Ahnungen

Wenn man doch im Voraus wüsste, wie etwas wird!

Wenn ich, nur so als Beispiel, gewusst hätte, wie wunderbar die Wanderung wird, hätte ich bestimmt viel weniger Angst davor gehabt loszuziehen. Dennoch hatte ich zum Glück schlussendlich mehr Mut als Angst im Gepäck, sonst wäre ich ja daheim geblieben.

[Das Leben: Immer wieder liegen Angst und Mut in zwei Waagschalen. Wenn die Schale mit Mut/Übermut schwerer ist, gehen wir los. Ist die Angstschale schwerer, bleiben wir da.]

Das Leben ist ein einziges Pendeln, ein einziges Ebbe-und-Flut-Ding. Gedanken kommen und gehen. Wichtig werden sie zuweilen erst im Kontext mit anderen. Wie die Trockensteinmauern der Rustici im Tessin. Große Steine, dazwischen kleine. Beide brauchts. Das Dach kann nur gebaut werden, wenn die Mauer trägt. Alles was wir je gelernt haben, baut auf Vergangenes auf, wir sind nichts ohne unsere Vergangenheit und unsere Geschichte, auch wenn letztlich nur der Stein, den ich in diesem Augenblick aufhebe und in die Mauer einfüge, zählt.

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Rustico-Mauer
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Verlassenes Dorf bei Linescio

Mädchensein

Wenn ich morgens aufwache und die Füße aus dem Bett strecke, bin ich hin und wieder die Alte, die ich einmal werde (wenn der Rücken knarzt) eher aber bin ich – eigentlich meistens – das Kind, das ich noch immer in mir hege. Nicht jenes, nein, das ich früher war, jedenfalls nicht genau jenes. Jenes Kind bin ich heute, das sich die Welt schöndenkt. Heute lebe ich in einer schönen Welt. Ich meine gar, so aussehen zu müssen. Als dieses Kind, das so denkt und fühlt. Nein, fühlen tu ich mich auf jeden Fall nie und nimmer neunundvierzig wie ich es seit drei Tagen bin. Jahreszahlen für Menschen sind mir immer abstrakt geblieben. Und eigentlich verstehe ich gar nicht, warum ich mich gestern so über das Kompliment meiner Kundin gefreut habe, die mich zehn Jahre jünger geschätzt hat.

Warum nur kommt für uns das Alter, das Altern einer Beleidigung gleich, einer Schmach? Warum assoziieren wir mit Älterwerden viel zu oft und viel zu wenig bewusst eine Art wachsende Un(zurechnungs)fähigkeit in Bezug auf Denken, Fühlen, Wissen, Können und Lebenskunst? Und warum ist Sterben so hässlich konnotiert?
Ob es eher mehr oder eher weniger Menschen gibt, für die das Altern schlimm ist, richtig schlimm meine ich, mit Schmerzen und Leid?
Und das Sterben – wie steht es damit? Nenn sie trüb meine Gedanken, egal. Denn draußen knallt die Sonne vom Himmel und ich fühle mich heute Mädchen. Ich bin Mädchen.

girlme1Ich gehe barfuß durchs Leben dieser Tage. Erwachsensein fühlt sich oft an wie das Kinderspiel So-tun-als-ob. Fake it till you make it. Will ich das denn machen, dieses Erwachsen-Sein? Und wenn nein, welches Erwachsen-Sein würde zu mir passen?

Alt und weise sein, eines Tages, ja gut, das tät’ ich gerne. Eines fernen Tages. Aber es zu werden, den Weg dahin zu gehen, mich diesem Ding namens Altsein anzunähern jeden Tag einen Schritt mehr …
Doing by doing? Kannst du es, tust du es?

Ich bewundere Menschen, die Dinge tun, die ich nicht kann. Autorinnen und Autoren oft genug für ihren ganz eigenen Stil. Für ihre Worte, ihre Wendungen, ihre Metaphern. Für ihre Text(ili)e(n), die sie weben. Für ihren Blick auf die Welt, der immer anders ist als meiner. Zwar beschreiben sie oft Erfahrungen, die mir vertraut sind, doch in Worten, die mir fehlen. Und ich bewundere auch andere Fotografierende. Oder Menschen, die besser singen und tanzen können als ich. Ja, ich weiß, vergleichen ist Schei***, aber bewundern und staunen dürfen, das werde ich mir nicht nehmen lassen.

So gehe ich meinen Weg. Mädchen, Frau, Alte, die ich bin.

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Das obige Bild stammt aus meinem Fotoalbum. Ich bin darauf etwa acht- oder neunjährig, auf Sonntagsspaziergang mit den Eltern und Geschwistern (mit Gimp und iPhone nachbearbeitet).

bestimmt, aber von wem?

