#flussnoten19 | Tag 4

26. Juni 2019

Was für ein schönes Schlafen unterm Sternenhimmel und was für ein angenehmes Erwachen im Bachbett! Da bekommt doch der Begriff Himmelbett gleich eine neue Bedeutung.

So langsam bin ich im Wanderleben, im Unterwegsmodus, angekommen. Diesmal habe ich eine ganze Weile gebraucht, mich aus dem Sorgenmachen-Alltagsmodus herauszuschälen, aus diesem Immer-etwas-Tun des Alltagslebens. Diese Lange-Weile hat mich die ersten Tage geradezu nervös gemacht. Da war auf einmal so viel Raum, so viel Leerraum, so viel Nichts und so viel Zeit, die ich mit meiner puren Anwesenheit füllen konnte. Fast hatte es mich überfordert, fast hätte ich gerne meine Nase in ein Buch gesteckt und mich mit Geschichten abgelenkt. Doch genau das will ich auf solchen Wanderungen ganz bewusst nicht. Ich will einfach sein, mich aufs Gegenwärtige einlassen. Auch diese Umstellung braucht Zeit. Hier, im Flussbett liegend, wird mir klar, wie wertvoll diese Möglichkeit und Gelegenheit ist.

Nach einem kleinen Frühstück packen wir unsere Sachen und machen uns auf den Weg. Die Morgenkühle will genutzt werden, denn schon bald wird es wieder heiß, sehr heiß. Nachdem wir den Weiler Boden durchquert haben, entscheiden wir uns für den schmalen Säumerpfad nach Innertkirchen. Ein toller Wanderweg, einer von denen, die ich besonders gerne wandere. Rauf und runter, mal steinig, mal Wiese … nur leider ohne jegliche Sitzgelegenheiten unterwegs. Kurzerhand bauen wir uns vor Innertkirchen selbst eine Bank aus Brettern und Stangen, die herumliegen.

Bis nach Innertkirchen zieht sich ein Stück unbewaldeter Weg. Die Hitze macht uns zu schaffen. Bei jedem kleinen Schattenfleck ruhen wir uns aus, trinken Wasser. Ich ziehe Socken und Schuhe aus und lasse mich trocknen. Verdunsten viel eher, denn als wir uns einmal auf den schattigen Boden vor einem Haus gesetzt haben, hinterlassen wir beim Aufstehen zwei Wasserlachen.

Minimal abgekühlt, aber bald schon wieder so verschwitzt wie zuvor, erreichen wir schließlich den Friedhof Innertkirchen, wo wir unsere Wasserflaschen am Brunnen auffüllen und uns unter einem großen, Schatten spendenden Baum erholen. Die Überwindung, dieses kleine Idyll wieder zu verlassen und im nahen Laden einzukaufen, ist groß. Wir schaffen es dann doch irgendwann. Und wir schaffen es sogar durchs Dorf, der inzwischen begradigten Aare entlang Richtung Aareschlucht, zu wandern. Schon wieder ohne Schatten. Schon wieder sind wir reif für ein Bad. Schließlich finden wir ein paar Felsen, auf denen wir es uns bequem machen, allerdings nur kurz, denn hier hat es viele Bremsen.

Später, in der Aareschlucht, wird es kühl sein, ermutigen wir uns, doch bis zum Eingang müssen wir eine steile Treppe ersteigen. Auf die vielen Touristinnen und Touristen, die das gleiche Tagesziel wie wir haben, bin ich nicht gefasst. Soo viele! Dass die Aareschluch so ein Musst-du-gesehen-haben-Event ist und sogar Eintritt kostet, macht mich ein wenig mürrisch. Ich hatte an die Rheinschlucht gedacht. Die ist einfach. Die kann man einfach so anschauen. Natur eben.

Nun denn, hier waren wir also, und wir mussten auf die andere Seite. Also mittendurch. Auf Holzstegen und durch höhlenartige Gänge. Immerhin schön kühl war es. Und ja, sehr beeindruckend war es auch. Dennoch fühlte ich mich nicht so richtig wohl. Zu viele Menschen. Ich tue mich ja immer ein wenig schwer damit, wenn Natur derart vermarktet wird. Andererseits müssen diese Wege ja auch unterhalten werden.

Auf der anderen Seite angelangt, hängen wir sehr lange müde vor dem Gebäude auf dem Grill- und Spielplatz herum und studieren die Karten. Wo man hier wohl wild zelten könnte? Das Gebiet hier ist, je näher wir dem Brienzersee kommen, desto dichter besiedelt. Zwischen hier und Meiringen kaum freies Land. Und allzuweit wandern mögen wir auch nicht mehr.

Nachdem die Schlucht für diesen Tag geschlossen ist, lassen wir uns schließlich an einer der Grillstellen nieder, die zwischen Aareschlucht und nächster Siedlung in einem kleinen Wald direkt an der Aare angelegt wurden.

Irgendlink füllt den Wassersack in der Aare und hängt ihn in einen der Bäume. Später, als es ruhig und schon fast dunkel ist, gönnen wir uns eine erfrischende Dusche. Das muss so, genauso, nach einem dieser Tage, die sich am besten im und am Wasser überleben lassen.

Bilder von Tag 4

Lest gerne auch Irgendlink über Tag 4 unserer Wanderung.


Kartenlink Tag 4

[googlemaps https://www.google.com/maps/d/embed?mid=18cb19-0q2dHBSe1eriS22tBy7K9r7H3N&w=640&h=480]

#flussnoten19 | Tag 2 und Tag 3

24. Juni 2019

Es geht eigentlich noch so mit Muskelkater, denke ich, als ich mich am nächsten Morgen aus dem Schlafsack schäle. Wie immer habe ich die erste Zeltnacht der Tour nicht so toll geschlafen. Die Umstellung von breitem Bett zu schmaler Matte braucht Zeit, außerdem ist auch das Wanderzelt schmal. Ich male mir aus, wie ich – noch schlafsackwarm – aus dem Zelt krieche und mich unter den nahen Aarewasserfall stelle.

Hm, wie klettert frau gleich wieder aus dem Zelt heraus? Außerdem ist die Wiese, die gestern noch ’nur ein bisschen feucht’ war, heute Morgen ziemlich nass. Unser Glück – oder nennen wir es Irgendlinks Erfahrung – ist es, dass wir das Zelt an der trockensten Stelle auf der ganzen Wiese aufgebaut haben.

Nun ja, aus der Wasserfalldusche wird schließlich nur eine kleine erfrischende Katzenwäsche und nach dem Frühstück wandern wir auch schon bald los. Immer weiter der Aare nach. Kleine Wasserfälle. Furten. Brücken. Pausen machen wir recht häufig, denn noch immer sind wir in der Phase des Umstellung. Und so langsam setzt dann doch noch der Muskelkater ein. Da hatte ich mich also am Morgen zu früh gefreut. Bei jeder Pause ziehe ich schnell die Schuhe aus, bade – wann immer möglich – die Füße, lasse sie und die Socken trocknen. Meine bewährte Blasenprophylaxe. Irgendlink badet seine Füße sogar in einem Wasserbecken, das die Aare über viele Jahre in einen Fels geschliffen hat.

Bei der Alp Handegg rasten wir, essen Eis, kaufen Bergkäse, entscheiden, dass wir genug Vorräte dabei haben, um zum Gelmersee hoch fahren und dort oben übernachten zu können. Den Wanderweg zum Bergstausee haben wir nämlich eine Stunde vorher verpasst.

Die Gelmerseebahn lockt – Irgendlink vor allem – und die erwartete Schönheit der Bergwelt. Über eine lange Hängebrücke klettern wir über die Aare zur Bahnstation. Vielleicht, wenn ich  gewusst hätte wie steil es ist, vielleicht hätte ich gekniffen. Aber zum Überlegen bleibt nicht viel Zeit. Zack, ein Ticket gekauft. Zack, in die Bahn gestiegen. Den schweren Rucksack auf dem Schoß sitzen wir in einer der hinteren Reihen und bekommen von der Fahrt nicht viel mehr als das Kreischen der Mitreisenden und die Enge der Bahn mit. Und das Gewicht des Rucksacks auf dem Schoß.

Immerhin werden wir oben für diese Mühsal großzügig entschädigt: Der See ist wunderschön, still, sauber, klar. Wir wandern über die Staumauer auf die andere Seite, wo es nicht mehr so viele Menschen hat. Wir überlegen, wo wir zelten könnten, spazieren ein wenig herum, schauen da und schauen dort und irgendwann – nach der letzten Bahn – sind wir ganz allein oben am Gelmersee.

Zwischen Felsen, an einem sandigen Plätzchen, bauen wir unser Zelt auf und kochen uns ein feines Abendessen. Es ist sehr schön, sehr still. Eine ruhige Nacht. Trotz Muskelkater schlafe ich tief und erholsam.

