Kurs Süd, aber zögerlich | #kursnord

Jetzt kann ich es nicht mehr leugnen. Wir fahren südwärts. Vorhin haben wir die Rückreiseroute ausballdowert. Uskavigården und Örebro sollen am Weg liegen, zwei Orte, die wir vor drei Jahren lieb gewonnen haben, wollen wir wieder sehen. Das eine zum Übernachten, das andere um der Kunst willen. Dann weiter Richtung Vaberg, südlich von Göteborg, mit der Fähre nach Dänemark und von Skagen dann schließlich in die Südpfalz. So irgendwie. Aber vermutlich wird dann doch alles anders. Was würde mich doch das Korsett einer fix geplanten Reise einschnüren! Ich bin froh um unsere So-tun-als-ob-Freiheit, die wir uns beim Reisen nehmen. Freiheit, so hatten wir neulich sinniert, auf dem Spaziergang durch Militärsperrgenbiet auf Härnösands Halbinsel, Unfreiheit, Freiheitsentzug ist im Grunde der Entzug des Rechts auf persönliche Bedürfnisse. Und darauf, die Dinge so zu tun, wie ich sie tun will, die Wege so zu gehen, wie ich sie gehen will. (Sorry, das mag jetzt zynisch klingen für Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen Dinge nicht so tun können wie sie am liebsten wollen würden. Kenn ich ja selbst in anderen Lebensbereichen.)

Vermutlich ist Freiheit eh in der Welt der Dinge eine Art Illusion, denn wir alle werden von so vielen Dingen beeinflusst und müssen auf so viele Dinge reagieren, dass Freiheit wohl letztlich nur in uns drin gedeihen kann.

Dennoch: Beim Durch-die-Lande-Gondeln fühle ich mich zumindest so frei, dass ich zuweilen vergesse, dass ich in zehn Tagen wieder im eigenen Bett schlafen werde. Fast kann ich mir die eigene Wohnung kaum noch vorstellen. Das Dorf. Die Schweizer Straßen. Alles sehr weit weg. Physisch gesprochen über zweitausend Kilometer mit dem Auto. Innerlich wohl noch weiter.

Wie wir gestern vor uns her prokrastinierend auf dem Campingplatz Norrfällsviken ausmisteten, rumräumten, bloggten, frühstückten, duschten, philosophierten und es nach zwölf oder später wurde, bis wir endlich wegkamen, realisierte ich, wie gerne ich noch im Norden geblieben wäre. Ja, ein Tag länger vielleicht, das wäre eigentlich schon noch gegangen. Aber. Aber die Rückreise soll nicht zu einem Rennen gegen die Zeit werden. Kein Stress. Kein Rückreisestress. Das würde dieser genialen Tour nicht gut stehen.

Irgendlink, der Gute, wie er gestern mit der Technik gehadert hat, als sein Notizbuch auf dem Handy seinen gestrigen Blogartikel verschlungen hat. Schreibst du ihn nochmals?, fragte ich ihn hoffnungsvoll. Er haderte. Es ist doch so: Sich selbst kopieren ist schwer. Nur schon einmal gedachte Gedanken, wenn du sie nicht genau so sofort aufschreibst, wirken hinterher, wenn du sie, ohne dich an die genaue originale Satzabfolge zu erinnern, zu rekonstruieren versucht, schal, abgestanden, unauthentisch, leblos, fad. Selbst wenn sie inhaltlich mit der originalen Version übereinstimmen, fehlt ihnen die erste Begeisterung. Verstehe das jetzt, wer will.

Jedenfalls schrieb er seinen Text dann doch ein zweites Mal. Diesmal, und das merkte ich erst hinterher – im Auto Richtung Süden -, klemmte es beim Publizieren. Sein Artikel war sogar nur lokal auf seinem Handy gespeichert. Müühsam das. Lange Rede kurzer Sinn. Von außen sieht manches einfacher aus als es ist. Die Bloggerei ist Arbeit, Herzarbeit, geliebte Arbeit, ja, das natürlich schon, aber Arbeit, die Zeit beansprucht. Und wie ich am Anfang dieser Reise schon schrieb: dennoch ist es irgendwie notwendig, um den vielen Gedanken, Erfahrungen und Erlebnissen ein Gefäß zu geben.

Ich bin heute jedenfalls froh, dass ich vor acht Jahren, auf meiner ersten gemeinsamen Skandinavientour mit Irgendlink, bereits live gebloggt habe. (Wobei es live ja nicht wirklich trifft, denn ich schreibe einen Tag ‘hinterher’ über bereits Erlebtes. Ein bisschen mehr live sind wohl dann unsere Twittereien, die wir unter dem Hashtag #kursnord schreiben.)

Wie wir gestern also endlich, nach einem kleinen Spaziergang in einem Seltene-Orchideen-Garten in der Nähe vom Zeltplatz zuerst über Land und schließlich auf der Autobahn Richtung Süden fuhren, wurde es uns beiden schmerzlich bewusst: Der Norden ist nun wieder für eine ganze Weile Vergangenheit. Das tat fast physisch weh, als würde ich an einem starken Gummiband laufen, immer weiter weg, während sich das Band immer weiter spannt … und schließlich reisst. Ich glaube, mein Nordband riss irgendwo nach jener Brücke, jener genialen Autoseilbrücke, die den Beginn der Höga Kusten-Region einleitet. Dort schließlich hielten wir eine Siesta, machten Bilder, nahmen Abschied.

Richtung Sundsvall fuhren wir die gleiche Strecke wie auf dem Weg nach Norden, doch bereits einige Kilometer danach schoben wir uns von der Küstenautobahn weg ins Landesinnere.

Klimazonenwechsel. Vom Frühling in den Vorsommer katapultiert, von nördlicher Kargheit in grüne Opulenz. Lönnebergabilderbuchschwedische Bauernhöfe. Holperpisten.

Wir hatten uns nämlich kurz vor Sundsvall an jenen wunderbaren, ziemlich schrägen Zeltplatz erinnert, den wir auf ebendiesem Straßenstück vor acht Jahren fast zufällig gefunden hatten. Ob er noch existierte? Der Platzwart hatte ein Faible für schräge Sachen gehabt, durchaus wörtlich, denn das Badehaus stand ziemlich windschief in der Landschaft. Schon älter war der Mann gewesen, ein Jazzfan und Sammler, ein Mann mit vielen Geschichten. Der Platz war ziemlich überschaubar gewesen, direkt an einem See und wir durften gratis mit dem Ruderboot raus. Bergsjö.

Irgendlinks geografisches Gedächtnis ist beinahe fotografisch, während meins sich eher an Begebenheiten, Stimmungen, Sätze und Begegnungen erinnern kann. Doch auch mit diesen beiden Erinnerungsströmen im Doppelpack finden wir den Wegweiser zum damaligen Platz nicht. Dass er nur sehr unauffällig ausgeschildert war, wissen wir noch genau. Nun denn.

Fünfzig Kilometer weiter ist der nächste bereits offene Platz, den ich in unserm Campingführer gefunden habe. Und vielleicht gibt es unterwegs noch etwas, das nicht im Führer steht.

Über Land holpern wir weiter und erreichen kurz nach zwanzig Uhr Ljusdal Camping. Ein sehr schöner Platz mit auch noch reltiv wenig Gästen, aber hier ist deutlich mehr los als ein paar Breitengrade nördlicher. Vor allem die sehr nahe Landstraße brummt. Das Zelt ist schnell aufgebaut und eingerichtet und schon bald kochen wir uns etwas Feines.

Waren wir eigentlich bisher nachts immer an Gewässern?, frage ich mich. Hier ist nämlich auch ein See. Ein sehr schöner sogar. Ihm verdanken wir einen weiteren wunderschönen Sonnenuntergang, der allerdings auch bereits deutlich früher läuft und deutlich schneller als die Tage zuvor. Sogar eine Feuerstelle mit Bank finden wir und ein bisschen Feuerholz.

Die Nacht ist kühl, aber nicht kalt und jetzt knallt bereits die Sonne aufs Zeltdach. Es soll sommerlich warm werden heute. Glaub ich gern.

