Neues ist manchmal ganz schön anstrengend

Neulich haben wir meinen Laptop rundumerneuert. Nach einigen Querelen ist jetzt alles so, wie es soll. Und das bleibt hoffentlich so. Aber anstrengend war es. Neues fordert mich heraus. Ich hänge am Alten, am Vertrauten – und vermutlich bin ich damit nicht allein.

Das Einleben im neuen Betriebssystem auf meinem Rechner ist eigentlich fast wie das Einleben in einer neuen Wohnung. Oder in einem neuen Dorf. Oder in einem neuen Netzwerk. So ähnlich habe ich es erlebt, als ich mich – virtuell gesprochen – im dezentralen, nicht proprietären und darum unverkäuflichen Netzwerk namens Fediversum eingerichtet habe.

Ich bin im Frühling umgezogen, hatte mir allerdings bis vor Kurzem im Zwitscherhaus ein Plätzchen warm gehalten. Mit den Alteingessenen und anderen Frühlingsneulingen hatte ich es mir zwischen Frühling und Herbst schön kuschelig gemacht. Ich kam gut hinterher mit lesen, was die andern erzählten, und vor allem auch mit kommunizieren. Genau das machte für mich schließlich den größten Mehrwert aus, seit ich mich im Vogelhaus rar gemacht hatte: Diese geistreichen, spannenden, witzigen, philosophischen Gespräche da und dort, privat oder öffentlich, mit einer nach und nach organisch wachsenden neuen Blase von Menschen. Etwas, das ich früher auch mal so ähnlich auf Twitscher erlebt hatte. Doch nach und nach hatte ich aus Selbstschutzgründen dort damit begonnen, mich bedeckt zu halten ind nur noch über Allgemeines und/oder Politisches zu schreiben.

In umgekehrter Reihenfolge fing ich auf Mastodonien allmählich damit an, mich eben nicht mehr so bedeckt zu halten, sondern auch mal etwas Persönliches zu erzählen, mich wieder als Mensch zu fühlen, mich auch mal verletzlich zu zeigen … Ja, eine richtig gute Zeit war das gewesen zwischen Frühling und Herbst.

Schließlich wurde das marode Twitscherhauses doch noch an einen habgierigen Milliardär, dessen Namen ich nicht nennen mag, verkauft und ganz viele Menschen flohen deshalb ins Fediversum, um wieder so etwas wie eine neue virtuelle Heimat zu finden.

Nicht nur ich habe auf Mastodon diese Welle Neuer mit einer Art Flüchtlingswelle verglichen. In vielerlei Hinsicht verhielten sich nämlich die Flüchtenden und die Alteingessenen ähnlich wie wenn das hier eine richtige, eine physische Massenflucht gewesen wäre.

Manche Fedi-Menschen haben gelästert, einige geweint und getrauert darüber, dass jetzt die Neuen unser langsam gewachsenes Ökosystem zunichte machten. Die Neuen sollen sich doch jetzt bitte an uns anpassen, sagten viele und beschrieben, wie das gehen soll. Umgekehrt stellten die Neuen zuweilen ganz schön hohe Ansprüche. Das müsse doch jetzt bitteschön so und so funktionieren und wie geht dies und wie geht das – und viele lästerten und andere verglichen. Warum denn so und nicht so und überhaupt. Gräben taten sich zuweilen auf und es war nicht mehr ganz so kuschelig, wie ich es mich inzwischen gewöhnt war.

Und ja, klar, auch ich forderte am Anfang, dass sich doch alle bitteschön an gewisse Regeln halten sollten. Eine davon – Bilder für Sehbeeinträchtigte zu beschreiben – rufe ich immer wieder gern in Erinnerung, solange sich noch immer viele nicht daran halten.

Was ich inzwischen aus meiner Sicht sagen kann: Es ist wieder recht friedlich und freundlich geworden auf der Metaebene des Wie-geht-was? Der Umgangston ist freundlich. (Ich vermute, dass 500 Zeichen weniger Missverständnisse zulassen als 280; das ist allerdings – wie gesagt – nur eine Vermutung.)