Ich sehne mich nach mehr Authentizität, sinnierte ich heute Morgen, als ich Yoga übte. Kurz vorher hatte ich mich noch gefragt, warum ich mich für Dinge, die ich im Grunde total gerne mache und die ich als sehr wohltuend erlebe, so überwinden muss. Faulheit? Ja, schon, aber das ist nur eine von einer ganzen Anzahl Antworten. Auch Selbstsabotage ist eine davon – obwohl sie natürlich keine ist.

Beim Yoga blitzt auch dieser Gedanke auf: Ich sehne mich nach einem selbstbestimmten Leben.

Doch was heißt das überhaupt? Und wie fremdbestimmt bin ich wirklich, wer bestimmt mich fremd? Gehören meine Zimmerpflanzen und meine GeschäftskundInnen zu den mich fremdbestimmenden Faktoren – oder (falls nicht) deshalb nicht, weil ich mich diese Verantwortlichkeiten selbst ausgesucht habe? Ist meine Arbeitsstelle ein mich fremdbestimmender Faktor, obwohl ich den Arbeitsvertrag freiwillig unterschrieben habe? Ist meine Mietzinsrechnung ein mich fremdbestimmendes Element, obschon ich diese Wohnung freiwillig und gerne bezogen habe? Was genau bestimmt mich fremd, wenn nicht ich selbst in jenen Momenten, wo ich nicht tue, was ich gerade aus Überzeugung hier und jetzt tun will? Ist etwas-tun-sollen schon Fremdbestimmung und wie schlimm ist Fremdbestimmung überhaupt? Fremdbestimmung ist kein Synonym für Verantwortung für etwas zu tragen. Was ist sie überhaupt? Und ist 100%ige Selbstbestimmung überhaupt möglich und erstrebenswert? Freiheit pur? Illusion nur? Wie würde sie in echt denn konkret aussehen?

Beim Weiterkreisen um dieses unfassbare Thema stelle ich fest, dass meine Sehnsüchte nach mehr Selbstbestimmung auf der Ebene des Alltags, der Alltagsgespräche, hängen bleiben, bei der Freiheit des Denkens. Ich fühle mich konkret oft dann unfrei und fremdbestimmt, wenn es darum geht, was ich sagen soll. Wie ich agieren, wie ich reagieren, wie mich verhalten soll. Adäquat. Gruppenkonform. Gesellschaftskonform. Angepasst. Gegen den Strom schwimmend.

Selbstbestimmung hat mit Mut zu tun. Mit jenem Mut, zu sagen, zu tun, zu lassen, zu wollen, was mit meinem Herz synchron ist. Und mit meinem Kopf.

((Aber da fängt auch schon mein Problem an, denn Kopf und Herz sind oft genug nicht synchron. Der Kopf gehorcht anderen Geboten und Mustern als das Herz. Ist mein Kopf eher die objektivere Instanz, will das Herz vom Subjekt ausgehend oft etwas anderes. Die beiden tauschen sich zwar laufend aus und das nicht mal im Streit, aber einig werden sie sich fast nie. Ich stelle ich mir das Ganze zuweilen als eine Art bilaterale Konferenz vor, wo viel abgewogen und argumentiert wird – ohne eine wirkliche Lösung zu finden. Am Schluss hat leider oft der Kopf das Sagen, denn weil er besser argumentieren kann, gibt das Herz meistens nach. Es denkt sich: Was zählen schon Gefühle gegenüber all der klugen Argumente dieses schlauen Kopfes? Synchronisierung ist also nicht wirklich das richtige Wort. ))

Meinen obigen Satz – Den Mut, zu tun, zu sagen, zu lassen, zu wollen, was mit meinem Herz synchron ist – muss ich umschreiben in: Den Mut, zu tun, zu sagen, zu lassen, zu wollen, was mit meinem System synchron ist.

Ist Selbstbestimmung also eine Frage des Mutes? Sicher, aber nicht ausschließlich. Ich denke, wie selbstbestimmt wir leben können, hängt auch vom gesellschaftspolitischen Kontext ab, in welchem wir uns aufhalten. Es ist eine Frage der Prägung auch, wie sehr wir unser Leben selbstbestimmen wollen und können. Und sicher eine Frage der Fähigkeit, uns und unsere Mitwelt in einer reflektierenden Haltung wahrnehmen zu können.

