Buchstaben, aneinandergereiht

Der Emil trägt die Schuld. Zum einen hat er mich neulich auf Elfchen* gebracht und zum anderen fragte er kurz darauf nach unseren schulischen Erfahrungen mit dem Aufsätzeschreiben. Darum versuche mich wieder einmal an dieser Buchstaben-Kreativität, die mir früher so leicht gefallen ist.

»Immerhin ein Elfchen«, sagte ich vor wenigen Tagen zum Liebsten, als wir am Telefon über unsere brachliegende Kreativitäten klönten, »ein Elfchen könnte ich wieder einmal versuchen.«

Wir hatten eben über orthographisch falsche Fremdsprache-Übersetzungen im Kontext mit Sprachkunst philosophiert – wo doch heute eine schnelle Verifizierung so einfach ist  – und auf einmal spinntisierten wir an einer unserer alten Ideen herum, nämlich einen Ur-Text via Translate-Software in mehrere verschiedene Sprachen und am Schluss wieder ins Deutsche übersetzen zu lassen. Stille Post sozusagen.

Ich kann übrigens keine Elfchen. Das hier ist nur eine abstrakte Spielerei.

Urtext:
Aufsatz
setzt auf
müpfig oder froh
immer wieder voller Zweifel
Wert

Persisch:
مقاله
بر اساس
شاد یا خوشحال
همیشه پر از شک و تردید
ارزش

Schwedisch:
Artikel
Baserat på
glad eller glad
Alltid full av tvivel
Värde

Japanisch:
論文 に基づく 嬉しいか嬉しいか いつも疑問でいっぱい 価値

Französisch:
papier
basé sur
heureux ou heureux
toujours plein de questions
la peine

Italienisch:
carta
basato su
felice o felice
sempre pieno di domande
la penalità

Deutsch:
Papier
bezogen auf
glücklich oder glücklich
immer voller Fragen die
Strafe

Urtext:
Aufsatz
setzt auf
müpfig oder froh
immer wieder voller Zweifel
Wert

Faszinierend, wie der Aufsatz zu Papier geworden ist und das Müpfige glücklich. Und wie ein Bezug zwischen Papier und Glück enstand. Aus Zweifel wurden Fragen und aus Wert Strafe. Sprachen spiegeln ganze Welten, Gesellschaften, Kulturen. Wörter lassen sich eben nicht 1:1 übersetzen ohne die Kenntnis ihrer inneren Architektur. Was zu beweisen war.

Dennoch: Ich mag die neue Fassung meines Ur-Textes. Obwohl meine Erfahrungen mit Aufsätzen absolut nichts mit Strafe zu tun hatten. Im Gegenteil. Außer dem Zeichenunterricht war mir Deutsch immer das liebste Schulfach und meine Noten entsprechend gut. Am liebsten war mir der Deutschunterricht, wenn wir Aufsätze schreiben sollten – und zwar von der ersten Klasse an bis hin zum Fachhochschulabschluss. Ob nun daheim oder während der Stunde war dabei egal.

Die Aufsatzhefte meiner Pflichtschulzeit liegen in einer Bananenkiste. Analoge kleine Schätze. An viele Texte erinnere ich mich noch genau. Wie ich mich gefühlt habe als ich sie geschrieben habe.

Damals, als Zweiklässlerin, hatte ich eines Tages realisiert, dass ich eine der wenigen oder gar die einzige war, die schon zwei- oder dreiseitige Texte schrieb, und erschrak. Und ich schämte mich sogar ein wenig, da ich doch keine Streberin sein wollte. Und wenn die Lehrerin meine Aufsätze vorlas, war es mir auch immer ein wenig peinlich. Schreiben war nämlich fast eine Art geheimer Vorgang für mich, sehr persönlich, sehr intim. Ich hätte allerdings als Drittklässlerin viel dafür gegeben, einmal heimlich alle Aufsätze von allen Klassenkamerad*innen lesen zu dürfen. Dafür benied ich meine Lehrerin.

