Über die Null als Mitte

Über Kräfte und Gegenkräfte las ich heute Morgen bei Irgendlink, und wie uns Gedanken in Aufruhr bringen können, graue Gedanken, nie endenwollende.

Zwanzig Jahre ist es her, dass ich folgenden Text aus einem ähnlichen Gefühl heraus geschrieben habe.

Hier Fülle | da Leere
Extreme | Kontraste
Das eine nicht existent ohne das andere
Die Summe aller Zahlen ist Null*
Ist alles | ist nichts
Gegenwart der Punkt auf meiner unendlichen Gerade
Der Kreuzpunkt aller unendlichen Geraden ist
Jetzt

(Ausschnitt; siehe auch hier)

Tröstliches Wissen um dieses Jetzt aus dem ich Kraft schöpfe. Für das nächste Jetzt und für das Jetzt nach jenem Jetzt, so wir uns die Zeit als etwas Fassbares, Lineares, Chronologisches denken. Und ja, ich sehe die Baustellen auf diesem Weg, viele Baustellen.

Wie hat Kai doch neulich geschrieben? Dass Verhaltensänderungen eine sehr zähe Angelegenheit seien, die erst durch regelmäßiges Üben Einzug in unsere Lebensgewohnheiten schaffen? Stimmt. Wer je versucht hat, eine nicht mehr erwünschte, möglicherweise schädliche Gewohnheit abzulegen, weiß, wovon ich rede. Wer keine schlechte Gewohnheiten hat, muss hier nicht weiterlesen. [Und natürlich ist weiterzulesen auch für alle anderen freiwillig.]

Neue Gewohnheiten also. Nun ja, ich bin keine Psychologin, doch einiges habe ich in meinem Leben durch Beobachten und Erleben erfahren und erkannt. Und einige Schlüsse daraus gezogen habe ich auch. Und vielleicht sogar das eine oder andere dabei gelernt. Verhaltenstherapie, so weiß ich inzwischen, setzt beim Reflektieren von Gewohnheiten und Denkmustern an, bei der Erkenntnis, was gut tut und was nicht. Nicht allgemein, nicht in erster Linie jedenfalls, sondern ganz persönlich und selbstliebevoll. Ziel ist, diese Selbstbeobachtung  so weit auszubilden, dass krankmachenden Verhaltensweisen aller Art allmählich aus eigener Kraft und aus eigener Überzeugung gegengesteuert werden kann. Verhaltenstherapie ist somit nicht einfach nur ein Erlernen neuer Gewohnheiten durch das Überschreiben der alten Muster, sondern setzt bei der Selbstreflexion an. Und ja, das klingt natürlich – wie so oft – viel einfacher als es ist.

Sind selbst für sogenannt gesunde Menschen, Verhaltensveränderungen und Umdenkprozesse eine zähe Angelegenheit, oft ein anstrengender Kampf gegen die selbst in Bewegung gerufenen Kräfte und Gegenkräfte, wie ungleich schwerer sind solche Verhaltensveränderungen und Umdenkprozesse für Menschen, die psychisch verwundet sind. Insbesondere, weil es ja darum geht, krankmachende, oft lebenslang geglaubte Sätze über sich selbst zu identifizieren, zu entlarven, neu zu bewerten. Es ist nämlich nicht einfach damit getan, etwas verändern, etwas anders betrachten zu wollen. Der Wille ist wichtig, keine Frage, doch da sind noch viele andere Hürden, die es zu nehmen gilt. Homo homini lupus. Sinngemäß übersetzt oder auch nicht, war und ist der Mensch schon immer sein schlimmster Feind.

Mir hilft der Gedanke an jahrzehntealte, tiefe Ackerfurchen, die ich mit einer kleinen Harke ausebnen soll. Dass das nicht einfach so – *mirnichtsdirnichts*, *Hokuspokus*, *dumusstnurgenugwollen*, *ichbetefürdich* – geht, ist wohl allen klar. Dieses Bild hilft, mir vorzustellen, wie langwierig Veränderungsprozesse sein können.

Gute Vorsätze, ob nun zu Neujahr gefasst oder wann immer wir das Bedürfnis zu Veränderung verspüren, finde ich durchaus faszinierend, denn sie spiegeln ja meist, in welche Richtung wir uns bewegen wollen – so wir sie uns selbst gegenüber liebevoll motiviert gefasst haben.

Reflexion ist der Anfang aller Veränderung. Wichtig, sehr wichtig. Aber vor allem eben ein Anfang.