Verhält sich unsere Kompetenz, uns, unsere Mitwelt, unser Verhalten, das Verhalten anderer kritisch und reflektierend wahrnehmen zu können, vielleicht umgekehrt proportional zu unserer Glücks-“Kompetenz”? Je mehr wir uns kritisch mit der Umwelt auseinandersetzen und über sie nachdenken, desto unglücklicher wären wir demnach? Keine Ahnung, ob das so ist. Ich las einst in einer Statistik über Depressionen und Suizide (leider weiß ich nicht mehr, wo das stand), dass der Anteil gebildeter Menschen, die sich das Leben nehmen, ziemlich hoch sei. Das lässt möglicherweise den Schluss zu, dass Menschen, die mehr über das Leben nachdenken als der Rest der Menschheit, eher am Leben verzweifeln. Ist das Glück möglicherweis umso schwerer zu finden, je komplizierter wir das Leben wahrnehmen? [Das sind jetzt aber keineswegs ausgereifte oder gar recherchierte Aussagen, nur so Gedankenfetzen …]

Anders gesagt: Ist zu viel Freiheit und Selbstbestimmung gefährlich – und wenn ja, für wen?

Wie kann ich, wie können wir, in dieser Gesellschaft uns gegenüber treu sein und doch in ihr integriert leben?

Bedingungen

Gestern Morgen, beim Yoga, klopfte auf einmal der Gedanke bei mir an, dass das Leben kein Spiel sei. Im Gegenteil, denn beim Würfelspiel hat jeder und jede einen Augenblick lang die gleichen Voraussetzungen. Wenn auch nur ganz kurz, nämlich vor dem ersten Würfeln. Theoretisch auch nachher, denn alle – wenigstens alle in dieser Runde hier – haben ja den gleichen Würfel. Doch bereits nach dem ersten Wurf verändert sich die Ausgangslage jedes einzelnen laufend. Wir verändern ständig unsere Positionen. Bei Eile-mit-Weile müssen wir zwar immer wieder warten oder werden sogar oft genug an den Anfang zurückgespült, doch unser Ziel ist es immer, vorwärts zu kommen. Ans Ziel. Beim Leiterspiel können wir zwar manchmal riesige Schritte in diese Richtung tun, doch oft nur, um wenig später, wenn wir die falsche Zahl würfeln, wieder abzustürzen. Was das Vor- und Rückwärts betrifft, erinnert das Leben stark an ein Würfelspiel – hin und her geworfen von den Punkten auf den Würfeln von Schicksal und Zufall. Wie im Spiel besteht womöglich eine der Ziele oder Künste des Lebens darin, irgendwann weise mit den ständigen Auf- und Abstiegen klarzukommen.

Haben wir im Würfelspiel noch relativ ähnliche Voraussetzungen, ist das im echten Leben überhaupt nicht so. Von Anfang an nicht. Die Unterschiedlichkeit von Elternhäusern ist eins, die Unterschiede in der Genmasse ein anderes. Und der ganze Rest an Ungleichheit geschieht uns tagtäglich. Mit jedem Schritt, den wir von Punkt Null (Zeugung? Geburt?) aus tun, werden die Bedingungen unterschiedlicher.

Wäre ich heute so, wenn ich damals …? Leben im Konjunktiv.

Ich weiß es nicht. Ich kann von allen Möglichkeiten immer nur eine leben. Du auch. Ob nun bewusst gewählt oder unbewusst hineingerutscht …

Wie viel tun wir wirklich freiwillig? Leben wir freiwillig?
Und wenn nein, wem zu Willen?

Hast du eben eine Sechs gewürfelt – oder eine Eins? Immerhin kann man keine Null würfeln. Obwohl das vielleicht manchmal gar nicht so schlecht wäre.

Barfuß auf Nacktschnecken

Ich gestehe, der Titel ist nicht eben appetitlich, zumal ich keine Freundin dieser braunen, schleimigen Tierchen bin. Spinnen mag ich da viel lieber. Dennoch habe ich mir diesen französischen Spielfilm, – übrigens eine Literaturverfilmung  – aufgenommen, als er vorgestern spät gesendet wurde, und ihn mir gestern Abend angesehen.

Zwei Schwestern, die in der ersten Szene ihre Mutter durch einen Hirnschlag, den diese beim Autofahren erleidet, verlieren. Die eine lebte bis dahin zusammen mit der Mutter im großen Familienhaus auf dem Land, die andere ist Anwaltsgattin und -sekretärin in Paris und bewohnt eine sterile hippe Stadtwohnung.

Lily, die jüngere der beiden, lebt ab sofort allein im großen Haus. Nach außen hin bricht das Chaos aus, denn Lily ist anders. Der Begriff verhaltensoriginell würde hier ziemlich gut passen, denn behindert ist sie keineswegs. Sie lebt so gegenwärtig, dass sich Lachen und Weinen im Sekundentakt abwechseln können. Sie geht mit dem Tod um wie mit einem vertrauten Freund. Sie sammelt tote Tiere wie andere Bierdeckel und nimmt ihnen die Felle ab, um sie in ihrem Gartenhäuschen zu Pantoffeln, Schlüsselanhängern und Kleidern zu verarbeiten. Und sie vermisst ihre Mutter, die sie sehr geliebt hat, mit einer Inbrunst, die einzig Clara, die große Schwester. ansatzweise nachvollziehen kann. Doch auch diese balanciert auf dem fragilen Grat zwischen der Angst, was denn die Leute denken könnten und der Lust, es ihrer Schwester gleichzutun.

