Das Kind, das ich war, stellte sich Erwachsensein als etwas Großartiges vor. Als Kind sehnte mich nach der Freiheit, die ich mir vom Erwachsensein versprach. Wäre ich erst erwachsen, würde mir niemand sagen, was ich tun müsste. Ich könnte machen, was ich wollte mit meiner Lebenszeit.
Freiheit? Nun ja, die ordne ich heute eher Kindern zu. Und mir fällt dazu ein Satz ein, den mein Vater oft zu mir und meinen Geschwistern gesagt hatte, wenn wir über irgendwelche Einschränkungen lamentierten: Genießt das Kindsein, es ist früh genug vorbei. Und seine Frage an unsere Mutter, die er stellte, wenn er am Abend von der Arbeit nach Hause kam, lautete oft: Konnten sie heute Kindsein?
Heute Morgen bin ich auf Krautreporter, meiner Online-Tageszeitung, einem Link in die dortige Bin-ich-normal-Serie gefolgt: Bin ich normal, wenn ich mich als Erwachsene nicht erwachsen genug fühle?
Über das Peter Pan-Syndrom lese ich dort und dass die Wirtschaft uns Menschen möglicherweise bewusst infantil halte, weil wir auf diese Weise manipulierbarer seien und mehr konsumierten. Mag sein.
Jetzt tu doch nicht so erwachsen!, sagen wir zuweilen, wenn uns ein Mensch mit seinem sturen Verhalten nervt; und ich ertappe mich dabei, dass für mich Erwachsensein zu einem Synonym für Unflexibilität, Sturheit, Humorlosigkeit und grauer Langeweile geworden ist.
Während die Langeweile eines Kindes farbig ist, sonnendurchflutet und Raum für Tagträume schafft, ist jene der Doofen Erwachsenen grau und riecht nach Unzufriedenheit. Nicht vergessen: Doofe Erwachsene unterscheiden sich nicht nur von Kindern, sondern auch von Guten Erwachsenen grundlegend. Während sie im Spiel und Nichtstun keinen Sinn sehen (außer wenn sich dabei etwas messen lässt), stattdessen alles rationalisieren und objektivieren, haben Gute Erwachsene ein Gespür für die Nischen im Alltag, für das Spiel, für die Tagträume, für die Absichtlosigkeit, die sie aus der Kinderzeit in ihren erwachsenen Alltag gerettet haben. Gute Erwachsene haben das Kind, das sie waren, noch immer ganz nah in sich drin, selbst dann, wenn sie sich kaum mehr an Fakten aus ihrer Kindheit erinnern. Sie erinnern sich aber daran, wie es damals war, als noch alles möglich war.
Der dritte mir bekannte Erwachsenentypus ist übrigens der oder die Unerwachsene Erwachsene, auf welchen sich der erwähnte Krautreporter-Artikel vermutlich bezieht.
Wenn ich in den Sozialen Medien manchmal Diskussionen beobachte, sehe ich, wo, was und wie die Guten und wo, was und wie die Doofen und was, wo und wie die Unerwachsenen Erwachsenen schreiben. Wobei. So einfach ist es nicht, denn viele von uns haben mehrere Erwachsenentypen installiert und die Grenzen sind fließend.
Auch die Unerwachsenen Erwachsenen sind meiner Erfahrung nach weitverbreitet. Sie sind die, die auf keinen Fall werden wollen wie die Doofen Erwachsenen. Dass es auch Gute Erwachsene gibt, interessiert sie nur am Rande. Erwachsensein ist ihnen grundsätzlich suspekt, unheimlich. Sie leben zwar in einem erwachsengewordenen Körper, doch ihr Verhalten ist punktuell oder flächendeckend das eines Kindes.
Kindliches Verhalten ist bei einem Kind normal, bei einem Erwachsenen befremdend. (Und umgekehrt ist auch erwachsenes Verhalten bei Kindern befremdend.)
Ob die psychologische These stimmt, dass wir in Lebensbereichen und Lebensphasen, in welchen wir traumatische Erfahrungen gemacht haben, steckenbleiben? Und wenn ja, ob das der Grund ist, warum manche nicht erwachsen werden können? Wäre diese Erklärung aber nicht ein bisschen zu einfach?
Ich frage mich, ob vielleicht auch das Männlein-Verhalten so ein Phänomen unserer Zeit sein könnte? Männlein nennen wir übrigens jene jungen Kerle, die ihren Selbstwert mit Lautstärke (Stimme, Automotor) und potentieller Potenz (schnelles Auto) sicht- und hörbar machen müssen. Im oben genannten Krautreporter-Artikel von Susan Mücke lese ich dazu: »Junge Erwachsene sind auch besonders häufig für Unfälle im Straßenverkehr verantwortlich. Fast jeder fünfte Unfall mit Personenschaden (19,8 Prozent) durch einen PKW wurde von einem 18- bis 24-Jährigen verursacht. Meistens ist eine „nicht angepasste Geschwindigkeit“ dafür verantwortlich.«
Was aber ist es denn, das die Guten Erwachsenen auszeichnet und von den Doofen und Unerwachsenen Erwachsenen unterscheidet?
Der oder die Gute Erwachsene kann
- relativieren
- Verantwortung übernehmen für das eigene Handeln
- Mitverantwortung übernehmen für die Mitwelt
- Zusammenhänge erkennen
- sich anderen gegenüber, die anders denken, adäquat verhalten
- über sich selbst lachen
- …
und hat
- Gelassenheit
- Humor
- es nicht nötig, sich zu vergleichen und zu profilieren
- Verständnis dafür, dass sich alles ständig verändert
- genießen
- …
und ist
- empathisch
- klar
- kritikfähig
- nicht besitzergreifend
- …
Natürlich können auch Unerwachsene oder Doofe Erwachsene lieben, lachen, verantwortungsbewusst handeln und so weiter, doch in meiner ganz persönlichen Differenzierung fehlen ihnen die Tools für Vernetzung und den zusammenhängenden Blick in die Welt. Gerne schieben sie Schuld oder auch nur Verantwortung ab und hängen ihre Fahnen nach dem Wind.
Und ja, auch ich habe doofe und unerwachsene Anteile. Mit meiner Aufzählung will ich darum mir selbst Mut machen (dir vielleicht auch), der Guten Erwachsenen in mir drin mehr Raum zu schaffen und das Erwachsensein mit neuen, positiven Synonymen wie Reife zu füllen.
(PS: Dem augenzwinkernd-satirischen Unterton zum Trotz meine ich das hier eigentlich ziemlich ernst.)