Wie ein sich ausbreitender Tintenfleck

Mir ist richtig elend zumute. Ein umfassendes ’Alles geht den Bach runter’-Gefühl von beinahe misantropischer Hoffnungslosigkeit erfüllt mich. Was für eine Welt, in der eine dumpfe Mehrheit lieber konservativ und rechts wählt (Hessen, Bayern), statt sich dem Neuen zu öffnen, dem Aufbruch zu widmen. Ich befürchte, dass es in der Schweiz in weniger als zwei Wochen so ähnlich aussehen wird.

Das Bild eines sich immer mehr ausbreitenden Tintenflecks drängt sich mir auf. Eine leicht beeinflussbare Masse. Erinnerungen an den Geschichtsunterricht. An die Zeit zwischen den Weltkriegen, die Zwanziger- und Dreißigerjahre des 20. Jahrhunderts. Eine verunsicherte Masse, die irgendwann zur Mehrheit wurde. Demokratie, die gezielt mit Feinbildern destabilisiert wird. Wiederholt sich alles?

Nein, ich werde jetzt keine Politanalyse verfassen, das überlasse ich anderen Menschen, die das besser können.

Mir bleiben Traurigkeit und Wut. Und Fragen: Was kann ich konkret tun? Was liegt in meiner Macht? Meine geringen Einflussmöglichkeiten sind mir sehr bewusst. Außerdem werden die Menschen, die ich kenne, richtig wählen; und die Menschen, die ich nicht kenne, kann ich eh nicht erreichen. Also bleibt der Alltag. Rückgrat bewahren. Klar sein. Widersprechen, wo ich kann. Nicht mit Nazis diskutieren, das nicht. Aber vielleicht dort, wo Menschen unsicher sind, Einfluss nehmen.

Sind wir insgesamt genug, die das alles so nicht wollen, nicht den Zerfall der Demokratie, nicht diese Fremdenfeindlichkeit, all diese Ismen, die Minderheiten, Menschengruppen, Eigenschaften zu Feinbildern stilisieren. Sind wir genug, sind wir noch mehr, sind wir noch viele?

Und da hinein noch eine weitere Schreckensbotschaft. Ein lieber Freund hatte einen Herzinfarkt und liegt auf der Intensivstation. Er ist jünger als wir zwei. Er hat es wohl gerade nochmal geschafft und ist dem Tod von der Karre gesprungen. Hoffentlich.

Geht das jetzt immer so weiter mit diesen häufiger werdenden Einschlägen, während wir alle älter werden? (SPOILER: Ja.)

Mir ist schlecht.

Ohne passenden Titel

Nein, ich werde heute nicht kommentieren, was jenseits des großen Meeres passiert ist. Noch bin ich zu schockiert. Und zu müde. Zu erschöpft. Außerdem können das manche besser (und ja, manche auch schlechter).

Besser ist es wohl, dennoch einen Apfelbaum zu pflanzen, selbst wenn morgen – na, ihr wisst schon – … (Wobei: Untergehen wird die Welt zwar vermutlich morgen noch nicht. Irgendwann aber schon. Und vielleicht fängt dann alles wieder von vorne an. Oder anders.

Bis dahin lese ich Treibsand, Henning Mankells Memoiren (Essays, nachdem er von seiner Krebserkrankung erfahren hat). Nährende Texte darüber, was es heißt ein Mensch zu sein. ( ⇒ Link).

Wobei:

Und, falls sich morgen die Welt noch immer dreht, habe ich einen weiteren Artikel von Ksenia für euch vorbereitet.

Von Möchtegern-Wahrheiten

Er will bestimmt zum Wehr spazieren, zur Brücke bei der alten Spinnerei. So notiere ich es mir ins Handy. Keine fünf Minuten nachdem wir das Haus verlassen haben. Ziel: unbekannt. Einzig haben wir abgemacht war, dass er heute sagen würde, wohin wir wandern. Tags zuvor hatte ich nämlich die Route unseres Spaziergangs gewählt. So machen wir es zuweilen, wenn beiden egal ist, wo wir hin gehen, Hauptsache, ein bisschen raus. Hauptsache, ein bisschen die Füße vertreten.

Hätte ich nicht gesagt, dass ich wisse, wo es ihn hinziehe, als er die erste Richtungswahl vor dem Haus getroffen hat – ganz rechts, den Rain abwärts – wären wir ziemlich sicher genau dort gelandet. Beim Wehr. Bei der alten Spinnerei. Wie von mir vorausgesagt. Vielleicht ziemlich sicher.

