Zumutbare Rücksicht

Wir sind zwar wieder negativ, der Liebste und ich, aber beide noch nicht wirklich wieder hergestellt. Wir husten noch immer und auch die Nasen sind noch nicht frei. Und beide sind wir nach selbst kleinsten Anstrengungen k. o. und brauchen viele Pausen. Offenbar hat die Des-Liebsten-Mama Covid besser weggesteckt als wir zwei – der ImpfungseiDank, sagt sie. Sie hatte wohl eine Art Erkältung, während wir beide je mehrere Tage mit Fieber flachgelegen sind. So gesehen stimmt die viel zitierte und meiner Meinung nach höchst fragwürdige und zudem ableistische Theorie, dass Covid ja ‘nur die Alten und Behinderten’ schlimm treffe, schon mal gar nicht.

Ich konnte die Argumente von Menschen, die Covid-Schutzmaßnahmen ablehnen, von Anfang an nicht nachvollziehen. Und jetzt, nach überlebter Covid-Erkrankung, noch weniger denn je. Das wünsche ich nun wirklich niemandem. Und wir hatten ja verglichen mit anderen noch immer ziemliches Glück und sind auf dem Weg der Besserung.

Der Mensch unterscheidet sich vom Tier unter anderem durch seinen Verstand und durch seine Vernunft und obwohl ich grundsätzlich an Evolution glaube, habe ich doch mit der sozial-darwinistischen Haltung – ‘the survival of the fittest’ (‘etwas Schwund ist immer’, ‘Kollateralschaden’) – schon immer meine Mühe. Wir sind den Menschenrechten verpflichtet, wir sind ethikfähige, vernunftbegabte Wesen, wir dürfen darum solche Haltungen nicht auf uns Menschen anwenden und das Wohl der Schwächsten für die Maßnahmen-Faulheit der großen Mehrheit opfern.

Ich fühle natürlich mit allen Betreuenden und Pflegenden mit, da es für sie besonders mühsam ist, sich bei der Betreuung von Covid-Patient*innen entsprechend zu schützen, aber für alle anderen hält sich mein Mitgefühl dafür, dass sie Rücksicht auf andere nehmen sollen, in Grenzen. Meistens sind es nämlich jene Leute, die das Glück hatten, entweder selbst noch kein oder wenn dann kein schlimmes Covid gehabt zu haben und/oder niemanden zu kennen, der entweder schlimm oder gar tödlich an Covid erkrankt ist, kurz gesagt: Privilegierte! Und genau diese Menschen wollen dann die weniger Privilegierten nicht mit-schützen. Und ja: natürlich hatte sozusagen die Mehrheit Glück. Beim Hochrechnen der eigenen Erfahrungen auf das große Ganze vergessen viele Menschen die nicht privilegierte Minderheit, die nicht so viel Glück hatte.

Mich stört, dass Rücksichtnahme je länger je mehr als etwas der breiten Masse Unzumutbares gehandhabt wird. Die, die keine Rücksicht nehmen wollen, verlangen, dass auf sie und ihr Nicht-Rücksichtnehmen-Wollen Rücksicht genommen wird. Wie paradox ist das denn?

Es lässt sich nämlich, wie wir inzwischen alle wissen (könnten), vorab nicht sagen, wen es wie schlimm trifft. Und bei wem nach Covid noch etwas übrig bleibt, PostCovid, LongCovid. Ich wünsche das niemandem.

Natürlich sind wir alle pandemiemüde und die vielen Menschen, die die Maßnahmen abschaffen wollen, sind mehr und darum lauter, aber rechtfertigt das wirklich, dass darum jene, die Rücksichtnahme bräuchten, einfach ignoriert werden und noch mehr in die Isolation gedrängt werden?

Nicht alles, was gerade weltweit im Argen liegt, hat mit der Pandemie zu tun. Die Pandemie ist meiner Meinung nach ‘nur’ eins der vielen Symptome, an welchem die Menschheit als globaler Körper erkrankt ist, denn letztlich hängt, da bin ich ziemlich sicher, alles zusammen. Der Überbegriff ist ‘soziale Ungerechtigkeit’, daran hängen Klima- und Energiekatastrophe, der Ukrainekrieg, die iranische Menschenrechtsrevolution, wieder aufkommender Faschismus (Regierungen in Italien, Schweden, etc.) und was alles noch im Argen liegt.

Es ist die menschliche Gier nach immer mehr, dieses Ich-zuerst!, immer auf Kosten der Ärmsten (die Menschen und Tiere, die Natur im globalen Süden leiden am meisten an der Klimaekatastrophe, obwohl genau diese am wenigsten dazu beigetragen haben, dass es soweit gekommen ist … das ist bei fast allen Themen so.).

Wir können nicht viel an den großen Stellschrauben machen, aber wir können immerhin im Kleinen versuchen, mitfühlend und solidarisch zu sein.

Der neunte Tag und endlich ein kleiner, vorsichtiger Optimismus

Vor neun Tagen hatten wir die ersten Symptome. Von Anfang an habe ich privat darüber Tagebuch geschrieben.

Ich frage mich zwischendurch immer mal, ob es sinnvoll – im Sinnne einer Art öffentlichen Archivierung/Chronik – und möglicherweise sogar hilfreich für andere sein könnte, wenn ich (gelegentlich) mein privat verfasstes Corona-Tagebuch hier veröffentliche. Ich denke da noch darüber nach. Immerhin ist es ja noch nicht ausgestanden.

Die ersten Symptome waren beim Liebsten stärker als bei mir,. Er hatte ja auch einen Tag Vorsprung. Ich habe drei Tage lang ‘nur’ ein leicht benommenes, mit Schluckweh einhergehendes Unwohlsein mit Müdigkeit und matschigem Kopf, erst ab Tag 3, abends, kippt es. In dieser Zeit ist es Irgendlink, den das Virus regelrecht und buchstäblich für etwa sechzig Stunden in die Knie, respektive in die Horizontale zwingt.

Als er langsam wieder auftaucht, fängt es bei mir an, aber so richtig. Das Schluckweh glüht bis in die Ohren und die Temperatur klettert für über drei Tage – achtzig Stunden – stabil über 38 Grad. Einzig wenn ich ein Ibu futtere, sinkt sie für einige Stunden.