Bilder von Tag 2

25. Juni 2019

Wir werden früh wach. Etwas, das mir im Alltag nie so richtig gelingt. Es ist denn auch ein ganz anderes Wachwerden als das Wachwerden im heimischen Schlafzimmer. Eine Klarheit, die so gar nicht Morgenmuffliges an sich hat. Wir kochen unsere Heißgetränke und genießen das Morgenlicht. Die Sonne steigt über die Berge und verglitzert das Wasser. Ich fühle mich leicht und froh. Das Funkloch verunmöglicht Twittereien, was durchaus auch irgendwie schön ist. Ein Blick auf die Uhr bestätigt uns, dass wir die erste Bahn, 9:12, erwischen werden.

Wir sind allein. Die Ersten, die an diesem Tag abwärts fahren. Entsprechend müssen wir die Rucksäcke nicht auf den Knien festhalten und können uns in die allervorderste Reihe setzen. Und ja, die Fahrt ist gruslig. Denn dieses Steil, diese hundertsechs Prozent, ist wirklich steil.

Ich bin schließlich froh, als wir unten ankommen. Hier warten auch bereits einige Menschen auf die Fahrt nach oben.

Wir wandern zurück über die Hängebrücke und von da aus weiter Richtung Guttannen. Der Temperaturunterschied von oben nach unten ist deutlich spürbar und wir sind nun doch auch in der Hitzewelle angekommen. Zum Glück gibt es immer wieder Bäume. Und schließlich, ganz nahe der Aare, ein wunderbarer Kiefernwald (oder vielleicht sind es Tannen). Ich jedenfalls nenne dieses Wäldchen die Guten Tannen von Guttannen, den dorthin sind wir unterwegs.

Wir halten eine lange Siesta und messen fortan jeden Rastplatz an der Qualität dieses einen wunderbaren und letztlich unschlagbaren. In der nahen Aare fülle ich unseren Wasservorrat auf. Später wandern wir in Häppchen weiter. Wandern. Pause. Wandern. Und irgendwann langen wir in Guttannen an. Finden ’Regulas Dorfladen’ (mit Deppenapostroph, aber das kann ich hier nicht wiedergeben, zu viel innerer Widerstand) und decken uns das erste Mal seit Wanderbeginn mit neuen Lebensmitteln ein. (Und mit Bier. Eine Dose für zwei.) Eine große Schale Erdbeeren essen wir direkt auf der Bank vor dem Laden.

Weiter gehts. Weiter der Aare entlang. Der Muskelkater ist nur noch ein Nachhall, eine Art Echo. Schon vor Guttannen ist der Wanderweg identisch mit der Landstraße und entsprechend geteert. Eine ganze Weile gehen wir auf Teer. Und wenn es etwas gibt, das ich beim Wandern wirklichwirklich hasse, dann das: Teer. Meine Füße fangen schnell an zu brennen.

Wir setzen uns auf eine Wiese, twittern ein wenig, dösen ein bisschen, und hoffen, dass wir später einen schönen Platz für die Nacht finden. Ich jammere auf Twitter über die Teerstraße und dass es nun bestimmt immer und immer so weitergeht.

Als wir weiterwandern, entdecken wir, dass der Teerweg nur wenige Meter nach der nächsten Kurve wieder in einen Kiesweg übergeht. So schnell haben sich meine Wünsche noch nie erfüllt!, sage ich.

Über Kuh- und Schafweiden folgen wir auf- und abwärtsgehend dem Verlauf der Aare und schließlich sind wir ihr wieder so nah, dass wir uns entschließen in ihrem Bett zu biwackieren. Für Zeltaufbau ist eh zu wenig Platz.

Wir baden im kühlen Fluss, waschen Kleider, kochen, essen und legen uns schließlich unter dem Sternenhimmel schlafen. Leise Angst, dass der Fluss über Nacht ansteigen könnte, ist da, aber – wie gesagt – nur ganz leise. Eine vollkommene Nacht mit Prachtsternenhimmel. Irgendlink zählt Sternschnuppen, während ich tief und fest schlafe und bei jedem kleinen Erwachen ehrfürchtig nach oben schaue.

Zack. Etwas fällt mir auf die Wange. Ein Tier? Ein Meteorit? Eine Sternschnuppe gar? Keine Ahnung. Jedenfalls blute ich und am Morgen entdecke ich eine kleine Wunde. Tja. Auch das ist Natur.

Bilder von Tag 3

Lest gerne auch Irgendlink über Tag 2 + 3 unserer Wanderung.


Kartenlink Tag 2 +3

[googlemaps https://www.google.com/maps/d/embed?mid=18cb19-0q2dHBSe1eriS22tBy7K9r7H3N&w=640&h=480]

#flussnoten19 | Tag 0 und Tag 1

22. Juni 2019

Wir haben fertig gepackt. Ich bin, wie oft in solchen Momenten, hibbelig, dünnhäutig, aufgeregt. Nicht nur der bevorstehenden Fernwanderung wegen, eher noch darum, weil ich noch niemanden gefunden habe, der zwei Wochen lang meine Topfpflanzen auf der Terrasse gießt. Ja, okay, Luxusproblem, aber ich liebe sie eben alle, und ich möchte sie darum nicht verdörren lassen. Zumal ich alle selbst gezogen habe oder – im Falle von Yucca, Friedensbaum und Zyperngras – aus winzigen Pflänzchen aufgezogen. Diesmal steht von den drei Frauen, die bisher, wenn ich einige Zeit wegfuhr, meine Pflanzen gepflegt haben, keine zur Verfügung. Meine Schwester, die über zwanzig Kilometer entfernt wohnt, würde zwar zur Not einspringen. So erleichtert ich über ihr Angebot bin, kann ich mich darüber doch nur bedingt freuen, denn der Aufwand wäre ja schon ziemlich groß. Hoffentlich meldet sich der Nachbar noch, dem ich ein Briefchen in den Kasten gelegt habe.

Beim Packen des Wanderrucksacks stelle ich außerdem fest, dass sich meine neue bpa-freie Wasserflasche ja gar nicht außen am Wanderrucksack anhängen lässt. Die Daniela-Düsentrieb-in-mir muss sich also eine Lösung ausdenken.

Irgendlink kommt auf die Idee, altes Gummischlauch-Gummiband zu verwenden. Was ein Superidee ist! Daran befestigte ich schließlich mit Schnur einen Rucksack-Klettversuchluss und fertig ist die Aufhängung. Die sich notabene sehr bewährt hat! In Konjunktion mit dem seitlichen Anzurrband des Rucksacks perfekt und leicht zu handhaben.

Gegen Mittag fahren wir los ohne dass ich von meinem Letzte-Hoffnung-Nachbarn etwas gehört hätte. (Er meldet sich erst am nächsten Tag, da er selbst in den Ferien gewesen ist, und schreibt: Klar gieße ich, kein Problem!)

+++

Endlich im Auto Richtung Berner Oberland. Ich brauche diesmal lange, bis ich vom Aufgeregt-Modus in den Ferien-Modus wechseln kann.

Den ersten Halt legen wir auf ’meinem’ Berner Friedhof ein. Lars’ Gärtlein. Ein lauschiger Platz. Ein trauriger Ort. Erinnerungen.

Erinnerungen bilden – im Nachhinein betrachtet – bei mir den roten Faden unserer Aarewanderung. Oft schwere, schmerzhafte Erinnerungen, die ich mit neuen, leichteren Erfahrungen zu ergänzen versuche. Integration. Altes und Neues zusammenbringen. Miteinander verweben. Dem Leichten erlauben, Schweres zu lichten.

Wie wir ab Bern über Land Richtung Thun weiterfahren, kommt uns spontan die Idee, ein Bad im Gerzensee zu nehmen. Wo wir doch schon fast daran vorbei fahren. (Dass wir zehn Tage später zu Fuß dort hinauf wandern würden, ahnen wir damals nicht.)

Im Gerzensee, der eigentlich ja nur Einheimischen vorbehalten ist und der einer meiner Lieblingsplätze aus meiner Zeit in Bern ist, tauche ich ein bisschen tiefer in den Ferien-Modus ein, wasche den Druck der letzten Wochen und Monate ein wenig ab. Dort, im noch angenehm kühlen Wasser, auf dem Rücken liegend, den Himmel und die Wolken betrachtend, beginne ich, mich einzulassen. Auf das Kommende. Auf das Seiende.

Fast auf die abgemachte Minute genau treffen wir abends bei M. und B. in Steffisburg ein. Die beiden Lieben haben uns angeboten, während wir die Aare erwandern, unser Auto zu hüten. Was für ein gemütlicher Abend mit meinem früheren Flüchtlingszentrum-Arbeitskollegen M. und seiner Partnerin B..

