Warum ich nichts über den Krieg schreibe

Seit Tagen überlege ich, wie ich hier weiterbloggen soll. Und ob überhaupt. Jetzt. Hier. In dieser verrückten Zeit.

Ich lese da und dort. Aktuell am liebsten,  wie so oft, bei Herrn Buddenbohm. Seine Wortmeldungen und Linksammlungen bündeln so ziemlich, was auch ich gelesen, gedacht, gefühlt habe.

Von ihm habe ich denn auch den Link zu einem Artikel, der mir sehr aus der Seele spricht. Von einem, der sich, wie ich gefragt hat, was er denn über all das schreiben soll, was gerade in Europa geschieht. Wo wir doch letztlich keine Ahnung haben.

Ich zitiere also Herrn Jawls aka Christian Fischer:

»Ich weiß nicht, wie wahr das ist, was ich als Kind über „die Russen“ lernte, ich weiß nicht, welchen Berichten ich glauben konnte in den vergangenen 20 Jahren und welchen nicht, wann es in all den Jahren um Politik ging und wann um Menschen und wann um „ökonomische Interessen“ – was ja nur ein besser klingendes Wort für Geld oder Gier ist.
Und vor allem weiß ich nicht, wem ich jetzt in diesem Moment glauben kann. Krieg ist – aber das wissen Sie natürlich – neben allem, was man sich darunter vorstellt, vor allem der Kampf um die Herrschaft über die Narrative.

Und ich habe keine Ahnung. Und ich möchte nicht Teil einer Desinformation sein.

Darf ich Sie um etwas bitten? Halten Sie es genau so. Das Web ist nur dann ein guter Platz, wenn wir es dazu machen.«

Quelle: hmbl.blog/28-2-2028-nun-sag-doch-etwas

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Derweil denken der Liebste und ich über eine weitere Flus-Fernwanderung durch die Schweiz nach. Ohne zu wissen, was im Sommer sein wird. Keine Ahnung, wie die Welt dann tickt.

Das eine schier unvereinbar mit dem anderen.

Zwei Realitäten.

Viele Realitäten.

Alles gleichzeitig.

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Ukrainische Flagge mit dem Satz Stand with Ukraine in weißer Schrift, im gelben Feld eine Fotografie eines Plakats mit dem gleichen Satz

Von diesem Bild gibt es hier ein Puzzle
bitte gern in Form einer kleinen konzentrierten Friedensmeditation zu lösen.

Wofür es sich lohnt

Es gibt Tage, Orte und Erlebnisse, die wir einfach nie vergessen. So ein Tag, so ein Ort und so ein Erlebnishappen war die Reiseetappe des 11. Juli 2010, als Irgendlink und ich uns auf der Straße 17, jener legendären norwegischen Küstenstraße immer weiter nach Norden, immer näher an den Polarkreis, geschoben hatten.

Geendet hatte dieser wunderbare Reisetag schließlich – nach einigen Inselhüpfern in Fähren, wo es keine Straßen gab – auf einem traumhaft schönen Campingplatz. Bei wohligen 20 Grad genossen wir direkt am Strand unseren bis dahin wohl längsten Sonnenuntergang. Stundenlang ist nicht übertrieben.

»Nur schon dafür hat sich die lange Reise gelohnt!«, sagte Irgendlink damals. Ein Satz, der seither fast reisetraditionell geworden ist. Zumal, wenn wir gemeinsam reisend unterwegs sind. An besonders schönen Orten, in besonders stimmigen Stunden, an besonders guten Tagen fällt er wie von selbst, doch noch nie klang er fad oder abgedroschen. Im Gegenteil: Es klebt Dankbarkeit an ihm und er dreht sich wie ein Windrad mit uns mit, wenn wir es besonders gut haben.

Gestern nun, als ich mir morgens meine tägliche Wellnessstunde schenkte – zuerst eine halbe Stunde Meditieren, danach eine halbe Stunde Yoga –, gestern also, als ich im Sonnengruß den Tag begrüßte, sagte meine Herzstimme zu mir: »Dafür hat sich doch dein bisheriges Leben gelohnt!«

Der Gedanke ist irgendwie neu. Eigentlich bin ich ja der Ansicht, dass alles, was wir tun sinn- und wertvoll und wichtig sein sollte, eine Verbesserung für die Welt, eine Leistung für die Menschheit. (Nun ja, von Ferien- und Freizeitdingen einmal abgesehen: diese dürfen, sollen sogar, in erster Linie Spaß machen, müssen also nicht zwingend wichtig, sinn- und wertvoll sein).