Collage aus Szenenbildern des Tages

Die Milch ist keine Milch | #kursnord

This way goes very beautiful to the things, ulken wir in wort-für-wort-übersetzendem Englisch, nachdem wir das erste eher flache Wegstück zur Slåttdalsskrevan, die uns letztlich nicht unwesentlich so weit in den Norden geködert hat. Die ersten vielleicht fünfhundert Meter gehen wir auf zweispurigen, schmalen Brettern, die auf Holzstammstücken aufgelegt und festgenagelt sind. Eben hatte ich noch gespottet: Was kommt als Nächstes? Rollbänder, auf denen man wie am Flughafen bergan geschoben wird?

Doch dann das: Bergan erwarten uns nicht etwa berneroberländische, lieblich mit Moos bewachsene Wanderwege, sondern karge Geröllhalden. Überhaupt: Der Slåttdalsberget ist eine einzige überdimensionierte Geröllhalde. Wenn auch eine wunderschöne Geröllhalde, zugegeben. Mein Schweizherz hatte am Morgen noch milde gelächelt, als mir Irgendlink vom höchsten Berg an der Hohen Küste erzählt hat. Um die 260 Höhenmeter über Meer sei er hoch. Und ja, dem Berg ist es gelungen mich zu überraschen, mich Demut zu lehren.

Auf solchen Geröllfeldern zu gehen ist buchstäblich ein Balanceakt. Eine Meditation. Auge, Fuß und Hirn arbeiten in absoluter Übereinstimmung. Das Auge sieht die nächsten Steine, die zur möglichen nächsten Schrittkombination taugen, meldet dem Hirn die gewünschte Fußauflageform – hinten, mittig, vorne – und schon, Zack!, ist in Sekundenbruchteilen der Schritt getan. Und ja, es sind viele Schritte. Weil wir hier nicht einfach geradeaus gehen können. Weil wir über die Steine, Felsen, Kieselsteine mäandern, mal kletternd, mal tänzelnd. Es geht zur Sache, really. It goes to the things. Und in die Knochen. Und Gelenke. Wir legen Pausen an der noch zaghaften Sonne ein, klettern uns bergan und schließlich finden wir die Pforte zur Schlucht, ein Durchgang zwischen Felsen. Die Schlucht selbst? Unbeschreiblich und auf all den vorher gesehenen Bildern von ihr längst nicht so imposant wie in echt. Boah! Dafür hat sie die Mühe gelohnt, die vielen Autokilometer. Die kalten Nächte. Die kargen Mahle. Wir überschlagen uns in der Aufzählung all der gebrachten (fiktiven) Opfer. Und aaahen und ooohen zum unzähligsten Mal auf dieser Tour. Vor der Schlucht verewigen wir uns im fleddrigen Gipfelbuch, picknicken, und klettern schließlich hinunter, über eine Holztreppe zuerst, dann über Geröll und Schneefelder. Kalt ist es in diesem Spalt zwischen den Felsen. Als ob ein Riese mit einem Handkantenschlag die Felsen zerteilt hätte. Der Weiterwanderoptionen sind viele: Auf einem ähnlichen Weg -allerdings über das Bergplateau – zurück zum Eingang Süd des Skuleskogen-Naturreservats, wo wir ein paar Stunden zuvor das Auto geparkt haben oder um die beiden Seen weiterunten oder um die Seen herum und dann auch noch auf die Insel. In reinen Kilometern nicht soo weit. Aber die Höhenmeter. Die Unwegsamkeit. Die Anstrengung. Nach der Schlucht, auf einem felsigen Plateau, findet uns die Wärme. Die Sonne hat die Felsen aufgewärmt und die Aussicht ist unglaublich. Weite. Die Seen unter uns. Dahinter, unter hellblassblauem Himmel das Meer. Darin unzählige Schären. Wachsende Schären, die sich nach den Lasten des Drucks von tonnenschwerem Eis über all die vielen Jahre nun wieder entfalten, nach oben wachsen.

Hier entscheiden wir uns schließlich für die Variante ‘Zurück über den Berg’. Weil das deutsche Paar, dem wir vorhin begegnet sind, davon so geschwärmt hat.

Und ja, es hat sich gelohnt. Obwohl ich kurz davor war, aufzugeben (so müde Füße, so müde). Obwohl es sooo steil war. Aber sowas von steil. Eine nicht gerade ungefährliche Kraxelei. Aber der Berg. Wen er ruft, der kann nicht nicht folgen. Weitsicht auf einem felsigen Plateau.

Der Abstieg war erstaunlich moderat, vom Weg her ebenso wie von der Steigung/Neigung. Und irgendwann waren wir dann doch froh über die Bretterwege, denn, wie ich schon sagte, this goes very beautiful to the things.

Auf dem Rückweg kauften wir Tiefkühlpizze, die wir in der Campingküche backen würden. Überhaupt. Wir könnten ja eigentlich, es war ja dann doch wieder ziemlich kühl geworden, eh in der Küche essen. Die Heizung anwerfen.

Später, am Feuer, hält die innere Wärme an, gemütlich ist es. Wir philosophieren und twittern, als auf einmal ein Fuchs auftaucht. Er kommt immer näher, schnuppert, verhält sich wachsam, aber nicht irgendwie bedrohlich. Umkreist uns. Umkreist das Feuer. Schnuppert an der Tasche mit den Küchensachen. Findet nicht, was er erhofft hat. Guckt uns an, guckt das Feuer an. Kommt näher. Bleibt stehen. Ich sehe ihm in die Augen, sage, dass wir ihm nichts tun, und sage auch, dass er uns nichts tut Alles gut. Irgendwann zottelt er weiter.

Wie immer stellen wir vorm Ins-Zelt-Gehen die Sachen für die morgendlichen Heißgetränke, die wir im Zelt genießen, bereit. Trangia, Becher und Zutaten. Trangia muss eh da stehen, weil, wenn es kalt wir, können wir uns und das Zelt damit schnell ein wenig aufheizen.

Die Nacht ist kühl, aber nicht so frostig wie auch schon. Wir sind inzwischen ziemlich gut drin, solche Nächte unbeschadet zu überstehen.

Am Morgen kocht Irgendlink Kaffee und Tee für uns, während ich noch im warmen Schlafsack liege.

Die Milch ist keine Milch und den Tee hat bestimmt der Fuchs geholt, murmelt er. Das hier ist Blaubeersaft.

Oh nein, dann muss ich, als ich gemerkt habe, dass ich die Tetra mit dem Trinkjoghurt statt der Milch in der Hand hatte, den Tee auch gleich wieder zurückgestellt haben. Drei Tetra aufs Mal haben mich gestern Abend wohl schlicht überfordert, murmle ich zurück.

Später. Er: Du, da schwimmt eine Mücke in deiner Tasse.

Ich: Schnell: retten. Reanimieren.

Er: Ich glaube die ist tot.

Ich: Schnell: bestatten!

Und auch sonst haben wir es richtig toll.

Heute fahren wir weiter Richtung Südwesten. Ins Landesinnere. Richtung Dalarna. Auf den Spuren des Nordkapradlers von 2015.

Collage aus Bildern des Tages. Szenen sind im Text erwähnt.

Der Fuchs schleicht durch den Wald

Küstenhoch am Kieferholzfeuerchen | #kursnord

Ein bisschen planlos fuhren wir los, gestern Vormittag, nachdem wir das Zelt abgebaut, gepackt und uns von Gerard verabschiedet hatten. Einzig die Richtung war klar. Irgendwie und irgendwo in der Nähe von Örnsköldvik. Auf einer Halbinsel hatten wir im Zeltplatzführer einen offenen Zeltplatz ausgemacht. Norrfällsviken. Nicht wirklich weit also. Auf der tollen Hängebrücke, die wir beim Wandern auf der Hin- und Herfahrt schon passiert hatten, hielten wir die erste Pause. Die zweite kurz darauf, nachdem wir die E4 verlassen hatten.

Da, dort drüben sind wir gewandert. Unser Wanderwaterloo!, scherzen wir und beschließen spontan, nochmals zu diesem tollen See zu fahren, an dem wir auf unserer Wandertour vorbeigekommen sind. Sogar ins Wasser gehen wir. Ich allerdings nur sehr punktuell, während der Liebste sich die volle Dröhnung gibt. Allerdings auch nur gaaanz kurz, denn für uns Heißduschende ist die Schmerzgrenze bei etwa zwanzig Grad erreicht, bei ihm ein bisschen weiter unten – je nach Lufttemperatur … und das gestern war deutlich drunter.

