Spiegel im Spiegel im Spiegel

Das Narrenkastl mag ich. Jürgen Küster hat in seinem Blog aufgenommen, was Cambra und Luisa zuvor (von mir geteilt) angezettelt haben. Und ich mach dort mal weiter. Was mein Narrenkastl ist? Meins ist unter anderem eine Art Spiegel. Vielleicht ist es mein Blog? [Mein Twitteraccount eher nicht. Oder doch?] Und mein Laptop ebenfalls und das Tagebuch darauf. Mein Herz vermutlich auch, oder jedenfalls jener Teil davon, der mir bis hierher weismachen will, dass ich was zu sagen hätte. Habe ich ja auch. Aber – wenn ich ehrlich bin – nur mir. Vielleicht dir und dir noch, manchmal, aber das mehr nicht. Und nein, ich will nicht Komplimente fischen, ich sage einfach, was ich wahrnehme.

Oder wie sagt es Andreas Glumm so treffend? „Wir alle verstauben im Hintergrund bedeutungsloser Schnappschüsse von Menschen, die uns unbekannt sind, wir alle stecken fest in Foto-Büchern fremder Leute, die meiste Zeit nichts als zugeklappt und übersehen.“ So ähnlich ist es mit Sätzen, mit Büchern, mit Gedanken, mit allem, was wir aus uns raus lassen. Einzig uns selbst tut der Furz eben gut. Und auch von der Sache mit den kompakten Ausscheidungen haben nur wir selbst was.

Zu verdauen, was ist – ja, das ist ein legaler Grund zu schreiben, aber ob er mir als Grund fürs Bloggen reicht, weiterhin reicht?
Vor etwa drei oder vier Wochen, es war als ich krank im Bett lag, wurde die Frage, was ich da eigentlich mache, auf einmal unüberhörbar. Auf einmal war die Begeisterung, die Überzeugung bloggen zu müssen, weg. Wie eine Kerze, die ausgeht, wenn sie heruntergebrannt ist. Das heiße Wachs ist länger heiß als die Kerze brennt. Und erkaltet bald darauf.

Selbstdarstellung. Ich kotze gleich.
Ich rede so viel. Ich kommentiere so viel. Ich bringe mich ein.
Wozu? Wofür? Wohin? Was will ich überhaupt?

[Wer von euch den Tatort-im-Tatort mit Ulrich Tukur (Wer bin ich?) gesehen hat, dem und der sage ich: Eitelkeit ist unter Künstlerinnen und Künstlern nicht weniger verbreitet wie unter Normalsterblichen. Auch wenn das Ganze (hoffentlich) ein klein bisschen überzeichnet war. Wobei?]

Manchmal reicht mir die Sinnlosigkeit nicht als Sinn und die Grundlosigkeit nicht als Grund.
Die Närrin schläft. Die Übermut hat sich eingeigelt und mein Narrenkastl ist verhängt. Ein Nullraum vielleicht. (Danke, Jürgen, für das Wort.) Winterschlaf? Brüten?

Je ne le sais pas.

Der Spiegel ist angelaufen. Nicht dreckig, nein, das nicht. Aber müde. Müde, immer wieder der Welt da draußen zu zeigen, was wir eh alle wissen, denken, sprechen, erkennen, beim Namen nennen. Meins ist weder besser noch schlechter als deins. Und auch nicht wirklich anders.
Nein, da wo es drauf ankommt, werde ich auch zukünftig nicht schweigen, keine Angst. Kann ich gar nicht. Ich will meine Energie, meine Kraft nur einfach irgendwie anders einsetzen. Ein Anders, das ich noch nicht kenne. Doch so vieles, das ich tue, läuft letztendlich auf diese Spur der Selbstdarstellung heraus, die ich so satt habe.

Nun ja, vielleicht fehlen mir im Moment Objektivität und Differenziertheit, denn ich kann mir durchaus vorstellen, dass mein Buchprojekt, das vom Umgang und dem Weiterleben nach Gewalt und Traumata erzählt (aus meiner und aus der Sicht von zwei weiteren Direktbetroffenen), zu einem neuen hilfreichen Blickwinkel für den einen oder die andere beitragen könnte. Vielleicht.

Nicht, dass ich nicht an die Qualität meiner Texte glauben würde. Das nicht. Aber muss ich sie deswegen kaum gedacht gleich publizieren? Noch mehr und noch dringender will ich zurzeit meine Schreibe von allem künstlichen Firlefanz befreien. Da hat mich wohl Knausgård angesteckt. Ich mag zurzeit keine Texte lesen, die nicht wahr und echt sind. Die künstlich sind. Die konstruiert statt gewachsen sind. Ich mag auch keine Texte schreiben, die etwas anderes sind als aus mir herausgewachsen.

Der Gedanke, dass die Welt mich und meine künstlerischen Beiträge braucht, wie ich es andern (und mir selbst) immer wieder ermutigend zugesprochen habe, greift bei mir selbst nicht, nicht mehr. Vieles, was ich früher dachte, greift nicht mehr. Mag am Älterwerden liegen.
An der Sehnsucht nach Ganzheit, nach Wahrhaftigkeit. Keine Ahnung, ob das jemand versteht.

