Innen und außen

Es war einmal eine kleine, scharfe, würzige Zwiebel, die sich eines Tages anbot, Teil eines köstlichen Gemüseeintopfs zu werden. Halbe Zwiebel, geapptDa sie aber aktuell die letzte ihrer Art, in ihrem Zwiebel-Tontopf, war, beschloss ihre Köchin, unsere hübsche, kleine Zwiebel zu halbieren. Sie hatte vor, am nächsten Tag mit der zweiten Hälfte der dienstbereiten Zwiebel ein weiteres Gericht zu würzen. Darum also legte sie die kleine halbe Zwiebel, gut verpackt, in eine Dose.

Tage gingen übers Land in welchen die Köchin ihre Gemüsevorräte im Einkaufsladen aufstockte, neue Zwiebeln kaufte, neue Gerichte kochte und das Leben lebte, das sie eben lebte.

Als eines nicht allzu fernen Tages der Liebste unserer Köchin beim Zwiebelschälen mitanpackte, entdeckte er die kleine Dose mit der gut verpackten halben Zwiebel darin. Halbe Zwiebel, geapptStaunend wurden die beiden sogleich der halben Zwiebel gewahr, die die Zeit ihrer Ruhe dazu genutzt hatte, ihr Innerstes nach außen zu stülpen. Groß war die Freude der Köchin und des Kochs darüber, dass die vergessene Zwiebelhälfte die Zeit ihrer Vergessenheit nicht mit Faulwerden verbracht hatte, sondern geradezu über sich selbst hinausgewachsen war, sich weiterentwickelt hatte und dabei nichts von ihrer Schärfe und Würze verloren hatte. Was für eine wunderbare Sauce sich nun aus der halben Zwiebel kochen ließ!

Collage mit Zwiebelfotos

Im Reisebus

Alle sind sie da. Die Müllers, Mijatovićs, Kellers samt Enkelkindern sogar, Von Halters, Azikiwes, Singhs mit ihren zwei Töchtern, Gomez’, Meiers, Jeffersons, Larssons, Schneiders, O’Sullivans und wie sie alle heißen, haben sich auf dem großen Busbahnhof der kleinen Großstadt eingefunden. Eine Reise ins Grüne haben sie gebucht. Nun ja, manche haben sich den Gutschein für die Reise mit Sammelpunkten aus dem Supermarkt erarbeitet, weil … so eine Reise ins Grüne ist doch wirklich genau das, was sie brauchen. Immer nur an der Kasse sitzen oder die Klos anderer zu putzen ist nämlich ganz schön anstrengend.

Nun steigen sie ein. Was für ein Gerangel! »Wir haben erste Klasse gebucht!«, sagt Frau von Halter, spitzt ihre Ellbogen und sichert sich einen Platz ganz vorne. Den Gemahl zieht sie am Sakko neben sich auf den Sitz. Einem Thron mit viel Platz für die Beine und mit einem frisch gebügelten Tuch für den Kopf. In der zweiten Klasse werden die nämlich nur einmal im Monat gewechselt.

Endlich haben alle Platz gefunden. Die Reisebegleiterin klopft kurz aufs Mic und begrüßt mit smarter Stimme alle Mitreisenden. Sie freut sich über alle, die da sind, sagt sie. Ihre Freude blubbert durch die Lautsprecher in die Ohren der Reisenden. Und schon plappert sie munter weiter und erklärt, dass auf den Fernsehern über den Sitzen gleich ein Programm mit sanfter Unterhaltung beginnen werde und bittet darum, dass alle ganz besonders den Werbespots ihre volle Aufmerksamkeit schenken mögen.

Die Busfahrerin hat inzwischen ausgeparkt und manövriert den vollen Reisebus durch die Straßen der Stadt. Vorbei an roten und grünen Ampeln, Wohnquartieren und Industriegebieten. Schließlich schaukelt der Reisebus Richtung Autobahn.

Musik tönt aus den Lautsprechern, Werbung trieft aus den Bildschirmen und draußen flitzt die Welt vorbei. Ein bisschen Grün sieht man da ja tatsächlich. Allerdings nur, wenn man raus sieht. Kaum jemand tut das. Manche beschäftigen sich damit, über den schlechten Platz, den sie bekommen haben, zu schimpfen, während andere denen, die jammern, erklären, dass erste Klasse eben ein Privileg sei, das man sich erst einmal verdienen müsse. Und dass sie gefälligst froh sein sollen, dass sie überhaupt mitfahren dürfen.

