Was wäre, wenn … ja, ich weiß es: Fragen, die so anfangen, sind müßig. Dennoch beflügeln sie die Phantasie. In beide Richtungen, zum schlimmsten und zum besten Fall hin. Der Marktwirtschaft, dem Bildungswesen würde ein bisschen mehr Phantasie im Dienste des Menschen gut tun.
Gestern, in meinem Kurs, den mir das Amt zur besseren Vermittlung auf dem Arbeitsmarkt aufgedrückt hat, gingen wir der Frage nach, wie der Arbeitsmarkt in 10 Jahren, also am 16. September 2026, aussehen könnte.
In einer Kleingruppe untersuchten wir den Aspekt Arbeitswelt, während eine andere Gruppe das Einkaufsverhalten 2026 und eine dritte das Leben in Familien – beim Feste feiern zum Beispiel – versuchten zu skizzieren. In unserer Gruppe diskutierten wir sehr kontrovers. Würde die Technik überhand werden, wäre ein gewisser Teil unserer Arbeit, den wir heute von Hand erledigen, überflüssig, denn Maschinen würden ihn erledigen. Wir müssen also weniger arbeiten. Sind wir deswegen zufriedener? Was tun mir mit unserer freien Zeit?
Glück, sagt R., zumindest Glücksgefühle, können bereits heute durch Impulse in den entsprechenden Hirnzentren erzeugt werden. Für alles gibt es Generika. Imitate. Implantate. Ersatz. Wir diskutieren, während R. unsere Gedanken in eine kleine Powerpointgeschichte einfließen lässt, über alternative Währungen und Tauschsysteme – Zeit gegen Zeit zum Beispiel – über ein Grundeinkommen für alle, über die bereits heute aktive Bewegung des Umdenkens (zum Beispiel in Bezug auf biologischen Anbau und gegen Tierfabriken) und über Selbstversorgung, wir sprechen über Alternativen in der Stromerzeugung (mit einem Chemiker und einem Stromfachmann in der Gruppe naheliegend) … Ich frage uns, wie wir unser Alter erleben werden, wir Über-Fünfzig-Jährigen? In Mehrgenerationenhäusern?
Eigentlich zeichnen wir in unserer kleinen Gruppenvision eher das auf, was wir uns wünschen, als das, was vermutlich sein wird. Und ehrlich: es macht mir Angst. Ich freue mich wenig auf die Zukunft. Bestenfalls auf die persönliche, auf die globale kaum. Die macht mir Angst. Macht mich traurig. Wütend auch.
Wird die Empathie verschwinden?
Wie werden wir mit Sinnlichkeit umgehen, mit Bedürfnissen wie jenem nach Nähe, nach persönlichen Gesprächen, und wie mit Bedürftigkeiten, mit sozialen Problemen, mit Stimulanzien?
Ein animierter Film über die Arbeitswelt 4.0 zeigt uns schließlich, dass bald alles hier völlig sauber, übersichtlich und geordnet verlaufen wird und für alles und alle gesorgt wird. Wir werden alle gechipt sein. Für Kinder, für Alte, für alles gibt es eigens dafür organisierten Bereiche. Wir sind jederzeit über Clouds mit allen vernetzt und kommen jederzeit an alle Informationen. Gesprochen wird in diesem Film von Freiheit und Selbstbestimmung, aber, ähm, wieso muss ich denn immer an den Frosch im Wasserbad denken, der nicht merkt, dass sein Badewasser erhitzt wird, bis er schließlich an der Hitze verreckt? Und selbst wenn es sich bei der Geschichte mit dem Frosch nur um eine Metapher handeln sollte, bei uns Menschen greift sie.
Selbstbestimmung in einem total kontrollierten System, das natürlich nur zur Sicherheit überwacht wird. Der schwarze Schimmel reitet durch die Welt.