Mein kleiner Alltag als offiziell Stellenlose/Stellensuchende, als Schriftstellerin, als Teilselbständige erlaubt mir zum Glück zurzeit, meinen Alltag sehr frei zu gestalten. Darum ist meine Wellnessstunde ein fester Alltagsbestandteil geworden, doch bis jetzt buchte ich das immer als Freizeitelement (ich muss also in dieser Stunde nicht die Welt retten und so), doch nach diesem neuen Gedanken – »Dafür hat sich doch dein bisheriges Leben gelohnt!« – dachte ich zum ersten Mal darüber nach, dass eigentlich jeder Mensch innerhalb seiner Arbeitszeit eine bezahlte Wellnessstunde haben müsste. Dass also auch die Erholungsräume von den Arbeitsgeberinnen und -gebern entlöhnt werden müssten, weil diese Zeiten es ja erst möglich machen, dass wir Menschen arbeiten können. Ohne Erholung keine Arbeit.

Einmal mehr ertappte ich mich selbst dabei, wie an meiner Wellnessstunde, obwohl sie so wichtig und so kostbar für mich ist, noch immer das ihr von mir verliehene Etikett Luxus klebte. Mir diese Stunde zu gönnen hat noch immer etwas latent Illegales an sich (ich müsste doch in dieser Zeit etwas leisten!), zumal ich ja zurzeit nicht klassisch berufstätig bin.

»Dafür hat sich doch dein bisheriges Leben gelohnt!« Mit diesem Satz legitimiere ich ab sofort Freude, Dankbarkeit und Alltagsschönheit, die ich zuweilen kaum wirklich wahrnehme. Insbesondere dann nicht, wenn ich mal wieder – oft genug – durch die Depro-Brille nur Grautöne sehen kann. Den grauen Tagen, Stunden, Erlebnissen, Gedanken und Gefühlen also Dankbarkeit entgegenhalten, dazu Freude und einen Blick auf das, was in meinem kleinen Alltag Spaß macht, gut tut, Lust auf das Leben, auf die Zukunft macht. Genau das will mir dieser Satz sagen.

Ähnlich wie bei einer langen Reise von Zeit zu Zeit eine Reisemüdigkeit auftaucht, taucht ja in meinem Leben phasenweise immer wieder eine tiefe Lebensmüdigkeit auf, die alles, was je war, in Frage stellt. Warum also nicht ähnlich wie bei einer langen Reise diese Müdigkeit zwar sehen, beobachtend, möglichst wertfrei, sie aussitzen, ihr aber zugleich auch erlauben, sich von neuen Erfahrungen ablösen zu lassen und sich aufzulösen?

Auch wenn es abgelutscht klingt: Eigentlich weiß ich ja inzwischen, dass es hinter der schwarzen Wand weitergeht. Weil es bisher immer weitergegangen ist. Immer irgendwie. Nicht immer einfach, nicht immer ideal, aber immer irgendwie. Und irgendwann wurde es immer wieder irgendwie besser. Warum sollte es nicht auch weiterhin so sein?

Diese Gedanken, aber genau umgekehrt, in invertierten Farben und Formen also, denke ich auch, wenn ich in einer depressiven Episode stecke. Dass nämlich alles immer so schwarz wie jetzt weitergehen wird.

Jetzt aber, in einer nicht-schwarzen, in einer sogar eher bunten Lebensphase (und ja, dafür hat es sich doch wirklich gelohnt, bisher zu leben!), kann ich Herzressourcen sammeln. Lebensvertrauen. Denn Satz in mir konfigurieren. Schritt für Schritt anderes Denken üben, mir dabei bewusst machen, wofür es sich zu leben lohnt. Nicht nur die großen Dinge, eigentlich eher noch und besonders die kleinen. Das sehen lernen, was gut ist und was gut tut.

Und auch wenn das alles jetzt ein bisschen unstrukturiert und wild daher kommt: Ja, auch das tut manchmal gut. Wie ein wilder Garten, der in meinem Kopf und in meinem Herz vor sich hin wächst.

Mehr Platz für den Friedensbaum

Wie ich heute Mittag nach der Arbeit auf meiner Terrasse das Wochenende einläutete, mich an den geschenkten Merci-Schöggeli einer Arbeitskollegin erfreute und gemütlich einige Kapitel meines aktuellen Buches las, hörte ich auf einmal einen Staubsauger an der Haustür brummen.