Später, im ICA von Nordingra, das auch Post, Apotheke, Alkoholladen und Wettbüro ist, die dritte Pause. Picknick auf dem Dorfplatz vor dem Laden, und als Nachspeise ein Eis vor dem Eiscafé. Die Eisverkäuferin sagt, dass vor zwei Wochen noch Schnee lag. Brrr.

Grob fahre ich Richtung E4 weiter, Karten – wozu? Ist ja noch eine Weile bis Örnsköldvik. Da auch Irgendlink, der Lotse, die Karten ignoriert, gondle ich einfach mal weiter. Grob Richtung Nord, die eigentlich eher Richtung Ost war. Wir aaahen und ooohen uns durch die kleinen Weiler, die richtig belebt und lebendig wirken, sehr untouristisch, natürlich, ungekünstelt … und fühlen uns wohl dabei.

Als ich auf einmal an einer Sackgasse zu einem Camping stehe, beschließen wir, doch mal auf die Karte zu schauen. Um festzustellen, dass das genau jener Zeltplatz ist, den wir angepeilt hatten. Krass: Finden ohne Suchen!

Riesiges Teil, dieser Platz. Rezeption zu. Schranke auf, Servicehäuser offen. Wir finden einen unglaublich schönen Platz mit Feuerstelle und Tischbank-Garnitur, wo wir in einem Kieferwäldchen das Zelt aufbauen. Wildzeltfeeling mit Badehaus in etwa fünfzig Metern.

Ich wasche ein bisschen Wäsche, wir hängen rum, dösen; und schließlich, es ist kühl geworden, wandern wir zum Meer.

Da ist ja auch immer noch Zeltplatz, boah ej – eine Zeltwiese mit direktem Meerblick! Wären wir doch! Hätten wir doch! Aber nein: Es ist gut, wie es ist. Denn unser Platz ist im Grunde perfekt für uns. Ruhig. Nur für uns. So wie wir es mögen.

Dieser Strand ist exorbitant. Rötliches und graues Gestein, Felsen, Kies. Da meint man zuweilen, man hätte alles gesehen, und dann das!

Wir genießen nochmals richtig fette Abendsonne, wärmen uns auf und gehen schließlich zum Zelt zurück, kochen lecker und setzen uns an ein Kieferfeuerchen, das uns die Abendkühle beinahe vergessen lässt.

Heute wollen wir eine Wanderung machen. Hoffentlich eine nicht gar so lange wie die vorvorgestrige!

Tagescollage mit im Text erwähnten Szenen

Von Menschen und Meeren | #kursnord

Ihr seid gut angezogen, sagt Gerard aus Holland in seinem nicht ganz akzentfreien aber ansonsten tadellosen Deutsch. Ein Mitcamper, den Irgendlink am Vorabend unter der Dusche kennengelernt hat. Er hat sich um die Mittagszeit zu uns gesellt. Er habe lange suchen müssen, hatte er gesagt, denn der Zeltplatz ist weitläufig und dünnbesiedelt – ein Abbild Schwedens. G.s Haus auf vier Rädern, einen selbst umgebauten Renaultbus, der uns ans Gefährt unserer Unserwegs-Freundespaares Beat und Annette erinnert, steht genau am anderen Ende des Campingplatzes. Weitgereist ist er in den letzten achtzehn Jahren, im Winter im Süden, im Sommer in Norden, einem Zugvogel gleich, hat das Heilen im Blut und im Herz und ist ausgebildeter Geschichtenerzähler. Ein begnadeter Rhetoriker vor dem Herrn. Und vor der Frau. Unkonventionell, atheistisch und zugleich spirituell, und quer mittendurch, und alles und nichts. Ein Sehender vielleicht. Er erzählt uns, dass in jeder Geschichte mindestens drei Reize stecken sollten, damit die Leute nicht aufhören zuzuhören: Etwas für die Fühlenden, etwas für die, die gerne essen und etwas für die, die sich über Kleidung und Äußerlichkeiten Gedanken machen.

Oh, sage ich und lache, da habe ich ja in meinem heutigen Blogartikel mit meinen Trangia-Menüs voll ins Schwarze getroffen.

Von Findhorn erzählt er, von England und dessen Aussprache, die er mit zusammengebissenen Zähnen demonstriert. Auf einmal sind wir bei Stöckelschuhen und Krawatten und schon erwäge ich, meinen nächsten Artikel mit diesen Wörtern zu übertiteln. Doch ich verwerfe ihn, will ich doch hier auf meinem Blog nicht wegen solcher Stichworte gefunden werden will. Das fehlte mir noch. Wir sind uns nämlich einig: Es gibt im Grunde nichts Sinnloseres als Stöckelschuhe und Krawatten. Machtsignale. Games. Statussymbole, die einzig der Imagepflege und -demonstration dienen: Wozu? Dieses Fassadegetue ist ihm wie uns zutiefst zuwider. Und dann sagt er es: Ihr seid gut angezogen. Was ihr da tragt, das ist, was ihr seid. Er rühmt die Tasche meiner Faserpelzjacke auf der linken Schulter. Meine Wanderhose. Viele Taschen, das ist gut. Das Gespräch mäandert, schließlich Politik, Internet und immer wieder die Geschichten, die wir einander und der Welt erzählen. Er seine, wir unsere. Alle auf ihre Weise. Fiktion ist, sage ich, oft wirklicher als eine sogenannt wahre Geschichte, sie ist ein Konzentrat, ein Extrakt, verdichtet Wahrheiten.

Als wir uns verabschieden, geht mir durch den Kopf, dass es schon faszinierend ist, wie man immer wieder auf Menschen trifft, wo immer man auch hinfährt, die irgendwie ähnlich ticken.

Wir hängen rum, gucken Karten, entscheiden, morgen (also heute, da ich diese Zeilen schreibe) doch noch ein bisschen weiter nördlich zu fahren. Irgendlink will zu ebenjenem Berg, zu ebenjener Schlucht. Ich necke ihn und sage: Denk an Lövö. Denk an das Bild vom gespaltenen Fels, deswegen wir nach Lövö geradelt sind. Gefunden haben wir ihn natürlich nicht.

Aber dafür anderes mindestens ebenso Schönes!, sagt er. Wo er recht hat …

So funktioniert es doch: Es gibt ein paar schöne Punkte, die man gesehen, sinnlich erfahren haben will. Die werden in uns drin dann zu großen, mächtigen Zielen, derentwillen man sich auf den Weg macht. Man lädt sie mit seinen Erwartungen auf, man füllt sie künstlich mit seinen Träumen, man bläht und bläst sie auf.

Später, als wir einen kleinen Spaziergang machen, spüre ich die alten Knochen. Na ja, die zwanzig Wanderkilometer so aus dem Stand heraus waren ja auch nicht ohne. Unser kleiner Spaziergang wächst sich aus. Militärsperrgebiet. Aber da müssen wir durch. Ich gucke diesmal nicht mehr auf Papierkarten. Nie mehr ohne meine GPS-App, unke ich. Es werden dann doch etwa sieben oder acht Kilometer und das mittlere Drittel hätten wir uns gerne geschenkt. Schotterpiste. Nicht wirklich schön. Außer vielleicht der Wald ringsum. Dafür war das erste Stück exorbitant. Felsiger Strand, eine Freizeitanlage in musealer Umgebung – alte Wirtschafts- und Wohngebäude direkt am Meer – gegenüber die Inseln, Meeresrauschen. An Bildern habe ich natürlich nur die Strecke am Meer mitgenommen, innendrin ebenso wie auf dem Handy. Natürlich. Wir alle blenden aus, bilden ab, was wir wollen. Ausschnitte. Denn auf jedes schöne Wanderstück kommt ein mindestens gleichlanges nicht so schönes Stück Weg. So muss es aber wohl auch, denn so viel Schönheit wie hier wäre ja auch kaum zu ertragen. Und überhaupt: Es ist ja immer beides, alles.