Schnitt.

Ich wäre ein Haus – mit Fassade, Dachstock und Keller, mit Fenstern, Kellerräumen, Terrasse, Balkon und allem Pipapo. Du auch. Es läge an uns, dieses Haus nach eigenem Gutdünken zu gestalten. Gedeih und Verderb des Hauses wäre in meiner kleinen Metapher quasi in unserer Hand. (Was natürlich so nicht ganz stimmt, da ja die Unwägbarkeiten des Lebens nicht wirklich in unserer Hand liegen.)

Sehen wir uns doch mal all die Baustellen unseres Hauses an. Im einen Kellerraum fängt es zu schimmeln an, weil wir zu wenig gelüftet haben. Kann ja mal vorkommen. Oh, das Dach hat Risse bekommen und einige Ziegel haben sich gelockert. Der Sturm, der Sturm war das! Doch uns fehlen Kraft und Ressourcen, alles in Schuss zu halten. Selbst wenn wir es wollten, wir schaffen es nicht, nicht immer. Viel. Zu viel. Und so bleibt der Schimmel bestehen und das Loch im Dach wird nicht kleiner. Wie lange es wohl noch dauern wird, bis der Regen ins Wohnzimmer tropfen wird?

Nun ja, wir können ja nicht alles, aber wir tun was wir können. Und so putzen wir immerhin die Scheiben regelmäßig. Das ist abschaubar, überschaubar, machbar. Und vermittelt nach außen einen guten Eindruck. Was ja soo wichtig ist.

Womit wir wieder bei den Kräften und Gegenkräften wären.

»Eigentlich dürfte man gar nicht erst anfangen, über etwas nachzudenken, denn sobald man dies tut, setzt man Kräfte in Gang, die miteinander ringen. Wie Krieg. So funktioniert alles. Dadurch, dass die Kräfte nie gleich groß sind, entsteht Bewegung und mit der Bewegung entsteht Chaos und mit dem Chaos kommt das Bedürfnis nach Ordnung, das auch wieder eine Kraft im Spiel ist. […]
Alles, was ich in diesem Artikel schreibe, ist falsch. Und richtig. Wenn ein Falsch auf ein Richtig trifft, neutralisiert es sich zu Nichts.
Vielleicht.« -Irgendlink in ’Das graue Band, das niemals endet

Die Summe aller Zahlen ist Null*


*Mathematisch habe ich diese Aussage nicht verifiziert, sie will philosophisch verstanden werden.

So Gedanken

Wieso macht meine Orchidee, die früher weiße Blüten getragen und danach jahrelang nicht geblüht hat, dieses Mal violette Blüten?

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Manchmal würde er liebend gerne sein Leben mit jemandem tauschen, der im Sterben liegt, aber gerne leben will. Sagt er, seufzend. Er lächelt. Die Hoffnungen sterben wie die Fliegen und dieser Kaffee hier schmeckt bitter.

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Sie wollte ihn retten. Vielleicht wollte sie aber nur sich selbst in ihm retten?

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Wenn die Staatsformen die Betriebssystene einer Gesellschaft wären, wer wäre dann für die Updates und wer für die Erkennung der Bugs zuständig?

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Eigentlich ist Bloggen wie bauen. Ein Hochhaus. Es wird immer höher und höher und hat nach und nach immer mehr Fenster, durch die von außen hineingeschaut werden kann. Und von innen heraus.

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Was sehen wir wirklich?

Wofür es sich lohnt

Es gibt Tage, Orte und Erlebnisse, die wir einfach nie vergessen. So ein Tag, so ein Ort und so ein Erlebnishappen war die Reiseetappe des 11. Juli 2010, als Irgendlink und ich uns auf der Straße 17, jener legendären norwegischen Küstenstraße immer weiter nach Norden, immer näher an den Polarkreis, geschoben hatten.

Geendet hatte dieser wunderbare Reisetag schließlich – nach einigen Inselhüpfern in Fähren, wo es keine Straßen gab – auf einem traumhaft schönen Campingplatz. Bei wohligen 20 Grad genossen wir direkt am Strand unseren bis dahin wohl längsten Sonnenuntergang. Stundenlang ist nicht übertrieben.