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=Bcrnz7zsTEY]

Weil bei Lily das vermeintliche Chaos ausbricht, beschließt Clara, ihren Job – zumindest für eine Weile – aufzugeben und zieht zu ihrer Schwester aufs Land. Die beiden vertragen sich oft sehr gut, doch kann Clara schwer mit Lilys Ehrlichkeit umgehen, will sich nicht sagen lassen, dass ihre Ehe eine Farce sei und sie unglücklich darin gefangen. Dennoch schlägt sich Clara immer öfter auf die Seite von Lily, wenn andere Leute, zum Beispiel ihre Schwiegermutter, an ihrer Schwester Kritik üben. Lily erkennt mit ihrem sicheren Gespür für Echtheit Verbündete und Banausen und verhält sich ihnen gegenüber entsprechend liebevoll oder abweisend, was für Clara immer wieder sehr herausfordernd ist – sie steht zwischen den Stühlen.

Eines Tages hat Lily genug von Claras Kritik, besonders am unkonventionellen Schmuck auf dem Grab der Mutter, und haut ab. Drei junge Freaks, die im Laster durch die Lande fahren und alte Kleider für Flohmärkte sammeln, nehmen Lily mit und bringen sie wieder nach Hause. Nach einem Grillabend mit den drei Männern im Garten landet die brave Clara mit einem der dreien im Bett. Am nächsten Tag wird ihr endlich klar, dass sie nicht mehr in ihr altes Leben in Paris zurück will. Dass sie anders leben will.

Doch halt, mehr verrate ich nicht …

Zugegeben, die Handlung romantisiert das Landleben doch ein bisschen zu sehr und mag stellenweise klischeehaft und aufgesetzt wirken, doch die beiden Hauptfiguren bringen etwas rüber, was ich als Botschaft dieses Filmes betrachte: Wie viel Konvention brauche ich? Und wie viel Wildheit? Und vor allem: was ist normal und was verrückt?

Später. Ich liege im Bett. Es ist still und ich lausche nach innen. Ich frage mich, wann ich das letzte Mal wild war. Wann ich das letzte Mal getan habe, was mich meine Sinne, meine Intuition, mein Herz zu tun hießen. Wann ich zum letzten Mal im Wald gesungen und getanzt, das letzte Mal wie früher ein Bad im Herbstlaub genommen habe, wann ich zum letzten Mal …

Am Nachmittag hatte ich eine Kundin aufgesucht und sie in IT-Belangen gecoacht. Kundin U. wohnt sehr abgelegen, auf einem Hügel in einem alten Bauernhaus. So ähnlich habe ich früher oft gewohnt. Mit Holz geheizt. Auch eine Form von Wildheit, die ich heute nur noch lebe, wenn ich bei Irgendlink auf dem einsamen Gehöft bin. Nein, ich will nicht das eine gut, das andere schlecht nennen, denn ich mag meine Badewanne und ich mag warmes Wasser aus dem Wasserhahn. Ob mit oder ohne – davon werde ich weder wilder noch weniger wild.

Ich will einfach wieder mehr das zu tun, was das Herz mir zu tun rät, denn abhängig von der Frage zu sein, was andere denken, wenn wir dies und das tun, ist Gift. Nicht, dass ich dieser Frage ständig und überall nachhänge, doch sicher denke ich sie häufiger als früher.

Geht es hier um Ängste, frage ich mich? Allen voran jener, nicht verstanden zu werden, belächelt, nicht ernst genommen, wenn ist es denn wagen sollte, wieder wilder zu sein, wilder zu handeln?

Lily macht mir Mut, mich wieder mehr zu trauen. Obwohl ich mir deswegen nicht, wie sie, Schnecken über die Arme laufen lassen werde.

Das Überdenken meiner Werte – meine Währungsreform – dauert an.

Was Bloggerinnen tun, wenn sie nicht bloggen

Große Fragen stellen. Kleine Antworten finden. Spazieren gehen. Nachdenken. Schlafen. Lesen. Nichts. Wieder schlafen. Arbeiten. Zähne putzen. Zähne nicht putzen. Bier trinken. Kein Bier trinken, dafür Tee.

Sich mit den tollen Menschen der AutorInnengruppe treffen und über das Leben, die Liebe und die Literatur philospieren. Spinnen. Lachen. Kichern. Zugfahren. Und erneut ins Bett kriechen, um zu schlafen.