Im Militärsperrgebiet orakelt Irgendlink von Überwachung und traut sich kaum, Bilder zu machen. Sonst haben sie uns., sagt er. Seine Paranoia, auch wenn er sie überzeichnet, springt ein bisschen auf mich über. Zumal wir Überwachung via Zahlungssysteme, Überwachung unseres Konsumverhaltens, in diesem Land ja schon hautnah erlebt haben.

Das letzte Stück zum Campingplatz wollen wir abkürzen, verirren uns aber ein bisschen, aber schließlich landen wir dann doch wieder vor unserm Zelt.

Da es heute so schön warm ist, noch immer warm auch um kurz vor sieben, kochen wir ausgiebig. Auf beiden Trangias hantiert Irgendlink so geschickt mit den drei Töpfen, dass ich ihn Dirigent und Jongleur nenne. Schön sieht das aus, denke ich beim Gemüseschnippeln, Salatzerpflücken und Saucebauen.

Nach dem Zahlen der Campingplatzrechnung besucht Irgendlink unseren neuen Freund im Wohnmobil, während ich es vorziehe, bei laufendem Sonnenuntergang, der hierzulande gerne ein paar Stunden dauert, in meiner schwedischen Krimianthologie weiterzulesen.

Die Sonne hat sich tagsüber ein paar Mal geziert, sich verhängt, und auch jetzt zeigt sie sich leicht bedeckt. Aber gerade das macht den Sonnenuntergang so malerisch. Exorbitant. Unten dunkle, blaugraue Wolkenschlieren bemalen den Abendhimmel und sprechen von einem weiteren Sommertag.

Und das ist er: halb zehn und schon nur T-Shirts an. Und Sonnenmilch.

Collage aus Bildern des Tages, die im Text erwähnt wurden. Mit dabei ein Baum aus vier in sich verschlungenen Stämmen.

Zu Fuß | #kursnord

Das war dann jetzt wohl die kälteste Zeltnacht meines Lebens. Und ich habe es nicht mal wirklich mitbekommen, ich habs verpennt sozusagen, müde genug war ich ja. Nicht mal wirklich gefroren hab ich. Allerdings nur dank Vorsorge wie vorheriger Heißdusche, Zeltsauna à la Trangia, genug Klamotten angezogen und in Griffnähe, Seideninlay, kuschliger Drüberdecke und Pulswärmern. Leider ist Irgendlink im noch nicht vollwärmeisolierten Zustand eingeschlafen und um 4:41 mit klappernden Zähnen aufgewacht. Also nochmals Zeltsauna à la Trangia (= Kocher mit offener Flamme im Zelt anmachen) [Warnung: wir übernehmen für Nachahmende und ihre Zelte keine Garantie!]

Erneut warm verpackt haben wir dann richtig lang ausgeschlafen. Die Hitze im Zelt, als die Sonne wieder draufknallte, hat uns schließlich geweckt. Diese Temperatur-Gegensätze aber auch! Ich glaube, ich bin diesbezüglich ein wenig robuster geworden in den letzten Tagen.

Vormittags, am sonnigen Frühstückstisch, dann ein kleines Gelage mit lecker Eieromelett. Überhaupt, wir sind echt richtige Campinggourmets. Und saugut im Kreative-Menüs-Ausdenken. Ich nenne es Inventarkochen: Gucken, was da ist und daraus etwas erfinden. Wie zum Beispiel Zucchinizwiebelrisotto, Tomatencouscous und Kartoffelhaferflockenpuffer … Aber halt, ich will jetzt hier nicht übers Essen schwadronieren.

Unsere Glieder sind einigermaßen matt und muskelkatrig, denn aus der gestrigen kleinen Nachmittagswanderung wurde eine währschafte Tagestour um die knapp zwanzig Kilometer. Als wir um eins in einem kleinen Weiler unser Auto parkten, markierte ich den Punkt vorsorglich in meiner GPS-App, damit wir uns daran bei unserer aus der Touristenwanderkarte selbst zusammengeschusterten Rundwanderung auf dem Höga-Kusten-Leden, der hier überall kreuz und quer durch Wälder sowie an Seen und am Meer vorbei führt, orientieren können würden. Dass dieser Punkt zu sowas wie meinem Rettungsanker werden würde, ahnte ich damals noch nicht.

Das erste Wegstück, sagen wir mal zweieinhalb Kilometer oder so, war Paradies pur. Und schon wieder lindgrüner Frühling. Unser dritter Frühling dieses Jahres, nach dem zweiten in Südschweden und dem ersten zuhause.

Paradies pur also, sprich schmale Wanderwege durch den Wald, über Felsen rauf und runter, moosgrüne, kuckuckslichtnelkenweiße und sumpfdottergelb gefleckte Welt. Und auf einmal diese Bucht. Wäre da nicht dieses eine Haus am rechten Ufer weit entfernt, hätte man meinen können, wir wären die ersten und einzigen Menschen in dieser Gegend. Wir picknicken und hängen rum, das Wasser ist mir aber dann doch zu kalt für ein Bad, immerhin dürfen die Füße ein bisschen kneippen.

Paradiesisch ging es weiter, da und dort legten wir sogar eine kleine Extrarunde ein, wenn uns ein blauer Pfeil auf etwas Sehenswürdiges hinwies und so fanden wir schließlich unsern ersten See. Ein wunderbarer Platz. So viel schön, sagte ich, so viel schön, dass ich kaum mehr Platz für noch mehr schön in mir drin habe. Aber dann rücken die anderen Schöns zusammen und machen dem neuen Platz.

Weil der See eine Sackgasse ist, wandern wir zurück über den wunderbaren winzigen Wanderweg zum Hauptwanderweg. Der ab hier dann eine Schotterpiste ist, auf dem auch Räder und Autos fahren dürfen. Wir sind allerdings die einzigen Menschen weit und breit. Überhaupt: Wir haben im Paradies keinen einzigen Menschen getroffen.

Als uns allmählich bewusst wird, dass die Distanzen auf unserer Touristenwanderkarte länger sind als sie aussehen und darum die von mir angedachte Runde länger ist als gedacht, suchen wir eine Alternativroute zum Auto zurück.

Merke: Schau dir den Kartenmaßstab vorher genau an, wenn du eine kleine Wanderung planst, Sofasophia!

Natürlich war auch der Rest der Wanderung schön, weil: die Natur ist ‘hier oben’ einfach wunderbar, wunderschön, exorbitant (und was es sonst noch so an Adjektiven dieser Art gibt), aber wir gingen nun halt nicht mehr auf beschaulichen Waldwanderwegen, sondern auf geschotterten Radwegen und teils sogar auf der geteerten Autostraße, was für die Füße natürlich viel anstrengender ist. Was uns aber immerhin zur ersten Wette verführte: Wie viele Autos sehen wir noch auf dem Weg zurück zum Auto? (Da waren es noch etwa sechs Kilometer.) Ich vermutete zehn, Irgendlink drei. Sieben waren es schließlich und nun bekomme ich also vom Liebsten bald mal einen Blumentopf.

Die zweite Wette hat er gewonnen. Wie viele M sehen wir ab hier noch, bis wir wieder beim Auto sind? (Da waren es noch etwa vier Kilometer.) Mit M-Tafeln werden die Ausweichstellen auf einspurigen Sträßchen gekennzeichnet, heißen bei uns darum ‘Mausweichstellen’, und mal hat es mehr von ihnen, mal weniger, je nach Straße. Ich tippte auf zwölf, er auf zwanzig. Es waren schließlich neunzehn.

Laangweilig? Sorry. Auf solchen Schabernack kommt man eben, wenn die Füße langsam müde werden und man sich eine Ruhebank wünscht, aber partout keine auftauchen will.

Meine GPS-App zeigte lange Zeit immer etwa dreieinhalb Kilometer Luftlinie bis zum Parkplatz an, was – den Wegpunkten an, die ich unterwegs auf dem Handy markierte – bedeutete, dass wir eine fast kreisförmige Strecke abwanderten. Ja, die letzten sechs Kilometer waren ein Abwandern, ein Anwandern gegen die Müdigkeit. Es war da ja auch schon nach sieben und schließlich wurde es halb neun, bis wir endlich das Auto erreichten. Siehe da: Der von Irgendlink nach etwa vier Kilometern Wanderung gestartete Track sprach von fast sechzehn Wanderkilometern. Noch nicht dabei der Weg zum kleinen See. Den zum zweiten größeren See aber schon, wo wir eine zweite Pause eingelegt hatten.