»Nur schon dafür hat sich die lange Reise gelohnt!«, sagte Irgendlink damals. Ein Satz, der seither fast reisetraditionell geworden ist. Zumal, wenn wir gemeinsam reisend unterwegs sind. An besonders schönen Orten, in besonders stimmigen Stunden, an besonders guten Tagen fällt er wie von selbst, doch noch nie klang er fad oder abgedroschen. Im Gegenteil: Es klebt Dankbarkeit an ihm und er dreht sich wie ein Windrad mit uns mit, wenn wir es besonders gut haben.

Gestern nun, als ich mir morgens meine tägliche Wellnessstunde schenkte – zuerst eine halbe Stunde Meditieren, danach eine halbe Stunde Yoga –, gestern also, als ich im Sonnengruß den Tag begrüßte, sagte meine Herzstimme zu mir: »Dafür hat sich doch dein bisheriges Leben gelohnt!«

Der Gedanke ist irgendwie neu. Eigentlich bin ich ja der Ansicht, dass alles, was wir tun sinn- und wertvoll und wichtig sein sollte, eine Verbesserung für die Welt, eine Leistung für die Menschheit. (Nun ja, von Ferien- und Freizeitdingen einmal abgesehen: diese dürfen, sollen sogar, in erster Linie Spaß machen, müssen also nicht zwingend wichtig, sinn- und wertvoll sein).

Mein kleiner Alltag als offiziell Stellenlose/Stellensuchende, als Schriftstellerin, als Teilselbständige erlaubt mir zum Glück zurzeit, meinen Alltag sehr frei zu gestalten. Darum ist meine Wellnessstunde ein fester Alltagsbestandteil geworden, doch bis jetzt buchte ich das immer als Freizeitelement (ich muss also in dieser Stunde nicht die Welt retten und so), doch nach diesem neuen Gedanken – »Dafür hat sich doch dein bisheriges Leben gelohnt!« – dachte ich zum ersten Mal darüber nach, dass eigentlich jeder Mensch innerhalb seiner Arbeitszeit eine bezahlte Wellnessstunde haben müsste. Dass also auch die Erholungsräume von den Arbeitsgeberinnen und -gebern entlöhnt werden müssten, weil diese Zeiten es ja erst möglich machen, dass wir Menschen arbeiten können. Ohne Erholung keine Arbeit.

Einmal mehr ertappte ich mich selbst dabei, wie an meiner Wellnessstunde, obwohl sie so wichtig und so kostbar für mich ist, noch immer das ihr von mir verliehene Etikett Luxus klebte. Mir diese Stunde zu gönnen hat noch immer etwas latent Illegales an sich (ich müsste doch in dieser Zeit etwas leisten!), zumal ich ja zurzeit nicht klassisch berufstätig bin.

»Dafür hat sich doch dein bisheriges Leben gelohnt!« Mit diesem Satz legitimiere ich ab sofort Freude, Dankbarkeit und Alltagsschönheit, die ich zuweilen kaum wirklich wahrnehme. Insbesondere dann nicht, wenn ich mal wieder – oft genug – durch die Depro-Brille nur Grautöne sehen kann. Den grauen Tagen, Stunden, Erlebnissen, Gedanken und Gefühlen also Dankbarkeit entgegenhalten, dazu Freude und einen Blick auf das, was in meinem kleinen Alltag Spaß macht, gut tut, Lust auf das Leben, auf die Zukunft macht. Genau das will mir dieser Satz sagen.

Ähnlich wie bei einer langen Reise von Zeit zu Zeit eine Reisemüdigkeit auftaucht, taucht ja in meinem Leben phasenweise immer wieder eine tiefe Lebensmüdigkeit auf, die alles, was je war, in Frage stellt. Warum also nicht ähnlich wie bei einer langen Reise diese Müdigkeit zwar sehen, beobachtend, möglichst wertfrei, sie aussitzen, ihr aber zugleich auch erlauben, sich von neuen Erfahrungen ablösen zu lassen und sich aufzulösen?

Auch wenn es abgelutscht klingt: Eigentlich weiß ich ja inzwischen, dass es hinter der schwarzen Wand weitergeht. Weil es bisher immer weitergegangen ist. Immer irgendwie. Nicht immer einfach, nicht immer ideal, aber immer irgendwie. Und irgendwann wurde es immer wieder irgendwie besser. Warum sollte es nicht auch weiterhin so sein?

Diese Gedanken, aber genau umgekehrt, in invertierten Farben und Formen also, denke ich auch, wenn ich in einer depressiven Episode stecke. Dass nämlich alles immer so schwarz wie jetzt weitergehen wird.

