Nicht angeleint

Letzten Montag um Mitternacht lief mein WLAN-Abo aus, das ich vor einem Jahr, um Geld zu sparen, abgeschlossen hatte, nicht ahnend, wie viele Zusatzkosten ich mir damit an Land geholen würde. 

Mein neues Abo läuft allerdings erst ab nächsten Dienstag. Bis dahin improvisiere ich mit einem mobilen Router mit Datenkarte und dem Prepaid-Guthaben auf meinem Handy. 

Ohne Fixnetz (nur die Combox läuft weiterhin) und allzeit bereitem Netz zu leben, fühlt sich ein bisschen wie Ferien an – trotz der latenten Angst, nicht wirklich gut erreichbar zu sein. Nun ja, auf Reisen praktizieren wir ja diese reduzierte Online-Anbindung regelmäßig, doch daheim ist es doch sehr ungewohnt.

Und ausgerechnet letzte Woche spülte mir das Schicksal ein Lektorat ans Ufer. Thema: Panikattacken. Lektorieren geht offline problemlos, klar, doch die fertig bearbeitete Arbeit zu verschicken, die auf der offlinen Festplatte liegt, stellte mich heute Morgen vor einige Probleme, zumal die Datenkarte … Nein, lassen wir das.

Abhängigkeit. Mir wird bewusst, wie schnell ich mal eben ein Wort in Suchmascinen nachschlage, auf Twitter, Blogs oder Instagram ein Bild hochlade, dies und das über Laptop, Tablet und Handy recherchiere. So ganz selbstverständlich und ohne darüber nachzudenken. Aber auch, wie oft ich mich virtuell mit anderen verbinde, wird mir dabei klar. Verbundensein. ja, denn gerade auch das erlebe ich dank Internet.

Gewss, ich sehe auch Vorteile in dieser unfreiwilligen Offlinephase: Ich surfe bewusster. Ich schaue weniger Filme (Mediathek, TV hab ich ja keinen) und ich lese noch mehr Bücher als sonst. Mit dem Liebsten gemütlich auf dem Sofa abhängen, wie gestern Abend, macht mit Büchern statt Filmen noch mehr Freude. Nein, nicht mehr, eher einfach anders.

Apropos Freude: Da ist auch Vorfreude mit dabei. Auf morgen Abend. Da sind wir in Langnau am Patent Ochsner-Konzert. Meine Lieblingsband ist auf Tournée. Hach.

Fazit: Das Leben außerhalb des weltweiten Netzes lebt sich durchaus angenehm. Und wenn ich, wie nachher, mit dem Liebsten Pizza backen werde, kommt kein Tweet und kein Blogartikel mehr mit.

{Dennoch: Ich freue mich darauf, bald wieder bei euch mitlesen und kommentieren zu können.}

Gedankensplitter

Wieso ist eigentlich Reden im Zug erlaubt? Jedenfalls vor halb neun morgens? Heute ist es lauter als vorgestern. Die Ferien haben begonnen. Eltern mit Kindern machen Ausflüge – so früh schon sind sie munter unterwegs und wollen den Tag auskosten. Zwei Männer plappern viel zu laut über Nichtigkeiten, so dass ich mich in ein weiter entfernteres Abteil setze. Mein mp3-Player ist nicht laut genug, all diese Geräusche zu übertönen. Zumal ich heute ziemlich starken Tinitus habe und nur auf halber Lautstärke hören mag. Ich sehne mich nach meinem Bett. Habe nachts wachgelegen. Kopfkino. Möchte die Decke über den Kopf ziehen, schlafen, Morgenmuffelin ich. (Ob die Depressiven dieser Welt tendenziell morgens eher lieber länger schlafen und die LangschläferInnen dieser Welt tendenziell depressiv sind?)

All diese Gerüche in meinem Zugabschnitt. Muss man Menschen mögen um gerne mit ÖV zu reisen? Rechts von mir Handcrème. Weiter hinten etwas Saures, das an Salatsauce erinnert und gelbgrün riecht. Vor dem Fenster die typischen Emmentaler Häuser mit ihren hohen tiefen Dächern. Nur Häuser und Land. Grün und braun. In den Ohren Red Hot Chili Peppers. Ich träume mich nach Kalifornien. Alles besser als hier im Zug zu sitzen. Warum eigentlich? Weil mir schlecht ist vor Müdigkeit und ich Bammel habe vor all dem Neuen? Kinderlachen dringt durch den Musikschutzmantel. Glücklicher Familienausflug. Soo früh schon.