Na ja, das mit den zwanzig Kilometern war so nicht geplant … eher so zehn bis zwölf. Zumal wir ja erst nach eins vom Parkplatz losgewandert sind.

Schlotternd und mit knurrenden Mägen setzten wir uns ins noch halbwegs sonnengewärmte Auto und fuhren zurück Richtung Härmösand.

Ein heißes Bad wäre jetzt schön, fantasierten wir, oder ein Thermalbad. Oder, ach, eine Massage. Für die müden Glieder. Ich bin so müde, jammerten wir. Wir kochen heute etwas Supereinfaches, etwas Schnelles, Suppe mit Nudeln oder so. Oder, hm, wir könnten eigentlich … war da nicht noch ein Sibylla-Fastfood irgendwo? Au ja … das leisten wir uns!

Ich muss gestehen, dass die Pommes und der Halloumiburger ziemlich gut getan und sogar ziemlich gut geschmeckt haben.

Zuhause auf dem Zeltplatz dann nur noch heiß duschen (jaaa!) und ab ins Zelt.

Collage des gestrigen Tages mit den im Artikel beschriebenen Szenen und Orten

Heute? Bummeln wir rum. Ein Camper aus Holland, der seit achtzehn Jahren im Wohnmobil lebt und Europa durchquert, hat uns besucht. Geschichtenerzählen und Heilen sind seine Leidenschaft. Spannend war das.

Jetzt? Ich wäre schon fast wieder reif für ein Nickerchen. All die schöne Plätze hier können schließlich auch ohne mich schön sein.

An der Hohen Küste | #kursnord

Die Yakwolldecken, die Irgendlink in seinem gestrigen Blogartikel zu kaufen angekündigt hatte, sind flauschig-weich und aus Polyester. Meine weiß, seine orange. Und aus dem Alles-Laden in Hudiksvall sind sie auch nicht. Aber sie waren Schnäppchen im Mega-Coop Härnösand. Decken kann man ja eh nie genug haben. Zuerst hatten wir ja noch einen Tag am Camping Hudiksvall bleiben wollen, Minigolf und so, aber wie schon auf Twitter festgestellt wurde: Trotz all der Weile war da eine kleine Eile in uns, ein galoppierendes inneres Pferdchen, dass nordwärts zog. Fast magisch, wie ein Damoklesschwert – aber in gut! – hing der Begriff, will heißen die Landschaft, Höga Kusten (Hohe Küste) über uns.

Da wir ja dem Dogma Schaunwirmal frönen, schauten wir die letzten Tage einfach mal. Wie das Wetter sich entwickelt, wie sich das Reisen anfühlt, dieses Nordwärts umd so. Ob wir vielleicht doch irgendwo länger bleiben wollen würden. Doch trotz der Schönheit unterwegs war da eben immer dieser Sog.

Und jetzt sind wir also da. Auf dem Camping in Härnösand. Am hügligen Strand einer Halbinsel. Schwedenbillderbuchhafter gehts wohl kaum mehr und nördlicher fahren wir diesmal nicht mehr. Außer für Tagesausflüge. Unser Malschauen-Plan sieht vor, ein paar Tage hier zu bleiben und von hier aus Tageswanderungen und Ausflüge zu machen. Die Nächte sollen auch wieder ein bisschen wärmer werden.

Gestern also. Wir haben den Morgen mit Rumhängen, Frühstücken, Geschirrspülen, total verdreckte Autofensterscheiben putzen und Zeltabbau verbracht.

In der Nähe von Sundsvall kreuzen wir wiederholt Irgendlink -Radwege von 2015.

Hier bin ich lang gefahren!, sagt er ein paar Mal und zeigt nach da oder nach dort. Weil wir eh pinkeln müssen und ein kleines Hüngerchen anklopft, fahren wir in eine Art Park – mit alten Gebäuden, Friedhof, Kirche -, wie es sie hier überall gibt.

Hier bin ich rumgeradelt und habe mir überlegt, das Zelt aufzubauen. Da oder dort. Bin aber dann doch weiter, erzählt der Liebste.

Nach einer kleinen Rast fahren wir weiter. Härnösand ist größer als wir dachten. Der Camping liegt auf der Halbinsel, die Schranke ist offen und an der Rezeption werden wir aufgefordert, einfach einen Platz zu wählen und am Abend an der Rezeption zu erscheinen.
Was soll ich sagen? Es ist wunderbar hier.

Fürs Auge: Bilderbuchschwedisch.
Für die Ohren: Stille bis auf Vogelzwitschern.

Aber bevor wir uns jetzt müde ins eben aufgebaut Zelt legen und ein Nickerchen machen, müssen-wollen wir noch in die Stadt. Milch, Brot, Käse sind alle. Bargeld auch bald. Und auch Wanderkarten von der Gegend wären nicht schlecht … und überhaupt: Wo sind wir da überhaupt gelandet?
Wie ich schon sagte: Der Ort ist größer als wir dachten. Parken können wir sogar kostenlos – mit blauer Scheibe. Danke, Härmösand, Danke!

Die vielen großen Häuser, die wuselnden Menschen und die Hitze machen mich ganz konfus und ich lasse mich einfach neben Irgendlink mittreiben. Für Kartenmaterial sollen wir zum Hotel, hatte die Frau auf dem Campingplatz gesagt. Stimmt. Dort finden wir Prospekte, Karten und erfahren Wissenswertes.

Die Bankomaten hingegen können kein Visa-Plus, werden also teuer zu melken sein. Wir warten ab und fahren erstmal zum Coop. Mit vollen Taschen und zwei Kuscheldecken fahren wir auf den Camping, hängen rum, gucken Karte (er), schreiben digitale Karten (sie), kochen und essen.

Und melden uns offiziell an. Eine Campingkarte für das Schwedencampingnetzwerk brauchen wir nun also doch, wenn wir das Zelt nicht einfach wieder abbauen wollen. Nun denn.
Aber was ein Prozedere! Hätte ich doch bloß nicht gesagt, dass ich ein Smartphone habe. Dann hätte ich einfach eine Karte (aus Papier) bekommen. So aber habe ich nun eine App mit eine QR-Code, der mir als Karte dient und den Zugang auf all die Campingplätze erleichtert, die wir die nächsten zwölf Monaten noch aufsuchen werden. Oder so.

Das große Badhaus ist zum Glück beheizt und beschert uns abends, als es dann doch nach dem Barfuß-T-Shirt-Tag empfindlich kühl wird, eine wohltuende heiße Dusche.

Wir heizen danach nochmals richtig das Zelt ein, legen weitere Kleiderschichten bereit, falls wir später frieren sollten, legen die neuen Decken um die Schlafsäcke und dann gehts ab ins Traumland. Diesmal brauchten wir keine nächtlichen Heizaktionen.

Grad sag ich zu Irgendlink: Ich schreibe einen superstinklangweiligen Artikel. À la ‘links sind Bäume, rechts sind Bäume und dazwischen eben diese vielgerühmten Zwischenräume’.
Wir haben schließlich nichts wirklich Aufregendes erlebt. Und die Story mit der Anmeldung an der Rezeption, die voller Situationskomik war, lässt sich auch nur schwer verschriftlichen. Und überhaupt: Schönheit hat, wie Glück übrigens, einfach weniger Unterhaltungswert als Tristessen aller Art. Noch nicht mal etwas sonstwie Reisephilosophisches oder sonstwie Geistreiches habe ich zu bieten. Der Kopf ist im Relax-Modus. So what?

Stellt sich eh die Frage, ob sich nur Aufregendes zu erzählen lohnt.

Wenn ich das hier später mal lese, könnte es vielleicht dieses Gefühl von Ruhe heraufbeschwören helfen, denke ich soeben, dieses Gefühl von Ich-bin-jetzt-da!, das ich seit einigen Tagen immer stärker habe.

Während ich diesen Text in die Tastatur hacke, heizt die Sonne das Zelt allmählich auf. Ich glaube, ich ziehe mich langsam an und sage der Welt da draußen Hallo.