Jetzt aber, in einer nicht-schwarzen, in einer sogar eher bunten Lebensphase (und ja, dafür hat es sich doch wirklich gelohnt, bisher zu leben!), kann ich Herzressourcen sammeln. Lebensvertrauen. Denn Satz in mir konfigurieren. Schritt für Schritt anderes Denken üben, mir dabei bewusst machen, wofür es sich zu leben lohnt. Nicht nur die großen Dinge, eigentlich eher noch und besonders die kleinen. Das sehen lernen, was gut ist und was gut tut.

Und auch wenn das alles jetzt ein bisschen unstrukturiert und wild daher kommt: Ja, auch das tut manchmal gut. Wie ein wilder Garten, der in meinem Kopf und in meinem Herz vor sich hin wächst.

Gedankensplitter

Heute Morgen bin ich aus einem sehr seltsamen, sehr real anmutenden Traum erwacht. Erwacht worden, wachgeguckt worden. Als ich meine Augen aufschlage, ruhen jene des Liebsten auf mir und ich frage ihn, ob ich im Schlaf geredet habe.
Nein, sage er.
Wenn, dann hätte ich nach dir gerufen, sage ich.

Wir waren irgendwo in Schweden oder Frankreich unterwegs, mit dem Rad. Auf einer mehrtägigen, längeren Tour. Etwas also, das wir in echt zwar noch nie per Rad, wohl aber zu Fuß, erlebt haben. Nach einer Pause stehen wir wieder auf. Aus irgendwelchen Gründen vergisst Irgendlink sein Handy. Ich packe es ein, als er schon losgeradelt ist. Ich bummle offenbar so lange rum, dass wir uns aus den Augen verlieren. Im Traum fühlt sich das nichts ungewöhnlich an. Wir haben keinen Ort abgemacht, an welchem wir aufeinander warten werden. Wir haben auch, was für uns sehr typisch ist, kein Tagesziel anvisiert. Fahren einfach vorwärts. Als Kartenmaterialien nur die Handys. Zwar spüre ich keine Panik, aber das hier ist doch recht unfassbar und ich bin ratlos. Ja, ich bin beunruhigt und frage mich je länger je häufiger, ob Irgendlink vor oder hinter mir ist, weil ich an einer Abzweigung nach Gefühl rechts abgebogen bin. Er könnte sowohl links oder rechts lang gefahren sein. Oder er könnte an einer Bucht auf mich warten. So verstreichen die Stunden und langsam bekomme ich nun doch Angst, zumal ich kein Zelt dabei habe. Langsam wird es Abend. Unter normalen Umständen hätten wir längst gesimst, unter normalen Umständen hätten wir schon sehr bald aufeinander gewartet. So was kann uns eigentlich nicht wirklich passieren, aber was wäre, wenn?

Schließlich erwache ich. Wir überlegen, wie wir uns in einer solchen Situation, fern von zuhause, wiederfinden könnten.
Ich würde wohl, sage ich, im nächsten Ort – in einem Dorf, bei Privaten, in einem Restaurant, irgendwo – auf ihn warten und ihm von dort aus eine Mail schicken. Mails abfragen kann man ja sicher immer irgendwo – bei Privaten, in einem Restaurant, irgendwo. Ich würde ihm schreiben, wo ich bin und dort auf ihn oder auf eine Antwort warten.
Die Idee ist gut, sagt er, aber das Problem ist, dass ich mein Mailaccount-Passwort nicht im Kopf habe.

+++

Später sprechen wir über das Böse und ich überlege einmal mehr: Ist das Böse schon von Anfang an in uns drin? Ruht es solange, bis es geweckt wird? Oder ist es immer wach und sitzt abwartend am Spielfeldrand? Und wovon wird es geweckt oder ins Spiel geholt? Durch Abschauen und Nachahmen, durch zermürbende Umstände? Kommt es womöglich erst im Laufe des Lebens in uns hinein, wie manche glauben – und wenn ja, wodurch?
Ich denke ja eher, sage ich schließlich, dass wir Menschen wie Erde sind. Alles ist immer in uns drin. In Samenform. Kraut. Mitkraut. Unkraut. Alles da, alle Informationen und was immer eben Leben ausmacht.

+++

Gestern Nachmittag im Wald die Erkenntnis, dass es egal ist, in welchem Pappel vor Wald mit Wolkentürmen vor blauem HimmelLand auf dieser Erde ich auch immer bin: Wälder sind immer irgendwie ähnlich heimatlich; sie sind einfach so da und beruhigen mich. Ich fühle mich geborgen in der Natur.