An Tag 2 annulliere ich traurig meinen 2. Booster-Termin. Schade. Knapp verpasst. Ich hätte ja lieber einen Impfarm als Covid gehabt.

Der PCR-Test vom – Tag 2 – ist noch negativ und auch die Selbsttests bleiben bis Tag 3 negativ, weshalb wir uns in der Wohnung mit Maske begegnen, außerdem haben wir getrennte Schlafzimmer, viel Lüften. Viel dösen, viel Hörbuchhören (ich), ab und zu ein bisschen Lesen, Social Media, Filme gucken.

Ich weiß innerlich spätestens ab Tag 4, dass ich positiv bin, aber den nächsten Schnelltest mache ich doch erst am Tag 6, weil ich kaum mehr Tests habe und damit ich an Tag 7, einem Samstag, nochmals zum Testen (für Statistik und Sicherheit) in die Apotheke gehen könnte. Was ich dann auch tue. Und der Liebste auch. Wir fahren nämlich, da es ihm zum Glück inzwischen deutlich besser geht, an die deutsche Grenze, wo er seine Tests (Schnell- und PCR-) gemacht bekommt und ich die online bestellten neuen Tests im Paketshop abholen kann. Beide sind wir positiv, auch noch am siebten Tag seit Symptombeginn. So ist das nämlich.

Seit Tag 7 ist mein Fieber auf dem Rückzug. Nur noch ab und zu guckt es noch raus. Was bleibt, sind Halsweh, Husten, Schnupfen und Schlappheit. Und dieses matschiges Gefühl im Kopf. Konzentrationsprobleme. Mitten im Satz nicht mehr wissen, was ich sagen wollte. Und immer wieder Erschöpftsein nach kleinen Tätigkeiten.

Letzte Nacht der Umzug zurück ins Schlafzimmer. (Ciao Sofa, war schön mit dir!)

Heute ist das Schluckweh endlich nur noch ein kleiner Nachhall, der Schnupfen schleicht sich ebenfalls langsam davon, noch brennen die überreizten Schleimhäute. Zum Glück ist der Husten ziemlich zur Ruhe gekommen.  Alles dauert bei mir länger als sonst.

Als Privileg empfinde ich, dass wir diese Krankheit, hier bei mir, Seite an Seite durchstehen konnten, uns gegenseitig unterstützen, mit Zugang zu Badewanne und Co., und mit zwei Rückzugsräumen. Dazu liebe Freund*innen im echten und im virtuellen Leben, die Mut machen und liebe Nachrichten schicken, die nachfragen und Hilfe anbieten. Das macht uns sehr dankbar.

Vermutlich hatten wir einen sogenannt leichten Verlauf, obwohl ich mich nicht erinnern kann, je vorher mal soo krank gewesen zu sein. Hoffentlich sind wir bald wieder ganz genesen. Und noch hoffentlicher bleibt nichts von alledem zurück.

Aber was wäre wohl gewesen, wenn wir die Ur-Variante (oder Delta) dieses Shaiz-Virus – dazu noch ungeimpft –, bekommen hätten? So ‘leicht’ – äh, leicht war es nicht wirklich – wären wir vermutlich nicht davon gekommen.

Und ausgestanden ist es ja, wie gesagt, noch immer nicht. Aber da ist wieder vorsichtiger Optimismus irgendwo.

+++

Bitte tragt euch und euren Mitmenschen Sorge, lasst euch impfen und/oder boostern und tragt Masken. Für jene, deren Immunsystem nicht so stabil ist, aber eigentlich für alle.

Absurde Welt

Gestern Vormittag erhalte ich bei der Arbeit die Nachricht einer Vorstandfrau. Wir waren uns letzten Samstag begegnet, da sie von mir ein Bild für unsere Buchkolumne machen wollte. Für ein paar Minuten hatte ich mir dafür die Maske vom Gesicht genommen. Die Maske, die ich noch immer, als Einzige, trage. Selbst die meisten unserer Kund*innen verzichten größtenteils auf diesen Schutz, den unsere ach so kompetente Regierung inzwischen ja für überflüssig erklärt hat. Ein paar Minuten nur hatte ich sie nicht auf, nur während des Fotografiertwerdens und während wir uns übers Handy gebeugt die Bilder anschauen.

Gestern Vormittag also entschuldigt sie sich per Chat dafür, noch nicht zum Bildversand gekommen zu sein, da sie Covid habe. Aha. Gut, dass ich das auch noch erfahre. Ob sie denn den Code schon in die App eingefügt habe, fragte ich zurück, damit alle Betroffenen informiert werden und sich testen lassen können. Nein, schreibt sie zurück, sie habe die App letzte Woche gelöscht.

Ich rolle mit den Augen und tausche mich mit der Arbeitskollegin aus, wie ich nun offiziell an einen PCR-Test kommen könnte, so ohne rote Warnung in meiner Warnapp. Symptome zu haben könnte reichen, meint sie. Das habe jedenfalls bei ihr gereicht. Doch sind meine aktuellen und akuten Symptome – laufende Nase, rauer Hals, dumpfer Kopf – denn Zeichen eines erneuten Allergie- respektive Unverträglichkeitsschubs, eine banale Erkältung vielleicht sogar oder tatsächlich Covid? Und vor allem: Wie mache ich das denn jetzt mit dem Liebsten, der genau jetzt im Zug zu mir sitzt und zu den besonders schützenswerten da vorerkrankten Menschen gehört?

Ich benachrichtige ihn, damit er gewarnt ist, wenn ich ihn vorerst nur mit Maske begrüßen werde. Doch zum Glück hat er die neu bestellten Tests im Gepäck, die angeblich Omicron zuverlässig anzeigen sollen.

Ich werde leicht panisch. zugegeben. Nicht nur davor, selbst Covid zu bekommen, sondern auch und vor allem davor, andere Menschen anzustecken; das ist im Grunde seit Pandemiebeginn meine größte Angst. Und ja, ehrlich gesagt  rege mich auch über die Vorständin auf, die vermutlich kaum jemanden über ihre Coviderkrankung informiert hat. Und dass sie die App gelöscht hat. Sie schreibt, ihre Familie sei putzmunter, die – so erfahre ich von der Kollegin – allerdings schon Covid gehabt hat. Ich finde das fahrläßig.