Sonnenuntergang über Meer, links Strand

Collage aus Tagesbildern mit Zelt, Wald, Natur etc.

Über Uppsala nach Hudiksvall | #kursnord

Wo bin ich gestern Nacht stehen geblieben? Uppsala – also dann doch noch eine Stadt mal wieder. Zum einen, weil wir kurz nach acht schon einen kleinen Frühstückshunger hatten, wir Ansonsten-eher-spät-Frühstückenden (aber wir waren ja auch schon ein paar Stunden wach und noch immer latent im Auftaumodus), zum anderen war der Picknickplatz, den wir uns fürs Erste ausgesucht hatten, doch nicht so ideal – düngender Bauer und so. 

Uppsala, diese schwedische Uni-Stadt also, morgens kurz nach acht … Aufwachmodus. Kühle 12 Grad. Windig, sehr windig. Schon wie wir uns der Stadt nähern, sehen wir die vielen RadlerInnen auf dem Weg zur Arbeit. Manche nur mit Schlappen und Shorts. Mir klappern schon beim Hingucken die Zähne. 

Also rein in die Stadt. Einen Parkplatz finden wir relativ schnell und das Nicht-Zahlenkönnen-mangels-funktionierender-Karte hielt uns diesmal nicht davon ab, so zu tun als ob. Immerhin lag ja mein Zettel (siehe gestrigen Blogartikel) hinter der Windschutzscheibe.

Frühstücken wollen wir. Ein Café suchen wir. Noch ist das meiste zu. Da! Bei Wayne‘s werden wir fündig. Und wärmen uns auf. Und wollen aufs Klo. Ähm, haben wir nicht. (Wie jetzt? Ein Café ohne Klo?).

Gehen Sie in die Galleria um die Ecke. 

Okay, machen wir. Dort, im Untergeschoß, stehen wir vor verschlossener Tür. Eintritt nur mit Kreditkarte. Die Maestros, die wir haben, sind als Möglichkeit zwar ausgewiesen, funktionieren aber nicht. Wir warten. Irgendjemand wird doch bestimmt auch grad Pinkelnmüssen. Schon unken wir, dass womöglich Leute, die sich illegal Eingang verschaffen, nicht mehr rauskönnen. Wir testen es, denn eine Frau lässt uns ein. Nach diesem Dringlichkeitsgeschäft stopfe ich ein bisschen sauberes Klopapier zwischen Falle und Schloss, damit vielleicht jemand nach uns gratis pinkeln kann, ich Anarchistin ich. Irgendlink schaut sich ab da ständig demonstrativ über die Schultern und spricht von Handschellen und ‘gleich haben sie uns!‘. Wir lassen uns treiben, nehmen ein paar Bilder mit, innen und auf den Kameras. 

Da, die Kinder hinter der großen Kirche, wie sie Platzfangen spielen und sich auf den roten Steinfließen vor dem Jäger in Sicherheit bringen, als der scharfe Wind unversehens dessen Cap hochwirbelt und diesen zum Capjäger macht. Keine zehn Schritte weiter ein ähnliches Bild. Noch ein Capjäger. Der sich dramatisch ins Gras fallen lässt und eine Runde fast weinend aua-t, damit ihn die Mädchen nebenan auch ja bemitleiden.

Das wird mal ein guter Männergripper, unke ich.

Räder, Räder, Räder … und immer haben FußgängerInnen und Radelnden Vortritt. Klasse! Wie ich schon sagte: Ich liebe Schweden. Auch wenn mich manches ärgert. Diese absolute Kontrolle deines Verhaltens über die Nutzung deiner Kreditkarte zum Beispiel  ist mir unheimlich. Sie ist doch wie heißer werdendes Wasser, diese immer umfassender werdende Überwachung, sage ich auf der Weiterfahrt zu Irgendlink. Du kennst das ja: Frösche verlassen angeblich langsam heißer werdendes Wasser nicht, weil sie sich an die steigende Temperatur gewöhnen. Die schwedischen Frösche baden sozusagen in dem schon viel heißeren Wasser der totalen Überwachung. 

Vor drei Jahren hatte ich in der Concert Hall Stockholm eine eindrückliche Ausstellung über dieses andere Schweden gesehen. Menschen am Rand auf sehr empathische, betroffen machende Weise dargestellt. Weniger eine Inszenierung als eine Dokumentation. (Hier schrieb ich drüber.)

Uppsala in Bildern

Bald sind wir wieder auf der E4 und brettern nordwärts. An Gävle vorbei. Um die Mittagszeit lässt der Rausch vom Zu-wenig-Schlaf langsam nach und macht Müdigkeit Platz. Wir folgen den Wegweisern nach Axmar bruk und finden ein altes, museal erhaltenes Eisenwerk und zwei zum Nickerchenmachen einladende, windgeschützte Bänke. Nach dem Picknick schlafen wir eine Runde. 

Axmar bruk in Bildern

Bildcollage mit Natur, Fluss, Häusern in Axmar bruk

Später wollen wir auf den Camping von Hölick, der jedoch wegen Renovation noch geschlossen ist. Am nahen Hafen ruhen wir uns aus und überlegen, wo wir stattdessen hinkönnten. Offenbar haben viele nördlicher gelegene Campings noch gar nicht auf. In Hudiksvall werden wir schließlich fündig. Hier bekommen wir den Code für die Schranke am Eingang und fürs Badehaus gleich per Telefon mitgeteilt. Später ist dann die Rezeption wieder besetzt und wir können einloggen. Und sind nun stolze Besitzende eines kostenlosen schwedischen Campingführers.

Die Nacht – was soll ich sagen? Um drei machten wir wieder ein Trangiazeltfeuer, tauten uns auf und zogen uns noch mehr Schichten über. Danach schliefen wir aber diesmal noch eine Runde. Jedenfalls habe ich heute das erste Mal von heizbaren Iglus geträumt.

Hölicks Hafen in Bildern

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Von Idealen und ihren Abweichungen | #kursnord

Um den Kopf zu leeren und wieder für neue Eindrücke offen sein zu können, habe ich heute unterwegs auf der Autobahn E4 damit angefangen, Sprachmemos aufs Handy zu sprechen. Als wäre, was ich erlebe, was wir erleben, irgendwie wichtig. Aber es zeigte mir, dass Bloggen eine ziemlich gute Methode ist, Erinnerungsfäden zu legen, ein Gespinst, ein Gewebe zu schaffen. Als Vorrat für magere Zeiten. Jetzt bin ich froh drum, denn mit all den neuen Eindrücken verblassen die alten, die gestrigen bereits.

Gestern? Ewig lang her. Wie wir am Morgen den Camping in Oknö verlassen haben und keine zwei Kilometer weiter bereits wieder angehalten haben. Lang her. Dieser Badeplatz in einer dieser vielen Buchten voller Schären, jener kleinen Inseln, die wie grüne Haarschöpfe aus der Ostsee sprießen. Hier würden wir uns kurz abkühlen. Es war schon um die fünfundzwanzig Grad. Die Ostsee kühl, die kleine Erfrischung war dennoch genial. Sie hielt eine Weile vor, während wir bei steigender Temperatur wieder Richtung Autobahn fuhren. (Dass die schwedische Autobahn wie die bei uns in der Schweiz grün ausgeschildert ist, ist mir ja sympathisch.) Wie so vieles in Schweden. Ja, ich liebe dieses Land. Trotz allem, das ich inzwischen als eher lästig und unangenehm empfinde. Als ich vor neun Jahren das erste Mal, dazu allein, durch Schweden reiste, ahnte ich ja nicht, dass ich mich in dieses Land so verlieben würde. Es war eigentlich eher so eine Art Test gewesen: Kann ich alleine reisen?, war die eine Aufgabe. Antwort: Ja, ich kann. Die andere war: Wie fühlt sich dieses Land meiner Kindheits- und Jugendträume in echt an? Mag ich es auch in natura? Ja, ich mag es. Sehr sogar. Verliebt – ja, das trifft es gut. Diesmal, mein fünftes Mal, ist aus der Verliebtheit Liebe geworden, stelle ich fest. Was eben auch bedeutet, genauer hinzuschauen. Die rosa Brille auszuziehen. 