Wenn neue Leute einsteigen, hilft es, einen Hustenanfall zu haben (ein bisschen übertreiben dient der Sache durchaus). Das Abteil gehört mir allein.

In der Büropause blättere ich im Magazin der Tageszeitung. Von einem jungen Mann lese ich, der sich selbst – weil suizidgefährdet – in die Psychiatrie eingewiesen hat. Dort hat er doch einen Suizid versucht und ist nun zeitlebens behindert. Wie sicher ist die Psychiatrie?, wird gefragt und ein paar Seiten weiter lese ich, dass unsere Gesellschaft an einem kollektiven Heimatverlust leidet. Eine ganze Gesellschaft Heimatloser. Leider fehlt mir die Zeit, den ganzen Artikel zu lesen.

Ich werde dieser Tage von verschiedenen Teammitgliedern in meine unterschiedlichen Arbeitsbereiche meiner neuen Stelle eingeführt. Damit ich die vielfältigen Prozesse verstehe. Notizen mache ich von Hand, begreife, dass ich lesbar schreiben muss, damit ich später lesen kann, was ich geschrieben habe. Nicht nur lesbar, sondern auch logisch.

Am Abend im Zug so viele Leute, dass kein Hustenanfall nützt, zumal ich diesmal die Zusteigerin bin. Dennoch ist es ruhiger als am Morgen. Alle sind allein unterwegs. Und die Parfümgerüche vom Morgen haben sich zum Glück auch im Laufe des Tages verflüchtigt. Direkt erträglich ist es. Ich lese im angefangenen eBook weiter und stelle fest, dass ich mit dem langen Arbeitsweg schon weniger hadere als vorgestern.

Lesen hilft. Immer. Irgendwie.

Nostalgia – Gedanken einer Heimatlosen

Sehnsucht und Heimweh … es gibt sie nur, weil es Liebe, weil es Heimat gibt, spreche ich unterwegs ins iPhone. Schreiben kann ich ja nicht beim Autofahren. Sehnsucht und Heimweh – zwei Schmerzen, die sind, weil wir Fühlende sind. Und warum tut Erinnern meistens weh? Bedeutet das, dass ich damals Fehler gemacht habe? Oder einfach, dass etwas unwiederbringlich vorbei ist? Ich möchte das, was damals war, hier und heute nicht mehr in meinem Leben. Ich lebe jetzt.

Dennoch ist es da, dieses Heimweh, wann immer ich in der Region Bern, wo ich etwa zehn lange Jahre gelebt habe, unterwegs bin – ganz besonders wenn ich Richtung Oberland fahre. Ist es Heimweh längi Zyti, wie die BernerInnen so schön sagen? Muss man einen Weg nur oft genug gefahren, gewandert, geradelt und geschlendert sein, um ihn später als Heimat wiederzuerkennen? Muss man alle Nischen, Schleichwege und Abkürzungen einer Stadt oder eines Dorfes kennen, damit sie Heimat genannt werden dürfen? Müsste dann nicht auch meine aktuelle Wohnumgebung heimatliche Gefühle in mir auslösen – zumal ich ja hier in der Gegend aufgewachsen bin und immerhin etwa fünfundzwanzig Jahre gelebt habe, jedenfalls im Umkreis von etwa zehn Kilometern. Warum überfallen mich diese heimatlich-sentimentalen Gefühle vorwiegend im Kanton Bern? Nur dort wird mir das Herz auf diese ganz bestimmte Art weit und ich fühle mich als Nachhausekommende.

Nach meinem heutigen Recherche-Termin in Thun habe ich mir den Rest-Nachmittag freigegeben.
Du sollst morgen baden gehen!, habe ich gestern – im besten Scheffintonfall – zu mir gesagt. Und zwar sollst du zu deinem Lieblingsbadesee fahren. Und so packte ich, trotz der nicht so tollen Wettervorhersagen, heute meine Badesachen ein. Der Himmel schien sich zum Glück nicht wirklich an die Wettervorgaben halten zu wollen. Jedenfalls kein Regen in Sicht. Nur ein paar Wolken.