Wie jetzt, ist unsere Haus-Putzfee gekommen, ohne dass ich sie habe kommen sehen? Wie toll ist das denn! Ich habe sie ja schon ewig nicht mehr getroffen! Die letzten zwei Jahre hat sie immer die Pflanzen auf meiner Terrasse gehütet und gegossen. Doch seit ich meistens dann im Büro bin, wenn sie Treppen, Böden & Waschküche unseres Miethauses putzt, gab es so schon lange keine Gelegenheit mehr für einen kleinen Schwatz mit ihr. Die gebürtige Italienerin und schon viele Jahre Alleinerziehende hat – obwohl es das Leben nicht wirklich gut mit ihr gemeint hat – eine unglaublich positive Ausstrahlung und es macht Spaß, mit ihr zu reden. Sie ist eine starke, eine strahlende Frau, die mit ihrer inneren Kraft scheinbar (oder offensichtlich) jeder Mühsal trotzt. Ich bewundere ihren Mut im Alltag und die Würde, mit welcher sie ihre viel zu oft viel zu gering geschätzte Arbeit macht.

Schnell huschte ich also, nachdem ich den Staubsauger gehört hatte, durch die Wohnung in die Waschküche rüber, wo ich sie hantieren hörte und freute mich sogleich über ihre herzliche Freude, mich zu sehen. Doch ich hatte ja auch einen Hintergedanken. Ob sie vielleicht wieder meine Topfpflanzen …? Aber ja, sie könne ja eh einmal mehr nicht in die Ferien, auch diesen Sommer nicht … (Hach, wäre ich reich, würde ich ihr Ferien schenken. Oder ihre Steuerschulden begleichen. Oder gleich beides!)

Wir gehen wandern, sage ich, mit dem Zelt. Diese Art Ferien kann ich mir leisten. (Aber wir machen das nicht nur so, weil es die billigste Art Ferien zu machen ist, denke ich. Nein, auch weil wir es so mögen. Weil es uns entschleunigt und weil es uns ruhig und einfach macht, weil es uns gut tut, wieder näher am Boden zu leben, auf der Erde zu sitzen und ihr nahe zu sein, auf ihr zu liegen, zu schlafen. Ja, auch das denke ich nur.)

Sie erzählt mir unter anderem von den Schwierigkeiten ihres Sohnes, eine Lehrstelle als Automechaniker zu finden. Für den Sommer 2017. Er sei kein Superschüler, eher schüchtern, eher klein, eher mollig wegen seiner Schilddrüsenerkrankung, und bisher hätten ihn alle Schnupperbetriebe abgelehnt, weil sie ihm diese Lehre nicht zutrauten. Schade.

(Aber vielleicht weiß ja eine/r meiner Aargauer LeserInnen etwas? Es müsste allerdings wohl im Raum Brugg/Baden sein, wegen der Fahrkosten, die möglichst tief sein sollten.)

Friedensbaum Wie auch immer … wir erzählen und erzählen und lachen immer wieder … es tut mir gut mit ihr zu lachen. Lachen gegen all diese Widrigkeiten, die das Leben uns immer mal wieder geboten hat. Nebenbei biete ich ihr einige Merci-Schöggeli an, die ja, wie gesagt, bei mir auf dem Tisch herumliegen. Ich teile Dankbarkeit mit ihr. Darüber freut sie sich und schließlich geht sie wieder an ihre Arbeit und ich an meine. Aufräumen ist angesagt. Und den kleinen Friedensbaum sollte ich auch endlich mal in einen größeren Topf setzen, damit der Frieden wachsen kann.

Der nächste Artikel

Irgendwann wird er vielleicht doch noch geschrieben, dieser neue Artikel. Heute vielleicht. Jetzt womöglich.

Aber worüber lohnt es sich zu schreiben – in einer Welt, wo sich alles ständig ändert? Über das Alltagsleben und die viele Arbeit? Soll ich etwas Sofasophisches herzspinnen, mit Fallmaschen dazwischen? Oder über die wiedererlangte Gesundheit und die Parabeln, die mir dazu einfallen, fachsimpeln? Über das Auto gar, das ich heute besichtigen und vielleicht kaufen werde – von privat?

Scheint mir alles ein bisschen zu banal. Und Bücher besprechen mag ich zurzeit eh auch nicht.

Und über politische, soziale und gesellschaftliche Fragen nachdenken tu ich eh ständig, können andere aber besser drüber schreiben.

So bleibt mir ein klitzekleiner Hinweis. Dass es bei Pixartix wieder rund läuft nämlich.

Wie jetzt, du kennst Pixartix, das Bilderblog, nicht? Guck einfach mal rein. Schon seit Tagen zeigen wir neue Bilder, doch heute hat Frau Lakritze den neuen “Drei Bilder”-Zyklus eröffnet. Wir dürfen gespannt sein.