Später hole ich Irgendlink am Bahnhof ab. Wir setzen uns in den Park zwischen Bahnhof und Zuhause und packen die Tests aus. Mein Test ist hoffentlich zuverlässig und zeigt ein negatives Ergebnis an. Ich glaube es ihm jetzt einfach mal.

Negativer Covid-Test auf weißem Hintergrund

Am Abend, als wir es uns auf dem Sofa gemütlich gemacht haben, blinkt auf einmal auf Irgendlinks Handy eine rote Nachricht auf. Die berüchtige rote Kachel der Covidwarnapp, die einen gleichentags gehabten Kontakt als inzwischen ‘positiv‘ erklärt. Ein*e Mitfahrer*in im Zug hat vermutlich am Abend den Code bekommen und in die App eingefügt. Oder so. (Apropos Fahrläßigkeit: Ich frage mich, wie jemand, der möglicherweise positiv ist und auf sein Testergebnis wartet, noch munter im Zug herumfährt – wenn auch mit Maske*.) Zum Glück hat Irgendlink über seiner FFP2-Maske noch den Urbandoo getragen.

Beide haben wir nun also – wenn auch mehrheitlich mit Maske – einen nahen Kontakt zu jemandem gehabt, der aktuell nachweislich Covid hat. Da auch Irgendlink sich seit Tagen schlapp fühlt und zuweilen die Nase läuft, sind wir beide alarmiert.  Er hatte außerdem am Montag eine möglicherweise riskante Begegnung gehabt. Was also tun? Ob wir uns für einen PCR-Test melden sollten oder abwarten und in zwei Tagen weitere Selbsttests machen? Es ist alles so unklar.

Und ja, ich fand und finde ja den in der Schweiz beschlossenen Maskenverzicht verfrüht. Menschen mit Vorerkrankungen, alte Menschen, Risikopatient*innen sind auf sich selbst gestellt. Dieser fahrläßige Umgang unserer Regierung mit der aktuellen pandemischen Lage ist unverantwortlich und gefährlich.

Passt gut auf euch auf!

——-

*Später erfahre ich, dass in D auch positive Schnelltests in die App eingefügt werden können, je nach Test-Center.

Falsche Rücksichten

Manchmal wünsche ich mir die Naivität zurück, die ich noch vor wenigen Jahren hatte: Den ziemlich festen Glauben daran, dass wir als Gesellschaft das Steuer nochmals herumreißen können. Die Illusion, dass wir alle es im Grunde gut miteinander meinen und unser Bestes geben, um die Welt einen lebenswerten Ort sein zu lassen oder sie wieder zu machen.

Die letzten zwei Jahren haben meine Naivität und meine Illusionen nachhaltig zerstört.

Die aktuelle Lage ist desolat. In vielerlei Hinsicht. Klimakatastrophe und Pandemie. Das Virus breitet sich wieder fast ungezügelt aus. Es bräuchte dringend Maßnahmen. Für alle. Leider auch für jene, die geimpft sind. Doch unsere Regierungen sind stagniert, resigniert vermutlich, und lassen uns im Stich.

Ich habe ehrlich gesagt Angst davor, dass wir da nie wieder rauskommen, weil es immer wieder Menschen gibt, die sich dagegen sperren, solidarisch zu sein. Spaltung!, rufen sie. Und genau jene Menschen, die über Spaltung jammern, tragen meiner Meinung nach am meisten zur Spaltung bei. (Ob diese meine Meinung objektiv wahr ist, lässt sich wohl nicht feststellen.) Am meisten auf die Nerven geht mir die Diskussionen auf den einseitigen Anspruch auf Schonung jener, die sich impfen lassen könnten, es aber nicht tun.

Sollen wir also lieber weiterhin Rücksicht auf
a.) die wenigen Lauten und Gesunden, welche die Impfung (angeblich) ’nicht brauchen’ und darum unerwünschterweise an der Durchseuchung der Gesellschaft arbeiten,
nehmen, oder sollen wir uns wieder, wie am Anfang auf
b.) jene konzentrieren, die des Schutzes wirklich bedürfen, weil die Impfstoffe bei ihnen unzureichend wirken, weil sie krank, alt oder zu jung für eine Impfung sind, oder aus anderen Gründen besonders verletzlich.

Nein, es sind nicht die die Schwächsten der Gesellschaft, die sich heldenhaft nicht impfen lassen wollen (Betonung auf wollen), denn sie haben eine Wahl und bekunden mit ihrer Weigerung ihren freien Willen.

Die Schwächsten sind die, die keine Wahl haben. Kinder, Alte, Menschen in Pflegeheimen …

Ich freue mich für alle, die geimpft oder ungeimpft ihre Covid-Infektion gut überstanden haben. Gratuliere! Ihr seid privilegierte Menschen. Doch leider haben nicht alle so viel Glück. Es gibt nämlich keine Garantie für einen milden Verlauf und es ist nicht euer Verdienst, wenn eure Erkrankung glimpflich verlaufen ist, es ist schlicht ein Privileg.

Denn Gesundheit – machen wir es uns mal wieder bewusst –, Gesundheit ist ein Privileg, ein Geschenk, vielleicht Veranlagung und Erbe, vielleicht Zufall, aber Gesundheit ist sicherlich kein Verdienst. (Obwohl es natürlich helfen kann, wenn wir gut zu uns zu schauen in der Lage sind.) Trotzdem zählt vor dem Virus Vorgesundheit nicht wirklich und nicht immer. Manch vorher superfitter gesunder Mensch hatte einen schlimmen Verlauf. Oder zwar einen milden, leidet aber noch viele Monate später unter LongCovid – ohne Garantie, ob sich der Körper je wieder von diesem Infekt erholen wird.

Denn Krankheit ist etwas, das allen passieren kann. Auch jenen, die sich Sorge tragen. Krankheit ist keine Strafe. Kein Selbstverschulden.

