. Problematisch wird es, wenn ich mit den Ressourcen schon so weit runter bin, dass ich weder von Stimming noch von irgendetwas anderem profitiere. Am schlimmsten ist es, wenn der Ablauf über so lange Zeit gestört oder beeinflusst wird, dass ich überhaupt keinen üblichen Ablauf mehr ausmachen kann.

[…]

Viele Menschen denken und planen nicht so weit im Voraus wie wir, weil sie es nicht müssen. Ihr Jetzt ist ein anderes als meins – ist nicht so leicht zu zerstören von morgen, bald oder nachher. Und viele Menschen schieben einfach gern auf, weil sie die Kraft für alles auf einmal aus einem viel tieferen, größeren Fass schöpfen als ich. Um in dem Bild zu bleiben, habe ich genau eine Tasse, aus der ich schöpfen kann und ich bin maximal geizig mit jedem noch so kleinen Tropfen, weil ich es muss. Nicht, weil es so schlimm ist, erschöpft zu sein, sondern weil „eine volle Tasse“ zu haben für mich a) nicht bedeutet, nicht erschöpft zu sein und b) weil auch das Management dieses Budgets, die Erfassung, die Planung, die Kommunikation des Budgets bereits daraus geschöpft wird.

Ich habe nie einen fixen Stand von 100 % und daraus kann ich dann hippy happy Leben gestalten – ich muss bereits 40 % weggeben, um in der Lage zu sein, mein hippy happy Leben erfassen, mich selbst darin fühlen und verstehen zu können. Und das ist, was die meisten Menschen – auch „meine Menschen“ – manchmal einfach vergessen: Die meisten Menschen müssen aus ihrem größeren Kraftfass vielleicht 10 oder 15 % dafür weggeben und das oft nicht einmal bewusst. Und am Ende eines Tages haben sie immer noch 20 bis 30 %, um zu verarbeiten, was sie erlebt haben.«

Quelle: H. C. Rosenblatt, https://einblogvonvielen.org

Bitte lest gern bei ihnen den ganzen Artikel.