Hier sind viele Bäume im Laufe des Winters umgestürzt. Manche müssen wir übersteigen, weil sie den Weg blockieren. Ist die Natur böse? Ist der Sturm, der die Bäume gefällt hat, böse? Vier unteschiedliche Federn auf schwarzem GrundNie. Ist die Natur gut? Hm.
Natur kennt keine Wertung.
Natur ist einfach.

Und wer immer nur in die Wolken guckt, sieht die schönen Federn und Kräuter, die auf der Erde liegen, nicht.

 

Das Vielleicht-Ding namens Leben

Vielleicht muss man ja die Vergeblichkeit des Lebens akzeptieren um wirklich sinnvoll leben zu können.

Und vielleicht ist Leben eins dieser Puzzles da mit all den vielen kleinen einzelnen Stücken, die überall herumliegen.

In seinem letzten Buch, Treibsand*, schreibt Henning Mankell über sein Leben als an Krebs Erkrankter. Er schreibt über Vergänglichkeit und Vergeblichkeit, über Eitelkeiten beim Gedanken an die Nachwelt und er schreibt auch über all die Spuren, die wir für jene legen, die nach uns kommen. Und darüber, wie schnell wir alle vergessen sein werden. Und dass das vielleicht gar nicht mal so schlecht ist.

Vielleicht ist ja manches, das im Leben ist, wie es ist, ein wenig wie mit Javascript? Vorhin, als ich meinen Rechner gestartet hatte, glaubte ich zuerst an eine WordPress-Panne. Mein Editor, in welchen ich diesen Text hier einfügen wollte, zeigte mir nur noch die Text-Version (= html) an, der Kommentarknopf blieb stumm und als ich auf Twitter um Lösungen fragen wollte, blieb auch dort der Textknopf stumm. Also versuchte ich über den neuen WordPress-Editor, den verhassten, zu bloggen, doch selbst dieser tat keinen Wank. Er könne nicht geöffnet werden, weil javascript nicht installiert sei, sagte die Seite, die auftauchte. Javascript ist kurzgesagt eine Art (Geheim-)Sprache, die interaktive Elemente liest und für uns sicht- und nutzbar macht.

Aber wie soll das gehen? Ich habe doch seit gestern nichts deinstalliert und Java ist auf meinem Browser Standard? Keine Ahnung, wie das geschehen konnte. Nach einigen Recherchen konnte ich über die Browsereinstellungen Java wieder als true statt als false konfigurieren. Ein einziger Klick in einer verborgenen Welt machte aus einem Nicht-möglich ein Möglich. Ich mag ja solche Metaphern aus der technischen Welt.

Seltsame Hintergrundkonfigurationen haben wir alle. Warum ein Knopf gestern noch ON und heute OFF ist, weiß ich nicht. Ich kenne nicht alle Mächte und Kräfte, die auf mein Leben einwirken. Manche kann ich, wenn ich sie doch irgendwie erkennen kann, beeinflussen, manche nicht.

Darüber dachte ich nach, gestern, im Wald. Und wie es kommt, dass ich an manchen Tagen das Leben ganz okay finde, während ich es an anderen knapp schaffe, sie zu überleben.

Was mir hilft, ist, ein bewusstes Leben im Augenblick zu üben. Tage, an denen ich bewusst lebe, fühle, denke, hinschaue, nachspüre, sind anders als Tage, an denen ich versuche wegzufühlen, nicht hinzuschauen, Schmerz von vornherein zu vermeiden. Obwohl bewusste Tage manchmal viel mehr wehtun als unbewusste, hinterlassen sie einen Abdruck, ein Echo. Unbewusste vergehen ungefühlt, stumpfen mich ab, klagen mich zuweilen im Nachhinein sogar an, behaupten, ich hätte sie ignoriert (womit sie recht haben).

Bewusst leben heißt, mir der Vergeblichkeit jeden Strebens bewusst zu sein. Nicht dass ich nicht streben könnte, dürfte, zuweilen wollte, manchmal müsste, aber – und das macht vermutlich den Unterschied – wenn ich weiß, dass letztlich alles vergeblich ist, tut leben weniger weh.

Für Mankell liegt das Einzigartige des Lebens in seiner Endlichkeit, in seiner Einmaligkeit. Ich persönlich teile seine Sicht nicht, dass das Leben mit dem Tod zu Ende geht. Zwar bin ich nicht religiös, das nicht, aber ich glaube dennoch, dass auch der Tod zu den Grundbedingungen des Lebens gehört. Die Rückseite von Hier und von Jetzt. Alles, was ist, ist immer auch sein Gegenteil. So sinnierte ich gestern auf meinem Waldspaziergang.

