Von Paralleluniversen, Flugrost und den vielen Baustellen der Sofasophia

Etwas bremst dich immer aus! Mit diesem Satz bin ich gestern Nachmittag zuhause gelandet. Hier zuhause, hier in der Pfalz, hier auf dem einsamen Gehöft. Bin wieder zurück aus der Schweiz, wo ich noch immer und immer auch zuhause bin. Doch ist daheim mehr und mehr einfach mitten in mir drin.
In der Meinung, dass alles in Ordnung ist, da meine blecherne Gefährtin doch neulich erst im Service war, fuhr ich los. Es galt die periodische Autokontrolle zu bestehen. Natürlich, die Nervosität fährt zu solchen Anlässen immer mit, doch im Grunde war ich sicher, dass wir es schaffen würden, mein Sternchen – deutsch für Starlet – und ich. Mit Irgendlink hatte ich am Tag zuvor noch den letzten Flugrost abgeschmirgelt und dies und das vergoldet, so dass ich mich beinahe neu in die alte Dame mit den vielen Dellen verliebte.
Doch was musste ich erfahren, wie ich da auf der Prüfspur stand? Mein Auto sei krank! Ein bisschen nur, zum Glück. Seine Ölwanne ist rostig und muss ersetzt werden. Ebenso die Hinterreifen. Für Normalsterbliche unsichtbare, für den Fachmann im Prüfzentrum wohl sichtbare Abnutzung des Gummis um die Felgen rum. Sehen Sie: hier und hier! Nein, ich will hier nicht mit Details langweilen, doch gebe ich zu, dass mich die Diagnose doch überrascht hat. Und geschmerzt. So als wäre eine Freundin krank. Na ja, das ist mir mein Auto irgendwie. Wie viele Abenteuer wir doch schon zusammen erlebt haben!
In der Schweiz habe ich ganz nebenbei ein paar tolle Menschen getroffen. Ein schöner Nebeneffekt meines Besuches in der Schweiz. Ohne mein Dazutun hatte nämlich meine Schreibgruppe genau jenen Abend zu ihrem Treffabend auserkoren und traf sich schließlich statt in Bern extra wegen mir in Biel, wo ich bei meiner Freundin K. gastierte. Was für ein toller Abend!
Auch den Mittwoch verbrachte ich in der Schweiz, fuhr weiter zu meiner Freundin L. und begriff einmal mehr, wie wunderbar es ist Freundinnen zu haben. Wunderbar nährende Gespräche da wie dort. Ein Austauschfluss – erfrischend und wohltuend. Auch zeigten sich sowohl K. als auch L. begeistert von meinen iPhone-Bildern. Fast identisch waren ein paar von ihnen beiden geäußerte, kritische Gedanken zur iPhone-Kunst:
Eigentlich ist es ja nicht wirklich fair, dass du mit nur ein paar wenigen Berührungen des Bildschirmes so tolle Bilder machen kannst!
Okay, ja,
habe ich gesagt, das mag easy aussehen. Die paar wenigen Berührungen sind allerdings nicht einfach Automatismen, sie sind der eigentliche künstlerische Prozess.
Kunst ist immer eine Synthese von initialer Idee, Handwerk, Wissen und Können betreffend das Material, dazu kommen Inspiration, und Phantasie. Nicht zu verachten: ein bisschen Zufall. Kunst ist ein Weg. Kunst ist es, den Augenblick wahrzunehmen und festzuhalten, und Kunst ist auch dessen Echo. Kunst ist das Erlebnis, der Ausdruck, die Lust am Hinsehen und Hinfühlen. Und Kunst ist noch viel mehr.

Li Ssi hat dazu in ihrem Blog einen genialen Text zitiert:

Ich brauche nicht in die Geschichte der Philosophie einzutauchen, um darauf zu bestehen, dass es in der Kunst K E I N E R E G E L N gibt und keine Chance für Schwachköpfe und Blödmänner, die an Regeln und Gesetzen und verbotenen Bereichen festhalten, und keinen Grund für Hierarchie, der zufolge „breit“ besser als „schmal“ ist und „männlich“ wünschenswerter als „weiblich“. Es gibt in der Kunst kein Gefühl, das nicht ausgedrückt, und keine Geschichte, die nicht erzählt werden darf, es sei denn, man hat ein Brett vorm Kopf. Die Verzauberung entsteht durch das Fühlen und das Erzählen, das ist alles. (Zitat Ende)
Quelle: Siri Hustvedt: Der Sommer ohne Männer