23. Juni 2019

Spontan beschließen die beiden, uns am Sonntagmorgen auf die Grimsel zu fahren, da sie schon lange nicht mehr dort oben gewesen seien. Für uns ist das ein Glücksfall, hätten wir doch mit dem öffentlichen Verkehr viel länger gebraucht, zigmal umsteigen müssen und dafür obendrein noch ziemlich viel Geld ausgegeben. (Leider ist für Menschen mit wenig Geld der öffentliche Verkehr schier unbezahlbar geworden.)

Irgendlink fährt mit uns genau jene Strecke, die wir Tage später wandern würden – wenn auch größtenteils auf anderen Wegen: Am Thunersee dem Nordufer und am Brienzersee auf der Autobahn dem Südufer entlang. Tage später werden wir immer mal wieder sagen: Das hier sind wir alles gefahren!

Ab Brienz nimmt der Sonntagsausflugsverkehr groteske Ausmaße an. Vor allem die Motorradfahrenden fallen negativ auf. Zwar fahren die meisten seriös, doch manche lassen die Motoren aufheulen und ihre Anti-Potenz hörbar machen, fahren aggressiv am Geschwindigkeitslimit, überholen an unübersichtlichen Stellen. Ein Eiertanz. Kurz: Die Passstraße ist sonntagslaut-laut-laut. Und ja, wir sind natürlich auch Teil dieses Lärms.

Die kurvige Straße steigt stetig an, ähnlich dem Druck in meinen Ohren. Und auf einmal sind wir oben. Passhöhe. Fast 2000 m ü. M. Weite. Menschen. Reisebusse. Autos. Motorräder. An vielen Stellen liegt noch Schnee. Im Grimselsee schwimmen Eisschollen.

Auf der Grimsel: Schwarze Bergspitzen mit Schnee garniert, Weite, blauer Himmel
Auf der Grimsel: Schwarze Bergspitzen mit Schnee garniert, Weite, blauer Himmel

Nach einem kleinen Rundgang fahren wir wieder zurück bis zu einer Stelle, an der sich gut anhalten lässt und von der aus wir gut den ersten Wanderweg erreichen können.

Abschied. Erste Bilder. Winken. Macht es gut, habt es gut, Danke!

+++

Hier beginnt sie nun, unsere Wanderung. Eigentlich wären wir gerne zur Grimselseestaumauer hochgestiegen, doch die Schneefelder bremsten uns aus. Also abwärts. Zum Rätischbodensee, dem ’zweiten Grimselsee’, hinunter. Bisschen Straße, bisschen Wiese um die Straßenserpentinen abzukürzen. So richtig Wanderweg ist es erst ab Rätischbodensee, den wir auf seiner linken Seiten umwandern. Umwandern wollen.

Ein schöner Weg, den wir da gehen. Überall gurgeln und blubbern kleine Bächlein, die das Schmelzwasser entstehen lässt. Die Luft ist klar, der Himmel blau. Lunge und Seele atmen auf. Die Warnung vor Schneefeldern ignorieren wir nonchalant. So schlimm können die ja wohl nicht sein!, denken wir. Jedenfalls schaffen wir die ersten beiden ohne nennenswerte Probleme. Ich rutsche zweimal aus und lande im Schnee. Wie ein Käfer auf dem Rücken brauche ich Irgendlinks Hilfe beim Aufstehen. Der noch ungewohnte, schwere Rucksack nagelt mich am Boden fest. Dennoch, wirklich schlimm ist das nicht und wir wandern zuversichtlich weiter, weiter, weiter. Schön ist es hier, komm, weiter, weiter, noch mit der Unruhe der letzten Tage im Nacken … noch nicht im eigenen Tempo angekommen. Noch ungewohnt. Noch nicht im Jetzt.

Auf einmal liegt es vor uns, dieses Schneefeld, das wir nicht überqueren können. Zu breit. Zu schräg von oben links nach unten rechts in den See ragend. Eine Rutschbahn, die tödlich enden könnte. Ein falscher Tritt und du versinkst im Schnee oder rutscht ab und gleitest in den See. Nein. Geht nicht. Zu gefährlich. NEIN.

Also zurück auf Anfang. Zum Beginn des Wanderwegs. Alternativen zum nicht eben ungefährlichen Gang über die vielbefahrene Passstraße gibt es keine, aber wir könnten, so überlegen wir, damit wenigstens bis am Montagmorgen warten, denn jetzt fahren einfach zu viele Autos. Und vor allem zu viele Motorräder.

Eine Familie – Mutter-Tochter-Vater –, die ebenfalls am Schneefeld umgedreht ist, winkt uns zu, als sie uns zurückkommen sieht. Die Mutter deutet auf das Familienauto, das sie im einer Bucht am Anfang des Wanderweges geparkt haben. Sie deutet auf uns. Deutet an, dass wir als Mitfahrende willkommen seien. Wir recken die Hände. Signalisieren ein Ja. Mit Ausrufezeichen. Was für ein Glücksfall! Am Ende des Sees, an der Staumauer des Rätischbodensees, bedanken wir uns herzlich bei unserem Fahrer und seiner Familie und wandern zum nahen Wanderweg.

Schon bald finden wir einen schönen Platz für eine längere Pause. Eine immense Müdigkeit – dem ungewohnten Rucksackwandern ebenso geschuldet wie den letzten Tagen und Wochen, die dicht gewesen waren – macht sich in mir breit.

Wir beschließen, zunächst noch ein Stück weiter weg von der Staumauer mit ihrem großen Parkplatz und den Gebäuden zu wandern, aber uns baldmöglichst einen passenden Lagerplatz zu suchen. Es ist bereits etwa sechs Uhr und wir wollen es ja am ersten Tag nicht übertreiben.

Der signalisierte Wanderweg führt theoretisch über die reissende junge Aare, will heißen über eine den reissenden Aarebach querende Brücke, doch diese fehlt. Rechts und links der Aare felsiges Geröll, das ein improvisiertes Übersetzen verunmöglicht. Also bleibt uns nichts anderes übrig, wenn wir nicht erneut den ganzen Weg zurück zur Straße gehen wollen, als einen großen Bogen zu machen, um über Umwege auf den Wanderweg zurückzukehren.

Mehr schliddernd als absteigend gelangen wir eine Ebene tiefer und finden dank Navigationsapp wieder zurück zum Wanderweg. Diesem durch relativ feuchtes, hochalpines Grasland auf und ab folgend, suchen wir nach einem Platz für die Nacht, ein Stück relativ ebenes Land, nicht zu feucht, nicht zu felsig. Etwas abseits vom Weg werden wir schließlich fündig und bauen auf der trockensten und flachsten Stelle einer vom Schmelzwasser feuchten Wiese das kleine Wanderzelt auf.

Wir kochen uns eins der mitgebrachten Fertig-Gerichte – eine Reispfanne – und essen dazu Karottensalat. Wie köstlich es doch schmeckt, wenn man in der freien Natur gekocht hat.

Weil wir in einem der seltenen Funklöcher sind, spazieren wir nach dem Essen noch ein wenig zurück zu ein paar schönen Felsen, die wie Sofas am Wegrand liegen. Abendsonne. Weite. Sonnenuntergang. Und ja, so langsam komme ich an. In den Bergen. In der Natur. Im Hier.

Langsam wird es kühl. Die angekündigte Hitzewelle ist noch nicht auf der Grimsel angekommen. Wir schlüpfen müde in unsere Schlafsäcke und verbringen eine akustisch einzig vom Rauschen des nahen Aarewasserfalls untermalte erste Zeltnacht.

Bilder von Tag 1

Lest gerne auch Irgendlink über Tag 1 unserer Wanderung.


Kartenlink Tag 1

[googlemaps https://www.google.com/maps/d/embed?mid=18cb19-0q2dHBSe1eriS22tBy7K9r7H3N&w=640&h=480]

+++

#flussnoten19 | ein erster kleiner Rückblick

Ihr erinnert euch? Die Aargletscher sind es – diese Gletschergruppe in den östlichen Berner Alpen am Finsteraarhorn –, welche die Aare auf ihre lange Reise schicken, ins Tal, in den Rhein, ins Meer. Stetig abwärts fließt die Aare von da aus, durch Berge, Schluchten, kleine und große Seen.

