Nehmen wir Trelleborg, diese Kleinstadt im südlichsten Schweden, die uns einiges über den Umgang mit Bildausschnitten lehrt, die man doch so gerne hochrechnet um die Welt zu verstehen. Zu verstehen glaubt.
Noch beim Frühstück gestern Vormittag, auf Malmös Camping, war uns irgendwie klar, dass wir einen eher ruhigen Tag brauchten. Entschleunigung nach dem langen Reisestück durch Norddeutschland und Dänemark. Ebenso war beiden irgendwie klar, dass wir ostwärts wollten. Aber nicht auf bereits befahrenen Strecken quer durchs Land über Höör und Hörby wie 2010 und 2011. Was lag also näher als der Ostsee entlang Richtung Osten zu fahren?
Doch zuerst suchten wir noch nach einem kleinen architektonischen Abenteuer, das der Jagd nach einem Bankomaten – sag es laut: nach Geld – ebenso galt, wie der Suche nach Originalschauplätzen von Irgendlinks AnsKap-Abenteuer im Jahre 2015. Malmös Arena oder so ähnlich heißt das Quartier. Mittendrin jener Bahnhof, wo sich Irgendlink vor bald drei Jahren mit Ray getroffen hat. Mitten in einem höchst futuristisch anmutenden, in den letzten Jahren neu aus dem Boden gestampfen Stadtteil. Einem, wie ich gestehen muss, ziemlich ansprechend gebauten. Fürs Auge. Fürs potentielle Wohlfühlen.
Echt jetzt, diese Schweden können toll bauen! Überhaupt: Immer wieder mal sagen wir so Sachen. So Sachen wie “dieses Schweden kann dies und das” oder “diese Schwedinnen und Schweden können aber wirklich” zueinander.
Wir parken das Auto neben einem Parkautomaten, um einen Geldautomaten zu finden. Autsch, so viel Automatik. Schon spinne ich eine kleine kishoneske Geschichte von zwei Menschen, die, weil sie Geld ziehen wollen um parken zu können. Doch ihnen fehlt das Geld fürs Parken, weil sie dieses ja noch nicht gezogen haben.
Doch schließlich kommt es anders. Schwedens Parkautomaten gehen nämlich (jedenfalls diese hier) nur mit Kreditkarte. Und ich meine Kreditkarte. Also nicht Maestro oder Plus oder so. Da wir beide keine solchen haben, müssen wir schwarz parken, denn – Überraschung! – Münzen kann der Automat natürlich nicht. Auch der später gefundene Geldautomat ist uns nicht freundlich gesinnt. Er kann kein Plus, womit Irgendlink hätte gebührenfrei Geld ziehen können.
Also weiter. Auf dem Weg nach Trelleborg sinnieren wir über die Demontagen unserer Illusionen. Immer wieder. Überall.
Es ist ja so, dass ich seit neun Jahren, seit meiner ersten Reise, in Schweden verliebt bin. Und in Skandinavien. Oder eigentlich noch länger. Schon vor meiner ersten Nordreise hatte ich mir ein Bild gemacht: Schweden ist lieb und schön und menschenfreundlich und respektvoll und weit und voller wunderbarer Natur. So irgendwie. Auf meinen weiteren Reisen durch dieses Land hat sich manches bestätigt. Aber vielleicht auch nur, weil ich es bestätigt haben wollte. Weil ich da und dort weggeguckt habe. Weil ich sah, was ich sehen wollte.
In Trelleborg parken wir erneut schwarz. Wieder können wir mit unseren Karten nicht zahlen. Ob wir hier wenigstens einen kartenkompatiblen Geldautomaten finden? Wir spazieren mit den Handykameras im Anschlag durch die Straßen und finden auch tatsächlich ein Geldspuckding, das Plus kann. Es fühlt sich ja schon irgendwie besser an, wenn man ein bisschen Bargeld im Säckel hat, sagen wir. In einem Land, das Bargeld immer mehr abschafft.
Wie machen es eigentlich Obdachlose? Menschen ohne Bankkonto?, grübeln wir und spazieren uns in immer weniger einladend wirkende Gegenden. Wohnquartiere. Satellitenschüsseln auf Balkonen. Das Ludwigshafen Schwedens nenne ich dieses Trelleborg, doch da hören wir auf einmal Pfauen und befinden uns mitten in einem Park. Mit Turm und Café und einem wunderbaren Brunnen. Kein feuerspeiender Drache sondern die wasserspeiende Riesenschlange, title ich das Kunstwerk.