Wie ich da und dort lesen kann, freuen sich die Neuen mit uns Mittelalten und Alten, dass es gute, konstruktive und viel weniger aggressive Diskussionen zu wichtigen Themen gibt. Ob alle Neuen glücklich sind, weiß ich natürlich nicht, aber von manchen, denen ich schon vorher auf Zwitscher, Ello und anderswo gefolgt bin, weiß ich, dass sie sich ziemlich bis sehr wohlfühlen.

Rein technisch und organisch gesprochen wächst das Fediversum vermutlich gerade viel zu schnell. Viele Server müssen von jetzt auf gleich nachgerüstet werden, sind zuweilen dennoch manchmal überlastet und darum langsam; und die Administrator*innen der einzelnen Instanzen haben gerade viel Arbeit, um die neuen Anmeldungen bewältigen zu können. Sie tun dies meist ehrenamtlich und auf Spendenbasis.

Für mich ist das Fediversum wie ein Dorf, das nun zu einer Stadt heranwächst. Vorher kannte jeder jeden, wenigstens vom Sehen, doch jetzt wird es auf einmal unübersichtlich und ein verändertes Umgehen miteinander ist notwendig geworden.

Konkret heißt das für mich, dass ich mich anders organisieren muss, um mich weiterhin wohlfühlen zu können. Ich legte mir Listen an, die so illustre Namen wie Familie (= der engste Kreis), Flauschis und News tragen. So verliere ich hoffentlich die neuen liebgewonnenen Leute nicht aus den Augen. Selten gelingt es mir, meine vollständige TL zu lesen. Und nein, das muss ich auch nicht. Ich muss nicht alles mitbekommen. Aber mich interessieren die Nachrichten meiner Lieben, darum brauche ich Listen. Aufregung brauche ich übrigens nicht mehr. Seit ich nicht mehr auf anderen SocialMedia-Plattformen agiere, bin ich viel weniger newssüchtig und – tadaaa! – ich vermisse es noch nicht einmal. (Ist wie mit Kristallzucker: Ist der erstmal aus dem Körper raus, gierst du nicht mehr danach.)

Manche Themen – Ballspieldingsis zum Beispiel – filtere ich raus. Weil ich es kann. Weil ich auf Mastodon ja einen Teil meiner Freizeit verbringe. Und in meiner Freizeit will ich keine Sportveranstaltungen kommentiert bekommen. Ich bin auf Mastodon vor allem, um zu kommunizieren. Am Anfang, nach der Großen Welle, kam ich kaum mehr hinterher, jedenfalls nicht mehr so wie vorher. Erst nach und nach kam das alte Gefühl wieder.

Und dennoch ist das Entscheidende für mich: Es darf etwas Neues entstehen! Ich lasse mich ein und verbinde das eine mit dem anderen, das Vorherige mit dem Jetzt-Zustand. Ich integriere, so gut es eben geht, das Neue und die Neuen in meinem persönlichen kleinen Fediversum. Vermutlich geht so Gesellschaft.

Um nochmals auf das Bild mit Dorf und Stadt zurück zu kommen:
Ich sehe zwei Bilder vor mir. Ein Platz mit Menschen drauf. Auf dem ersten Bild stehen zehn Menschen an ihren Lieblingsorten, auf dem zweiten stehen hundert Menschen auf ihren Plätzen auf dem Platz, jetzt ist es ein bisschen wuselig und weniger kuschelig. Die zehn Menschen vom ersten Bild stehen noch immer am gleichen Ort wie zuvor, doch ich sehe sie jetzt nicht mehr so gut wie vorher, weil die anderen neunzig eben auch noch da rumstehen. So irgendwie ist es jetzt. Und jetzt habe ich die Wahl: Ich kann mich weiterhin nur mit den zehn von vorher bekannten Menschen auszutauschen oder aber ich kann unter den neunzig anderen weitere Menschen finden, mit denen ich mich gern austauschen möchte.

