Geschichten vom Meer | #kursnord

Der Tag fing eigentlich ganz okay an gestern. Na ja, so okay wie es mit Regen eben ist, wenn man im Zelt liegt. Aber gerade weil ich im Zelt lag, war es ja okay, dass es regnete. Denn fast hatten wir es ja ein bisschen vergessen, dieses Regending und nun hatte es uns eben wiedergefunden. So what?

Noch während ich gestern gebloggt hatte, war die Regenfront abgezogen und das Zelt trocknete vor sich hin. Gute Sache, so ein Windchen. Bei meinem kleinen Spaziergang zum WC hatte ich festgestellt, dass die dortigen Duschen für Heißwasser einen Coin oder eine Münze brauchen. Wie gut also, dass wir am Vorabend, bei geschlossener Rezeption, gar nicht erst versucht hatten, heiß duschen zu gehen. In der jetzt geöffneten Rezeption erklärte mir die freundliche Wartin, dass dieses alte von uns benutzte Badhaus nicht mehr oder noch nicht in Betrieb sei. Jedenfalls nur kaltes Wasser und so. Für das neue Duschhaus – am andern Platzende – brauche es eine Chipkarte, die mit soundsovielen Heißwasserminuten aufgeladen sei und die sie am Schluss, wenn wir gehen und die Zeche zahlen, auslese und unsere Duschzeit auf die Zeltplatzrechnung draufschlage. Aha.

So ganz erschließt sich mir ja nicht, dass die Duscherei auf immer mehr Campingplätzen separat berechnet wird. Und überhaupt, ich vermisse die guten alten Campingplätze ohne Schranken, mit Pauschalpreisen, mit ganz normalen kuscheligen Plätzen und Räumen. Diese neue Hypermodernität macht mich nachdenklich. Immer mehr Animation gehört offenbar zum Campingplatzleben, immer mehr Pfannenfertigkeit von Konsumgütern. Wollen das die campenden Leute wirklich? Ist es ‘nur’ die Antwort auf Nachfragen? Was war zuerst? Nehmen wir den Platz hier, ein bisschen südlich von Løkken, wo wir gestern Abend fast zufällig gelandet sind. Denn eigentlich hatten wir ja gestern viel weiter vorankommen wollen. Südlicher nachtlagern. Damit die letzten zweieinhalb Reisetage nicht ganz soooo lange werden. Kilometerfressen, nennen wir das. Daraus war nichts geworden. Aus Gründen. Die mit M anfangen und mit eer aufhören.

Zurück zum aktuellen Zeltplatz. Wie so oft in dieser Jahreszeit war auch diese Rezeption nicht mehr besetzt. Dafür stand da so ein Eincheckautomat. Wie an Flughäfen. Wir klickten uns in einer Mischung von abgestoßen, angezogen und fasziniert durch die Menüs und landeten bei der Zeltplatzkarte, auf der der gewünschte Platz anzuklicken wäre. Doch dazu müssten wir ja den Platz kennen, der sich da riesig – und ich meine: RIESIG! – vor uns ausbreitete.

Wir spazieren los. Überall Wegweiser. Einer zu einem Familienbadehaus. Hm. Sollen wir da in der Nähe …? Vorne war noch ein weiteres Badehaus, ein kleineres, und in der Nähe ein guter Zeltplatz, nicht direkt an der Hauptstraße, der uns gefiel. Nummer 207.

Zurück bei der Rezeption das gleiche Automatenspielchen von vorne. Bloß blöd, dass der Automat außer Platz 137 und Platz 138 nichts konnte. Ich wollte schon klein beigeben und murmelte ‘ist ja egal, kosten tun ja wohl alle gleich viel‘, als ein Mann aus dem Häuschen neben der Rezeption trat und uns zu helfen versprach. Er radebrechte halbwegs gut auf Deutsch mit uns und wollte uns unbedingt einen Platz in der Nähe des neuen ultramodernen Badehauses andrehen. Doch wir blieben hart. 207. Das andere Badehaus war nämlich sehr okay, nicht so groß, überschaubar und den Platz hatten wir persönlich ausgewählt. Also: Platz 207 bitteschön. Zum Glück habe ich meine Campingapp noch nicht vom Handy gelöscht, denn hier ist sie ebenfalls gültig. Wieder bekommen wir Chipkarten für die Dusche, die beim Auschecken ausgelesen werden. Die Rechnung wird auch dann bezahlt. Puh. Geschafft.

Gestern morgen waren wir ziemlich überrascht, wie groß der schnuckelige kleine Campingplatz dann doch war, als wir uns auf dem Weg zur Abwaschküche und zur Dusche aufgemacht hatten. Vorbei an einem Spielplatz mit Hüpfburg.

Auf dem Weg zurück zum Zelt gab es kein Halten mehr. Irgendlink und ich betraten das seltsam gestreifte Ding. Noch nie hatte ich eine Hüpfburg betreten, noch nie diese Lust verspürt, herumzuhüpfen, wie ich sie gerade jetzt erlebte. Tolles Gefühl irgendwie, trampolinartig, raufrunterraufrunter. In einer Pfütze, die die noch zaghafte Sonne noch nicht aufgetunkt hatte, rutschte ich aus und landete ziemlich unsanft, der linke Fuß knickte um und es schmerzte kurz höllisch. Bald ließ er zum Glück nach und ich setzte mich auf eine Schaukel. Solche Spielplätze sollte es definitiv und offiziell auch für Erwachsene geben, dachte ich – wie schon oft. Die Welt sähe besser aus.