Vor zwei Jahren, also noch vor der Pandemie, hat der Journalist Christian Kreil für Der Standard einen sehr spannenden Artikel über den Graben zwischen der sogenannten Schulmedizin und der Alternativen Medizin geschrieben. Und über die Impffrage. ( https://www.derstandard.de)

So viel ist klar: Ich werde den Begriff Schulmedizin nicht mehr verwenden, da ich jetzt seine heikle Herkunftsgeschichte kenne.

Ich zitiere:

»Impfgegner aus alternativen, grünen und veganen Milieus reagieren in der Regel verschnupft bis empört, wenn sie auf diese Geistesverwandtschaft angesprochen werden. Allerdings gedeiht die Attitüde der Seuchenfreunde nicht im ideologischen Vakuum. Die sprichwörtliche Anti-Vax-Mom der Gegenwart, die ihr Kind mit keinem “Giftcocktail” von “Big Pharma” “vollspritzen lassen” will, die stand schon 1933 Modell – in einem Sonderdruck des Nazi-Hetzblatts “Stürmer”. Die Anti-Vax-Mom der Nazis ist blond und hält ein deutsches Baby am Arm. Der “naturferne und verirrte Mediziner” hat eine Spritze in der Hand und eine Hakennase. Der Stürmer legt der Frau die Worte in den Mund: “So ist mir sonderbar zumut – Gift und Jud tut selten gut.”

[…]

Der Rechte wünscht sich die Auslese der Lebensunwerten durch die Natur, was uns nicht umbringt macht uns stärker. Das vulgär-darwinistische Denken hat überdauert. Wer heute in “impfkritischen” Foren Diskussionen verfolgt, wird das entlang zweier Phänomene beobachten: Zynismus gegenüber Kranken und Verklärung von Krankheit.

Die Natur sortiert Schwache aus – das gefällt Impfgegnern

Maserntote von heute sind nicht etwa Opfer der Impfmüdigkeit. Sie hätten – Impfungen hin oder her – ohnehin eine zu “schwache Konstitution.” Mit anderen Worten: Die Natur putzt aus, die Schwachen bleiben zurück. Die Krankheiten der eigenen Kinder werden als Stahlbad eines natürlichen Erwachsenwerdens verklärt, mitunter mit bizarren Vergleichen. Die von der Anthroposophie begeisterte Schauspielerin Sara Koenen vergleicht die Masern ihrer Kinder in einem Aufsatz mit einer Bergtour. “Wir feiern die gesunde Wiederkehr von der großen Masern-Bergtour.” Während der Masern musste eines ihrer Kinder mit Fieberschüben jenseits der 40 Grad übrigens im Krankenhaus versorgt werden. Trotzdem schwärmt Koenen rückblickend: “Mit Ehrfurcht erfüllt mich der Berg. Manche sind umgekehrt. Manche haben es nicht geschafft.” Das sind die Schwachen, und das ist damals wie heute offenbar gar nicht so schlecht.«

Quelle: Standard.at

Über die Schwelle

Es ist der erste Schritt, der mir am schwersten fällt. Der Schritt über die Wohnungsschwelle. Auch die nächsten fallen schwer. Wenn ich über die Haustürschwelle getreten bin und  draußen stehe, muss ich noch immer  Widerstände überwinden. Als wäre die Wohnung ein Magnet. Das Haus zu verlassen braucht Kraft. Als schwämme ich gegen den Strom, wenn ich das Haus verlasse. Wenn ich in die Welt hinaus gehe.

Falls es nur ein Spaziergang durch das Dorf oder den nahen Wald ist, sind die Widerstände weniger heftig als wenn mich die Reise in die weitere Umgebung, in die Ferne gar, führt. Zum Liebsten, zu Freundinnen, in die Berge womöglich oder – man wird ja wohl noch träumen dürfen! – ans Meer.

Sind es nur meine Widerstände, die in den letzten anderthalb Jahren gewachsen sind? Nein, wohl nicht, denn ich höre ähnliches bei anderen. Und das, obwohl hinter und unter allen Widerständen diese ungeheuerliche, diese von ganz tief innen und unten nach oben schwappende Sehnsucht nach Ferne, nach Weite, nach raus ans Meer, nach Reisewind um die Nase, nach Tapetenwechsel lebt.

Und da ist auch diese Müdigkeit, diese Erschöpfung vom Immer-Gleich, die mich zermürbt. Sogar mich zermürbt, mich, die ich ja aus gesundheitlichen Gründen schon länger isoliert lebe, mich, die ich mich als eine mit Rückzugerfahrung bezeichne. Und wenn schon in mir drin dieses Ziehen ist, dieses Sehnen, dieses Vermissen von Unterwegssein, wie viel mehr muss es erst in Menschen ziehen, die in ihrem vorpandemischen Alltag häufiger als ich unterwegs waren, verreisten, sich unter Menschen bewegten.

Ja, ich verstehe alle Leute, die wegfahren und die wegfahren wollen. Das haben wir uns alle doch wirklich verdient, ne? Manche fahren sogar weit weg. Manche besteigen sogar Flugzeuge, denn die Erde ist ja eh dem Untergang geweiht – brennend, glühend, überflutend –, da wird ja ein Flugzeug mehr oder weniger keine Rolle spielen. Und den Klima-, Virus-, Kriegs- und Armutsflüchtlingen auf der ganzen Welt nützt es ja auch nicht, wenn ich jetzt nicht in dieses Flugzeug steige.

Ja, wirklich, ich verstehe es. Obwohl ich ethische, moralische und ökologische Widerstände habe. Da komme ich nicht gegen an. Und es geht mir ja dabei noch nicht mal nur ums Klima, es geht mir auch ums Virus. Oder sagen wir mal um Solidarität mit der Gesamtmenschheit. [Ich sehe  ja manchmal comicartige Szenen vor meinen inneren Augen: Das Virus, wie es mutiert, weil die Menschen es ihm gerade so superleicht machen. Und weil es so viel Spaß macht, sich in all den dummen Menschen weiterhin zu vermehren.]

Ob wir noch Hoffnung haben, fragte neulich jemand per Umfrageformular auf Twitter. Ich klickte die Option ’kaum’ an und war damit in bester Gesellschaft. Noch mehr hatten ’nein’ angeklickt. Die, die noch Hoffnung haben, waren in der Minderheit. Nicht repräsentativ, ich weiß.