Da meine Ressourcen begrenzt sind, kann ich mich mit den ersten zehn nicht mehr mit der gleichen Hingabe austauschen. Aber ich werde merke, was mir gut tut und welchen Austausch ich vertiefen will.  Auch das ist Gesellschaft. Wir leben in einer Zeit, über die in Geschichtsbüchern geschrieben werden wird. Jedenfalls, wenn die Menschheit die aktuellen Krisen und Katastrophen überlebt.

Es ist, wie es ist.
Das Neue und das Alte.
Eine sich stetig verändernde Gesellschaft.
Postkapitalismus wird von Open-Source abgelöst.
Resignation neben Hoffnung.
Zukunftsangst versus Zukunfshoffnung.

Wir hier

Wir hier – diese zwei Worte sind es, mit denen wir ausdrücken, wenn wir uns irgendwo heimisch fühlen. Es sind gute Worte irgendwie. Es sind gefährliche Worte irgendwie anders.

Mit Wir grenzen wir uns von denen ab, die nicht Wir sind. Und mit hier von denen, die woanders sind. Denn mit Wir hier meinen wir selten alle, weder alle Menschen noch alle Wesen auf dieser Erde.

Mit Wir hier stellen wir Bedingungen. Wir, die wir hier dies und das miteinander erleben, erschaffen, die wir einander auf die eine oder andere Weise nützlich sind, Beziehungen spielen lassen. Und ja, natürlich stellen wir Bedingungen. Bedingungslos? Das wäre ja noch schöner!

In den letzten Tagen ist dieses Wir-gegen-Die beinahe eskaliert. Und ich gebe zu, dass auch ich mich da und dort habe mitreißen lassen. Wir hier im Fediversum gegen die dort auf Twitter. Auch ich habe versucht, Menschen auf Twitter meine neue Heimat Fediversum schmackhaft zu machen und sie vor den bösen Worten derer, die das kleine Feine nicht zu würdigen wissen, zu beschützen. Ich weiß es ja schließlich besser, ich weiß, dass das Fediversum ein guter Ort ist, auch wenn er sich nicht auf Anhieb jeder und jedem erschließt, auch wenn zuerst ein paar Schwellchen überwunden werden müssen. Aber dann, wenn du erstmal dort bist, dann …

Ich habe mir den Mund fuselig geredet, weil ich meine Lieben aus den Fängen des proprietären, alles fressenden Monsters E. M., der Twitter gekauft hat, reißen wollte. Beste Absichten hatte ich, liebe Menschen geradezu vor dem Untergang zu retten. Dennoch schoss ich zuweilen übers Ziel hinaus. Na ja, irgendwann habe ich es zum Glück gemerkt. Und mich erinnert, denn wenn ich im Laufe meines Lebens etwas gelernt habe, dann dass sich niemand gegen seinen Willen retten lässt. Freier Wille und so.

Ich denke dieser Tage viel nach: Was genau suchen wir eigentlich in den Sozialen Medien? Tief innen. Aufmerksamkeit? Sehen und gesehen zu werden? Austausch? Nun ja, wem es um viele Klicks geht, um viel Aufmerksamkeit, um viel Publikum geht, wer seine Posts nach Gesetzen der Nützlichkeit für seine Anliegen publiziert, wird vielleicht tatsächlich im Fediversum nicht glücklich. Im Fediversum läuft nämlich alles ganz ohne Algorithmen streng chronologisch. Die neusten Posts sind ganz zuobert. Posts, die geboostet ­ – heißt: geteilt – werden, bekommen mehr Aufmerksamkeit als jene, die von den Lesenden mit einem Stern versehen werden. Der Stern heißt alles Mögliche. Zum Beispiel Das gucke ich mir später in Ruhe an oder Das berührt mich.

Die Anzahl der Sterne, die ein Post – ein Toot, ein Tröt – erhält, ist ohne Bedeutung. Hier kommt nicht der oder die mit der lautesten Stimme weiter, sondern Menschen, die über Dinge schreiben, die von vielen gelesen, gemocht und geteilt werden.