Erster Halt. Kaffeepause. Ein Restaurant in einem Industriegebiet neben der Autobahn. Es gibt Gratiskaffee für alle. Für die Erste-Klasse-Gäste gibt es obendrein Croissants oder wahlweise ein Stück Torte. Alle andern müssen dafür zahlen. Als es sich alle halbwegs gemütlich gemacht haben, erzählt die Reisebegleiterin etwas über Heizdecken, später begeistert sie sich für Wohnzimmerlampen und gleich danach erzählt sie von den Reisen, die sie verkaufen – all inclusive – und die man natürlich auch gewinnen könne. Wenn man denn eine Decke oder eine Lampe kaufe. Und ja, es gibt natürlich auch Lose für jene, die kein Geld für eine Decke haben. Dass das alles Nieten sind, verschweigt sie.

Weiter geht’s. Über Land. Über Hügel. Vorbei an Flüssen. Ja, wirklich schön ist es da draußen. Doch sie alle sitzen drin. Kaum jemand schaut aus dem Fenster in diese Welt hinaus, die da draußen vor sich hin ist.

Mittagsrast. Obwohl das Restaurant nur einen Steinwurf von der Autobahnausfahrt entfernt liegt und von außen eher ungemütlich aussieht, gibt es für die Erste-Klasse-Gäste Stoffservietten und ein Fünf-Gänge-Menü. Die anderen bedienen sich am Büffet, wo ein paar labbrige Salate, keine vegetarische Alternativen neben seltsam trocken aussehenden Burgern und ein paar lieblos zubereitete Beilagen und Saucen das Auge der Betrachtenden beleidigen. Und die Mägen zwar füllen, aber den Seelenhunger ungestillt lassen.

Während des abschließenden Gratiskaffees – diesmal wieder für alle – gibt es erneut eine Präsentation der neuesten Produkte. Diesmal demonstriert die Reisebegleiterin eine Maschine, die offenbar alle negativen Gedanken in positive verwandeln und aus erfolglosen Menschen erfolgreiche machen kann. Freiwillige werden gesucht. Herr Gomez, seit drei Monaten arbeitslos, setzt sich neben die Maschine, stülpt sich, wie geheißen, den Helm über und sagt laut, was er gerade denkt. Auf einmal sprudeln höchst positive Sätze aus seinem Mund, obwohl er doch vorhin, im Bus, noch gelästert hat über die von Halters in der ersten Klasse und dass die doch nur so reich seien, weil sie Leute wie ihn ausquetschten. Nun aber lobpreist er den Kapitalismus und seine Segnungen in den höchsten Tönen. Und er hat auf einmal wieder Mut, sieht von jetzt auf gleich nicht mehr schwarz und kann sich ein Leben in Hülle und Fülle plötzlich sehr bildhaft vorstellen.

Dass selbst jene, die eigentlich kein Geld haben, diese Maschine unbedingt brauchen, versteht sich von selbst. Fast alle unterschreiben den Kaufvertrag, denn man kann das Teil auch auf Pump kaufen. Erhalten tut man sie allerdings erst, wenn man sie abbezahlt hat. Und jetzt sind sie alle glücklich. Glücklich darüber, endlich die Antwort auf alle ihre Probleme gefunden zu haben. Klar, dass die von Halters die Maschine nicht gekauft haben. Schließlich haben sie sie ja erfunden und entwickelt.

Weiter geht’s. Die Fahrt durch die grüne Landschaft zieht sich hin. Manche schlafen ein. Manche testen ihre neue Maschine, doch weil sie am Stromnetz besser arbeite als über den Akku, halten sich ihre neuen positiven Gedanken eher bedeckt. »Macht ja nichts. Daheim haben wir genug Strom«, sagen sie zueinander. Manche fangen kurz zu zweifeln an, sagen sich aber: »Wenn ich nur erst immer positive Gedanken habe, wird alles gut. Und dann werde ich reich und dann bin ich glücklich.«

Ein paar wenige, nämlich jene, die den Vertrag nicht unterzeichnet haben, fühlen sich vom Rest der Gruppe ausgeschlossen. Außerdem, diese ganze Fahrt ins Grüne, die hatten sie sich eh anders vorgestellt. Das Grün ist ja nur da draußen, aber sie sitzen hier drin und können es zwar sehen, anfassen geht jedoch nicht. Und sehen können sie es auch nur dann, wenn sie ihre Augen vom Bildschirm heben und den Blick nach außen richten. Das ist ganz schön anstrengend, wo sich doch hier drin so vieles bewegt. Ständig tröpfeln Filme und Musik und muntere Geschichten über Lautsprecher auf die Reisenden herunter. Unentrinnbar sind sie alle diesen Einflüssen ausgeliefert. Nein, so haben sie es sich nicht vorgestellt. Aber das will ja wieder keiner hören.