Autorisiert uns die persönliche Hoffnungslosigkeit zu Nach-mir-die-Sintflut-Handlungen? Ist es nicht längst zu spät? Und was ist mit all den Kindern und Jugendlichen?

Puh, so kann ich doch diesen Text nicht enden lassen.

Wie war das gleich noch: erste Schritte? Nun ja, vielleicht verlassen wir ja das Haus diesen Sommer doch auch und fahren wohin. Mal schauen. Denn ja, Tapetenwechsel würde gut tun. Wirklich. Endlich mal wieder raus.

Ich übe und gehe jetzt mal ins Dorf. Einen Brief einwerfen, Geld ziehen und  den Jahresbeitrag für die Bibliothek bezahlen. Denn sollte morgen die Welt untergehen, lese ich doch heute noch ein paar Seiten in einem guten Buch.

Immer wieder neu denken

Veränderungen mag ich nicht wirklich. Jedenfalls nicht jene, die ich nicht selbst beschlossen oder zumindest mitentschieden habe.

Das letzte Jahr aber hat (wohl nicht nur) mich mit einigen Veränderungen konfrontiert, die ich so nicht gewählt hätte, hätte ich denn eine Wahl gehabt. Corona zum Beispiel.

Vom Virus lehrt lerne ich eins: Demut. Zu wissen, dass wir diese Krise – ebenso wie die Klimakrise – nur gemeinsam schaffen, hilft mir dabei, die persönlichen Schleifspuren der aktuellen Lebensphase besser zu ertragen. Die Geschichte lehrt uns, dass Gesellschaften, die ein kollektives Bewusstsein haben, Krisen besser schaffen als jene, in denen das Individuum das Maß aller Dinge ist. Ein aktueller Blick in das eine oder andere Land betätigt diese Erkenntnis.

Ich glaube ja nicht, dass uns ’das Leben’ Dinge absichtlich lehren will oder dass wir gar diese Leben hier leben, um zu lernen. Was ich aber glaube, ist, dass wir laufend dazulernen sollten, wenn wir als menschliche Gemeinschaft überleben, gut leben wollen.

Bei allem kollektiven Bewusstsein mit all den globalen Herausforderungen trägt jede:r von uns auch ihren:seinen eigenen Rucksack. Ich bin keine Ausnahme, denn seit etwas über einem Jahr bin ich krank. Mal mehr, mal weniger. Natürlich dachte ich im Frühling an Covid, doch mein Antikörpertest war negativ. Also suchte ich weiter. Reizdarm? Allergien? Borreliose? Die Nadel im Heuhaufen suchen, nannte es meine Hausärztin. Dank einer lieben Freundin kam ich im Herbst auf die Idee, mal bei der Ernährung genauer hinzuschauen, und siehe da: Als ich ohne Histamin zu kochen begann, ging es mir innert kurzer Zeit deutlich besser.

Seit ich das herausgefunden hatte, suchte ich nach einem hefefreien Alltagbrot, das ich mit wenig Aufwand und ohne exotische teure Zutaten aus dem Ärmel schütteln kann. Und das vor allem gut schmeckt.

(Da ich noch nicht ganz sicher bin, wie es bei mir mit Gluten ist, habe ich mich bei der Rezeptsuche an glutenfreiem Backen orientiert, mich also auf Flohsamenschalenmehl als Bindemittel fokussiert. Statt Hefe oder Sauerteig verwende ich Weinsteinbackpulver, das ich sehr gut vertrage.)

Gluten- und histaminfreies Reis-Hafer-Brot

20 g Flohsamenschalenmehl
5,5 dl Wasser – Beides gut mischen, damit es keine Klumpen gibt, und den Mix eine Stunde (oder länger) quellen lassen.

160 g Reisvollkornmehl
130 g Hafervollkornmehl (ich mahle Vollreis und Bio-Haferflocken im Nussmahlaufsatz meines Standmixers fein)
95 g Kartoffelmehl (aka Kartoffelstärke)
40 g Tapiokamehl (geht vermutlich auch mit Maisstärke)
50 g Leinsamen, geschrotet
30 g Kürbiskerne (wer mag, oder auch andere Kerne)
1 TL (5 g) Steinsalz
20 g Weinsteinbackpulver – alles gut mischen
1 EL Öl
1 EL Branntweinessig oder Verjus – dazugeben und mischen

  1. Mehlmischung und Flohsamenschalen-Gel sehr gut mischen und kneten, bis eine homogene, dichte Masse entstanden ist.
  2. Einen länglichen Brotlaib formen und in eine gefettete Kastenform geben. Die Oberfläche glattstreichen und einschneiden. Während der Vorheizzeit das Brot noch etwas quellen lassen.
  3. Ofen auf 220°C Ober- und Unterhitze (keine Umluft!) vorheizen. Eine ofenfeste Schüssel mit Wasser füllen und auf den Backofenboden stellen.
  4. Die Backform auf mittlerer Schiene 10 Minuten bei 220°C backen. Danach auf 200°C stellen und das Brot für weitere 80 Minuten backen.
  5. Brot aus dem Ofen nehmen und auf einem Gitter abkühlen lassen.

Es schmeckt übrigens so richtig nach Brot!

Dass ich zurzeit keine Tomaten essen kann, da gerade diese sehr histaminhaltig sind, hat mich am Anfang sehr genervt, doch InternetseitDank fand ich da und dort das eine oder andere Rezept und ich fand heraus, dass sich sogar Tomatensauce ersetzen lässt.

Pizza-und-Pasta-Sauce
(rote Basissauce, für 2-3 Personen)

1/2 Zwiebel
2 gehobelte Karotten
(alternativ: 1 Stück rohe Rote Beete/Randen*)
1/2 rote Paprika
wenig Wasser
Steinsalz
süßes Paprikapulver – alles zusammen weichdämpfen
(*alternativ: 1/4 Knolle Rote Beete/Rande (gedämpft, pasteurisiert) sehr fein würfeln und mitkochen bis alles schön rot ist.) alles im Mixbecher (wegen Spritzer) pürieren.