Während ich nordwärts heimwärts fahre – besonders auf dem letzten Wegstück, wo die Autobahn aufhört – und während sich die Ebenen verschieben – kaum bin ich hier, schon bin ich dort, fahre rauf und runter –, stelle ich fest, dass ich doch nicht in einer flachen Welt leben möchte, wie ich sie mir beim Radfahren zuweilen wünsche. Die verschiedenen Ebenen, der Wechsel der Dimensionen machen mein Leben reich. Kaum hier, schon dort …, ja, das muss so sein, so und anders. Immer wieder andere Ebenen. Langer Atem, den ich brauche, immer wieder. Viel Kraft, die wir brauchen, um all die Wechsel, all die vielen Baustellen, auf denen wir leben, auszuhalten. Schiefe Ebenen oft genug, Schräglagen, Geraden, Paralleluniversen …
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Baustelle 1: Meinen Wohnraum fertig gestalten, so dass ich mich wieder vermehrt um meine anderen Projekte kümmern kann.
Als da wären:
Baustelle 2a: An meiner iPhoneArt-Gallery weiter spinnen. Mich verbessern. An meinem Handwerk arbeiten. Mein Auge schulen.
Baustelle 2b: Meine WhiteWall-Seite, meinen Internet-Bilderladen, wo jede und jeder meine Bilder in genialer Qualität für sich selbst bestellen kann, weiter kreieren. Mehr dazu, wenn ich so weit bin. Und ja, inspiriert dazu hat mich natürlich Irgendlink, dessen eigener WhiteWall-Shop ich allen nur wärmstens empfehlen kann.
(((Ach ja … heute haben wir unsere Bilder, die wir ebendort bestellt haben, voller Freude von allen Seiten betrachtet, gedreht, gewendet. Fazit: Super Qualität! Bestellen! Aufhängen! Weitersagen! )))
Baustelle 3: Jener Foto-Wettbewerb zum Thema „short-lived“, zu dem alle iPhoneographInnen eingeladen sind. In Frankreich irgendwo wird es eine Ausstellung zu besagtem Thema geben. Da will ich mitmachen.
Baustelle 4: Mein Blog, das ich nicht vernachlässigen will.
Baustelle 4a: Für mein Blog kleine, feine, weise Artikelchen über die einzelnen Apps, diese süchtigmachenden Bildbearbeitungsprogramme des iPhones, schreiben.
Baustelle 5: Meine Manuskripte vollenden und voranbringen. Verlagssuche zum Beispiel. Ich sage da nur „Loch im Eis“!
Baustelle 6: Lebensschülerin sein. Immer. Überall. Ob mit Irgendlink unterwegs oder allein. Oder mit meinen Freundinnen und Freunden. Nähe. Distanz. Balancieren auf dem Lebensseil.
Baustelle 7: Für „meine“ Zeitschrift endlich die beiden ausstehenden Buchbesprechungen schreiben und abliefern.
Baustelle 8: Endlich mal wieder an meiner Galerie mit den Nikon-Bildern weiterbauen.
Ach und nicht zu vergessen:
Baustelle xyz: Mein Auto instand stellen lassen und es zur neuerlichen Prüfung innert dreißig Tagen erneut in die Schweiz begleiten. Mich der Lehrmeisterin Straße hingeben. Lehrmeisterin? Ja, sie hat mir neulich gesagt, dass gutes Autofahren nicht in erster Linie bedeutet, dass ich technisch einwandfrei unterwegs bin, sondern dass ich risikobewusst und sozialkompetent fahre und dass ich mir meiner Mitwelt bewusst bin, will heißen, weder mich über andere zu ärgern noch anderen Anlass zu geben, sich über mich zu nerven. Und so weiter.
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Banaler Text, denke ich, wo ich ihn durchlese. Hm. Die Angst vor der Banalität? Ja, die gibt’s. Die kennt wohl jeder kunstschaffende Mensch. Doch nein, ich will sie nicht mehr füttern. Ich schreibe hier, was ich will. Banal oder nicht.
Etwas oder jemand bremst uns immer aus!, schrieb ich oben. Und meistens bin ich es sogar selbst, die mir auf dem Schlauch steht, geht es mir soeben durch den Kopf. Hm, aber stimmt das wirklich?
Das Leben ist eine Aneinanderreihung von Kompromissen!, habe ich zu Freundin K. gesagt. Und das, stimmt das? Ja und nein. Ja, denn ich bewege mich ständig in Relation zu allen anderen, bin nicht allein, der Platz ist beschränkt. Choreografie des Lebens. Schwerkraft und Zusammenspiel von Zufall und Fügung. Lebenstanz. Ich bin immer umgeben von anderen, die da sind, weil sie da sind, wie ich ebenfalls in ihren Leben irgendwie da bin. Warum auch immer. Doch müssen sich Selbstbestimmtheit und Kompromissfähigkeit ausschließen? Sie könnten sich doch eigentlich wie Essig und Öl begegnen, im Salatsaucen-Tanz sozusagen.