Erwartungen erfüllen?

Erwartungen anderer an mich müssen nicht erfüllt werden, steht schon über drei Jahre mit abwischbarem Stift auf meinem Kühlschrank. Kaum mehr lesbar. Meine Erwartungen an mich will ich immer wieder neu überprüfen. Steht eigentlich auch da, doch kaum mehr lesbar. Die Sätze sind damit für mich nicht weniger wahr geworden, obwohl ich sie oft vergesse.

Wie oft tappe ich in die Falle zu glauben, die anderen hätten irgendwelche Ansprüche darauf, dass ich ihren Erwartungen an mich gerecht werden müsste. Erwartungen, wohlverstanden. Ich spreche hier nicht von Pflichten.

Mein Schreibprogramm, Libreoffice, schlägt Ahnungen, Glauben, Meinungen, Annahmen als Synonyme für Erwartungen vor und zeigt mir damit, was ich schon ahnte: Erwartungen siedeln im Bereich des Irrationalen und drücken manchmal ganz schön auf die Brust. Mich engen sie meistens ein.

https://i2.wp.com/waslesen.ch/wp-content/uploads/2014/04/Lieben.jpgWie ich gestern, beim Lesen von Karl Ove Knausgårds Buch LIEBEN Seite um Seite über seine komplizierte Liebesbeziehung zu Linda las, musste ich immer wieder leer schlucken. Er erwartet von ihr, dass sie ihm Raum gibt. Sie erwartet von ihm, dass er ihr ganz nahe ist. Kann das gut gehen? Sie erwartet, dass er sie hält und unterstützt, da sie ihn doch so sehr braucht. Da sie doch immer wieder bipolaren Schwankungen ausgesetzt ist. Er erwartet, er hofft, dass sie ihn versteht. Sie hofft, dass er sie versteht. Ich leide, wenn ich das lese. Weil ich ähnliches in einer längst vergangenen Liebesbeziehung ebenfalls erlebt habe. Ich lebte damals sozusagen an Knausgårds Stelle und bin darum beim Lesen zuweilen richtig wütend auf Linda, die ihn so bedrängt. Aber da ich in meinem Leben ja ebenfalls schwere depressive Schübe hatte, kenne ich auch Lindas Verfassung. Diese Hoffnungs- und Perspektivelosigkeit, all diese Ängste, diese Panikschübe sind mir ebenfalls vertraut. Ich leide mit ihr. Ich leide mit ihm. Sehe keinen Ausweg für die beiden. Sie lieben sich und gehen doch zuweilen heftig aufeinander los. Ähnliches las ich heute auf Glumms Blog.

Erwartungen, wie ich sein sollte. Was ich tun sollte. Was ich denken sollte. Wozu ich in der Lage sein sollte. Was ich vermeiden sollte. Andere an mich. Ich an andere. Ich an mich.

Überall Erwartungen. Auch bei der Arbeit. Nein, dort sind es Erwartungen und Pflichten. Dass ich meine Arbeit gut mache, ist meine Pflicht. Aber dass ich immer wieder, wie er, über meine Kräftegrenzen gehe, ist keine Pflicht. Bestenfalls eine Erwartung meines Scheffs an mich. Trotzdem bin ich heute, weil das Fieber mich lahmlegte, nach Hause gegangen, nachdem ich alle an Termine gebundenen, heute notwendigen Aufgaben erledigt hatte. Lohnzahlungen auslösen – zum Beispiel – ist ja auch *hüstel* in meinem eigenen Interesse.

Erwartungen bewegen sich, wie gesagt, auf der irrationalen Ebene. Moralische Pflichten könnten wir sie möglicherweise auch nennen, denn zuweilen fühle ich mich von ihnen beinahe so in die Pflicht genommen wie von definierten, in Worten gefasste Pflichten.

Wie verhält sich Verpflichtung zu Solidarität − insbesondere in Freundschaften? Wo bleibe ich? Was kosten mein Nein und warum scheue ich diesen Preis zuweilen auf Kosten meiner eigenen körperlichen und seelischen Ressourcen? Was darf eine Freundschaft kosten? Dürfen andere/darf ich in einer Freundschaft überhaupt etwas erwarten, in einer Liebesbeziehung?