Am Wochenende am liebsten mit dem Liebsten die Zeit verbringen. Zusammen an ein afrikanisches Trommelkonzert gehen. Sich hinterher mit feinen Menschen treffen. Im Pastis über die Kunst spinnen.

Sonntags mit dem Liebsten “Urban Artwalken” und dabei Bilder sammeln. Heute in Bitche (Frankreich), hier gleich hier um die Ecke. Über Zerfall nachdenken und dessen Schönheit.

Am Tisch sitzen. Kochen. Essen.

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Zu Irgendlinks Collage unseres Artwalkes: bitte hier klicken.

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Bilder:
Appspressionismen (iPhoneArt)

Ausgelesen II. #3 – und warum ich Krimis mag

Vom Versuch, ein guter Mensch zu sein, las ich dieser Tage im Krimi Der bessere Mensch von Georg Haderer. Der österreichische Polizeimajor Johannes Schäfer ist nach einem Burn-Out wieder in Dienst, quält sich nun dort aber mit der optimalen Dosierung seiner Antidepressiva herum – mal ist er unerträglich dünnhäutig und rührselig, gerade zu menschlich, dann wieder beherrscht von einer affektiven und impulsiven Aggression, die er an sich nur schwer aushält. Er reflektiert sein Verhalten immer wieder, während er mit seinem Team einen Doppelmörder jagt, und sehnt sich dabei zutieft nach einer besseren, nach einer guten Welt. Aktuell erträgt er das Böse schwerer als auch schon und leidet zudem an seiner eigenen Aggressivität. Nachdem sich am Anfang des Buches alles Spuren nach dem Mörder im Nichts verlaufen, sieht es auf einmal so aus, als stecke ein tot geglaubter Serienmörder hinter den neuen Morden und einem Überfall.

Von Wien nach Salzburg temporär (straf)versetzt, stößt Schäfer auf Spuren, die ihn beinahe das Leben kosten. Kann es sein, dass eine kleine Gruppe Psychiater in ihrer Erforschung des Bösen alle ethischen Grenzen überschritten haben? Ist es möglich, dass die Ärzte damals den Serienmörder retteten, um ihn in einen besseren Menschen zu verwandeln?

Haderers Schreibstil ist zwar gewöhnungsbedürftig, doch ich mag seine streckenweise assoziative Sprache, sprunghaft, intelligent, ohne zu viel zu sagen. Haderer ist nah an seinen Figuren dran und setzt sie in glaubwürdige Kontexte. Auf das Buch bin ich übrigens in meiner online-eBook-Bibliothek onleihe eher zufällig gestoßen. Ich schätze solche Zufälle und hoffe, dass ich dort auch bald Band 1 und 2 der Schäfer-Serie begegne.

Warum ich Krimis mag? Eine berechtigte Frage. Und gleich vorweg: Ich mag nicht einfach alle Krimis. Ich bin wohl eine ziemlich anspruchsvolle Krimi-Konsumentin und kann locker Bücher zuklappen und Filme ausschalten, wenn mich Geschichten nicht überzeugen. Auch die Figuren müssen mich ansprechen. Entweder als Identifikationsfiguren oder aber um mir das Böse zu erklären.
Ich bin dem Bösen auf der Spur!, sagte ich neulich zum Liebsten, als wir über den vorhin erwähnten Krimi sprachen.

Ich will, ahne ich, das Böse einkreisen, definieren, verstehen. Um es auszuhungern vielleicht. Zumindest das Böse in mir. Kampf gegen Windmühlen? Meine Sehnsucht nach einer besseren Welt, die ich mit Polizeimajor Johannes Schäfer teile, kann nicht funktionieren. Weil ich da bin. Und du. Wären wir nur gut, wären wir nicht die, die wir sind. Nicht so. Ich bin alles. Gutes und Böses habe ich in meinem Lebensrucksack drin, seit ich lebe. Das ist der Mensch. Das ist die freie Wahl. Und auch nichts neues. Bin ich dann ein guter Mensch, kritzelte ich neulich auf die Innenseite eines Schokoladenpapiers (schwarze Fairtrade-Bioschokolade immerhin), bin ich dann ein guter Mensch, wenn ich die bösen Anteil in mir akzeptiere und unter Kontrolle halte? Doch was genau heißt es, meine hässlichen Seiten unter Kontrolle zu halten – in einer Welt, wo schon beinahe alles geht?

Im Krimi ist der Tod omnipräsent und die Guten versuchen die Bösen, die Mörder nämlich und das Böse, zu fassen zu bekommen und sie zu bestrafen. Vielleicht mag ich Krimis auch, weil darin diese Sehnsucht nach einer wie auch immer gearteten Gerechtigkeit gelebt und ihr oft auch Genüge getan wird.