1/4 dl Kokosmilch (oder Pflanzenmilch oder was geht)
1/4 dl Wasser
1-2 EL Maisstärke – anrühren

  1. Gemüsepüree und Milch-/Stärkemix mischen und kurz aufkochen.
  2. Mit Gewürzen und Kräutern nach Gusto abschmecken.
  3. Wie Tomatensauce verwenden für Pizza oder Pasta.
Histamin- und glutenfreie Pizza
Histamin- und glutenfreie Pizza

(Den Pizzateig habe ich übrigens analog zu obigem Brotrezept gemacht. Zutaten: 90 g Reismehl, 30 g Kartoffelmehl, 10 g Tapiokamehl, 6 g Weinsteinbackpulver, 7 g Flohsamenschalenmehl, 1,5 dl Wasser (nachträglich ergänzt), 1/4 TL Steinsalz, wenig Olivenöl und wenig Branntweinessig/Verjus)

Pastasauce mit Gemüse
(für 1 Portion)

2/3 relativ große Karotte, fein gereiben
1 TL Kokosfett
wenig Wasser – weichdämpfen
bisschen pasteurisierte oder gedämpfte Rote Beete (Rande), fein geschippelt oder gerieben – mitdämpfen

Würzen mit
Steinsalz
bisschen Apfeldicksaft (oder Zucker oder was man mag)
bisschen Branntweinessig
verträglichen Gewürzen (süßes Paprikapulver, Curcuma etc.)

  1. Gemüse nach Wahl*, fein geschnitten/gewürfelt – dazugeben und weichdämpfen
    (*z. B. Zucchini, 1/3 Karotte, Paprika etc.)
  2. Wenig Kartoffelstärke, mit Pastawasser aufgerührt – zugeben, kurz mitkochen
  3. Herd ausschalten, zur Krönung Kräuter nach Wahl und Verträglichkeit zugeben.
Meine rote Gemüsesauce aus dem Rezept
Meine rote Gemüsesauce aus dem Rezept

Ich gestehe, dass es mir hin und wieder, trotz meiner Ambivalenz Veränderungen gegenüber, doch auch Freude macht, manche Dinge neu zu entdecken. Das Kochen zum Beispiel.

Notizen am Rande #6

Andere Wortmenschen in meinem Umfeld schreiben zuweilen, dass es nichts zu erzählen gäbe, weil ja nichts passiere, was die Frage aufwirft, wie viel Stimulanz wir von außen brauchen, um etwas erzählen zu können.

Wie steht es mit der bildenden Kunst? Ist Erzählen, ist Kunstschaffen wirklich nur eine Reaktion auf Geschehnissem, auf die sich verändernde Welt in Resonanz, in Relation und in gleichsam planetarischer Konjunktion zur:m Kunstschaffenden?

Brauche ich zwingend – und wenn ja wie viele – Reize, um zu kreieren? Brauche ich gar Reize um zu überleben?

Dieses ’Nichts’ ist – so behaupte ich – in unserer dualen, materiellen, sich ständig wandelnden Welt eine Illusion. (Möglicherweise taugen statt ’nichts’ Begriffe wie ’reizfrei’ oder ’reizarm’.)

Diese für viele verlangsamte, ereignisarme Zeit, die wir gerade durchleben, lässt sich möglicherweise künstlerisch als Chance begreifen, wieder mehr auf die leisen Reize zu hören und zu blicken.

+++

Irgendlink bloggte gestern über Altlasten in Abstellkammern, unspaltbare Holzstapel und das Altwerden am Holzofen.

»Unsere Räume und Umgebungen, Sphären unseres materiellen Seins sind zugerümpelt mit Ideen und Könntemanmals. Vor ein paar Tagen dachte ich, Aufgeben, nur Aufgeben, oder um es positiver auszudrücken, Loslassen, kann dich noch retten und sieh dich doch mal um hier, es sind ja nicht nur die eigenen Träume und Ideen, die auf dich eindreschen, da ist ja noch das Erbe deiner Vorfahren. […] Es gibt alleine sieben Schubkarren, teils uralte Dinger, vermutlich gar welche, mit denen die ersten Reichsautobahnen schon gebaut wurden … zuviel zuviel zuviel. Zuviel Dinge. Zuviel Träume. Zuviel Blockaden.

Nicht so gestern. Komischerweise waren sich Hirn und Körper einmal einig und so spaltete ich das gesamte Pappelholz – wirkliche Schufterei. Geht doch, dachte ich.« (Zitat)

Ich antworte:
»Geht doch, aber nur manchmal, nämlich dann wenn es zu einer Konjunktion von Geist und Körper kommt, die wie Planeten ihre ganz eigenen Umlaufbahnen haben, ihre ganz eigenen Gesetzmäßigkeiten.«

+++

Ich beobachte bei mir, dass ich bei Menschen, die ich persönlich kenne, weniger Angst habe, mich von ihnen mit Covid anzustecken als bei mir unbekannten Menschen.

Eine trügerische Annahme, wenn man bedenkt, dass sich mutmaßlich die meisten Menschen im privaten Umfeld anstecken.

Natürlich spielt es eine große Rolle, wie sich jede und jeder Einzelne verhält, aber letztlich können wir uns überall anstecken.

+++

In meinem Kanton kann man sich seit zwei Wochen auch als Normalsterbliche:r für die Covid-Impfung registrieren. Hab ich gemacht. Online. Vermutlich wird nach Dringlichkeit geimpft und danach nach dem Prinzip Wer-zuerst-kommt-kriegt-zuerst. Das finde ich zwar ethisch fragwürdig, weil so Menschen, die keinen Internetzugang haben und/oder von dieser Möglichkeit nichts mitbekommen, benachteiligt sind. Andererseits sehe ich es auch aus einer anderen Perspektive. Viele wollen eh erstmal abwarten, heißt: wenn die Versuchskaninchen es gut überleben, lassen sie sich auch impfen.

Oke, dann bin ich halt ein Versuchskaninchen. Die braucht es ja auch, sonst könnten die andern ja noch lange warten. Ich betrachte nämlich diese pandemiebedingte Impfung nicht nur als Schutzmaßnahme für mich allein, sondern und vor allem als notwendiger Solidaritätsakt, damit wir bald eine Herdenimmunität erreichen und wieder ’normaler’ leben können. Ich sehe es als (m)ein Dienst für die Gemeinschaft sozusagen.

Mittendrin. Nur mal so.