Gestern habe ich in meinem abendlichen Fieberdusel beim allabendlichen Telefongespräch mit Irgendlink, der schon bald am Nordkap ist, über Knausgård gesprochen. Habe dabei auf unsere Beziehung Bezug genommen. Was wäre wenn? Wie würde es uns gehen, wenn wir uns mit gegenseitigen Erwartungen beladen würden? Mache ich mir etwas vor, wenn ich glaube, keine Erwartungen an ihn zu haben? Kann ich überhaupt keine Erwartungen haben – an ihn, an mich, an andere Menschen, ans Leben?

Und wo, bitte schön, liebes Leben, ist die Grenze zwischen Vision und Erwartung?

Fiebrige Gedanken. Gedacht und geteilt. Gespannt, was sie mit euch, meinen Leserinnen und Lesern machen.

Den Schlüssel umdrehen

Ein Quäntchen Unzufriedenheit fördere die Weiterentwicklung. Sagt man. Denn wäre alles immer gut, würden wir stagnieren. Zu viel Unzufriedenheit aber ist kontraproduktiv und lebensfeindlich. Und bei mir ist es schnell mal zu viel, da ich in meiner Selbstkritik oft nicht sehr freundlich mit mir umgehen. Mit anderen auch nicht.

Dass in mir ein ziemliches Quäntchen Wut ist, habe ich gestern gemerkt. Bei größter Hitze bin ich kurz vor eins, weil um eins die Bäckerei schließt, ins Dorf runter. Da ich noch Geld ziehen wollte, ging ich also zuerst zur kleinen Dorfbank. Als ich die Straße überquerte, fuhr ein Mann auf einer Vespa auf den Platz vor dem Bankomaten jenseits des Fußgängerstreifens. Er bockte seine Vespa auf, hob den Helm ab, kramte im Gepäckraum der Vespa und ließ dabei die ganze Zeit den Motor laufen.

Es gibt fast nichts, das mich im Alltag mehr nervt als ein unnötig laufender Motor. Diese dreifache Emission: gleichzeitig Lärm, Gestank und Benzinverschwendung. Meine Nase und meine Ohren sind wohl meine sensibelsten Sinne, und ich bin vermutlich eher überdurchschnittlich lärm- und geruchsempfindlich. Und ein bisschen sehr sparsam, da als Arme-Leute-Kind aufgewachsen.

Wie auch immer: ich nähere mich also dem Bankomaten und realisiere, dass dieser Mensch ebenfalls Geld ziehen will. Vor mir. Dass ich warten muss. Mein Frust ist groß, zumal ich an unser aller Hitze, zunehmend leide. Warten in der Hitze ist da schon mal schlecht. Ich frage also, um wenigstens einen Stressfaktor zu eliminieren, ob er nicht den Motor ausmachen könne. Er reagiert nicht, nestelt nur weiter an seinem Geldbeutel herum. Murmelt vor sich bin. Seltsamer Mensch.

Das Motorrad ist etwa anderthalb Meter hinter ihm vom Bankomaten entfernt. Nachdem er nicht reagiert hat, reagiere ich. Übergriffig. Was mir aber durch meine Wut gerechtfertigt erscheint. Ich drehe den Zündschlüssel seines Motors nach links. Aus. Ruhe. Der Mann, er ist wohl so zwischen fünfundfünzig und sechzig Jahre alt, dreht sich um und sagt mit drohender Stimme: Nicht anfassen, einfach nicht anfassen! Als wäre es eine Bombe, die gleich hochgehen wird. Oder er.

Ich flüchte mich in den nächstbesten Schatten. Um die Ecke. Außer Sichtweite. Sehe ihn nur in einer Autoscheibe gespiegelt. Höre, wie er vor sich hinbabbelt: Hat die mir doch einfach den Motor ausgemacht. Ich denke zuerst, dass er in ein Handy spricht, doch das tut er nicht. Das Handy holt er erst nachher raus, als er das Portemonnaie verstaut und ich mich am Automaten zu schaffen mache. Ich belausche ein Gespräch, weil ich da bin. Weil ich nicht weghören kann. Aber ich komme darin nicht vor. Er komme gleich, sagt er. Ist Mutter auch da. Er sei noch an der Bank. Blablablub.

Nun ja, mein Nacherziehungsversuch ist in die Hose gegangen. Im Grunde, ich gestehe es, wollte ich ihn ja sensibilisieren für Ruhe, für Motor-aus und so. Die meisten Menschen, die ich bitte, den Motor auszumachen, machen ihn aus. Oder sagen wir mal zwei Drittel ungefähr. Mit den andern führe ich oft sehr emotionale Diskussionen, die im Grunde nichts bringen.