Und doch ist Leben und Sterben, Überleben und Tod komplexer als der faszinierendste Roman. Jedes einzelne Leben ist eine Geschichte, die nicht zu fassen ist.

Seit Monaten, seit Jahren sogar, habe ich Wolfgang Herrndorfs Blog gelesen und ihm beim Sterben zugehört und zugesehen. Nein, nicht in voyeuristischer Weise, sondern tief betroffen. Ich habe einem Menschen zugehört, der den Mut hatte, über den Zerfall, den eine unheilbare Krankheit in seinem Körper anrichtet, zu schreiben, schreibend zu schweigen auch, und allmählich zu verstummen. Ungeschönte Texte. Authentisch bis zum letzten Punkt. Sehr oft hätte ich gerne mit ihm über das, was er geschrieben hat, gesprochen. Mit äußerster Konsequenz hat er sich bis zuletzt die Würde bewahrt, seinen Todeszeitpunkt selbst zu bestimmen. Am letzten Montagabend hat er schließlich selbst den Schlusspunkt unter sein Leben gesetzt.

Ich wünsche mir, dass unsere Gesellschaft den Tod neu begreift. Die Würde der Selbstbestimmung, die oft zitiert wird, wenn es um das Leben selbst geht, soll auch für den Tod gelten.

Leben ist zerbrechlich. Wie Glas. Leben ist nicht Panzerglas.

Das Leben selbst bestimmen. Ich bin mir bewusst, dass meine politisch geregelte Freiheit der Selbstbestimmung über mein Leben, Menschen vor mir verdanke, die genau dafür gekämpft haben, doch warum mir genau jetzt mein Spültrogabfluss einfällt, den ich heute Morgen entstopft habe, weiß ich auch nicht. Oder doch Geht es im Leben nicht um Weiterentwicklung? Darum, das Leben als Fluss zu begreifen? Seit Wochen schon floss mein Abwassefluss jedoch immer träger. Mit allen mir bekannten Tricks war der Verstopfung heute nicht mehr beizukommen und ich fragte mich, ob ich zu chemischen Hilfsmitteln würde greifen müssen.

Wie löst man Probleme eigentlich am besten? Anfangen müssen wir immer damit genau hinzuschauen. Das heißt, ich muss die Rohre unter dem Trog aufschrauben. Gedacht, getan. Krass: trotz Sieb im Abfluss hatte sich im Knie des Rohrs seit Monaten das eine oder andere angesammelt. Nicht, dass ich es sonderlich appetitlich gefunden habe, doch fasziniert hat mich dieses Sammelsurium schon und vor allem die Erkenntnis, dass je mehr eine Leitung verstopft ist, desto mehr hängenbleibt. Wie auf der Straße: Je mehr Müll irgendwo schon herumliegt, desto kleiner ist unsere Hemmung, etwas, statt in einen Mülleimer, auf den Boden zu werfen.

Ach, die Verantwortung! Über den verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen haben wir dieser Tage im Büro oft diskutiert und prompt ist gestern in der Kleinstadt, wo ich arbeite, am Vormittag eine halbe Stunde lang der Strom ausgefallen. Eine willkommenen Pause, keine Frage, und nachdem wir festgestellt hatten, dass der Ausfall nicht nur unser Gebäude betraf, sondern das Quartier oder gar den Ort, wussten wir, dass wir bald wieder am Netz sein würden. Die eine Kollegin war beim Ausfall mitten in einem Telefongespräch gewesen, eine andere hatte soeben eine Mail geschrieben, ich selbst brütete über einem Dokument, das die Erfassung unserer zukünftigen Statistiken vereinfachen sollte, und auf einmal ging nichts mehr. Noch nicht mal Kaffee und Tee kochen. Wie abhängig wir doch vom Stromnetz sind!

Auch das Patent Ochsner-Tourneeschluss-Konzert übermorgen ist nur dank Strom möglich. Ohne Verstärker und Mischpult wären die Jungs und Mädels der Band aufgeschmissen. Und wir Zuhörenden erst recht. Auch die Kunstzwerge auf dem Zweibrücker Rinckenhof, die dieses Wochenende beim Liebsten zu Gast sind, könnten ihre Sounds und Perfomances nur halb so gut in Szene setzen ohne Strom.

Ach, der Versuch ein guter Mensch zu sein – ist er hoffnungslos, weil ich ja doch immer Kompromisse eingehe, eingehen muss? Ich glaube, für mich gut gut genug. Besser und am besten können von mir aus andere versuchen.

Schlaflos

Laut gedacht …

Wo ich hingehöre? Wer kann es mir sagen (und könnte ich mich falsch entscheiden)? Wer schreibt mein Drehbuch und wer trägt die letzte Verantwortung? Kann ich auf diese Fragen überhaupt anders antworten als mit ICH?