Gerzensee_sm

Kurz vor sechzehn Uhr. Ich und der See, allein zu zweit. Das Wasser zwanzig Grad. Wärmer als die Luft. Ich ziehe mich um und steige hinab. Wie schön es doch ist, mich auf dem Rücken zwischen den Seerosenblättern hindurch in die Mitte des Sees treiben zu lassen. Ich schwimme auf dem Rücken, die Ohren im Wasser, und lausche. Nur meine Schwimmbewegungen höre ich so. Wenn ich brustschwimme, höre ich nur die Kühe auf der nahen Wiese, die sich die Neuigkeiten des Tages erzählen, und einen Traktor am andern Ufer des Sees. Eine Stunde später spaziere ich erholt zurück zum Auto. Auf dem Weg zur Straße treffe ich eine Frau. Wir grüßen uns und grinsen uns wissend zu: sie geht dorthin, wo ich war. Der See ruft. Ich bleibe fünf Meter später stehen und drehe mich um. Aber … das ist doch … Im gleichen Augenblick hat sie sich ebenfalls umgedreht und sieht mich an.
Wir kennen uns! Du warst doch ein paar Jahre mit M. zusammen!, sagt sie.
Genau, und du, du bist … Moment, ich hab’s gleich, du bist H.!
Viele Jahre haben wir uns nicht mehr gesehen, darum schwatzen wir ein wenig und dann geht jede ihres Weges. Noch im Auto grinse ich über diesen Zufall.

Wie ich durch Wichtrach fahre, kann ich nicht widerstehen. Ich halte an und überfalle den örtlichen Käseladen, während draußen die Kinder aus dem Schulhaus strömen. Fünf Uhr. Wochenende. Friedliche Dorfszene. Wie ich diesen Augenblick geniesse! Das Teeniegirl vor dem Laden, das, mondän gekleidet, an seinem Smartphone fummelt, will so gar nicht vor diesen altmodischen Laden passen. Bestimmt verflucht sie es, in einem solchen Kuhdorf zu leben.

Ich betrete schmunzelnd den kleinen Dorfladen, wo der Käse, aus der Gegend, noch offen zu kaufen ist, die Joghurts ebfalls aus der Region stammen, alles so kühl und frisch duftet und die Verkäuferinnen alle Zeit der Welt haben. Ich gebe mich als Heimwehbernerin zu erkennen, doch mein falscher Dialekt verrät, dass ich nicht wirklich von hier bin. Nein, konstatiere ich, wie ich Minuten später den Motor wieder starte, auch hier bin ich nicht zu Hause, aber auch dort nicht, wo meine Sprache gesprochen wird … Weder noch. Am einen Ort fehlt mir die richtige Sprache, am andern das richtige Herzklopfen.

Würde ich wieder in der Region Bern wohnen, hätte ich gewiss bald andere Dinge, Orte und Menschen, nach denen ich mich sehnte. So war es schon immer. Ankommen ist leichter gesagt als getan und das Leben ist eben nicht ideal, wie meine Freundin M. so schön sagt. Und wie sich ein Leben ohne Sehnsucht anfühlt, wage ich mir lieber gar nicht erst vorzustellen.

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Bild:
undogmatischer Appspressionismus (iPhoneArt mit Gimpunterstützung)

Alea jacta est

Wenn ein Würfel fällt, zeigt er Zahlen, die wir uns vielleicht so, vielleicht anders gewünscht haben. Aber weil der Würfel eine klare Sprache redet, gehorchen wir ihm. In der Regel. Ähnlich wie wir der Ampel gehorchen (außer wir sind zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs und rennen oder radeln – auf eigene Gefahr – über die Straße). Wir gehorchen und vertrauen Dingen, die sich von uns nicht beeinflusssen lassen, ohne uns groß darüber den Kopf zu zerbrechen. Das Leben ist ja so schon kompliziert genug.

Darum vertrauen wir den andern Verkehrsteilnehmenden unterwegs. Anders könnten wir uns nicht angstfrei ins Auto, aufs Fahrrad, in den Zug setzen. Und wir vertrauen den andern Menschen auf der Straße, dass sie uns nicht auf offener Straße umbringen, sonst könnten wir das Haus nicht verlassen.

Worauf ich hinaus will? Das Leben setzt Vertrauen voraus. Anders ist es unerträglich. Vertrauen in unbeeinflussbare Bewegungen, Vertrauen in die Gezeiten des Schicksals,
Vertrauen in die Entscheidungen unserer Mitmenschen und ihr grundsätzliches Wohlwollen (gepaart mit ihren persönlichen Zielen).