Neben all der Schönheit, die ich sehe, immer gesehen habe, und die ich aufsauge wie ein Schwamm, die mein Herz nährt, die manchmal so atemberaubend ist, dass sie fast schmerzt, sind da eben auch Dinge, die ich bisher schöngeredet, ignoriert oder schlicht nicht wahrgenommen habe. Blinde Flecken. (Auf Twitter haben wir beide darüber schon geschrieben.)

Ohne Kreditkarte bist du in Schweden nämlich aufgeschmissen, praktisch illegal. Heute, in Uppsala, mussten wir erneut schwarz parken, denn auch unser Joker – die letzte noch ungestestete Karte, Irgendlinks Maestrokarte – obwohl Maestros angeblich gehen sollten –, konnte kein Parkzeitguthaben generieren. So schrieb ich einen Zettel mit genau dieser Info und legte ihn statt des Parktickets unter die Frontscheibe. Wir hatten Glück.

Doch zurück zu gestern. Wir fuhren eine ziemlich lange Strecke, nur unterbrochen von kleinen Pausen zwecks Staunen, Magenbefüllung und Blasenentleerung. Langsam ging das Wasser zur Neige, als wir den wunderschön – was sage ich? paradiesisch gelegenen – Campingplatz in Huddige, einem Stadtteil oder Vorort von Stockholm erreichten. Zuerst hatte uns eine iphoneeigene Kartenapp in die Pampa gelotst, auf Schotterpisten und Nebenwege. Kein Zeltplatz weit und breit. Ich sage es ungern, aber die App vom Kartenriesen ist wirklich zuverläßiger; und so fanden wir – es muss schon halb sieben gewesen sein und wir beide müde und weichgekocht von der Hitze – den Zeltplatz doch noch. Die Rezeption war leider bereits seit anderthalb Stunden geschlossen und es gab keine Telefonnummer für NachzüglerInnen wie wir. Nach einem spannenden Schwatz mit einem anderen Gast erfuhren wir, dass wir noch nicht einmal mit Hilfe eines anderen Gastes die Schranke zum Öffnen hätten bringen können, weil die Karte registriert, wie oft der Gast sie zum Raus- und Reinfahren benutzt. Auf anderen Campings sind wir schonmal einfach hinein  und haben am Morgen die Anmelde- und Zahlformalitäten erledigt. Hier? Keine Chance!

Was tun? Wildzelten? Nun ja, das Wasser könnte knapp reichen. Vielleicht noch zwei Liter. Aber einkaufen müssten wir mal wieder. Am besten etwas, das schnell geht und im Falle von Wildzelten, also ohne Infrastruktur und mit wenig Wasser, zubereitbar ist. 

Vielleicht finden wir ja noch einen Zeltplatz näher in der Stadt?, überlegten wir, denn auf der Karte waren so einige eingezeichnet.

Stockholm sehen oder nicht? Wir beschlossen, weiter zu fahren. Sollte sich uns aber eine Campingabfahrt ab Stadtautobahn in den Weg stellen, würden wir diese nehmen. Was nicht der Fall war. Stockholm – ja, ich mag diese Stadt, die ich vor drei Jahren, nachdem der Liebste ab Falun, nach unseren Ferien in Dalarna, weiter ans Nordkap geradelt war, auf eigene Faust durchwandert hatte. Aber jetzt? Jetzt sehnte ich mich eigentlich eher nach Wiederraus-aus-dem-Gewimmel-Getümmel-Gemetzel, denn ja, auch Stockholm kann Stoßverkehr.

Kurz nachdem wir die Stadt durchquert hatten, kauften wir noch ein paar Kleinigkeiten und eine große Wasserflasche ein. Und fuhren weiter. Weiter. Weiter. Nordwärts. Das heißt Irgendlink fuhr. Ich war sehr müde und brauchte eine Weile, mich auf das Neue einzulassen, das Erhoffte loszulassen. Da war dieses Ideal. Dieses Ziel. Schöner Platz. Erfrischende Dusche. Gemütlicher Feierabend. See. So Sachen halt, die man sich am Ende eines langen Reisetages wünscht. Doch ähnlich wie ein Navi, das reklamiert, wenn man eigenmächtig einen neuen Weg wählt und eine Weile braucht, um eine neue Route zu finden, brauchte ich eben auch eine Weile, um vom Ideal wegzukommen und mich auf neue Alternativen einzulassen. Als da wären: Einen anderen Zeltplatz zwischen Stockholm und Uppsala finden, wildzelten oder im Auto schlafen. Oder durchfahren. Kulinarisch gab es die Optionen, etwas zu essen zu kaufen, jetzt schon, also unterwegs auf einem Rastplatz, etwas selbst zu kochen oder aber erst später, wenn wir einen Platz gefunden hatten. 

Endlich fuhren wir wieder über Land, Äcker und Wälder, Dörfer mit ihren markanten Kirchtürmen am Weg und die Straße war wieder nur noch höchstens  vierspurig. 

Auf der Karte sah ich ein paar Seen. Da hat es bestimmt einen Zeltplatz sinnierte ich. Sollen wir es einfach probieren? Ja, tun wir. 

Nun ja. Obwohl es eine sehr schöne Gegend rund um Sigtuna ist, gibt es hier keinen Campingplatz. So zelteten wir am Dorfeingang wild, kochen einen Nudeleintopf und legen uns erschöpft und von Mücken geplagt ins Innenzelt, das Außenzelt blieb im Auto. Dass es eine kalte, windige Nacht werden könnte, ignorierten wir. Und erwachten schon vor fünf Uhr. Mit klappernden Zähnen. Zum Glück konnten wir uns mit Kaffee und Tee und unserm Trangia-Kocher aufwärmen. Nach Zeltabbau und einem kleinen, windigen Spaziergang ins nahe Museumdorf setzten wir uns ins Auto Richtung Uppsala. 

Schluss für heute. Bin zu müde für Bilder. Träumt was Schönes.

(Fortsetzung folgt).

Lövö | #kursnord

Sagt man eigentlich Hej oder Hejhej, wenn man jemanden grüßt, frage ich die freundliche Dame in Mösterås’ Touristinfo. Weil, manche sagen ja so, andere so …

Oh, sagt sie lächelnd und in ziemlich gutem Deutsch; mit diesem hübschen schwedischen Akzent, den ich so mag, man kann das so oder so sagen. Zum Abschied sagt man gerne auch Hejdooo. Sie sagt es mir zwei drei Mal vor, mit diesem Mix-Laut am Ende. Eigentlich sollte ich solche Zwischenlaute ja bestens beherrschen, so als Schweizerin, meine ich. Laute zwischen a und o zum Beispiel oder diese Kehllaute zwischen ch und g, wie es sie für Worte wie Sieben oder See im Schwedischen braucht. Ich scheitere. Finde den Ort im Mund nicht, wo dieser Klang hervorgebracht wird und scherze, dass es sich anfühlt wie damals, als wir als Kinder das engliche Tiieitsch (th) geübt hatten.

Schließlich erzählt sie uns von der Schönheit der Gegend, von ihrer Abscheu vor Lappland und dessen Mücken und dass es viele gut integrierte eingewanderte Deutsche hier in der Gegend habe. Man spürt, wie sehr sie ihren Beruf und ihre Heimat liebt.

Mit ein paar Karten bepackt radeln wir weiter. Dabei wollte ich ja nur fragen, ob sie allenfalls ein Werkzeug habe, damit wir den einen Fahrradsattel höher schrauben können. Hatte sie. Zum Glück.

Hach, diese Fahrräder! Hübsch sind sie ja, weiß, mit vorne Körbchen, wo die Rucksäcke flach reinpassen. Und mitohne Kette dafür mit Automatik.