Schäfchenzählen rückwärts geht nicht. Seit 4:15 bin ich wach und das Sandmännchen hat sich aus dem Sand, ähm Staub, gemacht … Und sogar die Notfalltropfen wirken nicht. Kopfkino vom feinsten. Mir ist fast schlecht vor Müdigkeit und auch dass der Liebste neben mir tief und fest schläft, ändert nichts an meinem Zustand. Aufgekratzt bin ich. Adrenalin und Cortisol im Überfluss …

Wenn ich könnte, wie ich wollte, ich würde wohl Stelle eins nehmen. Denke ich. Konjunktiv, du Kehrreim meines Lebens! Andererseits hätte ich Stelle zwei auf sicher und der Hilfswerkbetrieb wäre mir von früher vertraut. Dafür wäre der Arbeitsweg sehr lang.

Stelle eins oder zwei – so oder so eine gute Ergänzung zur Selbständigkeit sagt der Verstand und die Abenteuerlust gibt zu Bedenken, dass ich – womöglich – meine Träume dem Sicherheitsdenken opfere, wenn ich eine feste Stelle annehme. Vierzig Stellenprozent oder fünfzig sind ja nicht viel, antworte ich mir. Damit wären die Grundkosten gedeckt und der Stress vom Tisch.

So what?

Wie viel Freiraum brauche ich und bliebe so nicht meine Kreativität auf der Strecke?

Jede unserer Entscheidungen hat Konsequenzen. Für uns, für andere. Wir sind nicht allein. Wie würde mein Leben sich weiterentwickeln? Wie und wohin?

+++

Nach dem Vorstellungsgespräch in B. fahren wir gestern Nachmittag nach Biel. Wir treffen den Künstler Marc Kuhn, den Schöpfer der Kunstbewegung Col-Art und seine mexikanische Frau Rossana. Es gilt noch einiges an Material und Gedanken zur baldigen Ausstellung im Zweibrücker Prisma auszutauschen.

Wie wir zu viert gemütlich am Bielersee über Kunst, die Welt und das Leben philosophieren, bitte ich Marc zum Jux, mir meine Zukunft aus dem Kakao-Satz zu lesen, denn vor bald vier Jahren hat er Irgendlink und mir aus unsern Handlinien gelesen.

In zehn Jahren …, hebt er an. Nein, den Rest seiner Rede werde ich hier nicht verraten.

Was die Zukunft bringen wird? Leben kann ich eh nur die Gegenwart …

So what?

(Falls jemand heute Abend dem Sandmännchen begegnen sollte, dann schicke er oder sie es bitte zu mir!)

