Zwischen den Jahren

Ich mag sie wirklich sehr, diese Tage von Noch-Nicht und Nicht-Mehr. Von Jahresrückblicken und guten Vorsätzen habe ich mich längst verabschiedet, darum dürfen diese Tage bei mir einfach viel Nichts enthalten. Nichts müssen, nichts sollen, nichts planen, nichts erreichen …

Als wir noch reisen konnten, früher, in präpandemischen Zeiten, verbrachten wir diese Tage oft irgendwo im Süden Frankreichs. In den Bergen oder am Meer. Eingemietet in winzigen, günstigen Ferienwohnungen oder -häuschen erkundeten wir die nähere oder nicht ganz nahe Umgebung, suchten nach Geocaches, entdeckten Wälder, kleine Städtchen, Rebberge, Hügel und Berge. Fotografierten drauflos … Mit einer Sorglosigkeit, die ich mir heute fast nicht mehr vorstellen kann.

Ja, zugegeben, das vermisse ich und jammere hiermit ein wenig. Auf hohem Niveau? Vielleicht.

Was mich dennoch dankbar macht? Dass ich Erinnerungen habe. Dass ich Bilder habe. Dass ich über Fantasie verfüge.

Und dass ich diese Tage, jetzt, zwischen den Jahren, zwischen den Jahren 2021 und 2022, so verbringen kann, wie es mir gut tut.

Natürlich machen wir zwei nicht ganz nichts. Wir treffen liebe Menschen. Unsern Freund S. zum Beispiel, der es ohne Frage den Impfungen verdankt, dass er Covid und die Intensivstation überlebt hat, und der wegen vieler Vorerkrankungen zu den besonders schützenswerten Menschen gehört.

Auch wenn ich in Sachen Menschheit und Menschlichkeit dieses Jahr noch desillusionierter geworden bin als letztes Jahr, gibt es doch auch vieles, was mich mit Dankbarkeit erfüllt. Die meisten mir wirklich wichtigen Freundschaften sind allem zum Trotz geblieben und gewachsen. Und es sind sogar neue dazugekommen. Nein, ich werde jetzt nicht rührselig (höchstens ein bisschen). Dankbarkeit darf immer. Ganzjährig. Und vielleicht ist sie neben der Liebe sogar der Stoff, aus dem das Leben im Wesentlichen aufgebaut ist, aus Liebe und Dankbarkeit.

Davon wünsche ich uns allen – im Rückblick, im Augenblick, im Ausblick und trotz allem erlebten Schei** – immer genug.

Gute Tage zwischen den Jahren und einen guten Abschluss und Neuanfang wünsche ich uns allen von Herzen!

Danke, dass ihr da seid.

Es hat schon ziemlich früh angefangen

Ich war vielleicht elf oder zwölf Jahre alt, als mich die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit in Sachen Weihnachtszeit einholte. Und nachhaltig erschütterte. Nicht nur interfamiliär sondern auch konsumtechnisch setzte damals mein heftiger Ekel vor dem ganzen Weihnachtsbrimborium ein: Haben und Sein. Wunsch und Wirklichkeit. Unerfüllte Wünsche. Nicht gehörte, nicht ernstgenommene Wünsche. Globales und Persönliches.  Die scharfe Schere zwischen denen, die viel haben und denen, die wenig haben. Der Druck, mitzumachen, um dazuzugehören. Schenken, um zu bekommen. Heuchelei.

Ich spielte solange mit, wie ich es aushielt. Sobald ich selbst bestimmen konnte, verschwand Weihnacht mehr und mehr aus meinem Jahreslauf, verschwand schließlich irgendwann ganz.

Ich litt und leide an der Unmöglichkeit, Weihnacht als etwas Sinnvolles betrachten zu können. Wobei, eigentlich leide ich selbst gar nicht so sehr an diesem meinem Unvermögen, eher tut es meine Mitwelt, während ich an deren Unvermögen leide, mich zu verstehen. Und damit wären wir beim eigentlichen Thema, dem Druck, den ’gutgemeinte’ gesellschaftlich-konditionierte Ideale in anders denkenden Menschen aufbauen kann.

Das allseits etablierte und weitestgehend gesellschaftlich und persönlich verinnerlichte Ideal zum Beispiel, dass niemand an Festtage allein sein sollte, setzte mich ganz besonders in meinen schlimmsten Alleinsein-Zeiten nach meinem Worst Case mehr unter Druck als das Alleinsein an sich. Allein zu sein finde ich an sich ziemlich toll, ich verbringe gern Zeit mit mir allein. Nicht nur, aber auch.

Dass dieser von mir gemochte Zustand des Allein-mit-mir-Seins auf einmal Ende Jahr, wenn sich alle Welt am Glitzerkrambaum versammelt, als etwas Schlimmes betrachtet wird, machte mir sehr zu schaffen, denn damit wird mir sozusagen das Recht abgesprochen, frei über meine Zeit zu verfügen.

Klar, es ist natürlich löblich, sich um andere kümmern, an andere zu denken,  aber – und hier wird es grenzwertig –, für andere zu entscheiden, dass sie nicht allein sein sollen, ist übergriffig. Von sich und den persönlichen Idealen auf den Rest der Menschheit zu schließen, ist problematisch.