Karte, die das Einzugsgebiet von Quelle bis Mündung in den Rhein zeigt Von Friedrich-Karl Mohr | CC BY-SA 3.0 de | Quelle: commons.wikimedia.org
Karte, die das Einzugsgebiet von Quelle bis Mündung in den Rhein zeigt Von Friedrich-Karl Mohr | CC BY-SA 3.0 de | Quelle: commons.wikimedia.org

Auf obiger Grafik sieht man die Wege der Aare gut. Angefangen beim Aargletscher – auf der Grafik unten rechts – hochoben, in der Mitte der Schweiz irgendwo beschreibt sie einen geschwungenen Loop bis ans Ostende des Brienzersees, durchfließt diesen, taucht kurz auf, quert das Bödeli zwischen den Seen, Interlaken genannt, fließt von Südost nach Nordwest durch den Thunersee, verlässt diesen und strebt nordwestwärts Richtung, Bern, Biel, von dort dann nordöstlich Richtung Solothurn, Aarau, Brugg. Schließlich mündet sie bei Koblenz (AG | CH) – bei 312m ü. M. – in den Rhein. Sie überwindet unterwegs einen Höhenunterschied von 1665m überwunden und legt 291,5 km zurück.

Ganz so weit sind wir nicht gewandert, ’nur’ bis Bern. Bis ins Strandbad Eichholz, das wir vorgestern Mittag erreicht haben. Wir waren fast exakt 11 Tage unterwegs von der Grimsel nach Bern.

Die ersten Tage wanderten wir mehrheitlich auf Bergwegen. Wer sich jetzt das Bild eines stetigen Absteigens macht, da der Fluss ja bis Brienz etwa 1100 Höhenmeter überwindet, täuscht sich. Zwar haben wir diese Höhenmeter tatsächlich unterwegs überwunden, doch für drei Höhenmeter abwärts gab es mindestens wieder einen oder zwei aufwärts und ja, dafür waren unsere Gelenke äußerst dankbar. Abwärts gehen ist im Gebirge nicht nur anstrengender, es ist auch gefährlicher. Insbesondere wenn du einen schweren Rucksack auf dem Rücken trägst.

Die ersten Tage waren darum für mich besonders herausfordernd, da ich nach der langen Fernwanderabstinenz erstmal in mir das Gefühl fürs Rucksackwandern wiederfinden musste.  Rhein (2016) und Reuss (2014) sind ja nun doch schon ein paar Jahre her und Kondition und Fitness sind ja nicht so meine direktesten Nachbarinnen. Beides kommt aber – so lehrt mich die Erfahrung –, wenn ich gehe, wieder. Wenn ich in meinem Tempo gehe. Wenn ich meine Grenzen nicht zu rasant auszudehnen versuche. Wenn ich sorgsam mit mir umgehe. Nicht, dass ich das immer getan hätte. Aber irgendwie kommt das nach und nach wie von selbst. Die Kraft wächst. Der Mut wächst. Die Ausdauer wächst. Und sogar die Muskeln.

Von Brienz bis Bern waren es nicht mehr so viele Höhenmeter, doch da es an den Seen nicht durchgängig gute – will heißen schattige und idealerweise teerfreie – Wanderwege in Seenähe gibt, haben wir oft Wege am Berghang gewählt. Nicht zuletzt wegen der schattenspendenden Bäume.

Von Interlaken aus sind wir sogar spontan mit dem Postauto in die Berge, nach Habkern, gefahren und dort, parallel zum Seeweg, der Höhenkurve entlang Richtung Beatenberg gewandert. Dort war es zum einen ein paar Grad kühler, zum anderen hatten wir eine bessere Weitsicht. Und was für eine! Eiger, Mönch und Jungfrau zum Greifen nah.

Die Strecke Thun-Bern ist mehrheitlich flach. Hier bestand die Herausforderung darin, Wege zu finden, die nicht allzu besonnt und bevölkert sind – wilde Übernachtungplätze waren rar. Mal gingen wir auf der einen, mal auf der anderen Aareseite. So erreichten wir Bern am elften Wandertag – nach ungefähr hundertzwanzig gewanderten Kilometern. Ob und falls ja, wann wir den Rest der Aare erwandern werden, ist offen.

Screenshot unserer Wanderung auf der App-Karte. Die Kurve sieht aus wie ein Waldsofa im Profil.
Screenshot unserer Wanderung auf der App-Karte. Die Kurve sieht aus wie ein Waldsofa im Profil.

Übernachtet haben wir dort, wo es uns gefiel, wo wir Platz gefunden haben. Das wird in der Schweiz an den meisten Orten geduldet oder ist sogar einfach so erlaubt, da die Schweiz wie Schottland und die meisten skandinavischen Länder das Jedermannsrecht kennt. Dieses Recht besagt, dass man auf öffentlichem Grund campieren kann, wenn man sich an die Grundregel hält, den Platz in Ordnung zu verlassen und die Biosphäre nicht zu stören (Infos gibt es > hier). So haben wir es gehalten. Wir haben immer allen Müll mitgenommen und zuweilen auch herumliegenden Abfall miteingepackt. Physische Spuren haben wir hoffentlich keine hinterlassen, vom plattgetretenen Gras da und dort einmal abgesehen.

Über das Leben unter freiem Himmel, über Zeltausrüstung, Schlafsack und Matten gibt es viel Literatur, weshalb ich nur diesen einen Tipp gebe: ausprobieren! Es lohnt sich, ein bisschen mehr Geld für gute und faire Outdoor-Produkte auszugeben statt Billigprodukte zu kaufen, die schnell verschleißen und beispielsweise nicht lange wasserdicht sind.

Ach ja, den Strombedarf für unsere Smartphones – die uns als Notizbücher, Wanderkarten, Photoapparate und Telefone dienten – haben wir größtenteils mit Irgendlinks Solarpanel gedeckt, das er zuweilen am Rucksack angeschnallt mit sich herumtrug. Wir hatten drei volle Powerbanks dabei, die wir ein einziges Mal – bei der Übernachtung im Garten einer Pilgerin, die uns spontan in ihre Welt eingeladen hatte – in eine ’richtige’ Steckdose einstöpseln konnten.

Diesmal haben wir nicht wie andere Male über unsere Fernwanderung gebloggt, sondern vor allem auf Twitter berichtet, kurze spontane Impressionen, Notizen, Flussnoten.

Geplant ist, dass sowohl Irgendlink als auch ich unsere Notizen in einen kleinen Reisebericht verwandeln werden. Für unsere Blogs.

Bleibt uns gewogen, denn ’Fortsetzung folgt’. Demnächst in diesem Theater.

#flussnoten19 | Von der Grimsel aareabwärts

Mich auf die Gegenwart einlassen. Nicht schon beim Wandern in blogbaren Sätzen denken. Anders hingucken.

Ob ich es schaffe?

So ganz tue ich es nicht, denn immerhin gibts auf Twitter den Häschtägg #flussnoten19, wo Irgendlink und ich Gedanken zum Unterwegssein twittern.

Was auffällt: Die Umstellung von ständigem Beschäftigtsein im Alltag in den Fernwanderferienmodus fiel mir diesmal schwerer als auch schon. Alltagssorgen. Gewöhnung an Bücher/Filme/Chats, Politik, Klimakrise etc. – diesmal will ich davon so wenig wie möglich.

Will einfach nur sein. Auftanken. Natur. Manchmal bedeutet das natürlich auch, über die Hitze zu jammern. Oder über Teerstraßen. Einfach wahrnehmen, was ist. (So richtig einfach ist das aber natürlich nicht.)

Hier. Jetzt. Biwacklager im Aareflussbett. Der Morgenkühle wegen in Vollmontur. Klamme Finger. Heiße Tasse. Flussrauschen.

(Es ist Mittwoch, 7:41. Der Upload zickt. Okay, dann halt später.)

Das ’Kunst ist für alle’-Ding

»Als ich Ende Dezember 2018 den Entschluss gefasst habe, endlich einen Kunstwerke-Shop online zu stellen, hatte ich nicht geahnt, welche Odyssee mir bevorsteht«, schreibt Irgendlink im ersten Blogartikel seines nigelnagelneuen Online-Shops. »Ob ich es schaffen würde, so viele verschiedene Kunstwerke zu kreieren, dass dabei jeden Tag ein Bild herausspringt? Die Kunst ist das Eine. Sie zu verkaufen das Andere. Und die geeignete Plattform für den Verkauf zu finden ist wieder eine andere Geschichte.« Als alter ‘Kunstkonzepter’ trage er ein schweres Kreuz und könne nicht einfach künstlermorgenblütenträumend darauf los geschäftstätigen, schreibt er im letzten Newsletter der alten und zugleich ersten Newsletter der neuen Ära, den er gestern versendet hat. »Vielleicht erkennt Ihr die feinen Details, die sich im Laufe des Jahres im Kunstshop noch zeigen?«

Schaut selbst.

Nein, das hier ist nicht einfach ein weiterer Online-Shop und auch nicht einfach ein weiteres Blog. Und auch nicht einfach nur Kunstvermarktung. Das Ganze ist ja bekanntlich immer mehr als die Summe seiner Teile. Wusste ja schon Aristoteles. Soweit zurück reicht die Idee zu diesem Shop aber nicht, obwohl sie auch nicht wirklich neu ist. Schon seit einer Weile konnte man ja bei Irgendlink Bilder und Poster über sein Alltags- und Livereisen-Blog kaufen. Dort allerdings umständlich, via Mail, und ohne direkte Zahlungsmöglichkeit. Das ist nun vorbei, denn ab sofort kann man direkt einkaufen.