Zurück beim Platz packten wir unsere Sachen und fuhren los.

Erstes Ziel: Grenen. Dieser wirklich nördlichste Zipfel des nördlichsten Ortes Dänemarks. Der Punkt, wo sich Kattegat (Norden, Ostsee) und Skagerrak (Süden, Nordsee) begegnen, diese beiden Meeresströmungen aufeinander prallen, sich vereinend. Faszinierender Platz! Die Idee, meinem Bruder, der morgen Geburtstag hat, eine Dose Nordsee mitzubringen, kommt spontan. Gesagt getan, denn die Pfanddosen aus Schweden können wir hier ja eh nicht mehr umtauschen. Macht Spaß, Meer und Sand und Steine und Muscheln in die kleine Öffnung zu quetschen. Zum Abschied lasse ich die Dose ein bisschen von Meer umspülen.

Nach einem längeren barfüßigen Strandspaziergang zum allernördlichsten Punkt des nördlichsten dänischen Zipfels tut mein Fuß so weh, dass ich froh bin über den Shuttleservice zurück zum Parkplatz. Das Passagiergefährt wird von einem Traktor gezogen und wir können uns gerade noch reinquetschen. Eine Schulklasse, ein Haufen vielleicht Vierzehnjähriger, hat heute und hier wohl Klassenfahrt. Spannende Sozialstudie das!, sag ich da nur.

Wir fahren ein Stück weiter südwärts wo eine Wanderdüne einen Leuchtturm verschlungen hat. Vor sechs Jahren war Irgendlink bei seiner Tour um die Nordsee hier gewesen. Nun sieht alles anders aus. Vom Turm ist mehr zu sehen als damals, man kann ihn sogar besteigen. Hier war damals der Fahrradparkplatz, heute ist hier fester Sand. Kaum kann man es sich vorstellen, wie das alles geschehen kann, wo dieser ganze Sand doch so kompakt wirkt. Eine Tafel zeigt an, wo in vierunddreißig Jahren die Sandlinie stehen wird. Das macht Hoffnung, irgendwie, auch für die Menschheit. Was wird sich bis dahin alles verändert haben? Zum Guten? Zum Schlechten? Gesellschaftliche Sandlinien, die Wandlungen verheißen.

Wir picknicken, doch langsam ziehen Regenwolken näher und so spazieren wir zum Auto zurück. Ich bin froh, dass ich mir vor diesem Spaziergang den Fuß eingesalbt und verbunden habe. In den festen Schuhen geht es sich schmerzfreier.

Kaum sind wir im Auto, regnet es. Allerdings nicht sehr lang und nicht sehr fest und bald ist der Himmel wieder hellblau.

Wir kaufen ein und suchen uns einen Campingplatz. Meine Laune ist, wegen der Fußschmerzen und der Gedanken an das baldige Ferienende eher auf Halbmast. Ich bin müde, gereizt und entscheidungsunfreudig. Und nerve mich darüber, dass ich so bin. Der Liebste hält das einfach aus, hält mich aus, hält mich. (Danke!)

Schließlich sind wir, wie gesagt, hier gelandet. Nach dem Essen, die Sonne zeigt sich endlich wieder unverhüllt und es ist abendlich warm, beschließen wir einen kleinen Strandspaziergang. In den Dünen, die wir zuerst durchwandern, stehen wie hingetupft, da und dort Ferienhäuschen. Die meisten an kleinen Sackgässchen, die – wie ich vermute – die Namen der BewohnerInnen tragen.

Endlich am Strand. Ich ziehe Schuhe, Socken und Verband aus, denn die Schmerzen sind deutlich weniger geworden.

Irgendlink erinnert sich daran, wie er damals, mit Ray zusammen, diesen Strandweg entlang gefahren ist. Elf Kilometer Sandpiste. Wir sehen Autos in der Ferne. Die Szene hat etwas Surreales, im Licht der untergehenden Sonne erst recht. Aus Jux markiert Irgendlink mit den Füssen einen Zebrastreifen über die Fahrspuren. Auf dem Rückweg verirren wir uns nur dank Navigationsapp nicht in den vielen kleinen Weglein in den Dünen. Meinem Fuß geht es noch immer gut bis sehr gut. Nur noch ein bisschen geschwollen ist er, aber das wird schon.

Vollmond. Pinker fetter Mond am helllblaugrauen Abendhimmel. Herrlich! Apropos: am Nachmittag war ja Vollmond! Was meine Laune erklären könnte? Und jetzt, jetzt geht es mir auch schon wieder viel besser …

Die Nacht ist heiß und die Hitze im Zelt weckt uns um halb acht. Mit Durchzug, wie jetzt, und von Winden umtost, ist es nun aber sehr gemütlich im Zelt. Kein Vergleich mit einem Hotelzimmer. Sagte ich schon, dass ich gerne zelte?

Collage mit Szenen vom Tag, Meer, Strand, Düne, Leuchtturm.