Stopp. Ich will das nicht. Nicht so. Ich will Raum für Absichtslosigkeit, Wildheit, Übermut, Kunst, Ausdruck, ich will Raum für unkontrolliertes Dasein in der Natur. Ich will Sinnlichkeit erlebt, riechen, schmecken, fühlen, tasten, erleben, erfahren. Auch wenn es zuweilen weh tut. Aber nichts zu fühlen, alles in vollkommen geordneten Bahnen zu erleben, wäre mein Tod.
Was wäre, wenn ich weder Synästhetikerin noch Hochsensible wäre? Wie würde ich die Welt wahrnehmen; wie hätte ich die Welt als Kind wahrgenommen und wäre ich dann ebenfalls depressiv geworden? Oder hat – umgekehrt – eher die Veranlagung zur Depression meiner Synästhesie und Hochsensibilität die Türen geöffnet? Ich vermute ersteres. Meine Fähigkeit – Gabe oder Fluch –, Dinge hinter den Dingen wahrzunehmen, führt zuweilen dazu, die Welt nicht so – nicht so optimistisch zum Beispiel, so positiv – zu sehen, wie es die Mehrheit der Menschen tut. Auch in der Kursgruppe erlebe ich unterschiedliche Nuancen, sensibler wahrgenommene und eher sehr einfache Weltbilder. Neben den MacherInnen gibt es Zaudernde wie ich, Zweifelnde, Ängstliche. Menschen, die in dieser Gesellschaft – zumal in der Welt der Arbeit – keine Perspektiven mehr ahnen.
Heute Morgen erinnerte ich mich an einen Satz, den eine Kurskollegin, die ebenfalls immer wieder depressive Episoden hat, vor einer Woche zu mir gesagt hat: »Das Schöne am Älterwerden ist doch auch, dass wir uns nicht mehr dagegen wehren müssen, so zu sein, wie wir sind. Sondern einfach zu sagen: Das und das gehört zu mir.«
Richtig. Ja. Aber. Klar gibt’s ein Aber. Denn schnell betrete ich, wenn ich auf dieser Schiene fahre, die Falle der Resignation, der Stagnation. Oft sogar fahre ich in die Sackgasse, doch manchmal kann ich rechtzeitig die Weichen stellen, damit ich auf jener Spur bleiben kann, die mich weiterbringt. Akzeptanz kann ich nicht umgehen. Gerade bei Charaktereigenschaften, die letztlich mich ausmachen, kann ich letztlich nur Ja sagen, weil ich mich sonst über kurz oder lang kaputt machen würde. Dass ich zum Beispiel eher die Tüftlerin und Denkerin bin als die Macherin sollte mich nicht kümmern. Es ist so. Gut. Also. Ja, das bin ich.
Zum Abschluss des gestrigen Kurstages haben wir uns einen Youtube-Film angeschaut, der mich echt zu Tränen gerührt hat. Leider finde ich ihn trotz schon fast stundenlanger Suche über die Suchmaschinen nicht, darum erzähle ich ihn kurz:
Gezeigt wird ein kleines Kind, außer einer Windel nackt, das ein ungefährliches Wohnzimmer erforscht. Einen Karton ausräumt. Aufs Sofa klettert. Beim Runterfallen umpurzelt. Wieder aufsteht. Das klingelnde Telefon berühren will. Einen Hund, der sich aufs Sofa legt, begrüßt. Ganz und gar angstfrei, neugierig und wertfrei geht es auf alles zu, was es begreifen möchte. Der Off-Text spricht mich in Du-Form an. »Du hast die Welt entdeckt. Du hast dir alles angeschaut. Du warst so neugierig. Du hattest keine Angst. …« Gegen Schluss dann ungefähr so: »Meinst du, dass das alles verloren gegangen ist?« (Ich zitiere nicht exakt, nur den ungefähren Wortsinn/Inhalt). Unterlegt war das Video mit Musik, die für mich nach Ragtime klang.
Hier -> lang geht’s zum Film. Danke, liebe Silvia Kling für den Link!