Die Echte werden – die Echte sein

Wie kongruent sind mein Blog-Alter Ego Sofasophia und ich? Kongruent? Heißt Kongruenz den Echtheit, Authentizität? Ich behaupte nein, denn authentisch sind sie nämlich beide, auch wenn ich nicht immer Sofasophia bin. Und auch alle meine fiktiven Figuren sind in sich authentisch. Genau das ist einer der Reize des Bloggens und Geschichtenschreibens, denn ich kann meine Figur Dinge sagen und tun lassen, zu denen mir im richtigen Leben die Gelegenheit fehlt. Oder der Mut.

Sofasophia ist mir von allen meinen Figuren am nächsten. Ihre Erlebnisse sind meine, wenn auch dann und wann durch das umgekehrte Ende des Fernrohrs betrachtet. Oder durch ein Kaleidoskop, durch die Sonnenbrille oder vom Cheisacherturm aus. Gefiltert. Sichtweise und Tageslaune entscheiden über Farbe und Tiefenschärfe des Erzähltons.

Immer wieder höre ich, meine Texte seien authentisch. Sind sie das wirklich – und bin ich wirklich authentisch und echt? Seit ich öffentlich schreibe und mir des autobiografischen Anteils in jeder noch so banalen Schreibe bewusst bin, frage ich mich das noch häufiger als früher. Dieses ständige Abchecken meiner Selbst auf Wahrhaftigkeit kann bisweilen sehr bigotte und bizarre Formen annehmen. Erzähle ich der Dramatik wegen eine alltägliche Begebenheit etwas überspitzt, kommt bestimmt über kurz oder lang meine innere Zensorin vorbei und klopft mir auf die Finger. Manchmal kann ich sie überzeugen, dass das so muss. Wenn nicht, muss ich meinem Text die Kanten und Spitzen brechen.

Sofasophia darf mehr als ich. Sie darf fast alles. Sie darf manchmal mein enfant terrible sein und hin und wieder auch femme fatale. Sie trägt ab und zu sogar Fasnachtskostüme, die ich nicht tragen mag, denn hinter Masken und Verkleidungen fühle ich mich nicht wohl. Ist Sofasophia deswegen weniger echt? Bedeutet es unecht zu sein, wenn ich mich schreibenderweise hinter ihren Kleidern und Tüchern bedeckt halte, mich schütze?

Bin ich lichtscheu, bin ich lichtecht? Kann ich überhaupt unecht sein, falsch, über längere Zeit meine ich? Vor mir? Vor andern? Sind nicht vielmehr auch alle diese scheinbar nicht zu mir gehörenden Seiten echt, und auch jene, an denen ich bisweilen ein bisschen herum poliere? Wie ist es mit meinen Selbstschutzreaktionen wie beispielsweise mein stellenweise distanziert wirkendes Auftreten? Und wenn ich mich zuweilen schreibenderweise frecher oder schlagfertiger zeige, als ich im Alltagsleben bin? Ist das nicht einfach darum, weil ich diese Seiten auch in mir habe?

Die Echte werden also? Bin ich sie denn nicht bereits oder gibt es da noch unechte Dinge, die ich nicht mehr haben will?

Zum Beispiel, wie ich bin, wie ich mich verhalte, wenn von mir Dinge erwartet werden, die ich nicht tun mag oder will. Dinge, die ich für andere tun soll, weil ich sie tun kann. Oder weil ich sie früher schon mal gemacht habe. Weil ich sie früher möglicherweise sogar gerne gemacht habe. Ja, Erwartungen erfüllen zu sollen löst zuweilen in mir dieses Gefühl von Unechtsein aus. Wenn ich so sein soll, wie ich früher war. Wenn ich für etwas Begeisterung entwickeln soll, die ich nicht aufbringen kann. Doppelt unecht fühle ich mich dann, wenn ich die Dinge doch tue. Eine zweistöckige Unechteheit. Verrat an mir und meinem Willen. Ich werde mir im Moment des Unechtseins & -handeln untreu.

Unecht fühle ich mich auch manchmal, wenn ich mit Fremdwörtern um mich schmeiße, bloß um ernster genommen zu werden. Wenn ich mich um sichtbare Intelligenz bemühe. Wenn ich bluffe. 

Womit wir bei der Frage wären, ob Selbstdarstellung unecht ist, sein muss. Nein, aber sie kann. Zum Beispiel kann ich mitten in einem Gespräch sein. Plötzlich stehe ich gleichsam neben mir und höre uns zu. Höre uns diskutieren, argumentieren, philosophieren und auf einmal fühle ich nicht mehr, was ich sage, was ich mich sagen höre. Fühle mich nicht mehr. Doch auch das ist letztlich echt, will heißen, zu mir gehörig. Dass ich eben zuweilen den Kontakt zu mir, zu meinem Fühlen und Denken verliere. (Unecht wäre es allenfalls, es zu ignorieren?) Echt dagegen und auch echt mutig ist es, wenn ich den Kontakt wieder aufnehme, den Kontakt zu mir, zu meiner Mitte. Echt sein – ich glaube es lohnt sich. Mir zuliebe, wer immer das in Wirklichkeit ist. Und wohin dieses Ich auch immer unterwegs ist.

(Dieser Text basiert auf einer Maildiskussion)

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Sept 2009 & August 2014 | © by Sofasophia