Ich stellte mir vor, was sie alles über uns erfahren hatte, nachdem sie unsere Ferienberichte, unsere Erörterungen oder unsere Fantasie-Geschichten gelesen hatte. Manchmal mogelte ich allerdings beim Schreiben, wenn es um Familiensachen ging, um unsere Armut zu kaschieren. Einmal, das muss auch in der dritten Klasse gewesen sein, sollten wir einen Aufsatz darüber schreiben, was wäre, wenn wir xyz (frei wählbarer Gewinn) gewonnen hätten. Eine Million zum Beispiel. Ich erinnere mich noch, dass ich im Aufsatz Geld gewonnen und das meiste Geld auf die Bank gebracht hatte. Aber natürlich bekamen wir alle – meine Eltern, meine Geschwister und ich – je hundert Franken. Das war damals für mich schon eine unvorstellbar große Summe und ich schrieb wohl in meinem Aufsatz, was ich mir davon gekauft habe. Allerdings kann es nichts Spektakuläres gewesen sein, denn ich habe es vergessen. Vermutlich eine Hose aus dem Laden – nicht von der Mutter genäht – oder einen Pulli ohne Flicke. Was sich meine Lehrerin da wohl über unser Haushaltbudget ausgerechnet hatte?

Später schrieb ich sogar freiwillige Aufsätze. In der Fachhochschule legte ich diese dann meinem Deutschlehrer vor. Nein, der war nicht jung und hübsch, und ich wollte ihn auch nicht beeindrucken. Im Gegenteil war er eher alt – ich vermute mal über fünfzig – und er schielte. Aber genau darum hatte ich ja auch keine Angst vor ihm und wir diskutierten meine Texte sehr angeregt. Fällt mir ein, dass ich damals ein Erich Kästner-Gedicht auf Schweizerdeutsch übersetzt hatte. Wir fanden, dass es sich fast wie ein Mani Matter-Lied lese. Uns gefiel das.

Ha. Und so sind wir also wieder bei der Übersetzerei gelandet. Ist Sprache letztlich nicht immer Übersetzung? Von innen nach außen und wieder zurück?

In ’Vom Ende der Einsamkeit’ von Benedict Wells sagt jemand  sinngemäß –  Jules oder Alva vermutlich – dass Denken in Reden münde und Fühlen in Schreiben. Damit identifizierte ich mich sofort.

Vielleicht brauche ich ja das Schreiben, um den Gefühlen zu lauschen, die beim Reden zu Boden fallen?


*Das Elfchenschema (nach Wikipedia)

Zeile Wörter Inhalt
1 1 Ein Gedanke,ein Gegenstand, eine Farbe, ein Geruch o. ä.
2 2 Was macht das Wort aus Zeile 1?
3 3 Wo oder wie ist das Wort aus Zeile 1?
4 4 Was meinst du?
5 1 Fazit: Was kommt dabei heraus?

Stichwort Snowflake

In der Seitenleiste dieses Blogs findet ihr übrigens meinen kleinen Beitrag zur Umgehung von politischer Zensur, wie sie aktuell in Iran und in vielen anderen Ländern praktiziert wird.
Macht auch mit, gerne, falls es möglich ist.

Weiterführende Informationen und eine Anleitung findet ihr hier:
snowflake.torproject.org
und hier
Youtube.com

Weiterschreiben

Mag sein, dass es im Internet viel Mist hat, aber was ich in letzter Zeit an feinen Texten, genialen Gedankenimpulsen und neuen Ideen dort gefunden habe, wiegt für mich den Mist bei weitem auf.

Für alle, die schreiben, zitiere ich heute ein paar ermutigende Zeilen aus dem Blog von Ksenia, einer russisch-amerikanischen Autorin. (Übersetzung unten).

Dear writer, please stop beating yourself up. The thing is, there is always luck involved in any art making, books or whatever else. If your art is read (seen, heard, etc.) by the right person at the right time, it might just get the push it needs to be exposed to lots of people. It doesn’t mean YOU have done something wrong. It doesn’t mean YOU have to keep getting out of your skin to do EVERYTHING. Stop. Breathe in. Breathe out. And just keep writing more books. […] The more of them you write, the better your books will get. And while you’re writing them, luck will either find you, or it won’t. Be content with it. Be ready to be NEVER found. That’s not why you write, is it? You write for yourself. Because if you write for fame and riches, you better quit NOW.