Ich gestehe, dass ich trotz bester Absichten erst beim dritten Anlauf ‚warm‘ mit Mastodon geworden bin. Angemeldet habe ich mich dort bereits vor über vier Jahren. An den Anlass des Massenexodus von Twitter zu Alternativen erinnere ich mich nur noch vage, doch ich wollte bereits damals Twitter verlassen. Auf Ello und Mastodon fand ich einen Zweit- und Drittwohnsitz. Damals konzentrierte ich mich mehr auf Ello als auf Mastodon, weil die Menschen, die ich dort fand, damals mehr zu mir passten. Auf Ello fand ich eine eher künstlerische, sprachaffine Blase, während ich auf Mastodon kaum Menschen mit ähnlichen Interessen antraf. Vermutlich, weil ich zu wenig suchte, zu wenig fragte, mich zu wenig einbrachte fand ich auf Mastodon vor allem IT-affine Techniknerds. Bestimmt hat es schon damals dort Menschen gegeben, die über Alltägliches redeten.

Die meisten Menschen, die damals mit mir Twitter verlassen wollten, sind doch wieder zurückgekehrt. Auch ich wurde wieder auf Twitter heimisch, es war wohl neben der Bloggosphäre mein längstes virtuelles Zuhause, zumal ich dort im Laufe der Jahre viele Menschen kennen und schätzen gelernt hatte – auch persönlich. Ich lebte ich einer Blase mit vielen Schnittmengen und Themen und pflege regen Austausch über Sprache, Literatur, Politik und Alltägliches.

Doch allmählich veränderte sich der Wind. Vor oder während der ersten Pandemiejahre wurde der Ton immer harscher. Ich schrieb immer weniger Persönliches, teilte dafür immer mehr Infos zu diesem oder jenem Thema. Fast unmerklich geschah das. Meine Timeline zu lesen überforderte mich längst, irgendwann hatte ich ein paar wenige Lieblingsleute in eine Liste gepackt und las Twitter nur noch innerhalb dieser Liste.

Im Frühling, als sich E. M. überlegte, Twitter zu kaufen, beschloss ich, meinen vier Jahra alten Mastodon-Zweitwohnsitz als Hauptwohnsitz zu reanimieren und Twitter zum Zweitwohnsitz zu machen. Nicht, weil es gerade alle taten und das chic war, sondern weil ich dringend etwas anderes brauchte.

Ich sehnte mich nach einem Ort, wo miteinander nicht aneinander vorbei gesprochen wurde. Nicht nur debattiert, diskutiert, geschrieen, sondern geredet, einander zugehört. Ich sehnte mich nach einem Netzwerk, nach Reden ohne Goldwaage, mit Respekt. Und mit Humor. Nach mehr Netzwerk und weniger Medium sehnte ich mich. Dass mir – von Anfang an schon – der Open Source-Gedanke hinter dem Fediversum gefiel und noch immer gefällt, muss ich wohl nicht extra erwähnen? Ich arbeite ja schon seit vielen Jahren gern mit Linux (Ubuntu) und seinen vielen Open Source-Programmen und möchte nicht mehr tauschen.

Also versuchte ich vor einem halben Jahr, mich auf Mastodon einzurichten. Technisch war bald alles klar, doch inhaltlich war ich die erste Zeit überfordert. Wem sollte ich bloß folgen? Jene, die ich vor vier Jahren abonniert hatte, waren größtenteils gar nicht mehr da. In meiner noch verbliebenen Timeline wurde hauptsächlich nerdisch gesprochen oder dann waren es Leute, die sich untereinander schon so gut kannten, dass ich mich da unmöglich einfädeln und reingrätschen konnte und wollte. Don‘t stopp a running system. Heute weiß ich: Doch, das hätte ich gedurft.