Vertrauen wir also Mächten, die wir nicht kennen und nicht beeinflussen können?

Vertraue ich nicht letztendlich vor allem darauf, dass das Leben, das ich lebe, Teil eines großen Gewebes ist, das, wenn es fertiggewoben ist, ein Bild ergibt. Ein ganzes Bild. Mein Lebensbild. Zusammengesetzt aus Scherben, aus bunten Schnipseln, aus Mörtel, aus Blut- und Schweisstropfen, gewoben aus weichen und harten Stoffen … alles so, weil ich mein Leben so webe, wie ich es lebe – und lebe, wie ich es webe. Weil ich jetzt hier bin und weil ich jetzt diese oder eine andere Weggabelung wähle und dort diese eine oder andere Person treffe. Jeder Mensch, den ich treffe, liefert mir ein neues Teilchen, das ich einbaue. Auf meine Weise. So gesehen ist jedes Leben das Stoffwechselprodukt all seiner Prozesse.

(Ach, übrigens, ich habe bei Stelle zwei zugesagt. Die Würfel sind gefallen. Ab Anfang Juli werde ich mich also wieder in den Mahlstrom der Angestellten einspeisen. Ich freue mich auf mein neues Team und die vertraute Arbeitsgeberin und darüber, wie willkommen ich dort bin. Der Umstand, von ihnen angeworben worden zu sein, macht das Ganze noch stimmiger. Einzig an den langen Arbeitsweg werde ich mich gewöhnen müssen. Ein weiteres Stück Gewebe, das auch seinen Platz finden wird.)

beheimatet

Du hast es schon schön!, sagt B. zu mir, Mutter dreier kleiner Kinder, ständig auf Trab, immer in Bewegung, zum Glück meist gut gelaunt und lebensfroh. Weißt du, deine Freiräume … davon kann ich nur träumen!

Soll ich sagen, dass ich mir manchmal erträume, eine Familie zu haben? Dass Hans im Schneckenloch oft vom Gegenteil träumt? Doch wozu? Wem dient, wenn ich das sage? Sie lebt ihr Leben, ich meins und ab und zu kreuzen sich unsere Wege. Es ist jetzt so, wie es jetzt ist. Und im Grunde hat sie recht. Ich habe es schön. Nicht immer, aber oft. Heute zum Beispiel. Im Bett schreiben. Tee trinken. Danach Yoga und spät frühstücken, den Tag nach meinen Vorstellungen gestalten, die Balance finden zwischen konzentrierter Arbeit und all dem andern, was nicht explizit als Arbeit bezeichnet wird. Life-Work-Balance nannten das die Fachleute auch mal. Als ob Work nicht Teil des Lebens wäre [Arbeit soll entstigmatisiert werden, plädiere ich].

Ich mag mein Zuhause. Meine Räume mit meinen Möbeln, meinen Bildern, meinen Büchern – sie sind mir Heimat. Meine Räume sind die Kleider meines Lebens. Ja, auch meine Kleider sind mir Heimat, Schuhe ebenso. Wenn sie gut eingetragen sind, gut eingelaufen, wenn sie Teil meiner äußeren Hülle geworden sind, die ich auch bin. Heimatgefühl entsteht durch Vertrautheit. Heimat sind Menschen, die mich verstehen. Heimat sind wir meine Zeiten mit dem Liebsten, Gespräche, Lachen, Sein.

Heimat sind mir geografisch definierbare, in Koordinaten fassbare Orte – die rote Bank auf dem Hügel über dem Dorf, wo ich aufgewachsen bin, ein Baum auf dem Schulweg zum Gymnasium (ob er noch steht?), Wege, die ich gegangen bin. Orte, die mit prägenden Erlebnissen verknüpft sind, werden mir Heimat. Schafft die Repetition Heimatgefühle? Sind es die Wiederholung, das Ritual – beispielsweise mein Yoga am Morgen –, die in mir Heimat schaffen, die Vertrautheit und Sicherheit des Absehbaren? Sind es die Dinge, die ich tue, die bewirken, dass ich mich beheimatet weiß, in mir drin, in der Umgebung, in der ich mich gerade aufhalte? Gut möglich.