Am Nachmittag dann eine weitere Kaffeepause. Gratiskaffee gibt es diesmal für all jene, die den Vertrag unterzeichnet haben, die anderen müssen zahlen. Diesmal werden Produkte, die einen guten Schlaf garantieren, vorgestellt. Darunter ein wunderhübscher knuffiger Sandmann, der einem so lange volltextet, bis man eingeschlafen ist. Den kennt sogar Frau von Halter noch nicht und kauft ihn für sich und ihren Mann. Dieser ist allerdings weit weniger begeistert als sie. Denn bisher hatte ihn seine Frau allabendlich vollgetextet. Kostenlos. Wozu also Geld ausgeben?

Endlich parkt der Bus wieder auf dem großen Busbahnhof der kleinen Großstadt und spuckt seine Gäste aus. Erschöpft packen die Reisenden ihre neuen Schätze und stapfen durch die einsetzende Dunkelheit davon.

Dass Herr Gomez beim Abschied von der Reiseleiterin einen fetten Umschlag in die Hand gedrückt bekommt, sieht vermutlich niemand. Außer mir.

In der Ecke der Horror – reblogged

Heute reblogged aus Ullis Blog Im Blauen Café

Es ist schon eine Weile her, dass Irgendlink und Soso diese Fortsetzungsgeschichte ersannen und Kapitel 3 an mich übergaben, darum zur Erinnerung:

Kapitel 1 von Soso

Kapitel 2 von Irgendlink

Kapitel 3

Und dann wurde wieder alles schwarz. Kein Gedanke, keine Erinnerungen, kein Traum, abtauchen, auftauchen und wieder abtauchen und auftauchen … Zeit wurde zu einer Gummischlange. Woher sollte er wissen wann Tag und wann Nacht war? Was wusste er überhaupt? Schemenhaft zogen Büro, Handy laden, Hausnummer suchen, Fahrrad abschliessen erneut an ihm vorbei, vermengt mit dem verflixten Wohnwagen und den Augen von Egon. Was wohl aus ihr geworden ist? Leif driftete wieder, erinnerte sich an Egon, ihr Lachen, ihre flatternden Haare im Fahrtwind, ihren unerschütterlichen Optimismus. Gerne hätte er sie geküsst, damals. Vielleicht auch jetzt. Aber du meine Güte, wie lang ist das schon alles her! Nach dieser Katastrophenfahrt hatten sie sich nicht mehr getroffen. Nein, das war keine Absicht gewesen und auch keine Antwort auf den vermasselten Urlaub, es ist passiert, einfach so. Ich werde einmal recherchieren und sie dann anrufen. Na ja, werde ich …

Seine Hand, die festgezurrte unter dem Gürtel, die bewegliche, hatte gezuckt, hin zu seiner Körpermitte. Die Reflexe eines Mannes, wenn er ans Küssen denkt. Er schüttelte den Kopf, der beweglich war, wie die Hand, in seinen Ohren das Tropfen des Wassers. Doch Moment, es gab mehr als die Wassertropfen und seinen Herzschlag, seinen Atem, ein anderes Geräusch hatte sich unter die Wassermusik gelegt. Hatte es nicht eine Zeit gegeben, als alles Tropfen verstummt war? Und hatte er nicht ein Flüstern gehört, Schritte? Aber jetzt, jetzt tropfte es wieder und … angestrengt lauschte er, versuchte Gehörtes mit einem Wort zu belegen, etwas zu finden, das ihm einen Halt gab in all dem Haltlosen und doch Gefesseltem. Er kannte es, er musste es schon Hunderte Male gehört haben. Zuhause … ja! Im Büro … auch, auch damals bei Mutter, nein, im Auto nicht. Er lauschte, seine Hand blieb ruhig, er versuchte die Quelle auszuloten, einen Punkt zu finden, wo das Geräusch begann, aber es bewegte sich, ging hierhin und dorthin, wurde lauter, kam näher, dann ging es weiter, wurde leiser, es schabte, es brummte.

Noch immer war da dieser Nebel um ihn herum, er steckte in einer Blase, manchmal kam er an die Oberfläche, dann tauchte er wieder ab. Die Geschichte begann sich in eine Auszeit zu schreiben. Ungeplant, nicht gewollt, ohne Grund, aber auch ohne Eile. Wie damals mit Egon, da war auch alles ungeplant, ungewollt und ohne Eile gewesen. Ohne Grund? M… da war er sich nicht sicher. Geschieht überhaupt irgendetwas ohne Grund? Es ging doch immer um Ursache und Wirkung, oder nicht? Aber verdammt, wieso lag er dann hier, was war die Ursache, was der Grund? Die Wirkung spürte er ja klar, klar und vernebelt zugleich.