»Ich möchte mich 2019 auf die Serie 365-Daily konzentrieren. Jeden Tag ein 12 x 12 cm großes Bild zum Sammeln. Für einen bezahlbaren Preis, so dass jedeR mitmachen kann.«

Tolle Sache! Von den Dailies – auf Holz aufgezogene, quadratische Kunstwerke – kann ich schon ein kleines Liedlein singen, denn ich habe bereits meine Sammlung gestartet.

Die täglich neuen Bilder kann man nämlich ganz einfach zu einer eigenen, sehr persönlichen Wandcollage zusammensetzen – absolut einmalig und immer wieder anders. Nach Lust und Laune. Links die ersten drei Bilder von Freundin M. (2) und rechts meine eigenen ersten drei Dailies.

Und nein, ich bekomme keine Provisionen dafür, dass ich hier meinen neuen Lieblingsshop anpreise. Wobei, … vielleicht macht mir der Liebste ja gelegentlich ein neues Daily 😉


Zum Shop geht’s hier ⇒ lang
Zum Newsletter hier ⇒ lang
Den Newsletter kannst du ⇒ hier abonnieren.

Von Bergen, Übergängen und warum Schönheit so gut tut

Bereits sechs Tage ist es her, dass ich Irgendlink am Bodensee von seiner #UmsLand Bayern-Tour abgeholt habe. Nach acht Tourtagen hatte er ungefähr einen Viertel der von ihm angedachten Bayernumradelung geschafft und das geplante Zwischenziel, Lindau, erreicht. Nach einem Bad im Bodensee – natürlich dort, wo wir damals auf unserer Flussnoten-Wanderung den Bodensee erreicht hatten – fuhren wir mit dem Rad im Kofferraum gemeinsam zu mir nach Hause.

Zu meinen Bildern gilt folgendes:
Für Sehbeeinträchtigte und Blinde: Alle Bilder haben Bildbeschreibungen, die vorgelesen werden sollten.
Für Sehende: Auf die Bilder klicken, um zur Galerieansicht zu kommen.

Spontan beschlossen wir, am Wochenende das Team Unserwegs zu besuchen. Nach einer viereinhalbjährigen Reisezeit schlagen die beiden nun am Hinterrhein, in den Bündner Bergen, wieder Wurzeln. Noch leben sie in ihrem Reisebus, bevor sie Anfang Oktober ihre neue Wohnung beziehen können. Auf dem Camping Thusis waren wir drei Tage lang ihre Gäste. (An dieser Stelle nochmals herzlichen Dank für alles, liebe Annette und lieber Beat.)

So fuhren wir also am Freitagnachmittag nach Thusis, in die Region Heinzenberg an den Hinterrhein. Unterwegs picknickten wir bei Fläsch und erfreuten uns an den schönen Erinnerungen, die in uns aufstiegen. Damals, vor zwei Jahren auf unserer Flussnoten-Wanderung hatten wir nicht weit von hier, an einem wunderbaren Platz, wild gezeltet. Diesmal bauten wir zwei große gemeinsame Steintürme.

Gegen Abend langten wir in Thusis an und wurden im Schatten des weitgereisten Reisebusses mit Leckereien verwöhnt.

Am Samstag fahren Irgendlink und ich von Thusis aus auf den Glaspass, wandern von dort aus – nach einem Abstecher ins Häärdställi, wo eine überdimensionierte Kugelbahn zum Spielen einlädt – auf den Glaser Grat und wieder zurück zum Auto (unsere GPS-Daten) (Infos | Bilder).

So sieht meine Glückseligkeit aus: Weitsicht, Berge, gute Luft, ein feines Lüftchen, Stille – und, ähm, sagte ich Weitsicht schon? Wir wandern berghoch, rasten, genießen, schauen, hören und sind einfach nur da … Ein Tag wie ein Jahr.

Unterwegs auf dem Abstieg finden wir den ehemaligen Lüschersee, der vor über hundert Jahren entwässert wurde. Bereits beim Lüschersee zickt mein linkes Knie leise. Wie neulich beim Abstieg vom Creux-du-Van. Die Schmerzen entschleunigen mich noch mehr. Ein positiver Effekt immerhin.

Fast schon unten angelangt, kommen wir an der Bruchalp vorbei und fragen nach Alpkäse. Leider nein, keiner mehr da. Wegen der Trockenheit war der Alpabzug dieses Jahr ungewöhnlich früh und der ganze Käse ist schon bei den Molkereien und Einzelverkaufsstellen gelandet. Schade.

Wie wir mit dem Auto zurück nach Thusis fahren, entdeckt Irgendlink am Straßenrand ein Schild, das einen Hofladen verspricht. Jippiee, sagen wir, und schon bald sind wir mit der jungen Bäuerin mitten im Gespräch über das Einmachen von Zucchini und anderen Gartengemüsen. Wir kaufen Bündner Nusstörtchen – ein großer Genuss, darum ein Muss, nicht nur um des Reimes willen – zum abendlichen Dreigangmenü auf dem Campingplatz. Auch Alpkäse finden wir hier, von der vorhin passierten Bruchalp. Über diesen unerwarteten Glücksfall freuen wir uns auf dem Rückweg wie kleine Kinder.

Am Sonntag kommt das Team Unserwegs mit uns mit in die Höhe. An der Ruine Hohen Rätien vorbei soll es gehen, Richtung Traversinersteg zur Via Mala-Schlucht. (Details/Infos) Schon nach nicht einmal fünfhundert Metern merke ich, dass ich das nicht schaffen werde. Am Samstag hatte mein Knie nur beim Abwärtslaufen geschmerzt, jetzt zickte es auch beim geradeaus gehen. Nicht lustig das. Ich entscheide mich, umzukehren und den anderen an einen definierten Ort entgegen zu fahren.

Gesagt getan. Nach einem kleinen Spaziergang, der meine Entscheidung bestätigt, setze ich mich ins Auto und suche eine schöne Waldlichtung, wo ich die anderen erwarte. Mit einem guten Buch vergeht die Zeit wie im Flug. Vom Treffpunkt aus fahren wir gemeinsam zum Via Mala-Zentrum, dem Herz der Sehenswürdigkeiten des Hinterrheins.

Der Weg am Hinterrhein entlang war schon sehr früh in der menschlichen Geschichte ein Handelsweg und verband den Süden mit dem Norden. Die Via Mala – der böse, der schlechte Weg – forderte viele Todesopfer, denn hier ist das Rheintal am engsten, ein Durchkommen auf engen Pfaden war zuweilen lebensgefährlich und noch heute ist die Schlucht ein Nadelör, und noch immer auch ein Ort des Staunens. Wie klein wir doch sind, wir Menschen!, sagen wir zueinander, wie wir über Treppenstufen in die enge Schlucht hinuntersteigen. Selbst Friedrich Nietzsche soll hier wortlos gestaunt haben, stattdessen schrieb er: «Ich schreibe nichts von der ungeheuren Grossartigkeit der Via Mala: mir ist es, als ob ich die Schweiz noch gar nicht gekannt hätte. Bis zu 300 Meter hohe Felswände ragen, teils nur wenige Meter voneinander, in den Himmel. Sprudelnd, rauschend, zieht das Wasser in schönsten Blau- und Türkistönen durch die Schlucht.»

Gestern Vormittag machten wir uns nach dem Brunch auf den Rückweg in die Deutschschweiz (Rückweg-Link). Allerdings wollten wir zuerst, nicht zuletzt um die unvermeidliche Rückkehr hinauszuzögern, noch ein wenig Kultur tanken. So fuhren wir ein weiteres Mal durch die Via Mala, diese enge Schlucht, südwärts. Nach Zillis. In die Kirche.

Wer mich kennt, weiß, dass ich es nicht so mit Kirchen habe. Doch diesmal war die kulturelle Neugier größer gewesen als die Abneigung. Die St. Martinskirche in Zillis ist bekannt für ihre uralten Dachgemälde. Im Gemeindehaus Zillis sehen wir uns eine kleine Ausstellung und eine spannende Multimediaschau über die berühmte Kirchendecke an. In der Diaschau wird Dionysius Areopagita zitiert und ich erlaube mir, ihn deshalb auch hier zu zitieren: »Das Gute stammt aus der einen und universellen Tatsache, das Böse aber aus vielen und partialen Defekten. […] Wenn nun das Gute dem Bösen entgegengesetzt ist, so sind die Ursachen ds Bösen viele. Die schöpferischen Faktoren des Bösen sind nicht Prinzipien und positive Kräte, sondern Ohnmacht, Schwäche, unsymmetrische Vermischung der unähnlichen Dinge.«

Neugierig geworden spazierten wir zur Kirche. Was soll ich sagen? Es hat sich gelohnt. In vielen Einzelbildern sahen wir über uns das mittelalterliche Weltbild, Mystik inklusive, abgebildet. Nicht sehr detailreich, schlicht, aber gekonnt und ausdrucksstark. Ja, ich war wirklich tief beeindruckt.