Hätte ich nichts gesagt, hätte er nicht geantwortet. Hätte er nicht gesagt: Bin ich so leicht vorhersehbar? Und ich hätte wohl auch nicht lachend mit: Nicht immer, nur heute! geantwortet.

Wären wir woanders hin als da, wo wir hin sind, wenn ich nichts gesagt hätte? Und wenn ich nichts gedacht hätte? Oder wären wir doch genau dort, wo er – auf einer Metaebene, die ich nicht erahnen kann – im Grunde der Dinge die ganze Zeit schon hingewollt hatte?

So wandern wir also quer durchs Dorf, über eine Aarebrücke in die kleine Nachbarstadt, queren auch diese nur am Rand und sind schon bald am Fuß des Stadtberges. (Dass das ein Berg ist, wenn auch nur ein kleiner, merkt man erst, wenn man ihn ersteigt. Ansonsten würde ich Schweizerin ihn ja eher Hügel nennen. Schweizerische Bescheidenheit? Vergiss es. Oder gab es sie damals, als man den Hügel Berg nannte, vielleicht noch gar nicht?)

Am Fuße des Berges erneut die Diskussion, ob wir hier gelandet wären, wenn ich nicht gesagt hätte, dass ich weiß, wo es hingeht.
Ja, wir wären trotzdem hier gelandet. Weil selbst deine Aussage, du wüsstest, wohin es geht, meine Wahl im Voraus beeinflusst hat, Oder auch nicht, und ich einfach die ganze Zeit schon hier her wollte, sagt er.
Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Wir hätten unterwegs zig Möglichkeiten für neue Entscheidungen gehabt. Aber sicher bin ich mir nicht. Vielleicht ist es so. Vielleicht war es einfach unser Schicksal, hierher zu kommen?, sage ich.

Schließlich steigen wir auf einem kleinen, sehr steilen, sehr rutschigen Weglein den Berg hoch. Was für ein Abenteuer! Den Weg haben wir nur zufällig gefunden. War auch er unser Schicksal oder war es nur der Baumstamm, unser vorläufiges Ziel, auf den wir uns – oben angekommen – setzen um durchzuatmen? Wir keuchen und fühlen uns so gut, wie Erstbesteiger es immer tun.

Und nun: Rechts oder links? Rechts wäre wohl eine recht weite Wanderung zurück nach Hause, zumal es bereits eindunkelt. Also links? War auch das der Weg, den wir zu gehen hatten? Und wer oder was ist es, der oder das diese Wege weiß. Gibt es, wäre es so, denn überhaupt Wege, die wir wirklich-wirklich frei wählen können?

Ach, dieser mein Was wäre wenn-Determinismus, an den ich mal glaube, mal nicht? Oder gibt es sie doch, die Selbstbestimmung? Ich kann darüber nachdenken, so oft ich will und weiß hinterher weder mehr noch weniger. Und schon gar nicht, was wirklich wahr ist. Weil es womögliich, so dünkt es mich heute, kein wirkliches Wahr gibt, kein letztes zumindest. Oder doch?

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Der Determinismus (lat. determinare „abgrenzen“, „bestimmen“) ist die Auffassung, dass alle – insbesondere auch zukünftige – Ereignisse durch Vorbedingungen eindeutig festgelegt sind.[1] Die Gegenthese (Indeterminismus) vertritt, dass es überhaupt oder in einem bestimmten Bereich der Realität Ereignisse gibt, die auch hätten anders eintreten können.

In der heutigen Naturphilosophie wird üblicherweise „Determinismus“ spezifischer auf Ereignisse der Natur – oder einen bestimmten Bereich derselben – bezogen. Gestützt wird ein allgemeiner Determinismus zumeist durch die Annahme, dass strikte, nicht-probabilistische Naturgesetze über sämtliche natürlichen Prozesse regieren. Ob wiederum die besten physikalischen Theorien diese Annahme stützen, ist umstritten. Wenn geistige Zustände ebenfalls natürliche Zustände sind, scheint ein Determinismus Probleme für die Realität eines freien Willens zu erzeugen. Ob dieser Gegensatz besteht ist ebenso umstritten wie die jeweiligen Konsequenzen.

Quelle: Wikipedia