Während er grübelte, hockte der Horror in einer Ecke des Nichts, er fühlte sich zunehmend unwohl, wollte hinauf auf das Podest, wollte wüten, vielleicht massakrieren, aber vor allen Dingen erst einmal einem, irgendeinem so richtig das Fürchten lehren. Seine Nahrung war und ist das Wimmern seiner Opfer, elendige Kreaturen, die an ihrem Leben kleben, als gäbe es wirklich etwas zu verlieren. Er wusste, dass sein Auftritt näher kam. Aber jetzt musste erst einmal diese blöde Putze Feierabend machen und verschwinden. Als hätte sie ihn von draussen denken hören, schaltete Elvira den Staubsauger aus. Es war genug für heute. Sie stellte den Sauger in seine Ecke, zog den Kittel aus, ihren Mantel und die Stiefel an, sah sich noch einmal um, nickte und ging. Der Kies knirschte unter ihren Füssen, ein Wind blies letzte Herbstblätter über die menschenleere Strasse dieser beschaulichen Wohngegend. Sie seufzte, wie anders es doch bei ihr daheim aussah. Enge Strassen, voll mit Autos, Motor- und Fahrrädern, Menschen hasteten von früh bis spät von hier nach da, es gab Geschrei, Gezanke aus den Fenstern und so manch besoffenes Gegröle in der Nacht. Sie blieb noch einen Moment stehen, während Horror hinter der Hecke hockte. Soweit hatte er es nun schon aus dem Nichts herausgeschafft, er konnte sein Opfer schon riechen. Konnte diese doofe Tussi nicht e n d l i c h gehen! Ich fass es nicht, beinahe hätte er sich vor die Stirne gehauen, nun hält sie auch noch einen Plausch mit diesem Alten! Tatsächlich war Elvira am Gartenzaun stehen geblieben und plauderte ein bisschen hin und her. Mit Otto, dem Alten, der so gerne Kleinholz machte. Gerade stand er wieder an seinem Hackklotz und schärfte seine Axt.

N’abend Otto, nu mach du och ma Feierabend, wird schon dunkel un kalt isset och!

Meene Kleene, er nannte sie immer meene Kleene, dette vastehstde nich, hier isset jut für mich, wat soll icke denn jetzt schon inne Stube? Aber nu hau schon ab, sei nett zu dene Jören! Auch das sagte Otto jedes Mal, sei nett zu dene Jören und dabei zwinkerte er ihr immer zu.

Na dann tschüss. Elvira hob die Hand zum Gruss und ging die lange Strasse hinunter.

Endlich war seine Stunde gekommen …

© by Ulli Gau

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Fortsetzung folgt (vielleicht)

Bisher spielten mit:

Er (Leif), Putzfrau (nicht Elvira), die Egon, zwei finnische Tramper, Frank, norwegischer Polizist, Elvira (die Putzfrau), Otto und der Horror

Zeitfenster: 1990 und jetzt

Dies ist eine Fortsetzungsgeschichte, den Anfang machte Sofasophia, es folgte Irgendlink, nun ich … vielleicht magst ja jetzt du die Fortsetzung schreiben, dann bitte bei Sofasophia oder Irgendlink melden …

Ich bekam von Irgendlink die Stichworte: Staubsauger, Hackklotz und verflixt

Ich verteile: Fluglotsenstreik, Alimente und Gummitwist

Christoph ist verschwunden

Wo isch de Christoph?

I weiss eigetli ned, eb er würkli vrschwunde-n-isch. Die andere wüsste vellech chli meh als i, abr die kann i jo ned froge. Sie sind jo gar ned do. I cha nur säge, was i weiss. Und dass i ne scho mega lang nüme gseh ha. Wer meh chönnti wüsse, wüssti ned. Ha jo scho chli umegfrogt. Und jo, ich gibe’s zue, i vermisse-ne ned würkli. Und vellech wott er jo gar ned, dass öpper weiss, wohere-n-er ggange-n-isch? Vellecht isch’s ehm ganz rächt, dass es niemer weiss?

Abr vellech au ned. Vellecht würd er gärn gfunde werde. Aber äuä de ned umbidingt vo mir.

De Chrischtoph isch jo immr chli e bsundrige gsi, hätt scho immr grad gmacht, was er hätt welle, scho vo chli uf. Ämel nie das, wo me vo eim wie ihm erwartet hetti. Die einte finde das vellech witzig, ich has meischtens ender nervig gfunde (was au de Grund isch drfür, dass i ne ned vrmisse). Sueche tue-n-i ned so gärn wie finde. Finde loht er sich abr ebe ned ganz so liecht wie anderi – und äuä ebe au ned umbidingt am liebschte vo mir. S’isch immr chli es Züüg mit ihm. Niemer weiss eigetli so gnau, wie-n-er würkli tiggt, de Schtöffel. Und i weiss jetzt immr noni so gnau, was ich söll mache. Zwöi Tag isch-r jetzt scho weg.