Es war eine Zeit der Unsicherheit. Ich fühlte mich so unendlich neu hier, einsam, unsichtbar. Doofe Pausenhofgefühle. Bis ich irgendwann begann, Fragen zu stellen. Und da und dort auf Posts zu reagieren. Manchmal kam etwas zurück und ich begann jenen zu folgen, deren Posts mich ansprachen. So wuchs meine Timeline und schließlich fand ich nach und nach über Hashtags (mit Themen wie Bücher, Lesen, vegan etc.) Menschen, die ich gern las und mit denen ich je länger je mehr ins Gespräch kam. Über Alltägliches ebenso wie über zutiefst Existentielles. Was ich ganz besonders mag an Mastodon: Mitten in einem Gespräch, das immer persönlicher wird, kann ich bei jedem meiner Posts entscheiden, ob es für andere oder nur für Folgende, womöglich sogar nur für die Person, mit der ich gerade spreche, sichtbar ist.

Nein, es war wirklich keine einfache Zeit. Phasenweise fühlte ich ich überhaupt nicht mehr irgendwo zugehörig. Dort nicht mehr, hier noch nicht. Aber ich wollte es. Ich wollte wirklich Teil dieses Netzwerks werden. Ich sehnte mich danach, außer meiner analogen Welt, wieder einen Ort des Austauschens zu haben, einen virtuelle Raum, wo immer jemand zum Schwatzen, Trauern oder Lachen aufgelegt ist.

Allmählich stelle ich fest, dass mein Selbstschutzpanzer, den ich mir auf Twitter zugelegt hatte, nicht mehr so dick ist, dass ich wieder weicher und vertrauensbereiter geworden bin. Ich erholte mich von den Blessuren und begann mich wieder menschlich unter Menschen zu fühlen (jaja, ich übertreibe hier ein wenig). Vielleicht darum ertrage ich Twitter je länger je schlechter. Ich ging bis vor kurzem immer nur schnell gucken, was meine Lieblingstwitternden schrieben, teilte ab und zu etwas, das mir wichtig war und gut. Kaum mehr persönliche Posts.

Im Mai habe ich innerhalb von Mastodon die Instanz gewechselt und bin nun auf einem Server, dessen Inhaber ich persönlich kenne. Das ist ein gutes Gefühl. Theoretisch hätte ich meine ganzen Follower mitnehmen können, doch ich beschloss, dort bei Null anzufangen. Natürlich bin ich manchen wieder gefolgt, doch es war dennoch ein Neuanfang, denn alle, die mir folgen wollten, mussten mich neu abonnieren. Bei Twitter wusste ich schon gar nicht mehr, wem ich warum gefolgt bin und wer mir warum. Schon wieder dieses Nützlichkeitsdenken!

Heute abonniere ich Menschen unter dem Kriterium, wer mir gut tut. Mit wem kann ich gut? Die ist mir sympathisch. Der hat einen guten Humor.

Ich gestehe mir ein, dass das hier eine Art Fluchtort ist. Hier will ich nicht in erster Linie – shameonme – über Schrecken, Krieg und Katastrophen lesen. Obwohl diese Themen hier auch vorkommen, natürlich, doch hier kann ich besser dosieren, da heikle Themen idealerweise mit einem CW (Content warning) und heikle Bilder mit einer NSFM-Marker versehen werden – wer trotzdem lesen und gucken will, kann die Texte und Bilder durch Draufklick öffnen. Wir nehmen Rücksicht auf anderem, denn wir dürfen uns schützen. Doomscrolling nützt niemandem und mitfühlen können wir auch dann, wenn wir nicht ständig über Katastrophen lesen.

Seit Twitter verkauft worden ist, ist es für mich übrigens auch eine politische Haltung und ich bin soo kurz davor, meinen Twitteraccount zu löschen. Ich entscheide selbst, wo und wie ich mich vernetze.

Wir brauchen Orte, wo wir aufatmen, wo wir Quatsch machen und lachen können. Und philosophieren. Reden miteinander. Und diesen Ort habe ich auf Mastodon gefunden. Ich teile ihn gern und wünsche mir, dass ihn andere ebenfalls finden können. Wir alle brauchen solche Orte. Je länger je mehr.