Auch die Sonne hilft, dass ich mich auf der Erde daheim und willkommen fühle – egal wo. Ja, und die Farben des Lichts, genau, Farben! Farben und Bilder – sie sind eine universelle Sprache, die mir Heimat vermitteln können. Und wo ich sie mich nicht ansprechen, erlebe ich Fremdheit, Heimatlosigkeit, Verstörung. Mit Lärm geht es mir ebenso und mit Menschen, die mich nicht verstehen. Verstehen, verstanden werden, mich verständlich machen zu können – das sind meine Schlüssel um Heimat zu finden. Und hier meine ich jetzt nicht ausschließlich die gesprochene Sprache. Jegliche Bild- und Klangsprachen müssen in meine Herzsprache übersetzbar sein, damit ich in ihnen zu Hause sein kann. Sie müssen mich berühren, ansprechen, bei mir ankommen können, sie müssen in mir drin etwas bewirken, erst dann sind sie mir Heimat.

Es ist unser Herz der Seismograph für Heimat. Das Herz und unser Denken. Wie funktionieren unsere Wert- und unsere Weltbilder? Was glauben und was wissen wir, was interessiert uns, was treibt uns vor- und was rückwärts? Was sind uns Kunst und Kultur? Und wie gehen wir mit all diesen Informationen um? Wie begegnen unsere Innenräume der Außenwelt, entsteht dabei Resonanz? Dissonanz?

Mir sind sinnliche Erfahrungen wie Gerüche Heimat, Klänge und Töne, das Berühren ganz besonderer Dinge – das Brot im Ofen, Grillenzirpen, Vogelgezwitscher, ein von meiner Mutter geerbtes Geschirrtuch. Heimat sind mir meine Gedanken, jene im Kopf ebenso wie jene auf dem Papier oder in meinem Rechner. Auch mein Laptop und mein iPhone sind mir heimatliche Inseln, Orte, wo ich gerne meinen Anker auswerfe, um mich zu sammeln. Und um zu arbeiten. Die Brotarbeit ebenso wie die Kür an meinen Manuskripten, an Bildern, an Blogs. Ja, auch meine Blogs sind mir Heimat. Wie viele Heimaten ich habe! Das stimmt mich dankbar.

Eine darf ich nicht zu erwähnen vergessen: die Musik. Eine ganz wichtige Heimat für mich. Unverzichtbar. Ganz bestimmte Songs. Und auch ganz bestimmte Lieder, die ich zum Beispiel als Kind oder in einer Schwitzhütte gesungen habe. Kraftlieder, die mich von innen heraus nähren. In Musik verdichtet sich für mich Heimat am fassbarsten. Heimatlosigkeit ebenso. Nichts kann so ein- und ausschließen wie Musik. Sie markiert durch ihren Stil, wo ich hingehöre und wo nicht.

Dass Heimat durch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie definiert sein kann, wissen wir. Und dass definierte Heimat auf einmal nicht mehr gelten kann, wissen wir auch. Immer und überall auf der ganzen Welt werden Menschen vertrieben. Heimat wird zu Nicht-Heimat. Zu Heimatlosigkeit.

Als wir vor einem Monat in Berlin waren, bekamen wir von unsern dortigen Freunden die Geschichte Cioma Schönhaus’ mit auf den Weg. Ich habe inzwischen seine beiden Bücher gelesen, die er über seine Jugend als junger jüdischer Bursche in Berlin geschrieben hat und über sein Leben als Passfälscher im Untergrund. Auch von seiner erfolgreichen Flucht in die Schweiz und das Leben, das er seither dort „wie im Paradies“ führt, las ich. Mit großer Betroffenheit. Und dankbar, dass er in meiner Heimat auch seine Heimat gefunden hat. Heimat zu finden, nachdem man vertrieben und zur Flucht gezwungen worden ist – kann es ein größeres Geschenk geben?

Über Heimat nachzudenken verändert meine innere Haltung positiv und ich stelle fest, dass ich es wirklich schön habe. Nicht nur, nicht immer, aber auch. Und immer bewusster.

Links:
Cioma Schönhaus im Schweizer Fernsehen
Buch “Der Passfälscher” bei Perlentaucher
Buch “Der Passfälscher im Paradies” bei books.ch

Zur Erinnerung:
Aktuell stellen wir auf pixartix_dAS bilderblog Bilder verschiedener Künsterinnen und Künstlern zum Thema “heimatlos” aus.

Die Wichtigkeit von Tintenklecksen

Neue Schulhefte bekamen wir zu meiner Zeit noch in der Schule. Mit dem vollgeschriebenen Heft gingen wir zur Lehrerin, die aus dem großen Schrank ein neues Heft zog. War er groß? Ich erinnere mich nur noch, wie es roch, wenn er geöffnet wurde, nach Papier und neuen Farbstiften.