heute nur dies

Asterix und Obelix hätten sich gefreut, Hinkelsteine gibts noch immer, sogar ganz hier in der Nähe. Eine Dreißigkilometer-Radtour mit über tausend Höhenmetern – rauf und runter und so – ist nicht ohne. Tut aber saugut und macht richtig schön müde.
So kann ich vor meinem Schweiz-Besuch sicher ganz guuut schlafen …

Bild: Gollenstein, Blieskastel.
Aufgenommen mit der Hipstamatic auf dem iPhone. Für einmal roh, unbearbeitet und ungeschminkt …

(un)fertig, der Nachschlag

Gestern begriffen, dass die Tessiner Kirche das ideale Objekt für das noch nicht fertige Bild ist.
Hier eine weitere Variante:

Stichworte, über die ich nächstens mal zu bloggen gedenke:
– Baustellen … wie handhabe ich das Verhältnis zwischen freier Zeit und all dem, was ich jetzt endlich tun könnte, wenn ich grad nicht nichtstue. Wie selbstdiszipliert kann ich meine Zeit verwalten?
– die Feinheiten/Nuancen … ein Bild und ein ähnliches Bild – gleich und doch nicht gleich. Die gute alte Frage einmal mehr: Wo fängt Kunst an?
Aber erstmal ist Karfreitag, ist Ostern …
kleine Blogpause … Winkewinke …

fertig?

FERTIG gibt es nicht. Fertig ist ein Unding. Unfassbar. Ganz besonders in der Kunst. Einerseits musst du ja irgendwann einen Punkt machen, den letzten, andererseits wird dich immer das Gefühl begleiten, dass du mehr hättest tun können, mehr über- oder bearbeiten. Zum dritten aber, und dies ist nun die Kante der Münze, zum dritten weißt du, dass es wann immer du den Schlusspunkt auch gesetzt haben magst jedes Mal solche Menschen gibt, die sagen, dass du zu viel oder zu wenig bearbeitet hast. Was die Subjektivität und Unfassbarkeit des Begriffs beweist.
Da lob ich mir doch die hohe rohe Kunst, die Art Brut. Ja, die gibt es. Und sogar ein Museum drum rum. Rohe Kunst, Kunst von Menschen geschaffen, die nicht wissen, dass sie Kunst kreieren. Oftmals von Menschen, die psychische Probleme haben, die in Kliniken gesteckt worden sind, denen als einzig mögliche Sprache Stift und Papier bleibt. Kunst, die nicht auf die Regeln der ExpertInnen hört und die eigenen Gesetzen gehorcht.
Das Gegenteil von Mainstream, dieser Autobahn der Kunst. Überall – in der Musik ebenso wie beim Schreiben oder Fotografieren – diktiert ein Mehrheitsgeschmack, was angesagt ist. Oder ein Minderheitsgeschmack hinter den Kulissen. Fäden, lange Fäden. Big Business. Aber darüber wollte ich nicht bloggen.
Dafür über die Möglichkeiten, ja, über sie wollte ich sofasophieren … Am Anfang waren die Möglichkeiten, unzählige, unendliche, grenzenlose. Durch die Verdichtung von Energie, von Idee, von Phantasie, wird Möglichkeit Wirklichkeit. Durch meine Entscheidung für einen der vielen möglichen Wege, verlasse ich das Land der Optionen, dieses Land, in dem alles möglich ist, und ich betrete die Realität. Bei der iPhoneArt, von der ich hier schreiben will, zwar nur die virtuelle Realität, aber immerhin. Ich gestalte aus einem rohen Bild ein anderes, ein neues Bild, ein gefiltertes. So wie wir alle die Welt um uns herum immer auf die eine oder andere Art filtern. Wobei hier das Wort Art durchaus mit Kunst übersetzt werden darf.
Beispiele gefällig? Vorher:

… nachher:

Bilder: iDogma-Art
Das erste ist ein ganz simpler, nicht mal sehr gut belichteter Schnappschuss aus unseren Tessin-Ferien im November 2010.
Das zweite Bild habe ich nach den Regeln des iDogma ausschließlich auf dem iPhone bearbeitet. Von A bis Y. Nur das Z, in diesem Fall hier das Hochladen, geschieht der Einfachheit halber über den Rechner …
Ob das Bild nun fertig ist? Oder vorher schon? Immer gar? So wie wir?
Unterwegs und doch ganz.
Angekommen und doch unterwegs.
Auf der Reise und doch bei mir.

Fette Hummeln

Da wollte ich doch heute endlich meinen Arbeitsplatz einrichten. Spannend eigentlich, dass ich diesen Raum bis zuletzt aufgespart habe.
Den alten Laptop habe ich rüber in Irgendlinks Künstlerbude gestellt, dafür den neuen Laptop von dort in meine Künstlerinnenhöhle geholt. Auf den Schreibtisch unter dem Dachfenster gestellt, auf diesen neuen, wunderbar großen Tisch, wo schon fast kein Platz mehr ist.
Habe den Startknopf gedrückt um ein paar Kleinigkeiten zu erledigen. Ein paar Mails. Steuerbehörde Bern. Bankgeschäfte. Dies und das. Und später würde ich dann die restlichen Kisten ausräumen, war mein Plan.
Draußen schönstes Frühlingswetter. Es ist kurz nach sechs Uhr und ich habe exakt null Kisten ausgepackt.
Ein Tag am Laptop. Nicht mal das Telefon habe ich mit hochgenommen, habe nichts gehört, nichts außer die fetten Wespen, Bienen und Hummeln, die sich in schöner Regelmäßigkeit durchs offene Dachfenster hier herein verirren, um von mir wieder in die Freiheit gefächelt und geschubst zu werden.

Abgeschottet war ich. Allein.
Der Test ist vollbracht.
Dieser Platz taugt definitiv zum Arbeiten. Und dazu, die Zeit zu vergessen.

So erfolgreich

Heute Morgen wars, beim frühen Spätstück. Irgendlink schmierte sich Brote für die Mittagspause. Wir philosophierten mal wieder über Kunst, Künstlichkeit und die iPhoneArt-Community. Ich hatte eben ein neues Werk, das ich auf dem iPhone kreiert hatte, abgespeichert.
Sucess!, stand im Bestätigungsfeld auf dem Display. Your Image Is Sucessfully Saved.

Jippie, juble ich, ich habe Erfolg. So viel Erfolg! Jeden Tag! Mit jedem Bild ein bisschen mehr! Die hier gratulieren mir laufend zu meinen Erfolgen! Ich wackle mit dem Kleinstcomputer auf und ab, glücklich über den Erfolg.

Ich sags ja schon immer!, meint Irgendlink, iPhonographInnen sind die glücklichsten Menschen der Welt! Sie segeln sukzessive von Sucess zu Sucess!

wichtig?

Von der Wichtigkeit des Etwas-zu-tun-zu-haben-Müssens befreit, tue ich noch immer ständig irgendetwas, von dem ich glaube, dass oder zumindest so tue, als ob es wichtig sei. Doch gibt es denn tatsächlich wichtigeres als Nichtstun?
Wenn ich am Feuer sitze, ist am Feuer zu sitzen das Beste, das ich tun kann.

Und wenn ich sterbe, oder du, oder sonst wer – jetzt oder irgendwann müssen das schließlich alle – will ich es fortan nicht mehr schrecklich nennen, denn absterben ist die Komplementärfarbe von fortleben.
Nur weiß und/oder braun wäre ja nicht auszuhalten.