Aufbruchstimmung, Neuanfang

Es gelingt uns nicht, dauerhaft im Krisenmodus zu leben. Vermutlich, von mir auf andere schließend, versuchen wir auch unter widrigsten Umständen eine Art Routine oder Normalität herzustellen, um mental zu überleben. Vermutlich eine von vielen Strategien, um nicht durchzudrehen..

Ich denke oft, sehr oft, an all die Menschen weltweit, die im Krisenmodus leben müssen. Und wie sie das wohl tun. Und ich denke über Umverteilung nach. Über soziale Gerechtigkeit. Über Frieden und wie er erreichbar wäre.

Schon eine ganze Weile fühle ich mich auf Twitter und FB nicht mehr so wohl wie auch schon. Zwar treffe ich dort liebgewordene Menschen, doch es ist laut und voll geworden, oft auch aggressiv. Und jetzt hat doch tatsächlich so ein reicher Sack Twitter gekauft.

Doch das ist nur einer von vielen Gründen, warum ich mich nach einer Alternative zu Twitter umschaute und mich an meinen Zweitwohnsitz erinnerte.

Vor ein paar Jahren schon hatte ich mir nämlich eine kleine Wohnung auf Mastodon eingerichtet**. An sie erinnerte ich mich vorgestern Abend. Gestern dann schwang ich dort den Putzlappen und den Kehrbesen und entstaubte die Regale. Ich schuf Platz für neue Kontakte und beschloss den Umzug. Schleichend. Jedes Mal eine Kiste mitnehmen will ich. Von da nach dort. So dass vielleicht irgendwann Twitter der Zweitwohnsitz sein wird.

Klingt undankbar, ich weiß, denn ich mag Twitter. Oder besser: Ich mag das, was es mal war. Und das, was es in meiner kleinen Bubble noch immer ist. Aber ich mag den ganzen Tanz um das goldene Kalb nicht, wozu die großen Sozialen Netzwerke je länger je mehr geworden sind.

Am liebsten wäre es mir ja, wenn all die lieben und vertrauten Menschen von Twitter mit mir –besser noch: vor mir – zu Mastodon umziehen würden. Doch warum warten? Also sagte ich zu mir: Sei du selbst die Veränderung und warte nicht, bis die anderen auch kommen.

Ich mag die Umgebung auf Mastodon sehr. Optisch ist es viel ruhiger. Außerdem ist es Open Source, dezentral, außerdem unkommerziell und frei von Werbung.

Wie überall muss eine*r da natürlich erstmal reinwachsen. Und am besten nicht vergleichen. Nicht mit Twitter, nicht mit FB.

Kaum hatte ich ein paar erste Sätze getrötet – ja, so heißt das dort – wurde ich von da und dort herzlich willkommen geheißen. So geht das. Es fühlt sich so an, als wären wir alle zusammen in einem Landschulheim gelandet und würden uns jetzt umschauen und miteinander das neue Haus erforschen.

So ähnlich, ich erinnere mich, fühlte es sich damals auf Twitter an, als ich langsam dort angekommen bin. Ein bisschen desillusionierter bin ich wohl geworden seither, aber da ist dennoch eine Zuversicht. (Wider alle Vernunft, denn Menschen sind eben wie sie sind.)

Gerade ist da viel Dialog. Viel Fragen und Antworten und Sich-Kennenlernen. Aufbruchstimmung. Neuanfang. Wohltuend friedliches Zusammensein. So, wie es eben sein sollte. Und ja, natürlich wird über Weltpolitik geschrieben, nichts wird ausgeblendet.

Aber der Ton!

Ich mag das.


**Hier lang geht’s zu meinem Mastodon-Konto.

Bei Mastodon gibts nicht den einen zentralen Anbieter, die eine bestimmte Plattform, sondern viele dezentrale Instanzen. Eine Übersicht über die deutschsprachigen gibt es hier (Klick).

Eine kleine erste Einführung: joinmastodon.org

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