Verschobene Wut? Ist da etwas von mir selbst, ein Quäntchen Wut auf mich selbst, auf meine ach so vielen Inkonsequenzen, die ich mit solchen Aktionen bloß nach außen verlagere und an andern Menschen, die auch nicht nett zur Umwelt sind, auslasse?

Oder war es sogar ein bisschen zivilier Ungehorsam, ein bisschen Zivilcourage?

Wäre es nicht hin und wieder sogar gut, ein paar Schlüssel umzudrehen?

Wieder da … oder doch noch nicht ganz?

Als ich  am Montagmittag durchs Dorf Richtung Arbeitsplatz radelte, ertappte ich mich dabei, wie ich die Leute auf der Straße ganz selbstverständlich mit Hej-hej grüßen wollte. Auf dem Weg zur Arbeit, kurz vor dem Büro, ein Anruf meines Chefs. Wann wir uns wo sehen zur Lagebesprechung und so, wollte er wissen. Morgen, elf Uhr?, frage ich. Wie immer? Erst als ich aufgelegt hatte, merkte ich, dass das meine ersten schweizerdeutschen Worte seit Wochen gewesen waren.

Alles wie immer?

Nein, wie immer ist es noch nicht. Wird es auch hoffentlich nicht so bald. Was dieses ‘wie immer’ auch immer sein soll.

Und heute, im Büro, wie ich mit meiner Arbeitskollegin unser neues Büro fertig einrichte – den Tisch so? Oder doch besser so? Meinen Rechner da? Oder nein, so ist es besser! – spreche ich nach einer kleinen Pause auf einmal hochdeutsch mit ihr. Ganz automatisch. Immerhin nicht englisch.

Bin ich also wirklich schon da?

Schweden 4_Falun_54Genau heute vor einer Woche, um diese Zeit, saß ich mit dem Liebsten am See. Es war ein wunderbarer Abend, einer der schönsten unserer acht Tage in Falun-Udstiggen. Wehmut vor dem bevorstehenden Abschied wollte sich ein klein bisschen vor den Augenblick des Genießens schieben. Am Nachmittag hatten wir ein Interview geführt. Ich wollte ein paar Dinge über die Reise erfahren, die – so dachte ich mir – vielleicht auch andere interessieren.
→ Zum Interview als Text (PDF) → hier klicken ←
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Wir hatten nach dem Abendessen einen Spaziergang in der nächsten Umgebung unternommen, im Quartier, am See, am Wald, der immer länger und länger wurde und einmal mehr merkte ich, was ich so sehr mag an Schweden, an Skandinavien. Und was ich eben manchmal in der Schweiz vermisse: Weite.

Mag sein, dass anderes das viel weniger brauchen als ich, doch für mich bedeutet Weite definitiv Lebensqualität.

Enge – im Denken ebenso wie in der konkreten Wirklichkeit des Raumes (wie wirklich diese auch immer ist) – bekommt mir schlecht.

Heute, im Büro, als wir kurzzeitig zu viert hin und her sprachen, Dinge klärten, hätte ich am liebsten gerufen: Seid doch alle mal still. Obwohl … da musste ich eben einfach durch.

Später hat meine Kollegin aus Versehen den Alarm ausgelöst, als sie die Nottüre entriegelt hatte. Was für ein schriller Ton, der doch glatt meinen Tinnitus übertönt hat. Gut, dass Kollege R. den Trick kannte und uns erlöste.

Wenn es so etwas wie Schreiasphalt gibt, über den Irgendlink heute getwittert hat, muss es wohl auch so etwas wie Kreischräume geben?

Schulhausflure zum Beispiel. Ich mag es, dass die Schule diese Woche noch fast leer ist. Nur wir zwei Verwalterinnen und die beiden Schulleiter waren am Morgen da, dazu ein paar Lehrpersonen, die im Laufe des Tages kamen und gingen. In einer Woche schon werden die Flure wieder Kreischflure sein. Nicht, dass ich mich nicht auf die Kids freue …
… aber Stille, Weite, Leerheit sind Qualitäten, die ich nie mehr missen möchte.

Apropos Schweden: Ich habe mit dem zweiten Buch der Knausgård-Biografie angefangen, Lieben,  das in Malmö, Schweden, geschieht. Nach einem zähen Einstieg bin ich nun wieder in diese wunderbar-bildreiche, berührende Sprache voll mit Knausgårds ehrlichen, selbstkritischen Beobachtungen eingetaucht. Und seiner Auseinandersetzung mit dem schwedischen Lebensstil, den er, als Norweger, seltsam findet.

