Den Mund weit offen

Im Sessel meines Dentisten über Kunsthandwerk nachdenkend. Ein Gedanke, der mir so noch nie gekommen ist. Ich denke auch darüber nach, auf wie vielen Zahnärzt*innen-Sesseln ich wohl schon lag und, überhaupt, bei wie vielen Ärzt*innen ich in meinem Leben schon war. Etwas muss eine ja machen – sprich: denken –, wenn sie schon mit aufgesperrtem Mund und heruntergezogenen Lippen an sich herumfummeln lassen muss.

Da ist diese Karies, die nur auf dem Röntgenbild zu sehen war, von außen unsichtbar, aber wir wissen es ja: Wehret den Anfängen. (Die Frage ist offen, wie so eine Karies überhaupt entstehen konnte, entstehen doch die meisten Löcher – meines bescheidenen zahnmedizinischen Wissens – von außen, über den Zahnschmelz.) Er musste, sagte mein Zahnarzt am Schluss, ziemlich tief bohren, bis unters Zahnfleisch. Boah, denke ich, das sind ja, sagen wir mal, 1-2 Zentimeter, oder was halt so ein Zahn misst.

Wieso haben eigentlich Bohrer so einen hässlichen Ton, ähnlich meinem Tinnitus? Und könnte eine eigentlich das nächste Mal vor der Bohrung Ohropax einstöpseln? Oder gar – warum auch nicht? – meine ANC-Kopfhörer mit schöner Musik? So aber muss ich mich selbst bespaßen, innendrin, um dem Gemetzel in meinem Mund etwas anderes entgegenzuhalten.

Die Hände in den Taschen, immer darum bemüht, keine falschen Kopf- oder Mundbewegungen – bloß nicht schlucken, wenn er bohrt, damit er nicht abrutscht – zu machen, liege ich da und lasse zu.

Denke über all die Füllungen in meinem Mund nach, an die guten und weniger guten Fachleute, die schon an mir herumgefummelt und, besonders an jene, die in mir eine zahnärztliche Phobie entfacht hatten. In diese Kategorie fällt Frau R. jedenfalls nicht, diese tolle Zahnärztin in Bern, bei der die Zeit immer wie im Flug vorbei gegangen ist. Sie summte zur Musik mit. Eigentlich ziehe ich es ja tendenziell ruhig vor, aber ihr Musikgeschmack passte zu meinem und ihr Summen hatte damals eine sehr beruhigende Wirkung gehabt. Fast wie das Schnurren einer Katze, die eine streichelt.

Während mir die Schweizer Dentist*innen fast immer einen Kofferdam über den Mund gelegt haben, habe ich das bei meinem deutschen Zahnarzt so noch nie erlebt. Ob diese Technik wohl eher nur lokal verbreitet ist oder ob er einfach so sorgfältig arbeitet, dass keine Notwendigkeit besteht, ein Auffangnetz aus Gummi zu spannen? Keine Ahnung.

Aber Ahnung haben die Assistentinnen hier vom Absaugen. Auch das ist, wie das Bohren und Füllen, eine ziemliche – und unterschätzte – Kunst. Selten mal drückt da etwas oder habe ich das Bedürfnis, selbst schlucken zu müssen. Immer saugen sie genau dort, wo es nötig ist. Das macht alles erträglicher.

Meine Gedanken schweifen zur Anästhesie ab. In jüngeren Jahren – als ich noch an böse Chemie glaubte und möglichst wenig Gift in meinen Körper lassen wollte –, verzichtete ich auf die betäubende Wirkung eines Anästhetikums. Autsch. Wie konnte ich bloß!

Und wie es wohl war, damals, früher, als die ersten Dentisten (bewusst ungegendert) ihr Handwerk entwickelten? So ohne Spritze. Ohne Narkose. Alkohol gabs da schon, bestimmt, aber, aua, ich will es mir gar nicht vorstellen. Wie das wohl geschmerzt haben muss?!

Als die Füllung poliert ist, fragt Dr. S., ob wir die andere Baustelle an diesem Zahn, die rauhe, poröse Oberfläche an der Zahninnenseite, die auf eine alte, abbröckelnde Füllung hinweist, auch gleich behandeln sollen. Puh. Damit habe ich nicht gerechnet, aber ja, gut, machen wir doch alles im gleichen Aufwisch. Im Vergleich zur ersten Bohrung ist die zweite moderat, mehr so ein Abhobeln der rauhen Stellen und ein Neubefüllen der Oberfläche, wenn ich das richtig interpretiere.

Endlich bin ich fertig. Und einmal mehr dankbar dafür, dass ich endlich keine dentistische Phobie mehr habe und zu haben brauche. Dr. S. ist wirklich ein Kunsthandwerker, ein wahrer Künstler sogar.

Noch klingt die Spritze nach, aber ich bin ihr dankbar, dass sie mir Schmerzen erspart hat. Und ich bin froh, dass es Anästhetika gibt und feine Bohrer und gute Füllungen und all das. Hätte ich früher gelebt, hätte ich wohl in meinem Alter nicht mehr viele Zähne im Mund. Aber Muskelkater habe ich jetzt. Vom langen Mundaufsperren.

wahrer, am wahrsten

A Making-of …
1.)
Wenn ich das Bild des Cheisacherturmes (siehe gestern) statt in einem in zwei Schritten zusammenfüge – will heißen, zuerst die zwei oberen Bilder von Autostich montieren lasse und erst anschließend das unterste zufüge –, kommt ein ganz manierliches Bild dabei heraus. Wenn ich das Ergebnis mit Gimp noch ein bisschen nachbearbeite, ist das Ergebnis sogar vorzeigbar. 
Ich lerne dabei …
– dass interdisziplinäre Arbeit ein toller Ansatz ist
– meine Werkzeugkiste besser handhaben
– die Möglichkeiten und Grenzen der Programme besser kennen
– dass der Weg der kleinen Schritte manchmal zuverlässiger ans Ziel führt, als jener des großen Sprungs
– Geduld

turm gegimpt2_autostich_sm2

2.)
Im nächsten Schritt habe ich den Spitz des Turmes, respektive alle Teile, perspektivisch bearbeitet. Gimp hat die Bilder aus unerfindlichen Gründen in grau verwandelt, was die Übergangbearbeitung einiges leichter macht. Das Finale habe ich mit dem Cartoonfilter geschärft.
Ob ich damit der Wahrheit wohl ein bisschen näher gekommen bin?
turm gegimpt_sw.cartoon_sm2_fB

(Draufklick für groß)

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Bilder:
Undogmatische Appspressionismen (iPhoneArt mit Gimpunterstützung)