Schnittstellenbabel

Samstagabend. Ich sitze am Ofen in meiner Künstlerinnenhöhle. Das Feuer singt und glüht vor sich hin, während ich diese Zeilen hier in die Tastatur haue. Seit heute Nachmittag bin ich, Irgendlinkseidank, drahtlos mit der weiten Welt verbunden. Ein langes Kabel macht es möglich.
Kabel. Stecker. Steckdosen. Router.

Seit Tagen ein wiederkehrendes Thema. SchweizerInnen wissen: Elektrogeräte zwischen Genf und Romanshorn haben, wie das hübsche Bildchen zeigt, meistens drei Stifte in den Steckern, während die deutschen Stecker jedoch immer nur zwei Stifte haben. Diese sind allerdings nicht länglich-schmal wie jene Schweizer Zwei-Stifte-Stecker angeordnet, die es ja ebenfalls gibt, sondern rundlich, so wie die früheren in der Schweiz. Kurz gesagt: ich habe das Babel der Schnittstellen betreten.
Ein bisschen fühle ich mich wie eins meiner Elektrogeräte – Getreidemühle, Mixer, Verlängerungskabel ecetera – das dieser Tage mit einem neuen Stecker versehen wird. Neukonfiguration allerorten.
Jedes Mal, wenn ich einen Schweizer Stecker abschneide, tut es ein klein bisschen weh. Anschließend schäle ich die drei im Kabel verborgenen Kupferdrähte blank und führe sie in den neuen deutschen Stecker aus dem Baumarkt ein, wo ich sie festschraube, damit sie mir auch hier, dank Strom aus der Dose, zu Diensten stehen können.
Gut verkabeln und dann einfach einstecken?

einfach zwei Bilder


tot oder lebendig?

Warme Decke …
Bilder: iDogma-Art
Das erste habe ich mit den Kameras Hipstamatic (Hintergrund) und ProCamera (Vordergrund) aufgenommen und mit Juxtaposer montiert.

Das zweite habe ich mit CrossProcess fotografiert, mit HDR Library, Diptic, und Grungestastic bearbeitet.
Beide habe ich vom heimischen Rechner aus hochgeladen.