Das neue Heft zu öffnen war wie in ein frisch bezogenes Bett zu schlüpfen. Das Fließblatt, wo lag es – in der Mitte, vorne oder hinten? Ich liebte es, dieses jungfräuliche, schneeweiße, makellose Löschpapier zu betrachten. Seine Struktur, wenn ich genau hinsah, war ein wenig unregelmäßig, wie bei handgeschöpftem Papier, was ich aber damals noch nicht kannte. Wenn ich rauhe Hände hatte (die gab es vom auf-den-Bäumen-klettern und Unkrautjäten), war es nicht schön, das Papier anzufassen. Wie von der quietschenden Kreide auf der Tafel bekam ich davon Gänsehaut.

Sofort setzte ich mit dem Füller meinen Namen in die vorgedruckten Linien vorne auf dem Heft, wohl wissend, dass das Heft am nächsten Tag bereits in Einband-Papier stecken würde. Markieren musste ich das Heft dennoch. Später, in der Oberstufe, kritzelte ich alle möglichen Symbole und Slogans auf die Einbände, die damals bei mir bevorzugt aus Paketeinpackpapier bestanden, denn diese ließen sich am besten bemalen. [Was ist wohl aus all meinen liebevoll und kreativ gestalteten Umschlägen geworden? Nahezu künstlerisch, was ich da in langweiligen Geschichts- und Französischstunden erschaffen habe. Wenn mich meine Erinnerung nicht trügt. Sie schönt gern und oft.]

Ich schweife ab. Das Fließblatt. Jungfräulich weiß, um gleich nochmals das Klischee überzustrapazieren. Es war furchteinflößend, respektgebietend, rechthaberisch, besserwisserisch, denn es kam zum Einsatz, wenn ich kleckerte. Lange weiß blieb es nie. Und war erst der erste Fleck drauf, wurde natürlich auch das Fließblatt in meine Ausdrucksmalereien einbezogen. Tintenblau auf weiß. Pointillismus im Kleinformat. [Eine Ausstellung mit Fließpapier – Art Brut einmal anders.]

Der erste Klecks … wie sehr er doch befreit. Wie schön es doch ist, wenn wir uns Fehler erlauben dürfen. Wie erholsam, wenn wir endlich die Last ablegen können, die wie ein schwerer Rucksack an uns klebt, die Last, perfekt sein zu müssen/sollen/wollen (zutreffendes ankreuzen).

Über den Mut zum Scheitern habe ich schon früher gebloggt – er ist nicht einfach so zu finden. Er wird uns nicht in der Schule beigebracht, wächst erst allmählich aus Lebenserfahrung. Doch auch Mut zum Erfolg ist nicht selbstverständlich. Mit ist er nicht angeboren. Erfolgreich zu sein riecht bei mir allzu oft nach spitzen Ellbogen und noch spitzeren Bleistiften, nach Konkurrenz- und Klassenkampf, nach Streber- und Spießbürgertum, alte Anarchistin ich. Erfolg klingt in meinen Ohren nach Gefangenschaft in gesellschaftlichen Rollen und Zwängen.

Erst allmählich, besser spät als nie, werde ich mir bewusst, dass mein Bild von Erfolg ein sehr einseitiges ist. Und dass ich jede Einseitigkeit in meinem Leben mit Gegenargumenten aufwiegen kann. Dass ich jede Waagschale neu, mit neuen Erkenntnissen, füllen kann. Dass ich ganz oft mit meinen Vorurteilen und Programmen falsch liege. Oder eben einseitig. Dass meine Sicht der Dinge immer nur ein Ausschnitt ist. Und deine auch. Ich meine oft genug, besser zu wissen, was andere brauchen. Ich meine, Recht zu haben, auch das noch immer oft genug. Doch darum geht es gar nicht.

Erfolgreich zu sein, heißt auf meine Spur zu kommen, authentisch zu leben, mein Ding zu tun. Und es heißt, dass nur ich die sein kann, die ich bin und zwar so, wie nur ich die sein kann, die ich bin.