Erst am Abend entdeckte ich Irgendlinks Artikel über Die schönste Straße der Welt, worin er sich ebenfalls, wie so oft, Gedanken zum Leben macht. Und meinen gar nicht mal so Unähnliche …


Zitate aus Treibsand von Henning Mankell:

1. Zitat auch Treibsand von Henning Mankell2. Zitat auch Treibsand von Henning Mankell3. Zitat auch Treibsand von Henning Mankell

Ankommen zu wollen?

Dieses weiße Blatt – nun ja, kein Blatt, ein Feld, ein Fenster, eine Fläche, ein Spiegel vielleicht sogar –, es sagt, es ruft, es befiehlt: Schreib. Und ich, ich zögere. Schaue diese weiße Fläche an. Und fühle mich leer. Nein, nicht leer, wortlos, nein, auch nicht … desorientiert womöglich.

Nicht, dass ich die Tastatur und das Schreiben auf ihr verlernt hätte nach den drei Wochen Touchscreen-Schreiberei unterwegs am Rhein, eher ist es so, als wüsste das Herz nichts mehr mit diesem Sesshaftsein hier und dem Laptop und dem Hier- und So-Sein anzufangen.

Viereinhalb, fast fünf Tage bin ich nun wieder daheim und es ist ein Daheim, das ich mag. Ein Dorf, in welchem ich mich wohlfühle. Ein Bett, in dem ich gerne schlafe. Ein Bad, in welchem ich mir gerne die Zähne putze, den Spiegel angrinse, die Dusche benutze. Eine Wohnküche, in der ich gerne koche und am Tisch sitze, essend, lesend. Doch, ja, aber … hm, ja, da ist ein Aber. Eins, das sich mir noch nicht so richtig zeigt. Und ich weiß nicht, was es mir sagen will.

Derweil lese ich weiter im Buch von Rachel Joyce, das den schönen Titel Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry trägt. Vor unserer Wanderung habe ich es zu lesen angefangen und nun wandere ich wieder weiter mit Harold, der nach vielen Nächten in Pensionen damit angefangen hat, draußen zu übernachten und dabei – ähnlich wie ich – zu merken beginnt, wie die Natur einen Menschen verändert. Ihn demütiger macht, bewusster, wacher. Noch mehr als ich stellt Harold dabei fest, wie wenig er eigentlich wirklich braucht, um den Weg, den er gehen will, gehen zu können.

Vor ein paar Tagen habe ich über den Kontrast zwischen dem Leben draußen und dem Leben drinnen auf Flussnoten, unserm Rhein-Blog geschrieben. (Dort drüben haben wir in den letzten Wochen über unsere Erlebnisse und Erfahrungen erzählt und dort hat es auch einige wenige Bilder.)

Die meisten Bilder aber haben wir noch nicht gezeigt, selbst noch nicht wirklich angeschaut. So viele Bilder. Ich muss sie erst mal sichten, einige davon auswählen und verkleinern, bevor ich einige hier und auf Flussnoten zeigen kann.

Schreib!, tönt es also, das weiße Blatt, und ich würde gerne. Ich würde gerne dort weitermachen, wo ich – … ja, was? – aufgehört habe? Geht das überhaupt? Immer weiter und immer weitemachen, bloß um …?

Anzukommen?

Wie wichtig ist das Ziel? Und wenn ja, wie sieht es überhaupt aus, mein Ziel? Ist es nicht vielmehr so, dass ich eine Unterwegse bin, eine die geht. Mal schneller, mal langsamer, und dass das Ziel nicht mehr als eine Illusion des Ankommens erzeugt in seiner ganzen Vorläufigkeit? Zugegeben eine erwünschte Illusion, eine wohltuende. Eine, die dem Leben seinen vorläufigen Sinn gibt. Geben kann.

Pause.

Ich erlaube mir inzwischen, häufiger Pausen zu machen als noch vor kurzem. Weil ich sie brauche. Weil ich mich erholen muss. Beim Wandern waren die getrockneten T-Shirts, die getrockneten Socken und Schuhe unsere Pausenmaßstäbe. Was es wohl im Alltag sein könnte? Werde ich mir treu bleiben können im Alltag, mir, meinem wiedergefundenen Tempo und meiner akutellen Gegenwärtigkeit?