haben und sein

Am liebsten würde ich jetzt, genau jetzt, am Feuer sitzen. Oder als Option an der Sonne. Ich würde Reichlin lesen. Die Sehnsucht der Atome. Aber nein, darf ich nicht. Keine Zeit. Im Kopf diese Ruhelosigkeit. Verzettelung. ToDo-Hamsterrad. Sogar hier, auf dem einsamen Gehöft, wo sich Fuchs und Hase Guten Morgen zuflüstern. Allerdings sind die ToDos hier oben auf dem Berg selbstgestrickt. Bis zum Antritt meiner neuen Stelle im August zumindest. Ein einfaches ruhiges bescheidenes Leben. Alle Zeit der Welt. Jeden Tag wie er grad kommt.
Endlich Muße zum Schreiben.  Eigentlich. Wie jetzt. Ich sitze zum ersten Mal an meinem neuen Arbeitsplatz. Auf der großen weißen Schreibplatte, die Irgendlink herbeigezaubert hat. Unter dem Dachfenster. Blick auf den Wald. Auf den Grat. Ich schreibe auf meinem alten Laptop und noch bin ich in meiner Künstlerinnenhöhle nicht mit dem weltweiten Netz verbunden. Noch schiebe ich Texte via USB-Stick von Rechner zu Rechner, denn das drahtlos-weltweite Netz von Irgendlink reicht nicht bis zu mir. Technik nur und alles eine Frage der Zeit.
Zeit. Zeit haben für … Keine Zeit haben, um …
Ja, ich möchte bereits fertig eingerichtet sein, fertig ausgepackt, doch da ist jeden Tag so viel anderes, das mich beschäftigt. Und eilen mag ich nicht. Zuviel Stress hatte ich in den Monaten zuvor. Alles hier hat eine andere, eine neue Wichtigkeit. Genau jene, die ich ihm, allem einzelnen, gebe. Der Wäsche, die ich wasche ebenso wie dem Brot, das ich backe. Doch vor allem schiebe ich endlich die Kunst in den Vordergrund. Das Fotografieren. Überall Sujets, die sich mir in den Weg stellen. Ebenso wichtig ist mir das Bearbeiten der Bilder und die Pflege meiner Bilddateien und der Kontakte innerhalb der iPhoneart-Community.
So weit so gut, doch am allermeisten geht es um Spurensuche: Wohin bin ich unterwegs? Was ist das Ziel meiner Kunst, meines Ausdrucks? Was habe ich zu erzählen, wenn oder falls ich denn etwas von allgemeinem Interesse zu erzählen habe? Und wer – hier kommt nun die alles entscheidende Frage – wer bitteschön sagt, wo die Linie zwischen Kunst und Nichtkunst verläuft?
Mal losgelöst von unseren künstlerischen Stoffwechselprodukten* und deren diskutierbarer Qualität: Ist Kunst, was mehr als einem oder einer gefällt? Nein, ich will keine neuen Definitionen, darum muss die Frage anders lauten: Wer definiert Kunst? Die Mehrheit? Eine kleine, bestimmende, (ein)gebildete Minderheit?
Muss ich die Antwort kennen, um meine Kunst kreieren zu können? Werde ichweiterhin meinen Weg gehen oder werde ich mich anpassen?
Was will ich überhaupt mit meinen Bildern? Anerkennung? Auch so ein Thema … Wer will sie nicht? Ich gestehe, dass mir die kürzlich erfolgte Ernennung zur Künstlerin des Tages Rückenwind gegeben, mir gut getan hat. Ja, Anerkennung tut gut, aber sie raubt dir auch die Unschuld. Sie schraubt die Messlatte höher und nun darfst du keinen Schrott mehr liefern.
Schrott? Zuweilen, wenn ich mich durch die laufend neu eingestellten Bilder auf der Gallerie von ipa, unserer Bilder-Community, klicke, schlucke ich leer ob der vielen leeren Bilder. Wo verläuft gleich noch die Linie zwischen Kunst und Nichtkunst und welche Kompetenzen habe ich, das zu beurteilen? Ich brauche Bilder, die mich berühren. Die mag ich und die inspirieren mich. Der entscheidende Punkt ist das Maß der Berührung. Geist und Seele atmen auf, sie freuen sich über Stimulation, über ästhetische Herausforderung, die Kopfgrenzen auch mal kitzeln oder ins Einstürzen bringen darf. Doch sind Kreationen, die uns berühren, nur schon deshalb Kunst?
Beim Schreiben habe ich mich immer wieder mit ähnlichen Themen beschäftigt. Besonders innerhalb meiner nicht-virtuellen, höchst inspirierenden Berner Schreibgruppe. Der Stil von A. ist einfach unnachahmlich. Dicht. M.s Figuren haftet stets dieses leicht absurde an, während S. immer einen Touch Grusel in seine Texte einpackt. Muss ich deswegen nun auch gruselig, absurd, dicht oder sonst wie schreiben? Muss ich nicht. Entweder jemand mag meine Schreibe – was mich natürlich freut – oder er oder sie mag meine Schreibe nicht. Damit kann ich leben. Wie wichtig ist dennoch der Austausch? Wie wichtig ist, dass ich mich vernetze, dass ich die Werke anderer anschaue, lese, betrachte, mich inspirieren lasse?
In unserer Bilder-Community kann man sich durch Kommentare schreiben und Favoriten wählen, vernetzten. Worüber Irgendlink und ich zuweilen scherzen. Wer von uns beiden hat mehr Fans? Bei wem wurden mehr Bilder als Favoriten ausgewählt? Ich schleime mich ein, du schleimst dich ein, wir schleimen uns ein? Ist die Quantität der Kommentare ein Hinweis auf die Qualität der Bilder?
Sind meine Bilder anders geworden, verkrampfter, seit ich neulich Künstlerin des Tages sein durfte? Sind meine Bilder anders, seit ich herausgefunden habe, was andern besonders gut gefällt?
Ich muss auf einmal an meinen Deutschlehrer im Gymnasium denken. Er stand auf dramatische Texte, also schrieb ich dramatische Texte. Nein, damit habe ich weniger meine Seele verkauft als mir bewiesen, dass ich nach Auftrag schreiben kann. Könnte.
Doch am liebsten beschreibe und fotografiere ich, was ist. Was ich sehe. Was mich beschäftigt.
Und noch lieber lese ich jetzt gerade ein paar Seiten Reichlin.
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* eine ältere Wortkreation meines Liebsten
(verfasst heute Nachmittag)