Wir fuhren nordwärts nach Reichenau, wo Hinter- und Vorderrhein aufeinander treffen und wo wir damals auf unserer Tour gepicknickt hatten. Wieder tauchten wir in schöne Erinnerungen ein und beschlossen, später, vor dem Taminser Dorfladen rastend, dass wir der alten Zeiten willen über den Oberalppass zurück nach Hause fahren wollten. An den Orten vorbei, an denen wir vor zwei Jahren vorbei gewandert sind.

Guck dort! Schau, da sind wir doch damals …! Unterwegs halten wir irgendwo am Vorderrhein an und bauen wieder. Ja, was wohl? Steintürme natürlich. Weils so schön ist. Und entschleunigt. Und gut tut.

Später landeten wir über Hunderte von Kurven auf dem Oberalppass, wo damals unsere Wanderung ihren Anfang genommen hatte. Wir schauten uns die Wegweiser an und verstanden nicht, wie wir damals den falschen Weg hatten gehen können. Eigentlich hatten wir ja den Wanderweg zum Tomasee nehmen wollen, zur Rheinquelle, stattdessen waren wir den Bergwanderweg, der über den Pazzolastock zum Tomasee führt, gewandert. Was im Grunde ein Glücksfall gewesen war.

 

Irgendwann gegen Abend sind wir gut, zufrieden, müde, glücklich, sonnensatt und hungrig wieder zuhause angelangt. Und dankbar, ja, das auch, das vor allem.

Gesunder Menschenverstand im Labyrinth

Wir denken über Kurse in Gesundem Menschenverstand nach als wir zum Grenzbahnhof fahren, von wo aus Irgendlink nach ein paar Tagen bei mir in der Schweiz wieder nach Hause fahren wird. Und über Kurse mit Titeln wie ’Mein Weg durch das Labyrinth’ oder ’Wie komme ich da bloß wieder raus?’

Wir hatten uns über das Verhalten der Menschen unterhalten – auf der Straße und im Alltag. Über die Polarisierungen, die je länger je sichtbarer werden. Auf der Straße sind es – zum Beispiel – einerseits die Radfahrenden, andererseits die Autofahrenden. Oder einerseits die Autofahrenden, andererseits die Radfahrenden. Dieses ’Wir’ und ’die anderen’. Dieses Ich-bin-richtig-und-du-bist-falsch-Denken, das sich immer mehr in unseren Lebenshaltungen einschleicht, so leise, so unscheinbar, dass wir es gar nicht wirklich merken.

Die Bereitschaft zur Einsicht, dass wir alle Fehler machen und dass das in den meisten Fällen nicht schlimm ist und man einfach um Verzeihung bitten kann, ist vielen abhanden gekommen, sagt Irgendlink mit Blick auf den Straßenverkehr. Es müsste Fahrkurse geben, bei welchen die Kursteilnehmenden einmal als Radelnde und einmal als Autofahrende agieren, damit man beide Seiten erleben kann. Kursinhalte eigentlich, die sich auf das ganze Leben ausdehnen lassen. Kurse eben in Gesundem Menschenverstand. Und klar, auch bei einem Wechsel der Perspektive und der Position können wir natürlich nie genau wissen, wie es wirklich ist in der Haut des anderen zu stecken. Helfen würde es aber auch jeden Fall.

Gestern wollten wir zu einem Geländelabyrinth radeln, knapp sieben Kilometer von meiner Wohnung entfernt. Dass ausgerechnet gestern in meinem Wohnort SlowUp war, hatte ich völlig vergessen. Und dass die Route an meinem Haus vorbeiführt, war mir erst recht nicht bewusst gewesen. Für diese Aktionen, die an verschiedenen Sonntagen in der ganzen Schweiz durchgeführt werden, sind die Straßen für den Autoverkehr gesperrt. Dafür stehen sie in ganzer Breite offen für Langsamverkehr wie Fahrräder, Skates und so weiter. Früher, als diese Bewegung noch jung war, hatte ich auch das eine oder andere Mal mitgemacht. Aber seit der Funke auf die Masse übergesprungen ist (was ich im Grunde natürlich gut finde!), mag ich nicht mehr mitmachen. Alles, was mit Masse zu tun hat, gruselt mich.

Dass wir genau in die Richtung, aus der die Masse kam, radeln wollten, machte es nicht besser. Die uns entgegenflutende Menschenmenge hat mich am Anfang ganz schön fertig gemacht (ja, so bin ich). Wir wählten, wo immer möglich, Alternativstrecken, Schleichwege, doch natürlich hatte die Organisation die schönsten und besten Routen ausgewählt, manchmal die einzigen, und so fuhren wir etwa die Hälfte unserer Strecke gegen den Strom. Schließlich verließen wir diesen und fuhren auf Feldwegen. Bei dreißig Grad Hitze. Wir waren bis sechshundert Meter ans Labyrinth, das auf einem Hügel liegt, herangefahren – und kapitulierten. Ich vor allem. Die Hitze und mein Kreislauf werden niemals Freude, befürchte ich. Der Liebste meinte: Kein Problem. Wir müssen da nicht hoch. Wir müssen überhaupt nichts. Wir können einfach zurückfahren.

Taten wir dann auch. Diesmal sogar ein Stück im SlowUp-Strom. Zu einem wunderbaren Badeplatz am Zusammenfluss von Limmat und Aare. Was für eine Ruhe dort und wie gut das kühle Wasser tat!

Das Labyrinth von Chartres, welches für das Wiesenlabyrinth das Vorbild war.Ich könnte ja eigentlich heute zum Labyrinth fahren, sagte ich zu Irgendlink, als wir heute Morgen frühstückten. Genau … auf dem Rückweg vom Grenzbahnhof könnte ich dort vorbeifahren, es liegt ja fast am Weg.
Oder wir fahren nachher miteinander hin?, antwortete Irgendlink. Wir fahren einfach eine Stunde früher los.

Gesagt, getan. Weil es regnete, als wir das Dorf erreichten, fuhren wir auf Feldwegen direkt zum Labyrinth statt unten zu parken und hochzuspazieren. Kaum oben angelangt, hörte der Regen auf.

Doch was für eine Enttäuschung! Das Labyrinth war nicht wirklich auf den ersten Blick als solches sichtbar; halb zugewachsen, überwuchert lag es da. Wäre da nicht die Info-Tafel gewesen, hätten wir es vermutlich gar nicht bemerkt. Unsere Lust, es zu begehen, hielt sich in Grenzen.

Das Bild zeigt eine Luftaufnahme des Wiesenlabyrinths an einem wolkigen Sommertag unter blauem, wolkigem Himmel. Im Hintergrund Hügel und Wälder.
Quelle: http://www.labyrinth-international.org/labyrinth-remigen-ag.html

Aber es nicht zu begehen war dann doch keine Option. Wenigstens ein paar Schritte hinein mussten wir tun.

Ich wählte den Weg nach rechts, der, wie ich später auf der Grafik sah, eigentlich gar kein Weg war. Weil die Spur nicht wirklich gut sichtbar war, spielte das für mich keine Rolle. Wirklich verlaufen kann man sich in einem Labyrinth ja nicht. Auch Irgendlink schritt das Labyrinth ab. Beide hatten wir den Blick auf die Füße gerichtet, da es nicht immer ganz einfach zu erkennen war, wo eine Kurve oder eine Wendung kam. Mit diesem Blick auf den Boden auf den unmittelbar vor mir liegenden Weg, sagte ich nachher, könnte ich direkt den Blick fürs Ganze verlieren.
Manchmal kamen wir uns nah, kreuzten uns oder waren sogar auf parallelen Wegen unterwegs, manchmal war er genau gegenüber, maximal weit weg von mir. Manchmal entfernte ich mich von der Mitte, mal ging ich direkt auf sie zu, nur um im letzten Moment doch wieder eine Wendung zu nehmen, die mich weg aus der Mitte führte. Und irgendwann erreichte ich sie dann doch. Wie im richtigen Leben halt.

Etwa eine Viertelstunde waren wir still in unser Gehen vertieft. Meditativ.

Was soll ich sagen? Es hat gut getan. Die anschließende Neubewertung fiel positiv aus. Dieses halb zugewachsene Etwas inmitten einer Wiese an einem Hügel in den Fricktaler Hügeln hat mich wieder geerdet, nachdem ich am Morgen eher ein bisschen neben mir gewesen war.