You know how I know? I’ll tell you my story. I’m smack in the middle of this.

[…] I’m writing my 6th book and only now, note, ONLY NOW, after having written 5 other books over the period of about 4 years do I begin to feel like I know what I’m doing. Which is to say, I don’t know what I’m doing and I’m finally okay with it because I know I will know as I write it. There is tremendous freedom that comes with this knowledge of not knowing. It can’t be achieved any other way except by writing enough books for you to get there. Some of us are lucky and get there faster, and some get there slower. It’s no fault of ours. We’re all different. It will take as long as it will take. But it will take longer if you spend time on other shit instead of spending time on writing more books. You see what I’m saying? You can’t do more than you can physically do. And you can’t beat yourself up for not doing more and somehow not succeeding in your own eyes. You’re already succeeding by writing. And your luck will either come, or it won’t. So forget about doing EVERYTHING for the books you have already written and write more. […]

Fortsetzung und Quelle: Ksenia Anske

Liebe/r AutorIn, bitte höre damit auf, dich selbst zu verprügeln. Es ist ja so, dass immer auch Glück im Spiel ist, bei aller Kunst, die wir erschaffen, ob nun Bücher oder was auch immer. Wenn deine Artikel von der richtigen Person zur richtigen Zeit gelesen (gesehen, gehört, etc.) werden, braucht es womöglich nur einen kleinen Schubser, damit dein Werk viele Menschen erreichen kann. Es bedeutet nicht, dass DU etwas falsch gemacht hast. Es bedeutet, dass es nicht nur an DIR liegt, ALLES selbst zu tun. Stopp. Atme ein. Atme aus. Und nun schreibe weitere Bücher. […] Je mehr (von ihnen) du schreibst, desto besser werden deine Bücher werden. Und während du schreibst, wird dich das Glück zu finden oder auch nicht. Nimm es, wie es kommt. Sei bereit, NIE gefunden zu werden. Es ist ja nicht der Grund, warum du schreibst, nicht wahr? Du schreibst um deinetwillen. Wenn du nur für Ruhm und Reichtum schreibst, hör JETZT besser damit auf.

Weißt du, warum ich das weiß? Ich werde dir meine Geschichte erzählen. Ich bin genau in ihrer Mitte.
[…] Während ich also mein sechstes Buch schreibe, nach fünf anderen Büchern, die ich über den Zeitraum von ca. 4 Jahren geschrieben habe, fällt mir ERST JETZT auf, dass ich beginne zu fühlen, dass ich (endlich), was ich tue. Was soviel heißen soll, dass ich (zwar) nicht weiß, was ich tue, aber damit endlich einverstanden bin, weil ich weiß, dass ich es erfahren werde, wenn ich es schreibe. Mit dieser Erkenntnis nicht zu wissen (was wird), entsteht enorme Freiheit. Sie kann nicht anders erreicht werden als damit, dass ich genügend Bücher für dich schreibe, um dorthin zu gelangen. Einige von uns haben Glück und kommen schneller dorthin, bei anderen geht es langsamer. Es ist nicht unsere Schuld. Wir sind alle verschieden. Es dauert so lange, wie es dauern wird. Aber es wird länger dauern, wenn du Zeit für andere Scheiße verschwendest, anstatt deine Zeit damit verbringst mehr Bücher zu schreiben. Verstehst du, was ich sage? Du kannst nicht mehr tun, als du physisch tun kannst. Und du kannst dich verprügeln, weil du nicht mehr tust, um in deinen eigenen Augen erfolgreicher zu sein. Du bist bereits durch das Schreiben an sich erfolgreich. Und dein Glück wird entweder kommen oder nicht. Vergiss also ALLES zu tun für die Bücher, die du schon geschrieben hast und schreibe mehr.

Das zweite Stöckchen

liebster-awardLiebe Fürhilde, endlich, besser spät als nie, löse ich mein Versprechen ein, dir deine Stöckchenfragen zu beantworten. Ich danke dir für deine Wertschätzung und dein Interesse am Austausch von Gedanken rum um das Schreibhandwerk.