Das Gespür für sich selbst. Ich habe es endlich wieder und ich will es nicht mehr verlieren.

Zusammensetzen

Die Neuen Alten. Gib’s zu, das wäre doch eine schöne Schublade für Menschen wie mich.

Dass die Schublade einen Henkel hat, merkt man erst, wenn er abbricht.

Manchmal überkommt mich pure Verzweiflung darüber, dass ich in der Trivialität der Themen meiner Mitmenschen keinen Ankerplatz finde.

Ankern zu können wäre so beruhigend.
Ankern an einer pseudosicherheitvorgaukelnden Boje.

Wie sehne ich mich danach, all dieses Gelabber, all diese Leerläufe abzustreifen wie eine Schlange ihre Haut.

Und nicht mehr besessen Besitz zu besitzen.
Was brauche ich wirklich?

Frei zu sein von Hab. Und gut ist.

Rein sein wollen, diese Sehnsucht.

Mehr im Weniger finden.
+  Vertrauen.
++  Trauen.
+++  Mir.
++++  Mich.
+++++  Dem Leben.

Weil das Leben keine Performance ist. Bestenfalls eine Illusion. Oder schlimmstenfalls.

Statt sesshaft zu sein nur noch sein zu wollen.
Nomadisch leben als Möglichkeit zu betrachten.
Und meine Sesshaftigkeit zu hinterfragen.
Sicherheit im Unsicheren zu ahnen.

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Inspiriert zum Nomadinnentum hat mich Michelle, deren Blog ich heute dank Emil entdeckt habe.

Über das zLeidwerchen

Letzte Gedanken vor dem Einschlafen haben bei mir oft was Unzähmbares. Sie kommen und gehen, wann und wie sie wollen und fragen nicht, ob ich Zeit und ob ich Lust habe, ob ich mit ihnen am gleichen Tisch, im gleichen Bett liegen will.

Gestern, nachdem ich zuerst auf arte Die Eisläuferin und später auf ARD einen alten Borowski-Tatort geguckt hatte, stellten sich, als ich so in der Stille und Dunkelheit meines Schlafzimmers lag, Gedanken über das subtile zLeidwerche ein. Leider kenne ich, trotz guter Kenntnisse, kein deutsches Wort, das diesem schweizerdeutschen Ausdruck gerecht wird. Tipps willkommen. Wörtlich übersetzt heißt es zu Leide werken, zu Leide wirken, meint also dass wir beim zLeidwerche vorsätzlich Dinge tun, die einem anderen Menschen Leid zufügen. Sabotage en miniature sozusagen.

Wer von euch noch nie, muss nicht weiterlesen.
Alle andern dürfen. Willkommen in der Runde derer, die …

Neulich, es muss am letzten Sonntagnachmittag gewesen sein, habe ich auf dem Dachboden, der hierzulande Estrich heißt, für den internen Büro-Umzug ein paar Umzugkartons geholt. Drei sperrige Dinger. Unser Treppenhaus ist wendelrund und die Treppe relativ schmal. So stieß ich also immer mal wieder seitlich an Mauer oder Treppengeländer, was im Resonanzkörper des Treppenhauses ganz schön lärmte. Zu sagen ist, dass ich Lärm nicht mag. Und dass ich Lärm, wann immer möglich, vermeide. Zu hörenden ebenso wie selbstgemachten. Und nun machte ich also, noch immer unabsichtlich, Lärm.

Zu sagen ist auch, dass der Nachbar über mir, im ersten Stock, ein junges Männlein ist, das sehr oft sehr laut ist. Nicht mehr so oft wie früher und auch kaum mehr zu Unzeiten, nachdem wir das zum Glück im Gespräch klären konnten. Dennoch. Laut ist das Männlein, wie gesagt, immer noch oft. Heute aber, heute ist es still. Aber es ist da, wie das Auto vor dem Haus verrät. Vermutlich schläft es seinen Rausch aus, so es denn einen hatte?

Und ich? Ich lärme durch das Treppenhaus! Unabsichtlich noch. Statt nun aber aus Rücksicht, wie ich das immer von andern mir gegenüber unausgesprochen erwarte, leiser zu sein, lärme ich gleich noch ein bisschen lauter. Ich kann ja nichts dafür, dass das Treppenhaus so eng ist. Ich lärme an seiner Wohnung vorbei, schramme gar ein bisschen gegen seine Tür – ooops, sorry! – und als ich unten angelangt bin, wäre ich vor Scham im Boden am liebsten im Boden versunken. Scham vor mir selbst.