Zweite Chancen haben auch Tage verdient, die in Schieflage anfangen.

Wochenendimpressionen

Was für ein Wochenende! Am Freitagnachmittag fuhren wir via Bern, meiner alten Heimat, ins Schwarzenburgerland. Ans Schwarzwasser. Einem jener Flüsse, denen ich in meinen Berner Jahren oft einen Besuch abgestattet habe – allein oder mit Freundinnen und Freunden und natürlich auch mit dem Liebsten.

Schon auf der Fahrt hatte sich der Himmel zu überziehen begonnen, doch das hinderte uns nicht daran ins Schwarzwassertal hinunterzusteigen. Unten, bei einer kleinen Brücke, die eine Art Kreuzung in vier Richtungen darstellte, beschlossen wir vor der Brücke nach links zu gehen, als uns von rechts zwei Frauen entgegen kamen. Die rechts sieht ja aus wie R., murmelte ich und es dauerte ein paar Sekunden, bevor ich erkannte, dass es sogar R. war. Was für ein Zufall! Vorhin waren wir an ihrem Haus vorbeigefahren und ich hatte noch laut überlegt, dass wir ja eigentlich …

Nun begrüßten und umarmten wir uns herzlich und ließen uns für später zu einem Tee einladen. Und, falls wir wollten, auch zum Übernachten. Mal schauen, sagten wir, und: Bis später!

Zuerst aber wollten wir einfach das Schwarzwasser begrüßen. Ins Flusstal waten. Uns badend abkühlen. Schwül war es und ab und zu fielen ein paar Regentropfen vom sich bewölkenden Himmel. Die Temperatur fiel ein wenig. Ach, herrliches Schwarzwasser! So viele Steine zum Türme bauen. Steine und Wasser und Bäume und relative Stille. Wie gut das tut!

Auf einem Fels, der aus dem Wasser ragte, baute ich ein Steinmännchen, wie ich es noch nie gemacht hatte. In die Schräge hinein baute ich es, wie ein Terrassenhaus, dabei versuchend, wie ich es im Leben ja oft genug übe, den unidealen Voraussetzungen zu trotzen. Definitiv schwieriger als ein Steinmännchen auf ebenem Untergrund. Es wurde deutlich weniger hoch als manche andere, die ich schon geschaffen hatte, zu fragil war das Gleichgewicht, zu unsicher der Untergrund.

Langsam wurden die Füße dann doch ein bisschen kühl vom Wasser und auch der Regen schien es langsam ernst zu meinen. Wir zogen uns wieder um und wanderten zurück zum Auto. Nach einem kleinen Abstecher nach Schwarzenburg, um noch dies und jenes einzukaufen, fuhren wir auf einen Tee zu R., um mit ihr über das Leben und das Reisen zu philosophieren. Ihr Übernachtungsangebot lehnten wir allerdings ab, obwohl Regen angesagt war, denn wir hatten uns innerlich auf ein Zeltwochenende eingestellt und wollten endlich einmal Bern vom Eichholz-Camping aus erleben.

So fuhren wir nach Wabern auf den Aare-Campingplatz Eichholz. Bisher kannte ich dieses Areal ja nur von unzähligen Spaziergängen zwischen dem Aareufer und ebendiesem Zeltplatz. Jetzt aber wollten wir es wissen. Kaum hatten wir uns angemeldet und Fr. 38.50 für Übernachtung, Duschjetons, Parkkarte und Tickets für den öffentlichen Verkehr bezahlt und uns einen schönen Platz für unser Zelt aussuchen wollen, fing es richtig heftig zu regnen an. Spontan fuhr uns ein Zeltplatzeinweiser mit Fahrrad und Schirm voran und lotste uns in eine schmale Lücke zwischen zwei Wohnwägen, wo wir das Auto kurz, zum Ausladen, abstellen durften. Nachher müsse das Auto aber wieder raus. Unter den Bäumen, in einer vielleicht sechs Meter schmalen Lücke zwischen anderen Zelten, war es relativ trocken und so bauten wir ebendort, mangels Alternativen, in Rekordzeit und halbwegs trocken unser Zelt auf. Während Irgendlink das Auto wieder herausfuhr, befüllte ich unsere Matten mit Luft, packte die Schlafsäcke aus und schon bald hatten wir es schön gemütlich. Im Zelt dem Regen lauschen hat was – echt jetzt! – und so richtig heftig regnete es inzwischen eh nicht mehr. Zwischendurch war sogar das Murmeln der Aare zu hören. Je später und dunkler es wurde, desto aktiver und lauter wurden allerdings die Menschen in den Zelten um uns herum.

Während wir uns etwas Feines kochten, überlegten wir, ob es wirklich so eine tolle Idee gewesen war, mitten in der Hochsaison auf einen vollen Stadt-Camping zu gehen. Zumal für uns zwei Schwedenverwöhnte. Nun denn … Wir haben ja zum Glück einen Fußball … und auch sonst geht es uns gut.

Zwei Finger in kleinen Fußballschuhen, die einen kleinen Fußball gegen einen Fuß als Tor schubsenUnd  tatsächlich wurde es gegen 23 Uhr still und in der Nacht hätte man kaum glauben können, dass hier einige hundert Menschen schlafen.

Geplapper im Nachbarzelt, es war noch vor sieben Uhr, weckte mich. Wie ein angestoßener Dominostein setzte sich das Geplapper fort und schon bald war der Campingplatz wach.

Beim Tee- und Kaffeetrinken beschlossen Irgendlink und ich, dass wir das Zelt abbauen und doch bei den Freunden, die uns zum Abendessen und Übernachten eingeladen hatten, übernachten würden. Jedenfalls, wenn sich der Wetterbericht für Sonntag doch noch zum Guten wenden sollte. Außerdem gab es die Option, nach dem Abendessen bei unseren Freunden auch einfach nach Hause zu fahren. Mal schauen.

Irgendlink fotografiert den Zytglogge-Turm, eins der Wahrzeichen Berns

Um zwölf trafen wir uns mit Freundin M. (2) auf der Münsterplattform, einem beliebten zentralen Treffpunkt hinter dem Münster, von welchem aus man ’von oben herab’ auf die Aare und die Quartiere am Fluss blicken kann. Gemütliches Zusammensein. Einfach schön, solche Menschen zu kennen!, dachte ich, wie schon oft.

Dank des Citytickets für den öffentlichen Verkehr konnten wir ohne Parkplatzsorgen vom Stadtzentrum zur Col-Art-Austellung fahren, wo wir an einem Col-Art-Workshop teilnahmen. Zu neunt malten wir an acht verschiedenen Bildern. Demokratisch, gemeinschaftlich, miteinander – so der Grundgedanke der Kunstrichtung Col-Art/Kollektive Kunst, die heuer 50 Jahre alt wird.

Acht bunte Bilder auf Holzboden mit vielen sehr unterschiedlichen Bildelementen, Acryl auf Papier.Gründer Marc Kuhn stellt einen Monat lang mit großem Engagement im alten Tramdepot Bilder aus fünfzig Jahren Col-Art aus. Diese Ausstellung läuft noch bis Ende Juli.

Mehr Infos gibt es hier: https://agenda.bernerzeitung.ch

Später holen wir das Auto auf dem Campingplatz und parken im Quartier unserer Freunde. Gemütlich ist es. Die kleine Tochter giggelt uns fröhlich und die inspirienden Gespräche und das feine Essen tragen ebenfalls zu einem tollen Abend bei. Müde legen wir uns schlafen. Am Morgen werden wir vom Singsang des Töchterleins sanft aus dem Schlaf gelotst. Wir freuen uns über das gute Wetter und beschließen, die Idee, im Jura wandern zu gehen, umzusetzen. Nach all den vielen nährenden Gesprächen der letzten beiden Tage ist es uns nach Natur und Stille. Und Bewegung.

Nach einem gemütlichen Frühstück und einem Schlenker zum nahen Friedhof fahren wir ins Traverstal, wo die Areuse schluchtet und der Creux du Van das Staunen lehrt.

Eine natürliche Felsenarena gewaltigen Ausmaßes ist er, der Creux du Van. Um die hundertsechzig Meter hohe, senkrechte Felswände umschließen einen vier Kilometer langen und über einen Kilometer breiten Talkessel. Gewaltig, wunderbar, ehrfurchtgebietend!

Über vierzehn Kurven wanderen wir von Noiraigue aus zum Plateau hoch und genießen hier eine Weite, die es so nur in den Bergen gibt.

Auf dem Weg bergauf wünschten wir allen Leuten, die unsere Wege kreuzten, freundlich Bonjour. Kaum oben auf dem Plateau angekommen, hören wir schnell damit auf. Viele Menschen teilen mit uns die Fernsicht und das spektakuläre Erlebnis. Viele allerdings fahren mit dem Auto zum Bergrestaurant hoch und flipflopen sich am Abgrund entlang um das ultimativ spektakulärste Bild schießen zu können. Zum Glück hat es genug Platz für alle.