Sonne, Mond und andere Fragen

1.)
Vermutlich würde ich noch einmal richtig intensiv leben wollen, sollte der Arzt eines Tages sagt, dass … Vielleicht würde ich mit dem Liebsten eine letzte Reise wagen? Nach Australien-Neuseeland zum Beispiel. Und Schreiben würde ich. Ganz viel. Und ganz still werden. Vielleicht sogar anfangen, das Leben zu lieben, zu genießen. Vielleicht dem Tod, der mich holen will, dankbar sein dafür, dass er mir das Leben doch noch lieb gemacht hat. Ob ich mich dagegen wehren würde? Ob ich versuchen würde, dem Tod zu entkommen? Ich lebe auf diesen einen Moment hin: Endlich möglichst unbeschadet am Ende ankommen, glücklich auf mein Leben zurückschauen, das Lebensbuch zuklappen und sagen: Well done!
Zuweilen beneide ich „Menschen ohne Phantasie“, wie sie Marlen Haushofer in der Wand nennt. Sie müssen nicht über solche Dinge nachdenken.
Gibt es dieses Lied in allen Dingen wirklich, das alles verbindet? Oder ist alles aus purem Zufall entstanden und nichts hat einen tieferen Sinn außer den des Augenblicks, wie das Marlen Haushofer hinter der Wand erkennt und ihre Protagonistin schreiben lässt ? Meine Sehnsucht danach, dass alles eine sinnvolle Ursache hat, ist sehr groß. Ein Leben ohne solche mag ich mir einfach nicht vorstellen. Und tue ich es ab und zu doch, erfüllt mich größte Abscheu dem Leben gegenüber. Alles Tun und Sein wäre vergeblich und würde uns von jeglicher Mitverantwortung für die Welt entbinden.
2.)
Ich lese, also bin ich. Und immer werde ich Teil der Geschichte, die ich lese. Ich identifiziere mich mit Figuren, werde selbst zur Figur, lebe andere Leben als nur meins. Das eigene Leben ist nicht begrenzbar. Alle andern Leben, reale und fiktive (so es diesen Unterschied denn gibt) fließen an mir vorbei und durch mich durch. Wie Jostein Gaarder sinngemäß in Der seltene Vogel schreibt: Jeder einzelne Wassertropfen, der ins Meer fließt, ist nicht nur und nicht länger ein einzelner Tropfen im Meer, er ist das Meer. Und er war immer schon das Meer. Auch.
Ich bin nicht nur Teil des ganzen, ich bin das Ganze. Auch. Selbst im Spektrum aller Kontraste und Dualitäten. Sie sind nur Facetten des Ganzen. Ebenso wie alle Rollen, die wir spielen. Doch jetzt, und jetzt, und jetzt, wo ich diese Gedankenfetzen und Ideen in Sätze umforme, den Formen Namen gebe, zeigen sie sich als Teile. Um anschließend ihre Form wieder zu verlassen und eins zu sein …
All das schreitet durch die Tür meiner Wahrnehmung, zieht dort die Schuhe aus und setzt sich hin. Ich schaue und nehme für wahr. Manchmal bin ich überfordert. Zu viele Eindrücke.
Ich lese Siri Hustvedt. Was ich liebte. In Worte gegossene differenzierte, detaillierte Beobachtungen. Bilder, die auf eigenen Füßen stehen. Einfach nur ihre Worte zu lesen, ist das pure Vergnügen – die Handlung in ihrer Dramatik mal ausgeblendet. Jedes Wort stimmt. Nie schwülstig, nie auf Effekt angelegt. Schlicht, aber nie billig. Zwar eine bewusste Sprache, aber keine raffinierte oder eitle. Authentisch und unexhibitionistisch. Die Sprache transportiert den Inhalt so, dass der Inhalt optimal gesehen werden kann. Die Form stellt den Inhalt dar, Inhalt und Form sind eins.
Dem Ich-Erzähler gelingt es mehrheitlich, sich – obwohl er wesentlicher Teil der ganzen Geschichte ist – auszublenden, die Rolle des Beobachters und Chronisten auszufüllen. Das Ziel, endlich die Geschichte zu erzählen, die erzählt werden soll, stellt er höher, als seine eigene Befindlichkeit, die trotz des Dramas, das er zu verarbeiten hatte, wenig Raum* einnimmt. Dennoch: Kein Roman ist ein objektiver Bericht. Ein Roman erzählt die Sichtweise von Dingen aus einem bestimmten Winkel. Wie der zehnjährige Matt es nach einem Basemallmatch sinngemäß sagt:
Nur schon, wenn ich da statt dort gesessen wäre, hätte ich alles ganz anders erlebt.
(((Lies zwei Zeitungsartikel zum gleichen Thema: In aller vorgeblichen Objektivität wird Subjektivität sichtbar: Wo setzen die verschiedenen AutorInnen ihre Schwerpunkte, wenn die Fakten abgehakt sind? Sind sie kritisch?)))
Schreiben ist das Übersetzen von persönlich gefärbter Wahrnehmung in Buchstaben. Schreiben ist die Wiedergabe von verdautem Geschautem. Ein Schauen, das nicht aufhört sehen zu wollen, was dahinter wirklich ist, was wirkt, was einwirkt, was bewirkt, was ursächlich ist. Und eher was hinter als vor dem Vorhang ist, wirkt bei den Lesenden nach. Wiedererkennen tun wir uns, wenn der Spiegel klar ist. Dann sehen wir mit dem Herzen. Der ganze Farbkreis steht uns zur Verfügung. Alle Farben. Deshalb ist jedes einzelne Bild, das wir mit Worten, Pixeln und Pinseln malen eine Synthese. Ist Ausschnitt und ist alles zugleich. Spezifisch, also alle Details mit der ihnen eigenen Struktur, wiederzugeben, ist die große Kunst jeder Kunst.
Schreiben ist Leben, ist Malen mit allen möglichen Farben und Techniken. Wir arbeiten am sich stetig wandelnden Bild. Dabei lassen wir immer weit mehr weg, als wir sagen und schreiben können. Doch selbst was wir weglassen, ist Teil des Bildes. Des ganzen …
3.)
Sonne und Mond zu sein
Ich lese.
Verdaue Geschriebenes.
Bin Mond.
Reflektiere.
Folge.
Ich schreibe.
Verdaue Wahrgenommenes.
Bin Sonne.
Strahle.
Denke.
Du liest.
Verdaust Geschriebenes.
Bist Mond.
Reflektierst.
Folgst.
Du schreibst.
Verdaust Wahrgenommenes.
Bist Sonne.
Strahlst.
Denkst.
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* EDIT: Vom zweiten Teil des Buches an wird der Autor in seiner Befindlichkeit sichtbarer. Er resümiert frühere Erkenntnisse und überträgt sie auf die Gesamtzusammenhänge und sein Leben.