Ich glaube, ich lüüte am beschte mol im Tierheim aa. Oder ich luege uf Feissbuuk; dett hätts jo sonen Siite für verschwundeni Chatze. Vellech hätt ihm jo s’Fuetter nüm passt? Au d’Kater ässe hüt nüme eifach alles.

Zu meiner Lesung auf Soundcloud bitte hier klicken.

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Diese Geschichte ist Teil eines Blogprojekts, dass die Bloggerin Jutta angestoßen hat. Weitere sachdienliche Hinweise zum Verbleib Christophs dürfen gerne verbloggt werden.

Inspiriert zum diesem Text hat mich das Lied Dr Ferdinand isch gschtorbe von Mani Matter. Ferdinand, der arme Kater, ist eben auch verschwunden. Damals. Erschlagen von Herrn Brändli. Mit einem Nachttopf. Das arme Tier! Hoffentlich taucht Christoph wieder auf.

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Lesetipp: Wenn du den Text nicht verstehst, da ich ihn in meiner Aargauer (Mix-)Mundart – Schwiizerdüütsch hat ja so viele Dialekte! – geschrieben habe, kannst du ihn, so du ihn auf dem Rechner liest, indem du die Maus auf den jeweiligen Abschnitt legst, in deutscher Übersetzung lesen.

(Danke, Emil, für die Anleitung, wie so was geht!)

… den Kopf nach links, nur ein bisschen …

Kapitel 1

Wenn er die Luft anhält und den Kopf ein bisschen nach links dreht, kann er das Tropfen besser hören. Sein Herzschlag scheint sich dessen Klang angepasst zu haben. Tuff-tuff-tuff. Ob sein Herz zu schlagen aufhören wird, wenn der Wasserhahn verstummt. Falls er verstummt? Woher das Wasser kommt, weiß er so wenig, wie wo er ist. Es ist dunkel. Sehr dunkel. An die alten Jutesäcke, in welchen sein Onkel Kartoffeln abgefüllt hat, denkt er. Hier riecht es nach Ernte. Der Boden ist rau. Stroh vielleicht. Holz. Wenn seine Hände frei wären, könnte er es herausfinden, doch seine linke Hand ist mit einem breiten Kabelbinder an einem Metallrohr festgebunden. Nicht so fest, dass es weh tut, aber zu fest, um sie herauszuziehen. Die rechte Hand liegt auf seinem Bauchnabel und ist mit einem zweiten Kabelbinder am Gurt festgebunden. Er hat sich halb liegend, halb sitzend auf die linke Seite gedreht, um herauszufinden, was tropft.

Mehr noch als die Frage, wo er ist, quält ihn die Frage, warum er ist, wo er ist. Filmrisse hat er sich anders vorgestellt. In den Filmen und Büchern reißen Filme, wenn sich Leute besaufen, wenn sie zu viele Medikamente nehmen, wenn sie einen Unfall haben. Oder wenn sie einen Schlag auf den Kopf bekommen. Weder das eine noch etwas anderes hat er erlebt. Er erinnert sich, dass er länger im Büro geblieben ist. Wegen der Besichtigungen. Dummerweise hatte er sein externes Ladegerät zu Hause vergessen. Ausgerechnet heute, wo er gleich drei Wohnungen besichtigen soll. Doch mit zehn Prozent Akku-Ladung kann man keine Bilder machen. Nach Hause zu fahren lohnte sich nicht, also stöpselte er sein Handy in die Steckdose. Arbeit hatte er ja genug.

Um halb sieben hatte es geklingelt. Die Raumpflegerin. Ach ja, stimmt, Freitagabend! Sie hatte den Schlüssel vergessen und war erleichtert, dass noch jemand da war. Zuerst hatten sie ein bisschen geplaudert, über dies und das, ein paar Kekse, die sie mitgebracht hatte, geknabbert und schließlich hatte er, während sie sich mit dem Staubsauger durch die Büroräume arbeitete, die Präsentation für morgen fertiggestellt und eine Statistik aktualisiert. Gegen halb acht war sein Handy fast voll. Er zog seine Lederjacke an, schloss die Tür ab, das Fahrradschloss auf und radelte Richtung Altstadt – zur ersten Wohnung.

Geregnet hatte es nicht. Da war er sich ganz sicher. Es war weder warm noch kalt gewesen. Noch nicht ganz dunkel, nicht mehr ganz hell. Ein ganz normaler Spätsommerabend in der Stadt. Ja, und an das Holpern auf dem Kopfsteinpflaster erinnerte er sich noch sehr genau und wie er sein Fahrrad abgestellt und an eine Parkbank angekettet hatte. Er musste eine Weile nach dem Zettel mit den Adressen suchen. Haus Nummer dreiunddreißig hat einen leicht nach hinten versetzten Eingang, so dass er eine Weile nach der Tür suchen musste. Ein Altbau war es. Er hatte, wie abgemacht, zweimal kurz geklingelt. Irgendwo muss jemand einen Schalter gedrückt haben, im ersten Stock zuerst, dann im Flur. Licht drang durch die vergitterte Scheibe an der schweren Holztüre. Schritte auf der Treppe. Ja, daran erinnert er sich noch genau. Doch was dann?