Fremd und vertraut ist mir diese Welt hier. Die dort ebenfalls. Und manchmal frage ich mich, ob man wirklich je irgendwo, geografisch gesprochen, daheim sein kann. Oder ob das nicht eine der größten Illusionen überhaupt ist.

Hexen oder Heilige?

Dass es in meiner Wohnumgebung sehr schöne Ecken hat, entdecke ich je länger je öfter. Zwar bin ich hier in der Nähe ja aufgewachsen, doch meine Eltern waren – nicht zuletzt da wir kein Auto hatten – eben nicht so die Ausflügler-Eltern. Auch weil das Geld fehlte. Und die Zeit sowieso.

Im Grunde waren meine Kenntnisse meiner nächsten Umgebung sehr rudimentär, was ich viele Jahre später in der Fahrschule dann mit Erstaunen festgestellt hatte. Dazu kommt, dass ich zwar gut Karten lesen kann und mir alles, wenn ich eine Karte vor mir habe, bestens vorstellen kann, mich aber – sobald die Karte verstaut ist – weder Himmelsrichtungen noch die ganzen räumlichen Zusammenhänge wirklich in 3D vorstellen kann.

Auf der Gisliflueh zum Beispiel war ich als Kind zuletzt, dabei ist sie nur grad ein Katzensprünglein von meinem Heimatdorf und zwei Katzenhupser von meinem jetzigen Zuhause entfernt. Nun denn …

Dank Geocaching-Webseite stellte ich vor ein paar Tagen fest, dass auf der Gisliflueh ein paar Geocaches liegen. Und eigentlich wollten wir diese schon vor ein paar Tagen suchen …

Wie auch immer – wir sind erst heute los. Und zwar von der andern Bergseite als der mir bekannten.

Freundin L.-sei-Dank, die gestern nach ihrem Besuch etwas bei uns vergessen hatte, fuhren wir nämlich heute einen Umweg und näherten uns dem Berg von der Aaretalseite statt von der mir minim vertrauteren Seite, vom Schenkenbergertal. Neuland für Irgendlink und mich.

Warum also weit fahren, wenn man fast vor der Haustüre ein paar Berge hat, die ich erst dank Irgendlink entdecke?

Von Biberstein aus wanderten wir steil bergan. Dreihundertfünfzig Höhenmeter müssen es ungefähr gewesen sein, auf nur ungefähr vier Kilometer.

Steil zwar, doch die wunderbare, herrlich frühlingsgrüne Umgebung machte das längst wett. Ein erwachender Wald, magisch und bärlauchüppig.

Auf kleinen Trampelwegen stiegen wir bergan. So mag ich es, obwohl wir beide recht ins Schwitzen kamen. Und dies trotz des kühlen Windes, der uns je höher je mehr um die Ohren pfiff.

Wie währschafte Gipfelstürmer, die einen Viertausender besteigen, kamen wir schließlich oben an. Stolz und glücklich.

Dreihundertsechzig Grad-Rundsicht bis in die Ostschweizer, Innerschweizer und Berneroberländer Alpen. Ein kleiner Dunst verhinderte die perfekte Fernsicht zwar, doch auch so war es grandios.

Gisliflueh1

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panorama

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frischgeschlüpft

Hexe oder Heilige? Wem verdankt die Gisliflueh wirklich ihren Namen? Und wer war Gisela? Eine Kräuterfrau, eine Hexe, eine Weise?

Am Lebensrad drehen

Die Zeit, die Zeit, die Zeit … Eben hatte sie sich noch tagelang augebläht, ausgedehnt, Gummitwist mit uns gespielt … nun ist sie in sich zusammengesunken, wie ein Käsesoufflé, das ich zu früh aus dem Ofen genommen habe.

Gemeinsames Werk von neun Malenden
Gemeinsames Werk von neun Malenden (Col-Art)

Der Liebste sitzt jetzt wieder im Auto, fährt nordwärts. Ich bin nach elf gemeinsamen Tagen wieder allein. Seltsam leer ist die Wohnung. Seine Gegenwart ist immer so wohltuend, selbst dann, wenn wir alleine vor uns hin arbeiten und lesen … Erst recht, wenn wir etwas zusammen unternehmen. Wandern. Spazieren. Radfahren. Kunst (zum Beispiel gestern im nahen Schwarzwald an einer Col-Art-Aktion mitmachend, siehe die beiden Bilder.)

Fernbeziehung hat aber auch viele Vorteile. Was ich mir zuweilen vorbeten muss. Welche habe ich leider im Moment vergessen. Oder vielleicht diese? Ich kann mich länger auf etwas einlassen. Ich kann konzentrierter an etwas arbeiten. Ich kann.