[Das ganze Thema Kreativität und Flow lasse ich hier bewusst außen vor.]

[Und ja, wir sind noch in den Ferien in Südfrankreich … endlich Raum, Nullraum, Ruhe für meine Gedanken …]

[Ist das jetzt ein Blog-Abgesang?, fragt der Liebste.
Ich weiß es nicht, sage ich.]

Innehalten

Kann man ein Buch so (und ähnlich und anders) schreiben, was meint ihr?

Eine kleine Kostprobe aus meinem aktuellen Buchprojekt:

Kapitel 97_ […] Auf den Großtierzoo von Järvsö übersetzt: haben es jene Tiere leichter, die resigniert haben und sich mit den zugegeben riesigen Gehegegrenzen abfinden oder jene, die ständig in der Nähe der Grenzen herumschleichen, hoffend sie öffnen sich. Wenn ja, was dann? Was würden sie mit jener Freiheit anfangen. Da haben es wohl die in Gefangenschaft geborenen leichter.

In Gefangenschaft geboren – wie ich. Wie wir alle. Gefangen. Dochdoch, mir geht’s gut, danke. Ich habe ja frei, Urlaub. Neinnein, es ist nicht die Arbeit, die mich gefangen hält.

Illusion beides, die Gefangenschaft ebenso wie die Freiheit. Nur das Leben, das ist echt. Die Elche, Wölfe und Rentiere ebenso. Und ich auch.

Auf der Weiterreise Richtung Süden denke ich oft: Ich will da ja gar nicht hin, wo ich hinfahre. Ich will hierbleiben. Oder zumindest endlich herausfinden, was ich wirklich will. Und mir klarwerden, was Freiheit, meine persönliche Freiheit bewirken kann. Gas- und Bremsfuß sind sich uneinig.

Natürlich siegt die Vernunft. Siegen Pflichtbewusstsein und der Ruf der Normalität. Wir kehren eines schönen Samstagabends wieder auf den Hof zurück. Seltsame Zwischenwelt. Wieder da. Noch nicht da. Noch nicht Alltag.

Der Alltag holt mich erst am Montagmorgen wieder ein. Im Büro. Wie nach einer Einweihung fangen die eigentlichen Herausforderungen erst dort an, wo wir diese unfassbare Zwischenwelt des Geprüftwerdens wieder verlassen.

Was will ich hier? Der Kehrreim meines Lebens holt mich nach der Reise durch Skandinavien mit einer Wucht ein, die ich nicht erwartet hätte. Was will ich wirklich? Was will ich mit meinem Leben?

[Kapitel 98_ …]

Kapitel 99 _ Hier. Jetzt. Ende Mai 2015. Draußen ein Tag, der nicht so recht weiß, was er will. Ein bisschen Sonne, ein bisschen Sturmwind, Hochnebeldecke mit blauen Klecksen. Kurz nach eins. Ich bin seit Stunden am Schreiben. Zwischendrin kam K., mein Exmann, der ebenfalls wieder glücklich liiert ist, vorbei, um eine Pflanze, die ich ihm versprochen hatte, abzuholen. Danach telefonierte ich lange mit Irgendlink, der gestern nach zehn Tagen gemeinsam verbrachter Zeit wieder nach Hause gefahren ist.

In drei Wochen wird er aufbrechen und ans Nordkap radeln. Diesmal, so ahne ich, wird er es schaffen. Vor zwanzig Jahren drehte er um, weil sie, sein Freund P. und er, keine Lust mehr hatten, dem kalten, regnerischen Wetter zu trotzen. Vor fünf Jahren drehten wir beide um, weil wir zu wenig Zeit im Gepäck hatten.

Doch diesmal radelt er früher im Jahr los. Nur auf sich selbst gestellt, allein, aber mit einer Gruppe Menschen im Rücken, die mitfiebern werden. [Hier kann man seinen Rücken stärken: → klicken!]

Nicht dass er nicht wieder umdrehen dürfte, das darf er. Er kann scheitern. Er darf scheitern. Auch das habe ich von ihm gelernt. Zu scheitern ist kein Makel. Auch schwach zu sein, auch um Hilfe zu bitten, nicht. Er darf seinen Weg so gehen, wie er will. Und er geht seinen Weg so, wie ihn außer ihm niemand gehen kann. Das ist wohl – in Kurzform – etwas vom wichtigsten, was ich in den letzten Jahren gelernt habe. Und es ist wohl das, was hinter dem Satz, dass das Leben ein Geschenk sei, in Wirklichkeit steckt. Nur ich kann so, wie nur ich kann. Im falschen Tontopf habe ich zu lange gesteckt. In der falschen Ecke des Gartens gestanden. In den falschen Schuhen bin ich gewandert. Zu lange.

Es ist die Liebe zu mir selbst, die mir geholfen hat, endlich die zu sein, die ich immer schon gewesen bin. Und es ist diese Fähigkeit, die mir letztes Jahr bei Pilgern endlich nachgewachsen ist: Dass manche Dinge nicht zu ändern sind. Und darum einfach zu akzeptieren. Ohne zu hadern.

Einfach ja sagen. Einfach? Nun ja, einfach ist nicht einfach. Aber es tun, tut gut.