Denk nach! Verdammt, was war dann? Er will die Zunge befeuchten, doch da ist nichts außer Trockenheit. Er räuspert sich. Das Tropfen hat aufgehört, der Herzschlag nicht. Schritte … irgendwo hörte er Schritte. Flüstern?

© by Sofasophia

[Fortsetzung folgt]

[Irgendlink hat mir drei Wörter und ein Genre zugeworfen: Horror (huch, ich und Horror?). Er schreibt demnächst den zweiten Teil dieser Geschichte.
Dies hier sind meine drei Wörter, die er verwenden soll: Tippfehler, Lofoten, Espresso.]

Und du, liebe Leserin, lieber Leser, machst du auch mit bei unserm Schreibspiel? Melde dich bitte bei mir oder Irgendlink per Kommentar oder Mail. Herzlich willkommen!

All das Gewürfelte in ihrem Kopf

Heute ein Artikel einer Bloggerin, die ich leider er vor kurzem entdecken durfte. Kein Text zum schnell Nebenherlesen. Aber einer, der berührt!
Danke, Candy!

Ursprünglich veröffentlicht auf Candy Bukowski:

Eigentlich habe ich sie erst an ihrem 50. Geburtstag ein wenig näher kennengelernt. Vorher war das recht unverbindlich, man sah oder las sich mal. In meinen Augen fiel sie eher unter etwas naiv, ein viel zu kleines Mädchen in einem viel zu großen Frauenkörper, das zu viel träumte und zu wenig lebte. Wie man eben oft so in Schubladen steckt, um eine gewisse Grundordnung zu halten.

Sie feierte ihren Geburtstag grundsätzlich nie und wirkte trotz dieser getroffenen Entscheidung alleine, deshalb habe ich sie zu mir nach Hamburg eingeladen, da könnten ihn ja auch zusammen nicht feiern. Das fand sie gut. Sie kam. Und wir hatten ein nettes Wochenende, mit einem uneingepackten, kleinen Geschenk zum Nichtgeburtstag, und erzählten uns rund um die Alster ein wenig mehr voneinander.
In manchen Dingen blieb sie mir nicht nur fremd, sondern seltsam. Ich steckte sie um, von der Naiv- in die Hartschublade, von dort in…

Original ansehen noch 851 Wörter

Geschichten von unterwegs

Wie ich gestern von verpassten Zügen schrieb, entspann sich im Kommentarstrang die Diskussion, wie es denn wäre, sich trotz verpasster Wettbewerbe und Züge – oder erst recht? – die eine oder andere Geschichte aus vollen Zügen und dem Leben unterwegs zu erzählen.

Warum daraus also nicht ein Stöckchen schnitzen, ein literarisches für einmal. Gesagt, getan.

Ich werfe den Stock hiermit folgenden AutorInnen zu:
Ulli vom Café Weltenall, Autorin und Fotokünstlerin
Isanaje von Isaverdicht, Poetin und Autorin
Irgendlink vom gleichnamigen Blog, Livereisekunstperformer und Appspressionist der ersten Stunde
– dir und dir und dir …

Die Spielregeln
Erzähle auf deinem Blog, deiner Webseite oder deinem Facebook-Account eine Kurz- oder Kürzestgeschichte, schreibe ein Gedicht, poste ein Bild – allen gemeinsam ist, dass der Text oder das Bild eine „Geschichte von unterwegs“ erzählen. Wer weder Blog, noch Webseite noch sonst ein virtuelles Account hat, kann mir seine/ihre Geschichte als Text zumailen und ich werde sie hier publizieren.

Verschlagworte dein Werk mit von unterwegs und schicke mir entweder den Link oder mach ein Pingback zu diesem Artikel hier. Alle Geschichten, die mir auf diesem Weg zufliegen, werden auf diesem Blog auf einer neuen Seite namens „Projekte“ publiziert.

Zu guter Letzt wirf das Stöckchen weiter an mindestens zwei weitere AutorInnen oder BilderkünstlerInnen, auf dass wir immer mehr Geschichten von unterwegs erhalten. Und wie gesagt: Die Teilnehmenden müssen nicht zwingend ein eigenes virtuelles Gefäss haben.

Meine eigene Geschichte von unterwegs erscheint in den nächsten Tagen in diesem Theater …

Hinz und Kunz können mich mal

Heute habe ich einen Text gefunden, der mir sowas von aus dem Herzen spricht. Hier ist er …

Manchmal bin ich wütend!