Gut, das mag harmlos klingen. Aber … nein, ich will nicht moralisieren. Doch, ich will moralisieren. Weil es so unkuhl ist. Und weil sich kaum jemand traut, es hin und wieder zu tun.

Nach den beiden Filmen gestern  – in denen der Zufall eine entscheidende Rolle gespielt und ungeahnte Kräfte in Bewegung gesetzt hatte –, grübelte ich im Bett liegend über Kollateralschäden, Zufälle und Zusammenhänge nach, darüber, wie eins nach dem anderen ruft. Und warum – warum das so ist.

Wir Menschen. Was steht hinter dem zLeidwerche? Ohnmacht vermutlich. Die Erkenntnis eigener Kleinheit und einer Art Mangel? Ich weiß es nicht wirklich – schon gar nicht für andere. Ich weiß nur, dass es immer eine Sackgasse ist.

Wie viele Momente meines bewussten und unbewussten Lebens verbringe ich mit überflüssigem Ärger auf Dinge und Menschen, die und denen ich am liebsten …

Gift.

Wie die Welt wohl aussehen würde, wenn wir unseren Impulsen des zLeidwerchens nicht nachgehen und stattdessen zLiebwerchen würden?

Anders handeln ist eine Frage des Bewusstseins. Der Selbsterkenntnis. Reflexion ja gerne – aber liebevoll.
Mir zLiebwerche? Das wäre doch schon mal ein guter Anfang.

Ebbe und Flut

Seit Tagen tummelt sich dieser Gedanke durch mein Leben, dass ich oft vergesse, was uns die Natur vormacht. Dass ich oft so lebe, als wäre immer so, dabei ist es oft eben auch anders.

Die Arbeit hat mich in den letzten Wochen überflutet. Schuljahrabschluss ist, das weiß ich nun, ein tammi harter Zustand. Eine Flut, deren Ende noch nicht absehbar ist. Meine Liste ist zwar gestern und heute um einiges kürzer geworden, doch noch immer warten viele Dinge, die getan werden müssen, damit wir im neuen Schuljahr gut starten können. Wie viel es rund um die Organisation einer Schule zu tun gibt, glaubt man von außen nicht.

Dazu immer wieder Alltasszenen wie diese hier: Ein Kind aus einer nicht subventionierten Gemeinde will bei uns in den Gesangsunterricht, kann es sich aber – so befürchte ich – nicht leisten. Und so weiter. Momentaufnahmen. Dazwischen die Listen, die geführt werden müssen, damit jede Lehrperson weiß, welche Kinder nach Ferien zu ihr kommen werden. Und Kontakte knüpfen kann.

Running Gag zwischen Scheff und mir: “Wenn mir mal gaaanz viel Zeit haben, machen wir dies, machen wir das …”

Flut also, wie gesagt.

Ich wäre so langsam für Ebbe, doch es wird noch ein paar Tage so weiter gehen. Nächste Woche aber erst. Unsere Arbeitsplätze werden umgezogen in einen anderen, kleineren Raum, weil der Volksschule-Schulleiter unser Büro will. Ich befürchte, dass der Tausch nicht so toll sein wird, weil vorne mehr Lärm ist, direkt neben der Aula mit Musikunterricht. Nun denn … das haben andere entschieden.

Öresund

Flut. Kisten packen. Umziehen muss ich sie nicht selbst, zum Glück, und Scheffhimself wird beim Ausmisten helfen. Nächste Woche, wie gesagt.

Ebbe. Neumond. Pause. Ruhe. Wir lernen es, wenn wir hinschauen. Würden. Lernen ist den Konjunktiv überholen. Im die Zunge rausstrecken und sagen: Würdest du nicht immer dazwischenfunken, wäre alles einfacher, du Mistkerl.

Ebbe also. Entschleunigung. Mein Tempo finden. Ich erinnere mich dieser Tage gerne an die Pilgerwanderung genau vor einem Jahr. Als wir dem Lauf der Reuss folgten, ihrer Quelle entgegen wanderten. In unserem Tempo. Immer gerade dort unser Zelt aufschlugen, wo es uns gefallen hat.

Ebbe und Flut leben – könnte heißen, mal schlemmen, mal fasten, mal schuften, mal pausieren.

In der Natur ist gleich viel Ebbezeit wie Flutzeit, gleich lang Neumond wie Vollmond.