Zwei weiße Räder mit Körben vorne auf Wiese vor Wald

Ein Novum für den Radler Irgendlink, der sich bestimmt da und dort noch über unsere gestrigen Gefährte(n) auslassen wird. Von mir darum nur so viel: Bequem geht anders. So für in die City sind sie wohl ganz okay. Aber nur schon nach dem gestrigen Rumkurven vom Zeltplatz in die kleine Stadt und dort rundum waren unsere Pos schon ganz wund. Und die Handgelenke steif. Dennoch hatten wir es uns in den Kopf gesetzt, nach dem Stadtbesuch nicht bloß zum Camping zurückzuradeln, sondern weiter, auf die Nachbarhalbinsel, nach Lövö … Und wieder fühle ich mich hundert Jahre zurückversetzt. Vom Teer auf der Straße einmal abgesehen, könnte das alles hier in einer anderen Zeit spielen. Und als der Teer schließlich aufhört, sowieso. Noch sind es ab da über drei Kilometer bis zum Inselzipfel. Und es könnte so schön sein, wenn der Po nicht. Und die Hände.

Endlich finden wir das Ende der Welt. Eine grüne Bucht. Picknicken von unseren Einkäufen. Und naschen. Lättyoghurt. Naschwerk.

Eigentlich fahren wir ja nur wegen der Süßigkeiten nach Schweden, scherzen wir. Diesen Selbstbedienungstheken oder eher -wände, wie es sie in den meisten schwedischen Supermärkten gibt, ist wahrlich schwer zu widerstehen.

Naschwerktüteninhalt

Als wir unsere Bucht verlassen, ist es bereits nach fünf. Meistens haben wir die Bundesstraße für uns, denn der Feierabendverkehr zwischen Halbinsel und Zeltplatz summiert sich auf etwa zehn Autos. Boah, fett das!

Zurück zuhause, im Zelt, auf dem Platz, lassen wir uns erschöpft auf unsere Matten fallen … Zum Glück ist die Rezeption schon zu, sonst “müssten” wir ja noch endlich unsere Runde Minigolf spielen.

Ach, und geschlafen habe ich heute übrigens wie ein Stein.

Heute? Hier? Jetzt? Seit gestern Abend schützt uns Irgendlinks selbstgebautes Tarp vor scharfen Böen. So siehts aus.

Blick aus dem Zelt mit Sandalen, Teetasse, vorne das Tarp, am Horizont Bäume und Meer

Teetrinkend geschrieben.

Oknö | #kursnord

Da ist er wieder, dieser bei mir doch eher seltene Glücklichmodus, dem ja ziemlich wenig Unterhaltungswert nachgesagt wird. Nun denn, ich will ja auch nicht unterhalten.

Schon vorgestern, auf der Strecke von Malmö nach Borrby, stellte ich fest, wie sich in meinem Kopf so etwas wie Ruhe und Ordnung breit zu machen begann. Ein Gefühl, das ich so ähnlich auch bei mehrtägigen Wanderungen erlebe. Wenn sich alles anfängt, nur noch um diesen einen Moment, den ich jetzt-jetzt-jetzt erlebe, zu drehen. Aber eben nicht nur in der Theorie und nicht nur für eine befristete Zeit des Tages, sondern den ganzen Tag. Natürlich gibt es auch hier Unterbrüche. Ich lese ja Mails, ich lese Blogs und Twitter (wenn auch sehr punktuell und manchmal im Überflugmodus) und ich bin ja nicht einfach eine unerreichbare Insel geworden.

Dennoch ist es anders. Ich nehme wahr. Ich schaue zu. Ich lasse zu. Ich staune. Ich betrachte. Ich fühle. Alles in Gegenwartsform.

Vor fünf Tagen, am Donnerstagabend, habe ich in die Tiefen meines Handys geschaut. Die berühmte Operation am offenen Herzen. All die Connectoren, Verbindungen in meinem Smartphone, die vor dem Wechsel des Akkus mit feiner irgendlinkscher Hand umgelegt, gekappt, werden mussten! Winzigkleine Metallteilchen, winzige Bewegungen. Doch hätte Irgendlink nach dem Wechsel des Akkus nicht alle Klappen wieder richtig zurückgeklappt, könnte ich jetzt nicht fotografieren, nicht schreiben, nicht telefonieren. Jede noch so winzige Klappe ist nötig.

Vielleicht sind auch bei mir ein paar Klappen endlich wieder auf die richtigen Plätze geklappt worden. Ich fühle mich jedenfalls endlich wieder verbunden mit mir. So, wie schon lange nicht mehr. Synchronisiert sein, nenne ich diesen Zustand. Nicht mehr denken: Ich sollte, ich müsste, nicht: hätte ich doch bloß! Nicht mehr voraus, nicht mehr zurück.

Klar weiß ich, dass dies auch dem Ausnahmezustand namens Ferienreise geschuldet ist. Aber wenn ich diesen Zustand nicht immer wieder zwischendurch so erleben könnte, diese Medizin namens Gegenwart und Glück, würde die Kraft für all die Kämpfe, die ich aktuell im Alltag zu kämpfen habe, nicht reichen.

Hier in Oknö fällt es doppelt leicht, einfach nur jetzt zu sein. Es ist kurz vor acht. Die Sonne wärmt das Zelt auf und es soll heute wieder so ein wunderbar frühsommerlicher Tag werden. So wie gestern, wie vorgestern … Ein Hochdruckgebiet aus Finnland sei das. Ich danke der Wettergöttin herzlich.

Nun sind wir übrigens wieder auf Kurs Nord, wie es der Hashtag, den wir uns für Twitter ausgesucht haben, vorgibt. Nachdem wir gestern Schonens Südzipfel nach Borrbystrands ein bisschen abgekürzt, den Küstenweg verlassen und auf die E22 eingespurt sind, fuhr es sich ganz angenehm. Immer weiter Richtung Kalmar.

Und immer wieder dieses Staunen über Schwedens Verkehr. Über die stressfreie Fahrpraxis der vielen Menschen hier (ob ich hier von wenigen auf alle schließen darf, ist ein anderes Thema). Selbst der kurze Stau irgendwo unterwegs ging trotz Hitze volkommen unaufgeregt über die Bühne.

In Kallinge, in der Nähe von Ronneby, fahren wir raus, kaufen noch ein paar Lebensmittel, finden einen Picknickplatz und halten Siesta.

Später verlassen wir die E22 für einen kleinen Ausflug in ein Dorf namens Pataholm, das so eine Art Freilichtmuseum zu sein scheint. Stünden da nicht zwei Autos, sagt Irgendlink, könnte man sich hier glatt zweihundert Jahre zurückversetzt fühlen.

Hausfassaden im alten Dorf

Das Meer! Überall winzige Inselchen, grün bewachsen, die wie strubblige, grüne Köpfchen aus dem Meer herausragen. Da müsste man rauspaddeln, träumen wir. Vielleicht könnte man ja.

Mann auf Steg vor Meer und Inseln unter Himmelblau

Kurz nach Kalmar – was sag ich da?kurz nach Mönsterås – hat Irgendlink auf der Papierkarte einen Campingplatz auf einer ins Meer ragenden Landzunge ausgemacht und lotst mich dorthin.

Dieser Platz, Oknö, ist grandios. Herr Irgendlinks Gespür für schöne Plätze sag’ ich da nur. Noch fast leer liegt das Kieferwäldchen vor uns. Das Meer nur einen oder zwei Steinwürfe nah. Die Sonne scheint, es windet kaum, zwanzig Grad.

Das Zelt baut sich inzwischen schon fast wie allein. Es ist kein Zeltbau, sage ich, es ist ein Zeltbautanz.

Strand, Sand, Sonne, links Wald

Nach dem Essen gehen wir dem Strandweg entlang Richtung Westen und werden mit einem Sonnenuntergang vom feinsten beschenkt. Dass es aber auch immer wieder und noch und noch mehr so wunderbare Orte gibt, wo das Herz zur Ruhe kommen kann – ist das nicht unglaublich? Und dass wir zwei noch immer so sehr staunen können. So sehr genießen. Trotz allem. Trotz dieser Welt voller Chaos.

Es ist ein Privileg, hier sein zu dürfen, kein Verdienst.

Und die Nacht? So still, so still. Ab und zu ein Rascheln, kein Straßenlärm, keine menschlichen Geräusche … (wenn man von meinem Tinnitus mal absieht).

Ich glaube, jetzt werde ich mal Kaffee kochen. Und Tee. Und den Tag da draußen begrüßen.

Papierkartenausschnitt der Südküste Schwedens mit eingezeichneter Route, die wir gefahren sind.

Wir tracken übrigens diesmal analog.