Von Carla Berling

Wenn ich zum Beispiel den Hinz treffe, der etwa fünf Mal so viel verdient wie ich. Und wenn Hinz mir bei jedem Treffen erzählt, dass er jüngst im Konzert war, und im Theater, und auf einer Vernissage und bei einer Lesung. Oder im Kino. Oder im Museum, im Kabarett und beim Ballet. Seine ganze Freizeit verbringt Hinz mit Kunst und Kultur. Er hat genug Geld, um sich das leisten zu können. Das ist gut. Das gönne ich ihm von Herzen.

Ich kenne einen Theater-Schauspieler. Er hat eine solide Ausbildung und spielt viermal die Woche. Er ist seit vielen Jahren fast immer engagiert. Seine Abendgage: ca. 50 Euro. Brutto. Sie richtet sich nach der Menge der Zuschauer. Proben werden nicht bezahlt.

hier weiterlesen, es lohnt sich …

Von Löchern und Lecks

Vor- und Nachteile einer Krankschreibung gibt es viele. Einer der Vorteile, den ich schamlos genieße und ausnutze, ist, mir Zeit für die weitere Arbeit an meinem Manuskript Loch im Eis nehmen zu können.

Das erste Drittel des Buches ist vorläuftig fertig überarbeitet und auf dem Weg zu oder schon angekommen bei meinen drei Erstleserinnen.

Ich bin nun dabei, den Rest der Geschichte, die ich ziemlich detailliert im Kopf vor mir sehe, seriös auf Papier zu plotten, um mich nicht in den verschiedenen Strängen zu verheddern.

Zum einen begleiten wir Alessa, die Ich-Erzählerin, dabei wie sie ihrer Freundin Christa in einer heftigen Lebenskrise zur Seite steht und zum andern sehen wir, wie Anna, Alessas Mutter, sich mit ihrem nahen Tod auseinandersetzen. Und wir erleben, was für Alessa und Christa besonders herausfordernd ist, Danio, Christas Ex-Freund, dabei, wie er den Halt im Leben mehr und mehr verliert.

Mehr verrate ich für den Moment nicht. Hier noch einen kleine nigelnagelneue Leseprobe:

Sein Leck ist unsichtbar. Darum ignoriert er es. Beweisen kann man so etwas sowieso nicht. Das Leck, das schwarze Loch frisst alles auf. Es frisst das Nichts auf, mit dem er sich füttert. Die Leere. Den Mangel. Es ist über all die Jahre nicht kleiner geworden. Immer ruft es nach mehr. Sein Loch will Liebe, Verständnis, Berührung, Aufmerksamkeit. Doch selbst die beste Speise nährt ihn nicht. Und das Loch erst recht nicht. Alles läuft aus. Alles läuft davon.

Wer das Loch gerissen hat oder woher es kommt, weiß er nicht – nur kennt er das Ziehen, das Reißen und er ahnt mehr als er es weiß; dass es nämlich schon immer da war. Schon so lange, wie es ihm gelingt, sich zurückzuerinnern. Als würde er sich weit aus dem Fenster lehnen und dem Kind zuschauen, dass er war.

Schon immer hungerte das Loch in ihm, danach dazuzugehören, danach nicht so sehr anders zu sein, nicht so sehr zu sein wie er. So? Wie so ist er denn überhaupt und wie viel anders darf einer denn sein, um nicht aufzufallen, um nicht rauszufallen? Eigentlich ist er doch ganz in Ordnung. Vielleicht.

Aber niemand merkt es, weil er unsichtbar ist. Er selbst ist das Leck. Er selbst ist das schwarze Loch. Und wenn er noch so sehr sein Inneres nach außen stülpt um das Loch zu finden und zu reparieren, er findet es nie. Er bekommt es nicht zu fassen, denn das Loch ist ja er selbst.

Und darum, darum wird er nie genug bekommen. Nie genug Liebe. Nicht von ihr. Schon gar nicht von sonst wem. Und darum gibt es nur eins.

Auf der Flucht

Als Lia nachschaute, waren alle weg. Spurlos.
Wie sollte sie ohne sie alle bloß arbeiten können? Etwa alles selber machen? Von Hand ihre Gewebe spinnen?