Ideale können zuweilen ganz schön zynisch sein, wenn wir sie vom persönlichen in einen gesellschaftlichen Kontext bringen.

Es ist ja nur gut gemeint? Tja, gut und gut gemeint sind zweierlei. Ach und noch was: Das mit Idealen, die man bitte nicht verallgemeinern solle, lässt sich übrigens auch auf religiöse oder andersweitige Erkenntnisse übertragen. Bitte, Danke!

Zurück zum Weihnachtsding: Es ist übrigens, obwohl ich nicht an Göttliches glaube, noch nicht mal das religiöse Ursprungselement des Festes, mit dem ich allerdings nichts anfangen kann, es ist vielmehr dieses maßlos überfrachtete, mit sozialen und materiellen Erwartungen vollgepackte Ding, das in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten aus dem geglaubten Geburtstag einer göttlichen Erlösungsidee geworden ist, das mich anekelt. Ja, Ekel trifft es ziemlich gut.

Und ich meine wirklich nicht das, wonach wir uns alle insgeheim sehnen: Familie, Frieden, Geborgenheit. Kindheitsträume und -erinnerungen. Nein, nein, das alles nehme ich niemandem weg. Genießt es, so ihr es könnt.

Zur Weihnachtsmuffelin bin ich unter anderem deshalb geworden, weil ich die Unmöglichkeit durchschaut habe, dass nicht plötzlich innerhalb weniger Tage im Jahr gelingen kann, was im ganzen Jahr davor nicht gelungen ist. Diese Heuchelei, dieses Hochhalten von Fassaden, der ganze kitschige Klinkerkram … ja, Ekel trifft es in der Tat sehr gut.

Dennoch sei es all jenen herzlich gegönnt, sich in diesen Tagen das, was ihnen gut tut, zu tun. Und Kinderherzen mit Liebe und Geborgenheit zu füttern ist eh immer wohltuend.

Frieden, Liebe und Geborgenheit kann es nie zu viel geben. Und davon wünsche ich dir und dir und euch allen mehr als genug.

Nachdenkinspiration über Ressourcen und Strukturen

Ich bedanke mich herzlich bei H. C. Rosenblatt für die nachfolgenden Gedanken zu ihrem Umgang mit Kraft- und Zeitvorräten. Da ist ganz viel Wiedererkennen bei mir.

»Für viele traumatisierten Menschen ist Vorhersehbarkeit die einzige Sicherheit über die sie sich beruhigen und Kraft sammeln können, sich dem Leben zu stellen«, antworten sie auf meinen Kommentar. Genauso ist es – jedenfalls bei mir.

»Jahres-, Monats-, Wochen- und Tagespläne sind mir noch nie ein Korsett gewesen, nie ein Angriff auf meine persönliche Freiheit – viel eher sind sie der Grund dafür überhaupt in die Situation zu kommen, mich frei entscheiden zu können. Denn ich kann weder entspannen, noch ruhen, noch Kraft tanken, wenn ich nicht weiß, was in den folgenden Stunden und Tagen noch auf mich zukommt und wie ich was wann wie genau kompensieren kann und darf.

Im günstigsten Fall mag ich die Art der Störungen des üblichen Ablaufs einfach nicht oder bin nur irritiert. Dann finde ich Stabilität und Ruhe in Stimming oder meinen Projekten. Problematisch wird es, wenn ich mit den Ressourcen schon so weit runter bin, dass ich weder von Stimming noch von irgendetwas anderem profitiere. Am schlimmsten ist es, wenn der Ablauf über so lange Zeit gestört oder beeinflusst wird, dass ich überhaupt keinen üblichen Ablauf mehr ausmachen kann.

[…]

Viele Menschen denken und planen nicht so weit im Voraus wie wir, weil sie es nicht müssen. Ihr Jetzt ist ein anderes als meins – ist nicht so leicht zu zerstören von morgen, bald oder nachher. Und viele Menschen schieben einfach gern auf, weil sie die Kraft für alles auf einmal aus einem viel tieferen, größeren Fass schöpfen als ich. Um in dem Bild zu bleiben, habe ich genau eine Tasse, aus der ich schöpfen kann und ich bin maximal geizig mit jedem noch so kleinen Tropfen, weil ich es muss. Nicht, weil es so schlimm ist, erschöpft zu sein, sondern weil „eine volle Tasse“ zu haben für mich a) nicht bedeutet, nicht erschöpft zu sein und b) weil auch das Management dieses Budgets, die Erfassung, die Planung, die Kommunikation des Budgets bereits daraus geschöpft wird.

Ich habe nie einen fixen Stand von 100 % und daraus kann ich dann hippy happy Leben gestalten – ich muss bereits 40 % weggeben, um in der Lage zu sein, mein hippy happy Leben erfassen, mich selbst darin fühlen und verstehen zu können. Und das ist, was die meisten Menschen – auch „meine Menschen“ – manchmal einfach vergessen: Die meisten Menschen müssen aus ihrem größeren Kraftfass vielleicht 10 oder 15 % dafür weggeben und das oft nicht einmal bewusst. Und am Ende eines Tages haben sie immer noch 20 bis 30 %, um zu verarbeiten, was sie erlebt haben.«

Quelle: H. C. Rosenblatt, https://einblogvonvielen.org

Bitte lest gern bei ihnen den ganzen Artikel.