Nachgedacht: Über Angst und Mut

Ich denke ja über mich immer mal wieder, dass ich eine Schisserin bin. Und ja, ich habe Angst, vor ziemlich vielen Dingen sogar, rationalen ebenso wie irrationalen. Mehr als vor dem eigene Tod fürchte ich mich allerdings vor dem Verlust von Menschen. Die Aussicht liebe, liebste Menschen zu verlieren, ängstigt mich mehr als der eigene Tod. Auch langes Kranksein ohne Autonomie ängstigt mich mehr als zu sterben.

Heute allerdings will ich nicht über Angst schreiben, sondern über Mut, diesem vermeintlichen Gegenteil von Angst. Inzwischen vermute ich, dass Mut nicht der Gegenpol sondern eine Nachbarin von Angst ist. Denn Angst und Mut sichern zusammen unser Überleben. Vermutlich ist nämlich alldas, was die Welt ausmacht und das wir uns mit Polaritäten erklären, gar nicht so einfach, so monochrom, wie wir es uns vorstellen. Vermutlich ist alles viel vielschichtiger als wir gemeinhin annehmen.

Mut also. Die Erkenntnis kam gestern mitten in einer Geschichte, die ich mir auf dem Bildschirm angesehen habe: Da braucht einer verdammt viel Mut, hinzuschauen, zu reflektieren, sich selbst Rechenschaft abzulegen über das eigene Leben, über Vergangenes, Erlebtes, Erfahrenes und Gegenwärtiges.

So gesehen bin ich also vielleicht ein ziemlich mutiger Mensch.

All die Menschen, die sagen: Ach, das ist doch vergangen. Ach, darüber musst du nicht nachdenken. Ach, vergiss das besser. Ach, ich habe keine Lust, mich mit diesem unangenehmen Thema auseinanderzusetzen oder mit dieser Eigenschaft an mir oder mit diesem Problem oder mit der eigenen Herkunft oder Vergangenheit oder Familie … all diese Menschen, die weggucken, sind nicht eigentlich sie die wahren Schisser und Schisserinnen?

Probiere es aus, bevor du sagst, ich kann das nicht oder ich will das nicht!, hatte sie zu mir gesagt. Ich hatte genau das genau in diesem Moment gebraucht: ihre Ermutigung. Was passiert wäre, wenn ich es nicht ausprobiert hätte, weiß ich nicht. Manchmal sind es große Dinge, die wir ausprobieren sollten, manchmal reicht schon ein kleiner Standortwechsel, und schon sehen wir die Welt aus anderen Blickwinkeln. Wenn wir es denn wagen. Wenn wir etwas Neues ausprobieren. Wenn wir die Ermutigung annehmen. (Nicht immer, denn manchmal werden wir auch über unsere Grenzen hinausgedrängt und dann hilft nur ein klares Nein!)

Es braucht also – wie gesagt – Mut genau hinzuschauen, doch es braucht ebenfalls viel Mut, über die eine oder andere lange gepflegte Gewohnheit oder das eine oder andere Verhaltensmuster nachzudenken. Noch mehr Mut braucht es, uns einzugestehen, dass manche Gewohnheiten und Verhaltensmuster nicht mehr zu uns passen und aus dieser Erkenntnis heraus etwas in unserem Leben zu verändern.

Aber widerspricht
der Mut, mich verändern zu wollen
denn nicht
dem Mut, mich selbst so zu akzeptieren wie ich bin?

Nein, das ist kein Widerspruch, das eine schließt das andere nicht aus. Außerdem kann ich mich ja eh nicht gänzlich verändern und ein*e gänzlich andere*r werden (also hilft da nur Selbstakzeptanz). Trotzdem verändere ich mich stetig, da sich meine Perspektiven auf das Leben und auf die Welt ja stetig verändern, ganz im Sinne eines Reifeprozesses, einer Weiterentwicklung.

Außer ich stagniere und verharre in meinen Gewohnheiten. Was für mich allerdings keine Alternative ist.

Wir selbst sind unsere wichtigsten Baustellen. Hier können wir am meisten verändern und mit uns die Welt.

2 Gedanken zu „Nachgedacht: Über Angst und Mut“

  1. Mut bedeutet ja nicht, keine Angst zu haben, sondern Angst zu überwinden. Dabei fällt Erfahrungen aus der Vergangenheit ein wichtige Bedeutung zu. Und wann die Vergangenheit für jemanden wirklich vergangen ist, können andere nicht bestimmen, sondern bei der Überwindung helfen… Danke, dass Du Deine Erfahrungen und Überlegungen mit uns geteilt hast. 🍀

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