Wie werden wir diese aktuelle Zeit wohl später im Rückblick betrachten? Ich hoffe sehr, dass wir uns daran erinnern werden, dass wir alles für uns und die Mitwelt Machbare und Beste getan haben werden. Und dass wir uns nicht für unsere Begrenztsein verurteilen werden.

Ich finde ja, dass diese aktuell auf Teufel-komm-raus praktizierte ’Normalität um jeden Preis’ für uns alle nicht unbedingt das Hilfreichste und Gesündeste ist, auch wenn vertraute Strukturen natürlich dabei helfen, auf dem Weg, den wir gehen, zu bleiben.

Wie auch bei einer Krankheitsdiagnose, die Klarheit schafft und dabei hilft, die passende Therapie zu finden, fände ich es allgemein gesünder, wenn wir als Gesellschaft akzeptieren, dass wir in einem Ausnahmezustand leben. Und dass wir nicht die gleichen Maßstäbe benutzen sollten wie im Normalmodus – bezogen auf Corona ebenso wie auf die Klimakrise.

Ich bin der Meinung, dass wir uns nicht um jeden Preis und schon gar nicht auf Kosten der Gesundheit ’normal’ verhalten müssen, sondern Wege für uns suchen, die uns dabei helfen, so gesund wie möglich zu bleiben und zu werden, mental und physisch.

Da draußen

Wie schrieb gleich Herr Buddenbohm vor ein paar Tagen über das viele Nichts da draußen in dieser auf Pause gestellten Welt?

»Ich habe in mehreren Blogs eine Zeile oder einen Satz gelesen, der in etwa besagte, dass gerade nichts passiere, dass man nichts mehr schreiben könne. Dann folgte dennoch überall ein längerer Text, natürlich war das so, wie das bei uns schreibenden Menschen nun einmal ist – wenn nichts ist, dann befinden wir das immer noch und gründlich, dass nichts ist, und wir erklären das Nichts allen ganz genau. Es ist allerdings tatsächlich nichts oder doch verdammt wenig.«

Nun, ich schaute es mir auch an, dieses Nichts. Zumal sich das Wetter offenbar entschieden hatte, mit dem endlich doch noch beschlossenen (Beinahe-)Lockdown am gleichen Strang zu ziehen. Flockdown*. Also schneite es diese Woche wie noch nie in meinem Leben als Flachländerin. (Ja, ja, lacht nur, deutsche Freund:innen! Auch in der Schweiz gibt’s Flachland. Selbst wenn es natürlich drumrum fast überall hügelig ist, gilt dennoch alles unter – sagen wir mal – fünfhundert Höhenmetern als Flachland. Das Quasi-Gegenteil von Oberland.)

Schnee also. Viel Schnee. Sehr viel Schnee. Nun ja, Schnee ist allerdings nicht wirklich nichts.

Während es schneit ist Schnee zu schippen wenig sinnvoll. Und so schneite und schneite es mit ein paar wenigen Unterbrüchen fast einen Tag lang. Und die Schneeschichten wurden höher und höher.

Die meisten Schneeschipper:innen warten, bis der Schneesegen Pause macht. (Auch jetzt, da ich diese Zeilen schreibe, schneit es wieder. Nicht mehr so dicht wie neulich, und weil es nicht mehr unter Null Grad ist, ist es eher ein nasser Schnee. Dieser Tage habe ich sie alle gesehen, alle Schneearten: die Schneekörner, die Flocken, die Nassflocken, die Schneeschnüre, ach … alle eben.)

Vorgestern, die Sonne hatte sich aus dem Urlaub zurückgemeldet, zog es mich in den Wald. Weit kam ich leider nicht, denn da lagen einige Bäume quer. Manche richtig dick, so dass ich fürs Drüberklettern zu kurz Beine gehabt hätte. Und auch die Lust fehlte mir. Also zurück durch den knietiefen Schnee. Watend. Schöner fluffiger Pulverschnee, der zum Schlitteln und Skifahren perfekt ist. Dachten sich auch viele Kinder, wie ich später sehe, als ich auf Quartierwegen durchs Dorf spaziere und mir wie in einem Skiort vorkomme. Am Dorfhügel unter der Linde sausten sie auf ihren Bobs und Davoser Holzschlitten hinunter, um gleich von neuem heraufzukraxeln. Ein Jauchzen ist in der Luft und mein Herz wird Kind und freut sich.

Viele Leute sind unterwegs. Seit dem ersten Lockdown im März/April 2020 habe ich nicht mehr gleichzeitig so viele Spazierende angetroffen. Alle in sicherem Abstand. Vor den Häusern wird Schnee geschaufelt. Jede und jeder schippt sich den Weg zur Straße frei. Da kommt der Schneepflug und räumt die Straße frei, schwarz, während die kleineren Wege weiß geräumt werden, was bedeutet, dass der Schnee liegenbleibt, aber immerhin platt gedrückt wird. Viele Trottoirs sind nicht begehbar, so dass die meisten Leute auf den Straßen gehen und so die Autos zum Langsamfahren zwingen. Ich sehe viele lächelnde Münder und Augen. Freundliche Worte tanzen da und dort.

Der Schneepflug also. Er macht die Straßen und Wege frei, doch den Pfad zu den Straßen und Wegen freizumachen, liegt an uns einzelnen. Wie im richtigen Leben sozusagen. Denn schippe ich den Weg frei, aber der Schneepflug fährt nicht, habe ich ein Problem. Der Schneepflug fährt, aber ich schippe den Weg zur Straße nicht frei? Auch dann habe ich ein Problem.

So irgendwie denke ich herum, doch jetzt werde ich am besten den Besucherparkplatz freischippen gehen, damit der Liebste später einen Platz für sein Autochen hat.


*Wortschöpfung von Patti Basler

Denkfutter

Oke, zu Anfang ein kleiner unbezahlter Werbespot, doch gleich danach gibt es Denkfutter für jene, die sich gerne damit auseinandersetzen, wie wir Europäer:innen kollektiv auf die Pandemie reagiert haben. [Spoiler: Mit Gekränktsein. (Und ja, das darf natürlich. Reflexion finde ich dennoch wichtig.)]