Nach anfänglichem Übermut machte sich langsam aber sicher Panik breit.
„Wo sind wir überhaupt?“, murrte die Erste.
„Wir werden uns verirren!“, behauptete Nummer zwei.
„Was soll bloß aus uns werden?“, fragte die Dritte.
„Und das also nennt sich Freiheit?“, wollte der Vierte wissen.
„Ich friere!“, jammerte die Fünfte.
„Was wollt ihr denn? Wieder zurück?“, insistierte Nummer sechs, verantwortlich für die Flucht. „Zurück? Wieder jeden Tag verkannt ausharren? Wie bisher dieses Begrabschen erdulden? Erinnert euch, wer ihr seid!“

Die anderen murrten kleinlaut vor sich hin. Freiheit hatten sie sich anders vorgestellt. Freier, übermütiger, autonomer. Sie hatten zwar einander, doch das Netz war rissig …

Lia hatte keine Wahl. Sie musste weiterweben. Spann von Hand vor sich hin. Fühlte sich allein. Verlassen. Gut, sie musste zugeben, sie hatte die Anwesenheit ihrer Mitarbeitenden zu selbstverständlich genommen. Hatte gemeint, dass sie alle im gleichen Boot säßen. Hatte oft genug – geradezu gedankenlos – auf ihnen herumgehackt.

Dankbar dachte sie an die vielen schönen gemeinsamen Stunden zurück, doch schien ihre Wahrnehmung derselben einseitig gewesen zu sein, wie sie nun erkennen musste. Waren sie aus Abenteuerlust verschwunden? Wollten sie etwas demonstrieren? Streikten sie gar? Lia setzte sich auf. Fragte sich, wie und ob sie diese verrückte Bande zurückholen konnte. Sie vermisste jeden einzelnen!

Sie würde ihnen einen Brief schreiben! Und zwar von Hand.

„Ich habe Post für euch!“, murmelte Pit, der Brieftauber, mit vollem Mund und ließ den Brief aus seinem Schnabel zu Boden segeln. Es regnete, so dass dieser in einer Pfütze landete. Alle hechteten sofort hin und begannen zu tuscheln.
„Von ihr! Mach endlich auf …!“ So viele waren sie, dass niemand wirklich wusste, wem diese Aufforderung nun galt. Jeder gab sie weiter. Nummer sechs fühlte sich für die derzeit herrschende Missstimmung und das ganze Schlamassel verantwortlich. Stundenlang hatten alle auf ihr herumgehackt. Deshalb trat sie nun vor und öffnete sorgfältig den schönen Umschlag.

War sie von der Traufe – wie der Brief hier – nicht buchstäblich im Regen gelandet?

„Ihr Lieben! Gleich zuerst will – ja muss! – ich euch nachdrücklich sagen, dass ich euch nicht brauche. Ehrlich! Ich kann ohne euch leben. Doch wisst ihr was? Ich vermisse euch sehr. Jede einzelne, jeden einzelnen!
Ich begreife erst jetzt, wie reich und kostbar ihr mein Leben gemacht habt. Offensichtlich beruhte dies bis anhin nicht auf Gegenseitigkeit, wie ich nun traurig festgestellt habe. Da verbrachte ich doch meine bisherigen Tage im irrigen Glauben, mit euch eine gemeinsame Form des Ausdruckes, der Kunst gar, gefunden zu haben. Wie frau sich täuschen kann. Doch ich verstehe schon, dass ihr es möglicherweise anders empfunden habt. Mir bleibt nichts übrig als euch ziehen zu lassen, so ihr das vorhabt. Dazu wünsche ich euch eine gute Reise.
Falls ihr jedoch zurückkehren wollt, werde ich euch mit offenen Armen empfangen und euch zukünftig mit mehr Respekt und Achtsamkeit wertschätzen. Versprochen!
Herzlich grüßt Euch Lia“

Nummer sechzehn schnüffelte vor Rührung. Nummer sechs schaute sich um, sah lauter betretene Gesichter.

Natürlich wurde es demokratisch beschlossen.
Ebenso wie der Streik.
Oder die Flucht.
Oder die Reise.
Oder das Abenteuer.
Wie auch immer: Sie machten alles demokratisch. Na ja, so gut es eben ging. Denn Nummer sechs, auch F genannt, hatte manchmal schon so ihre Allüren. Und R war oft unzimperlich. B hingegen war verträumt und N reichlich wehleidig.

Als Lia am nächsten Morgen nachschaute, waren sie wieder da. Sie streichelte jeden einzelnen sanft.
„Wir sind doch ein Team!“, flüsterte sie dankbar.
„Auf zu neuen Taten!“, sagte Ausrufezeichen munter. L nickte bestätigend und F tat, als hätte sie ihren Platz auf der Tastatur nie verlassen.

(aus Sosos Archiv, 2007)

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Heute Morgen habe ich auf Lias Blog eine feine Geschichte gelesen, die sich um die Magie des Schreibens dreht. Beim Lesen habe ich mich an eine eigene Kurzgeschichte zum Thema erinnert. Witzigerweise heißt die Protagonistin meiner sechs Jahre alten Geschichte Lia, woran ich mich heute Morgen beim Lesen aber nicht mehr erinnern konnte. Ich habe meine Geschichte entstaubt und hoffe, sie macht euch Spaß. 🙂

Danke dir, liebe Lia, fürs Erinnern … 🙂