Zack, auf einmal ein ganz anderes Trelleborg. Wir wieder mit unseren Vorurteilen.
Schnitt
Nehmen wir Trelleborg, wie gesagt. Dieser Mann da, diese Frau. Hätte sie nicht – kurz nachdem sich die beiden endlich schwedisches Bargeld gezogen hatten – etwas von Lust auf Falafel gesagt – wer weiß das schon so genau -, wären sie vielleicht noch immer um ein paar nette Illusionen über dieses schwedische Völklein reicher.
Die beiden haben den Kneipenstrich Trelleborgs eben erst erreicht als ihr von einer Menütafel das Wort Falafel in die Augen springt.
Sie bestellen also einmal Falafel auf Dürüm und einmal Hamburger mit Pommes und setzen sich vor das Restaurang an die Sonne. Perfektes Wetter, warm, ein kühles Lüftchen, das Leben ist schön.
Wäre schön. Der Konjunktiv hockt im Nachbarbiergarten. Der Konjunktiv singt Trelleborg. Singt Schlachtrufe, singt Kampflieder, die unsere beiden Helden mit detektivischer Begabung – Männer, bunte Schals tragend, biertrinkend – nach und nach als Anfeuerungsrufe für eine trelleborgsche Fußballmannschaft identifizieren. Der Konjunktiv nickt den beiden Helden zu: Na, immer noch Leben-ist-schön? Nun ja, das Wetter könnte wirklich fast nicht besser sein.
Auf dem Weg zum Parkplatz kommen ihnen schließlich Fans der Malmöschen Spielkonkurrenz entgegen – blauweiße Schals mit Malmöschriftzug – und die beiden sind heilfroh, einem Aufeinandertreffen der beiden Fangruppen entgangen zu sein. Schweden ist eben auch so. So und noch ganz anders. Sich aus Auschnitten ein Ganzes zusammenbasteln ist ebenso menschlich wie trügerisch.
Schnitt.
Bald sind wir wieder in der Pampa. Küstenweg. Ostsee. Wunderbar. Leben-ist-schön. Wir rasten mal da, kaufen mal dort noch ein paar kleine Dinge ein und genießen den Tag. Gegen Abend lotst Irgendlink mit Blick auf unsere Gratispapierlandkarte noch tiefer ins Küstenland. Von der menschlichen Stimme eines papierkartenlesenden LIeblingsmenschen durch die Straßen Schweden navigiert zu werden hat schon eine andere Qualität als die Handystimmenavigation.
So manche Sehenswürdigkeit, die uns unterwegs angezeigt wird, lassen wir links oder rechts liegen, doch diese hier, ja, die wollen wir uns anschauen. Ales Stenar. Eine überdimensionierte Sonnenuhr, eine etwa tausend- bis tausendfünfhundert Jahre alte Steinformation in Elipsenform, in Schiffsform, auf den Hügeln über Kåseberga begeistert uns nachhaltig. Die Stellung der Steine diente als Kalender, markierte zum Beispiel die Sonnenpunkte an Sonnwenden.
Der Wind hier oben pustet uns fast um; ich bin froh, den Faserpelz übers T-Shirt angezogen zu haben.
Hier gibt es überall irgendwelche Zeltplätze, sagt Irgendlink, zurück im Auto, auf die Karte guckend. Der Nächste, den wir ansteuern, ist allerdings einfach ein Strand, an dem man Zelten kann. Ohne Infrastruktur allerdings. Ohne Wasser vor allem, denn davon müssten wir noch ein bisschen mehr haben. Darum fahren wir weiter und landen bald darauf auf Borrbystrands Camping. Ein kleines Idyll!
Die Rezeption ist nicht mehr besetzt, also bauen wir uns einfach auf. Was an sich kein Problem ist, bis ich aufs WC muss und mangels Karte nicht kann.
Mit ein bisschen Rumfragen sind wir bald stolze Kartenbesitzende und das Leben ist wieder ganz schön schön! Bis auf den Wind. Der kühlt uns nämlich langsam aus. Schicht um Schicht ziehen wir uns wärmer an, kochen uns etwas Warmes und schließlich lassen wir den Tag mit einem ausgedehnten Strandspaziergang ausklingen. Sagte ich schon, dass das Leben schön ist. Manchmal jedenfalls.
Auf Twitter wird uns eine Hitzewelle aus Finnland angekündigt. Mal schauen.
Jedenfalls ist es heute wieder wunderschön. Und auch wieder ganz schön windig. Wir nehmen den Tag so wie er ist.