Vor einem Jahr ungefähr habe ich das virtuelle Republikmagazin entdeckt und lese es seither regelmäßig. Das unabhängige, crowdfinanzierte Magazin publiziert nicht nur täglich um 19 Uhr einen kostenlosen Covid-Newsletter, es veröffentlicht auch laufend gut recherchierte und mit Herzblut verfasste Texte zu innen- und außenpolitischen, gesellschaftsrelevanten, kulturellen sowie gesundheits- und sozialpolitischen Themen. Die Artikel und Kolumnen erscheinen gut aufbereitet und mit größtmöglicher Transparenz. Und Demut. Und Humor trotz allem. Bequem sind sie nicht immer, aber immer lesenswert.

So, jetzt aber fertig Werbung. Lest selbst. Am 4. Januar 2021 schrieb Republik-Journalistin Marguerite Meyer im 19 Uhr-Newsletter :

Manchmal gibt es Texte, die bei der Konkurrenz gedruckt werden, welche man gerne selber publiziert hätte. Ein solcher ist am Wochenende bei der NZZ erschienen. Das Gute ist: Wir können hier darauf verweisen – mit einer Leseempfehlung an Sie. Der Autor Konrad Paul Liessmann, Philosoph und Professor an der Universität Wien, geht einem spannenden Gedanken nach. Die Frage, was das Virus mit uns und der Gesellschaft macht, sei falsch formuliert, sagt er: «Richtig müsste Sie lauten: Wie reagieren wir auf die pandemische Bedrohung?»

Mit einer Kränkung, so Liessmann weiter. Die auf technologischen Fortschritt ausgerichtete Gesellschaft glaube, sie sei unverwundbar. Umso erstaunter sei sie, wenn die Pandemie dem Glauben an die Machbarkeit einen dicken Strich durch die Rechnung mache, schreibt Liessmann. Die Seuche wirft uns zurück – am besten funktionieren archaische Massnahmen wie Isolation, Kontaktvermeidung, Desinfektion. Das Virus habe «unser zur Überheblichkeit neigendes Selbstwertgefühl empfindlich verletzt», argumentiert er. Wir reagierten – aus der Kränkung heraus, dass uns schon nichts passiere – mit Trotz und Wehleidigkeit. Und da sei sie auch schon flöten gegangen, die gerne als modische Tugend viel gepriesene Resilienz.

In der Moderne sei Krankheit nur mehr als individuelles Problem präsent, nicht als kollektives Ereignis, auf das politisch reagiert werden müsse, sagt Liessmann. Und so überwögen für manche Mitglieder der Gesellschaft die texteigenen unmittelbaren Bedürfnisse – das Skifahren-Müssen, das unbedingte Weihnachtsfest, die Fernreise. Der Verzicht darauf tut nicht primär deshalb weh, weil man die Tätigkeiten an sich vermissen würde, sondern – folgt man Liessmanns Argumentation – weil man regelrecht empört ist ob der Unvorstellbarkeit des Verzichts.

Und somit zeigt sich das Dilemma einer Gesellschaft, in der sowohl Glück als auch Probleme individualisiert werden: «Die Krise offenbarte, dass viele ihre individuelle Freiheit ohne jenen politischen und sozialen Rahmen denken wollen, der diese überhaupt erst ermöglicht.»

Quelle: republik.ch

Hier nun einige nicht so bequeme Zitate aus dem oben erwähnten Artikel von Konrad Paul Liessmann (Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien) über die gekränkte Gesellschaft:

Corona zerlegt unser modernes Mindset

Es liegt im Wesen einer auf technologischen Fortschritt gebauten Gesellschaft, dass sie sich für unverwundbar hält. Die Corona-Pandemie macht dem Glauben an die Machbarkeit einen dicken Strich durch die Rechnung. Es fällt uns schwer, Schwäche einzugestehen.

Die oft gestellte Frage, was das Virus mit uns und der Gesellschaft, in der wir leben, macht, war immer schon falsch formuliert. Richtig müsste sie lauten: Wie reagieren wir auf die pandemische Bedrohung? Eine naheliegende, aber selten gegebene Antwort wäre: Wir sind gekränkt. All das, was die moderne Gesellschaft im vergangenen Jahr durchmachen musste, war in ihrem Fortschrittsprogramm nicht vorgesehen. Dieses orientierte sich an Parametern wie Wachstum, Beschleunigung, Optimierung, Sicherheit, Offenheit und Austausch. Seuchen gab es höchstens in Weltgegenden, die weder die europäischen Hygiene- und Gesundheitsstandards noch das unbedingte Vertrauen in eine aufgeklärte Wissenschaft kannten.

[…]

Die gekränkte Gesellschaft ist eine ungeduldige Gesellschaft. Sie kann nicht warten. Und sie hat schon lange auf den Verzicht verzichtet. Vorübergehende Einschränkungen werden deshalb nicht als Unannehmlichkeiten wahrgenommen, sondern als dramatische Einschnitte. Bei der ersten Gelegenheit macht man dort weiter, wo man aufgehört hat, und verlängert damit genau diejenige Misere, der man entkommen möchte.

Von der gerühmten Resilienz, die vor der Corona-Pandemie als neue Modetugend propagiert worden war, ist kaum etwas zu spüren. Eher macht sich Wehleidigkeit breit. Während die Tausende von Toten, die das Virus in nahezu jedem Land bisher forderte, lediglich in der Statistik aufscheinen, ohne dass die damit verbundenen Leidensgeschichten spürbar würden, häufen sich die Berichte über Jugendliche, die schweren seelischen Schaden nähmen, weil sie ein paar Monate auf Präsenzunterricht und Partys verzichten müssten.

[…]

Die Kränkung der gekränkten Gesellschaft sitzt so tief, dass manche die nun angebotene Impfung als Zumutung und weiteren Angriff auf ihre Freiheit interpretieren – so, als wollte man der Forschung und der Pharmaindustrie diesen Triumph einfach nicht gönnen. Zwar werden die Vakzine nicht alle Probleme mit einem Schlag lösen, doch manches liesse sich endlich wieder unter einer anderen Perspektive sehen. Aber auch hier gilt: Es kommt nicht darauf an, was die Dinge mit uns, sondern was wir mit den Dingen machen.

[Weiterlesen]

Quelle: nzz.ch