Wie Luisa Francia so treffend am 17. Mai 2013 in ihr Webtagebuch schrieb:

mich selber sehend sein

ich will die frau sein die ich bin
ich möchte so sein
so wahrgenommen werden
wie ich geworden bin
ich bin
ich will nicht werden wollen
und ich entziehe mich der wertung

ich spiegle mich in meinem schatten
wir kommen nicht
voneinander los
“auf ewig dein” die wahre liebe
den schatten spürend sein
ja das ist meins

Quelle: www.salamandra.de

Darin will ich erfolgreich sein: In der Liebe zu mir.

Und wenn ich weiterhin dorthin unterwegs bin, zu mir, und eines Tages oder immer mal wieder, dort ankomme, bei mir, verlieren Besserwissertum, Vergleiche und Rechthabenwollen an Bedeutung. Erfolg um des Erfolges willen ebenfalls.

Ja, das ist meins – schöner als ein neues Fließblatt. [Danke, Luisa.]

sammeln, sichten, Spuren lesen

Jeder Mensch ist sein eigenes Buch und hinter jedem Namen steckt eine Geschichte.
Wie ich mich dieser Tage durch meine Adressdateien wühle, virtuellen vor allem, erkenne ich, wie viele Menschen meinen Weg irgendwann gekreuzt haben. Und dort kleine oder größere Spuren hinterlassen haben. Gefühle. Schmerzliche die einen, freudige andere. Wieder andere waren einfach da. Mittelpunkte ihrer eigenen Leben, während ich an meinem Lebensfaden spann.
Gesten Abend habe ich die Klassenliste meiner Oberstufenklasse überprüft: Wer wohnt noch dort, wo er bei der letzten Klassenzusammenkunft vor acht Jahren gewohnt hat? Eine Zweidrittelmehrheit – gut oder schlecht ist nicht relevant. Wer ist sesshaft, wer hat sich verändert und was ist mit den immerhin vier Frauen, die weder im Telefonbuch noch mit Guugl und Konsorten zu finden sind? Leben wir alle noch?
Einer meiner Schulkameraden, ein blonder stiller Junge mit Brille, war schon damals ein Tüftler gewesen und ist heute Künstler und Trickfilmzeichner mit einer tollen Webseite. Ich bin ein bisschen stolz auf ihn, obwohl wir kaum Kontakt hatten damals. Heute erst recht nicht.
Damals waren wir junge Menschen, die das Leben noch vor sich hatten – wie die Alten sagten, zu denen ich längst gehöre. Und dass wir es genießen sollen, das Kindsein, das Jungsein. Junge Bäume. Welpen. Schon bei der ersten Klassenzusammenkunft, als Zwanzigjährige, zeichneten sich erste Spuren ab, die sich im Laufe der Jahre vertieften. Die meisten hatten Lehre oder Matur hinter sich und waren – je nach Lebensplan – daran das Leben zu genießen, Reisen zu planen, befanden sich im Studium oder an einer höheren Schule. Die Gespräche mit den einen waren kaum mehr möglich – es fehlten die gemeinsamen Interessen. Mit den andern waren sie dafür möglicher als früher. Aus den jungen Bäumchen waren junge Bäume gewachsen, denen bereits anzusehen war, welcher Art die Früchte eines Tages sein könnten. Menschen und ihre Spuren – Schatten werfen wir auch in die Zukunft. Die Sonne steht nicht immer vor uns.
Wie ich heute weiter in den alten Verzeichnissen und Tabellen wühle, spaziere ich gleichsam durch meine Vergangenheit. Wer war doch gleich …? Ach, mit K. war ich im Kurs in XY und mit S. und N. im Seminar in YZ. L. war doch eine von der Schreiberlingen im ersten Novemberschreiben? Ach, und M. – meine tolle Ex-Scheffin! Wie es ihnen wohl geht, meinen alten Bekannten? Bei ein paar Namen finde ich weder Geschichte noch Gesicht in meiner Erinnerung. Ihre Spuren sind verblasst. Wieder andere habe ich geguuglt … Ob das andere mit meinem Namen von Zeit zu Zeit auch tun? Da und dort bin ich bestimmt aus Verzeichnissen gelöscht und in Adressbüchlein durchgestrichen worden, wie ich das von Zeit zu Zeit mit dem einen oder andern Namen in meinen Dateien ja auch tue.
Menschen hinterlassen Wunden. Und Lichtblicke. Ohne Spuren zu hinterlassen können wir nicht leben.
Was mir andere sind? Was ich andern bin? Nicht Eitelkeit bewegt mich zu solchen Fragen, eher der Wunsch, dass die Antwort lauten möge: wohlgesinnt.