Wir umrunden den Krater an seiner Oberkante und steigen auf der anderen Seite der Felsarena wieder abwärts. Die ersten drei oder vier Kilometer sind wieder sehr steil, wie schon beim Aufstieg, auch der Rest hat es in sich. Und geht ganz schön in die Beine. Ich bin auch langsam müde von all den vielen Eindrücken, Begegnugen und Gedanken.

Auf den letzten Kilometers des Abstiegs verbiege ich mir dummerweise irgendwie das Knie, sodass ich, wegen der stechenden Schmerzen, nur noch ganz langsam gehen kann, doch wir haben es zum Glück nicht eilig.

Auf der Rückfahrt nach Hause bin ich tief entspannt. Und sehr dankbar für dieses nährende Wochenende.


*Hier der Streckenlink  zu unserer Wanderung und hier eine Karte:

[googlemaps https://www.google.com/maps/embed?pb=!1m48!1m12!1m3!1d12957.644763816841!2d6.719252184244211!3d46.94185714983779!2m3!1f0!2f0!3f0!3m2!1i1024!2i768!4f13.1!4m33!3e2!4m3!3m2!1d46.952214!2d6.7259079999999996!4m3!3m2!1d46.946290999999995!2d6.7170217999999995!4m4!2s46.93637%2C+6.72082!3m2!1d46.93637!2d6.72082!4m4!2s46.9309%2C+6.725294!3m2!1d46.9309!2d6.725294!4m4!2s46.9322%2C+6.731075!3m2!1d46.932199999999995!2d6.731075!4m3!3m2!1d46.9418759!2d6.7351404!4m4!2s46.951683%2C+6.726872!3m2!1d46.951682999999996!2d6.726871999999999!5e0!3m2!1sde!2sch!4v1532349413979&w=600&h=450]

Mehr Infos:
Wiki
http://wegwandern.ch
www.schweizmobil.ch
www.wanderungen.ch

Unterwegs im Schwarzwald

Du könntest eigentlich das Zelt mitbringen, hatte ich vor einer Woche zum Liebsten gesagt. Wir könnten ja mal wieder. Den Liebsten muss man für solcherlei nicht erst groß überreden und so planten wir am letzten Donnerstagabend – er war ein paar Stunden vorher angekommen – einen kleinen Ausflug mit Zelt und schön und Natur und nicht zu weit und so. Innerschweiz? Hm. Joa. Oder Züri Oberland? Hm. Oder – wie wärs mit Schwarzwald? Wutachschlucht?

Der Zeltplatz, den wir aus dem Netz fischten, hatte sogar schon geöffnet und so haben wir am Samstagvormittag das Auto gepackt und sind losgefahren. Weit ist es ja nicht, aber weil die Grenze von all den Schweizer EinkaufstouristInnen verstopft war, fuhren wir einen kleinen Umweg und erreichten um eins den Camping Stühlingen.

Das Zelt hatten wir rasch aufgebaut – direkt beim gedeckten Pavillon mit drei Tischen darunter – und schon bald waren wir zu Fuß unterwegs. Ja, diese kleine Wanderung war genau das, was ich gebraucht hatte!

Nach einem kleinen Einkauf entfachten wir am Grillplatz am Ende des Campingplatzes ein Feuerchen und grillten unser Abendessen. Seelenwohltuend. Und ja, auch gut gegen die Kälte, ist so ein Feuer. Schließlich wurde es eine ziemlich kalte Nacht im Zelt, fünf Grad oder so, und es dauerte am Morgen eine ganze Weile, bis wir wieder warm hatten. Zumal die Sonne eine Weile brauchte, bis sie die Hügel überwunden und unsern Zeltplatz gefunden hatte. Zu allem Übel hatte ich Bauch- und Kopfweh und aus unerfindlichen Gründen meine Kopfwehtabletten nicht eingepackt. Mist aber auch.

Die nächste notfalldiensthabende Apotheke war in Neustadt bei Titisee und so planten wir kurzerhand um. Statt die Wutachschlucht zu erwandern, stand nun Tabletten kaufen auf dem Programm. Bis die Tabletten wirken würden, beschlossen wir es ruhig anzugehen. Überhaupt … es ruhig angehen ist eh genau richtig. Nach einem kleinen Spaziergang am Neustadter Stadtrand mit Sonnetanken fuhren wir an den nahen Titisee, das ich alsbald ’das Büsum, Helgoland und Interlaken des Schwarzwaldes’ nannte. So viele Touristen und Touristinnen auf einen Haufen! Von überall. Lange hielten wir es hier nicht aus. Uns zog es in die Natur und so fuhren wir doch noch in die Wutachschlucht, wie es uns die Zeltplatzbesitzerin am Vorabend ans Herz gelegt hatte.

Der Wegweiser in die Lotenbachklamm sprang uns beiden beim Wanderparkplatz bei der Schattenmühle sofort ins Auge. Da wir beide wegen der kalten Nacht wenig erholsam geschlafen hatten, beschlossen wir diese eher kurze Wanderung zu machen – knapp anderthalb Kilometer rauf und später wieder runter. Eine weise Entscheidung!

Zum einen war es ein wunderbares Stück Weg über felsiges Terrain, genau nach unserem Geschmack, zum anderen waren alle Leute unterwegs sehr freundlich und rücksichtvoll. Die Klamm? Einfach nur wunderschön! Sonnenlicht, das durch frühlingszartes Blätterdach fällt. Das Rauschen des Lotenbachs tat das seine. Meine Sinne waren weit offen und das Kopfweh endlich vergangen. Oben angelangt fanden wir eine Wiese, die geradezu zum Picknicken und zu einem Nickerchen einlud. Herz, was willst du mehr?

Später, zurück auf dem Zeltplatz, waren deutlich mehr CamperInnen auf dem Platz und ’unser’ Pavillon besetzt. Für die Nacht und den Montag war zudem Regen angesagt, sodass wir kurz überlegten, ob wir das Zelt abbauen und nach Hause fahren sollten. Nach einigem Hin und Her entschieden wir uns stattdessen, das Zelt hinten beim Grillplatz aufzubauen. Dass das erlaubt war, hatten wir erst am Samstagabend erfahren. Beim Grillplatz steht ein Schutzdach neben dem kleinen Bürohäuschen. Warum eigentlich nicht darunter das Zelt aufbauen?, fragte ich. Hey, super Idee, meinte der Liebste, das machen wir! Dann müssen wir am Morgen, wenn es regnet, nicht direkt aus dem Zelt in den Regen hineinklettern.

Wieder entfachten wir ein Feuer. Der Regen hielt sich brav zurück und wartete, in den Wolken hockend, die Nacht ab. Unser zweiter Abend in Stühlingen war deutlich wärmer. Was doch so ein paar Grade ausmachen! Auch die Nacht war weniger kalt als die vorherige und so schliefen wir beide tief und fest und wachten erholt und erfrischt auf. Das bisschen Regen, das nachts gefallen war, hatte uns nicht gestört. Am Morgen schien wieder die Sonne und so konnten wir gemütlich frühstücken und das Zelt abbauen.

Wir hatten uns entschieden, an die Rheinfälle zu fahren. Die größten Wasserfälle Europas. Und ja, ich bin tatsächlich – trotz der Nähe – noch nie dort gewesen, während Irgendlink, der ja ein paar hundert Kilometer weiter weg wohnt, schon einige Male – zuletzt auf der Flussnoten-Rheinradeltour – diese tosenden Wassermassen bestaunt hat.

Wenn schon, denn schon!, sagten wir uns und kauften Tickets für eine kleine Hafenrundfahrt. Uns hats gefallen.

Noch hielt das Wetter, obwohl die Sonne ab und zu Wolkenverstecken spielte, und so beschlossen wir, über Land zu fahren und irgendwo, an einem schönen Hügel, eine kleine Wanderung mit Picknick einzulegen, bevor wir wieder nach Hause fahren würden.

Unsere Pläne fielen buchstäblich ins Wasser. Der Regen hatte sich uns an die Fersen, an die Räder, geheftet und war immer genau dort, wo wir lang fuhren. Zuerst dem Lauf des Rheins folgend, später quer über Land. Und immer war der Regen auch schon da.

Okay, dann picknicken wir halt an meinem Esstisch!

+++

Nur schon zwei Tage reichen manchmal, um den Kopf wieder ein bisschen freier zu bekommen und all das, was uns im Alltag so selbstverständlich vorkommt, als wertvoll vor Augen zu führen. Ich sage ja nur: Badewanne.

Ein paar Reiseimpressionen (Galerie):