1.) Wie viel Platz hat das Bloggen in deinem Alltag?
Die Frage lässt sich gar nicht so einfach beantworten. Bloggen ist für mich nicht nur das Schreiben eines Artikels, sondern eben auch die dem Schreiben vorausgehende Auseinandersetzung mit einem Gedanken, mit einem Thema, mit einem Problem. Ich denke ständig und viel, doch nicht aus jedem dieser Gedanken wird ein Blogartikel. Manche Gedankenflüsse verlaufen im Sand, andere werden verdichtet zu einer kleinen Lyrik im Tagebuch, noch andere werden ins Blogartikelformat gebracht. Zu meiner Auseinandersetzung mit der Welt gehört das Blogschreiben längst dazu und auch der Austausch mit anderen Bloggerinnen und Bloggern ist mir in diesem Kontext längst unverzichtbar geworden.

2.) Wie viele deiner Verwandten, Bekannten und Freunde setzen sich mit deinem Schreiben auseinander?
Noch so eine schwer beantwortbare Frage! Das Blog zeigt bei mir ja nur ein Teil meines Schreibens. Da ich auch immer mal wieder Geschichten und Artikel veröffentliche, wird die Beantwortung unübersichtlich. Zumal auch ehemals unbekannte Bloglesende zu Bekannten und FreundInnen geworden sind. Verwandte sind es eher wenig, die mein Blog oder meine Texte lesen. Sie wissen zwar, dass ich schreibe, aber selten was. 🙂 Und das ist auch ganz okay so. Der Austausch mit Bekannten und FreundInnen ist mir in diesem Lebensbereich wichtiger.

3.) Wohin gehst du, wenn du traurig bist?
Das hängt davon ab, wo ich gerade bin, wenn die Traurigkeit zu Besuch kommt. Meistens gehe ich in die Natur, an einen Fluss oder in den Wald. Manchmal allein, manchmal mit Lieblingsmenschen. Oder ich schlafe eine Runde. Das hilft auch oft.

4.) Wann ist die beste Zeit zum Schreiben?
Sehr unterschiedlich. Meistens habe ich am meisten Schreiblust in der ersten Stunde nach dem Erwachen. Ich schnappe mir dann mein iPhone und die externe Tastatur und schreibe drauf los. Oft ist es aber auch am späten Nachmittag oder am Abend, wenn die Ideen purzeln. Am wenigsten kreativ bin ich wohl so um den Mittag herum und am frühen Nachmittag. Die beste Schreibzeit ist dann, wenn ich voller Gedanken und Ideen bin.

5.) Wann hast du angefangen zu schreiben?
Mit drei. Ohne Witz. Ich habe mit drei die Buchstaben gelernt und angefangen comicartige Bildergeschichten zu kritzeln. Inklusive Sprechblasen. Später ging es mit Aufsätzen als Lieblingsschulfach, Tagebuchschreiben und Kurzgeschichten weiter. Erste Veröffentlichungen dann so ab 2005.

6.) Welche ist deine Lieblingsjahreszeit?
Frühling-Sommer-Frühherbst. Hauptsache nicht zu kalt.

7.) Wirst du irgendwann aufhören zu schreiben?
Ziemlich sicher nicht, es sei denn, ich könnte nicht mehr …

8.) In welcher Stadt fühlst du dich am wohlsten?
Wenn Stadt, dann Bern. Aber eigentlich bin ich inzwischen fast lieber in kleinen Orten unterwegs. Oder ganz auf dem Land.

9.) Was liefert dir die Rohstoffe aus denen am Ende ein Text entsteht?
Das Leben selbst: Erfahrungen. Beobachtungen. Gespräche. Menschen. IT-Technik als Metapher für das Leben. Alles, worüber ich nachdenken mag.

+++++++++++

Das Stöckchen mit dem Liebster-Award drumrum fange diesmal bitte auf, wer immer Lust hat. Ich werde ausnahmsweise niemanden nominieren. Wer aber Lust hat, Fürhildes neun Fragen ebenfalls zu beantworten, darf das bei sich auf dem Blog gerne tun. Also los, Stöckchen, fliege weit und lande weise …

3 – 2- 1 – werf … Juhuuuu …