Ich könnte.

Jetzt zum Beispiel könnte ich endlich meine Liste abtragen (siehe letzten Artikel). Bis 13 Uhr habe ich Zeit für meins. Dann Büro.

Wie gesagt: Ich könnte. Manchmal sind es ja die vielen Möglichkeiten, die machen, dass ich mich reich fühle. Und manchmal sind es gerade die zu vielen Möglichkeiten, die mich stressen.

Gemeinsames Warm-Up-Bild von neun Malenden
Gemeinsames Warm-Up-Bild von neun Malenden (Col-Art)

Heute Morgen verglichen wir Kalender, Termine und Freiräume. Planten ein bisschen. Er seine Reise ans Nordkap mit dem Fahrrad (→ hier mehr lesen) und ich, was ich derweilen (ohne ihn sozusagen) an tollen Dingen mit meinem Sommer anstellen könnte.

Ich miete mir in Mittelschweden ein günstiges Hüttchen an einem kleinen See, sage ich, mit Strom!, Und ich schreibe dort mein Buch. Wenig Komfort. Viel Natur. Das wäre was.

Ich fange an, diese Idee zu genießen, sehe mich auf dem Bootssteg am Tisch sitzend schreiben. Zwischendurch eine Runde Schwimmen oder Rudern und ab und zu mit dem Fahrrad, das zum Häuschen gehört, ins nahe Dorf fahren.

Kennt hier jemand, der jemanden kennt, die oder der jemanden in Mittelschweden kennt? Gegend Falun? Und der ein Hüttchen kennt. Und so. Tipps gerne an mich! (→ Kontakt).

Träumen ist doch fast so schön wie leben.

Fallobst: Runtergefallen, aufgefallen, aufgelesen.

Wir alle wollen wichtig sein. Follow me! Teile! Like! (Meine Beobachtung des menschlichen Verhaltens)

Wer und was ist mir überhaupt wichtig? Und warum?

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Die Leistungsfähigkeit definiert den jeweiligen Lebenswert. (Meine Beobachtung des menschlichen Verhaltens)

Was ist mein Wert? Kenne ich ihn?
Was ist dein Wert? Kennst du ihn?
Mag ich mich auch dann, wenn ich nichts leisten mag?
Magst du dich auch dann, wenn du nichts leisten magst oder kannst?

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Wir gehorchen deshalb so gerne, weil wir zu faul zum Selbstdenken sind. (Meine Beobachtung des menschlichen Verhaltens)

Wann habe ich das letzte mal meiner inneren Stimme gehorchen? Lag sie richtig?

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Könnte ich mich doch nur besser und länger konzentrieren! Oft geseufzter Gedanke. Ich lasse mich ständig ablenken. Ich lasse? Wie bewusst lasse ich mich auf Ablenkung ein? Vielleicht, weil ich mich so den wirklich wichtigen Themen, denen ich mich eigentlich aussetzen will, doch nicht stellen muss? Laufe ich gar vor der Konzentration davon? Alles Ausreden! Ausreden für mich selbst, damit ich mich nicht an mir selbst messen muss, und an meinen unerreichbar hohen Ansprüchen an mich selbst. Ich vermeide so – Ablenkungseidank – ein vermutetes Scheitern und ich merke dabei, dass mich beides gleichermaßen ausbremst: Die viel zu hohen Ansprüche an mich selbst ebenso wie meine Bereitschaft zur ständigen Ablenkung. Als würde ich mir und meinem Weg misstrauen. (Selbstbeobachtung)

Traue ich mir? Traue ich mich?

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Ich: Weichen neu stellen? Ja, ich mach das auch oft. Wenn es not-wendig ist. Allerdings eher weniger auf Schienen und Weichen, die sich ja nur schwer und dazu noch in bereits vorgebauten Spuren bewegen lassen, bin ich eher auf Waldwegen unterwegs. Auch gerne im Unterholz. Tja. Und dort gibt es immer wieder Neues zu finden.

Fatima: Ich befürchte, wenn wir einfach so vor uns hinleben, geht das nur auf vorgespurten Bahnen. Ins Unterholz gelangen wir nur durch Absicht und bewusstem Aus-der-Bahn-werfen. … es sei denn, man ist ganz ohne Absicht aus der Bahn gesprungen. Dann ist man ebenfalls im Unterholz. (Facebook-Dialog zwischen mir und Fatima)

Wage ich es immer mal wieder, die ausgelatschen Wege zu verlassen?

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Da capo al fine. Al fine? Gibt es den letzten Ton? Irgendwann? Und wie klingt er wohl?